Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Julie von Bechtolsheim
(1751-1847)



Der Sprung vom Felsen

Was seufzet so schaurig im einsamen Thal?
Was wandelt dort unter Cypressen?
Wer stieg, beleuchtet vom Mondenstrahl,
Den steilen Pfad so vermessen? -
Es rauschen die Wellen, es duftet der See,
Und perlender Thau entsinkt der Höh'.

Maria beschritt die felsige Bahn,
Sie folgte dem schmerzlichsten Triebe;
Umdüstert von sanft melancholischem Wahn,
Und blaß wie die schmachtende Liebe;
Die Wehmuth über entschwundenes Glück
Umflorte den immer freundlichen Blick.

Es hatte der Liebe süße Magie
Sie schmeichelnd mit Rosen umwunden,
Und traulich zu schwärmender Sympathie
Zwei fühlende Herzen verbunden;
Doch leicht, wie die Rosen des Lenzes verblüh'n,
Die schönen Gefühle der Liebe verglüh'n!

Dem Jüngling ward das wandelnde Herz
Zu fremder Liebe gelenket -
In namenlosen unendlichen Schmerz
Die Treue, die Holde versenket;
Es trieb sie ein träumender Irrsinn fort,
Und hin zum einsam schaurigen Ort.

Hier wandelt am Abend keiner den Gang,
Daß ihm der Fuß nicht entgleite;
Es tönt so furchtbar am Felsenhang
Der Wind, wie Trauergeläute,
Und stürzend in Abgrund zum ewigen Raub
Verliert sich des Wasserfalls leuchtender Staub.

Sie stieg und stieg, vom Mondglanz umringt,
Die Locken vom Winde umsäuselt,
Zum Ort, wo leise der Quell entspringt,
In lieblichen Wellen sich kräuselt;
Hier schien ihr im trauten Immergrün
Die Hoffnung noch einmal aufzublüh'n.

Sie sank in Träumen auf weiches Moos
Und schaute hinab in die Fluthen,
Andächtig die Hände gefaltet im Schoß,
Das Auge voll himmlischer Gluthen;
Und sanft wie des Silberquells spielender Klang
Ertönte melodisch ihr Schwanengesang:

"Brich, o Herz! dein Sträuben wird gerochen!
'nunter von des Abgrunds steilem Rand!
Die Palme winkt. Mein Engel hat's gesprochen,
Es fällt des Lebens morsche Wand.

Liebe? Leben? alles ist zerronnen,
Jede Wonne aus der Brust gescherzt:
Der falsche Mann hat mir das Herz umsponnen -
Hinab! daß ihn kein Meineid schmerzt.

Mir versiegen jeder Hoffnung Quellen,
Selig war ich - ach, und liebereich!
Maria schlummert in dem Schoß der Wellen -
Hinab! hinab in's Schattenreich!

Faßt auch ihn der Todesflügel Rauschen,
Schwebt sein Schatten zur Vollendung hin,
Da will ich an der dunkeln Pforte lauschen,
Da soll der Theure nicht entflieh'n.

Kühn will ich mit ihm empor mich schwingen,
Ihn umfassen, der mir alles war;
Vereint mit ihm zum hohen Himmel dringen,
Wo Liebe thronet frei und klar.

Dort will ich die heil'gen Rechte nennen,
Die er mir, der Süßerwählten, gab;
Und büßend ihm den wilden Schmerz bekennen,
Der mich versenkte in der Wellen Grab.

Nichtig sind der Erde schönste Gaben;
Lieb' und Treue raubt die falsche Zeit!
Auf ihren Trümmern hoffend mich begraben -
Mir bleibt nur diese Seligkeit!

... Still, still!
Daß der Freund mich nicht erspähe,
Daß mein Schmerz ihn nicht umwehe:
Unter süßer Träume Kosen
Ruht er weich auf zarten Rosen,
Still, still!

Merkt ihr wohl der Träume Kosen?
Atmet ihr den Duft der Rosen?
Seht! dort liegt er wonnetrunken
Tief in Zauberschlaf versunken.

Wiegt ihn, sanfte Abendlüfte,
Spendet alle Blumendüfte,
Daß der letzte Hauch der Liebe
Seinen Schlummer nicht betrübe!

Welch ein sehnlich süßes Bangen?
Rasch! - ihn schlummernd zu umfangen -
Seinen Namen auf der Lippe,
Von des steilen Abgrunds Klippe!"

Da sprang sie vom jähen Felsenhang
Hinab in die rauschenden Fluthen,
Zu enden des Herzens verzehrenden Drang,
Zu kühlen die flammenden Gluthen;
Wild schäumte die Brandung, wild brauste der See,
Doch blickt sie gelassen zur Sternenhöh'.

Sie stürzt auf die silberne Fläche hinab,
Wo schützende Wellen sie heben;
Lang währte der Kampf, lang droht' ihr das Grab,
Kein Schauder macht muthlos sie beben;
Bis endlich, von harrender Sehnsucht krank,
Im stillen Ermatten sie lächelnd versank. -

Und wenn nun der Mond beim nächtlichen Grau
Die schaurige Gegend beleuchtet,
Im Duft der Blüthen ein perlender Thau,
Wie Thränen, Cypressen befeuchtet:
Da hebt sich ihr Geist, da webet und wallt
Er freundlich in schimmernder Engelsgestalt.

Die Palme des Friedens reichet sie hin,
Und reget ihr lichtes Gefieder;
Den Augen entstrahlt ihr liebender Sinn,
Verstummt sind Klagen und Lieder;
Doch ähnlich der flötenden Nachtigall
Stirbt seufzend ihr Ton im Widerhall.

Aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 14-15)
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