Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58

 


Hermine Czigler von Eny-Vecse
(1840-1905)


Viola
(Blumenromanze)

Ein Knabe durchirrt den Frühlingsgarten,
Wo Blume gar dicht an Blume steht;
Und er beschaut die Blümlein, die zarten,
Von Zephyrs Flügel neckend umweht.

Wohl manches darunter hebt das Köpfchen
Und schaut ihn lieb und freundlich an;
Und manches schüttelt mit Unmut das Schöpfchen
Und haucht: Was sucht nur der gute Mann? -

Der Knabe wandelt in stillem Sinnen
Vorüber so manchem Busch und Strauch;
Mir deucht, sein Herz konnt' keines gewinnen,
Wie fein und schön die Blümelein auch.

Traun dennoch! - eines vom bunten Gewimmel,
Ja, eines zog lockend sein Auge an;
Mairöslein blühet unter dem Himmel,
Mairöslein hat schier es ihm angethan.

Er freut sich darüber und lacht gar munter,
Bewundert, beschaut den lieblichen Fund;
Und seine Freude wird immer lauter,
Er nimmt mit dem Röslein wohl manche Stund'.

Da blickt er zum Osten, dort sieht er wogen
Ein Blümlein, - es ist die Nachtviol';
Von Bangen fühlt er sein Herz durchzogen,
Ihm wird es plötzlich so weh und so wohl. -

Nicht fremde ist ihm Viola, die bleiche,
Er hat vor Jahren sie schon gefreit;
Sie blieb dieselbe, sie blieb die Gleiche,
Und schauet ihn an voll Seligkeit.

Sie hauchet ihm zu so süß und leise:
"Ich lieb' Dich wie einst, ich blieb Dir treu!"
Der Jüngling lauschet der duftigen Weise,
Und ihn umwehet Trauer und Reu'.

Er seufzt: "Du Blümlein! hab' Dein vergessen,
Weil nicht so rosig Du geblüht; -
O dürft' ich Dich liebend ans Herz jetzt pressen,
Doch dort gen Westen ein Röslein mir glüht." -

Zum Röslein sendet er bald die Blicke, -
Das schmückt sich gar hold in blühendem Kleid;
Bald kehret sein Aug' zur Viole zurücke,
Wie ziehet ihn an ihr stilles Leid! -

Sie träumt von ihm, sie träumt so süße, -
Sie träumet Hoffnung und Liebeslust;
Sie haucht zum Westen duftige Grüße,
Es klinget so sanft in ihrer Brust.

"O welche von beiden soll ich erwählen?"
- Fragt bange der Jüngling, mit wirrem Sinn; -
"Ich lieb' das Röslein, nicht will ich's verhehlen,
Doch mächtiger zieht's zur Viole mich hin."

Da tönt es vom Äther im Geisterhauch nieder:
"Mairöschen pranget und glänzt und glüht;
Viola doch atmet und träumet nur Lieder
Und hauchet Liebe, wie blaß sie auch blüht!

"Willst Deine Hülle Du, Knabe, vermählen,
So pflücke das Röslein mit Reiz und Pracht;
Doch willst Du der Seel' eine Gattin erwählen,
Ergib Dich Violas milder Macht.

Du Knabe, doch folge nur Deinem Herzen,
Befrage es treu bei Deiner Wahl;
Das Herz, es läßt mit sich nicht scherzen,
Ein Irrtum - und ach! - das Leben ist Qual.

Denn da gebührt nur ihm die Sprache!
Verstummen muß alles, oft selbst die Pflicht;
Es nimmt das Herz sonst schreckliche Rache -
Und jubelt, wenn's selber im Weh dann bricht."

Mit Zagen hat der Jüngling vernommen
Das mahnungsreiche Orakel dort;
Es toben die Pulse, das Herz ist beklommen,
Die Stirne glüht, das Aug' ist umflort.

Doch plötzlich fasset ihn ein Entzücken,
Er neigt zu den Blümlein sich liebebeseelt;
Man sieht ihn eines von beiden pflücken, -
Ach, welches hat wohl der Knabe gewählt? ...

Am Morgen fand man Viola erblichen,
Ihr Leben floh mit dem süßen Wahn;
Im Leid ist ihre Seele entwichen,
Das hat Untreue an ihr gethan!

Aus: Deutsche Dichterin[n]en und Schriftstelerin[n]en
in Wort und Bild
Herausgegeben von Heinrich Groß
III. Band Berlin 1885 (S. 110-111)
_____


 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite