Der Buchstabe Lam 
        (Ghaselen 116-125) 
         
        116. 
        Des Thaues Perle glänzt im Ohr der Rose, 
        Liebkosend' zeigt die Wange nun die Rose; 
         
        Halt' nicht das Morgenroth für Frühlingsjugend, 
        Zum Angedenken gab dem Himmel Er die Rose. 
         
        Die Flur ist heut' zum Räubernest geworden, 
        Es rauben Herz, Cypress', Narciss' und Rose. 
         
        Des Freundes Antlitz ist mir Hain und Garten, 
        Die Hyacinth das Haar, die Wange Rose; 
         
        Sey nicht verschlossnen Angesichts wie Knospen, 
        Entfalt' der Schönheit Reize wie die Rose. 
         
        Wär' nicht vom Dorn der Welt verletzt die Rose, 
        Verstünde nicht der Nachtigall Gewein die Rose. 
         
        Es fand nicht Schönheit wie die Deine Baki, 
        Gleichwohl er sah schon tausend eine Rose. 
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        117. 
        O schon' die Augenfluth, worin Juwel der Rosen! 
        Betracht' das Wogenmeer, an dessen Ufer Rosen!* 
         
        Ist des Kamehles Groll wohl den Beherzten nöthig? 
        O Frommer! zieh auch Du zum Fest die Reih'n der Rosen. 
         
        Der Wein ist Probestein des alten Weinverkäufers; 
        Zeig' ihm des Herzens Gold, Besitzer edler Rosen! 
         
        Als Du betrachtetest das Kleid der Welt, sahst Du 
        Ihr Kleid und Deine Brust zerstückt wie Hemd der Rosen. 
         
        Prahl', Baki! nicht mit Aufenthalt im Rosenhain, 
        Geh' über Seufzer weg mit dem Bestand der Rosen. 
         
        * Die Rosen der Augen sind die 
        rothgeweinten 
        Ränder derselben. 
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        118. 
        Einmahl im Jahr nur eröffnet im Hain sich die Schönheit der Rose, 
        Lachender Knospe des Freundes vergleichbar, wo ist denn die Rose? 
         
        Um zu gefallen dem Frühling bemahlet mit Farben die Flur sich; 
        Lieblich ertönen der Nachtigall Flöten dem Ohre der Rose. 
         
        Rosenverfinsternde Wangen und Knospen des trunkenen Mundes, 
        Seit euch das Herz hat erwählet bedarf es nicht Weins, nicht der Rose. 
         
        Weßhalb ich Armer verloren den Kopf ist bekannt nicht dem Monde, 
        Welcher gefesselt dieß elende Herz in die Bande der Rose. 
         
        Funkendurchsprühet ist wieder der Brodem der Seufzer, o Baki! 
        Seit als dem Freunde gezeiget das Gold die Narcisse der Rose. 
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        119. 
        Wenn Seelen sich dem Schönen opfern, 
        Ist's Wunder nicht; 
        Wenn Liebende den Kopf hergeben, 
        Ist's Tugend nicht. 
         
        O Herz! es ist im Hoffnungsgarten 
        Genusses Frucht 
        So selten Frucht, daß sie im selben 
        Gedeihet nicht. 
         
        Der Schmetterling brennt in der Flamme 
        Vom Seufzerlicht; 
        Es hat der Mond sich an dem Himmel 
        Verfinstert nicht. 
         
        Die Wunden von dem Schwert der Trennung 
        Thun mir so weh, 
        So weh thun selbst die Pfeileswunden 
        Des Schicksals nicht. 
         
        Es gäbe Baki nicht um Welten 
        Den Freund, so schlicht, 
        Er ist von Bildern und Gemählden 
        Der Sclave nicht. 
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        120. 
        Den hohen Wuchs erreicht die hohe Ceder nicht; 
        Des Wuchses Höhe weicht dem Edensbaume nicht; 
         
        Sultan der Erdengürtel! sage, ist der Bettler, 
        Der Mindeste, vor Deinem Herz ein Kaiser nicht? 
         
        Die Sehnsucht Deiner Wang' ergriff die Zeit, den Raum, 
        Daß man die Sonn' ein Sonnenstäubchen achtet nicht. 
         
        Es geht das Glas im Kreis herum, um Dich zu küssen, 
        Ich sag' Dir's in der That Efendi! leer ist's nicht. 
         
        Es ist der Leopard im Wald der Liebe, Baki! 
        Es ist der Fuchs, der Gleißner und der Heuchler nicht. 
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        121. 
        Regenbogen und nicht Brau'n sind dieß; 
        Frühlingsschauer und nicht Haar ist dieß. 
         
        Pfau radschlagend in dem Paradies, 
        Nicht die Locke im Gesicht ist dieß. 
         
        Als der Spiegel Deinen Flaum Dir wies, 
        Hieltest Du für Rost ihn, Ros' ist dieß. 
         
        Wer sich Ihm zum Sclaven nicht verhieß, 
        Sey gebunden, nicht Vernunft ist dieß. 
         
        Geh' nicht seufzend durch die Wilderniß, 
        Baki! Beute 
        nicht für dich ist dieß.* 
         
        * Wörtlich: Dieß ist nicht ein Hirsch, 
        der durch das Netz deiner Seufzer erjagt wird. 
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        122. 
        Weltenunruh' kömmt vom hohen Wuchse, wiss' es! 
        Alles Unglück fällt aus höh'ren Welten, wiss' es! 
         
        Durch die Liebe kömmt dem Menschen Licht, gewisses; 
        Gläsern kömmt die Farbe von dem Weine, wiss' es! 
         
        Die Erkenntniß adelt stets das Herz des Wissers; 
        Spiegelglanz kommt von der Wange Schönheit, wiss' es! 
         
        Schmeicheleyen dieser Welt sind Ungewisses, 
        Niemand hat sie noch vollauf genossen, wiss' es! 
         
        Glück ist leerer Tand, o Baki! nicht vermiss' es! 
        Wie es unstät handle, vom Darius wiss' es! 
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        123. 
        Unglückspfeile kommen von des Schicksals Bogen 
        Auf das Herz, auf die Getreu'n geflogen. 
         
        Deiner Sohlen Spur ist krumm wie ich; 
        Gutes thut, wer Gutem ist gewogen. 
         
        Leicht zu sprechen wäre mit dem Freunde, 
        Hätte Dolch mit Wunden Lieb' gepflogen. 
         
        Seel' in Seel' hätt' ich des Freundes genossen, 
        Hätte nicht der Geist die Wand gezogen.* 
         
        Baki nahm der Liebe Schwert als Feder, 
        Doch ward er um Fingerkuß betrogen.** 
         
        * Unsere Seelen hätten sich im Genusse 
        vermischt, 
        wenn nicht der Lebensgeist, welcher, um zu entfliehen, 
        auf die Lippen kam, dazwischen gestanden wäre. 
        ** Wörtlich: Es ward ihm nicht ein einziges Mahl das gute Geschick, 
        die Finger küssen zu dürfen. 
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        124. 
        Seh' ich das Haar, o schönes Kind! auf Deinen Wangen, 
        Seh' ich den Selsebil* in Ketten eingefangen. 
         
        O vierzehnjär'ger Mond! im Staube Deines Gau's 
        Ist mein Gesicht ganz gelb als Sonne aufgegangen. 
         
        In der Moschee der Liebe ist der Freund das Licht, 
        Die Sonne selbst ist nur als Lampe aufgehangen. 
         
        Es hat der Thränen Strom durchfurcht das gelbe Antlitz, 
        Das Aug' gießt Fluth als Saka** aus dem Schlauch, dem langen. 
         
        Was ist's, wenn die Narciss' erwartet Deinen Staub, 
        Kohol ist Roth dem Aug', das flammt, in Schmerz befangen. 
         
        * Selsebil, der Quell des Paradieses. 
        ** Saka, ein Wasserträger. 
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        125. 
        Sey nicht verschlossen, o Herz! wie die Knospe in Tagen der Rosen, 
        Wand're zur Flur und eröffne den Busen wie blühende Rosen. 
         
        Ostwind hat über die Erde die Blüthen als Silber gestreuet, 
        Sey in dem Rosenbeet Rosenstrauch, komm und verstreue die Rosen. 
         
        Siehe die Wiese, verwandelt in grünendes Meer, wie sie woget, 
        Frühling hat Fluren in Meere verkehret die wogen und tosen; 
         
        Laß Dich nicht ein in Gezänk mit dem Schweiße der Wangen des Freundes, 
        Denn durch denselben erfrischet, eröffnen mit Glanz sich die Rosen. 
         
        Baki! auf Fluren und Feldern hat hauchend der Ostwind im Frühling 
        Rosenessenzen mit Moschus vermischt in dem Wasser, in Rosen. 
        
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