Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

 

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Joseph Freiherr von Eichendorff
(1788-1857)


Inhaltsverzeichnis der Balladen:
 





Die Zauberin im Walde (1)
Romanze (1807-1810)

Alter Vater, alter Vater,
Laß mich aus dem grauen Hause!
Winter ist ja längst vergangen,
Helle scheint die Sonne draußen.

Wird dir denn nicht selber bange?
Wie ein fremder Vogel drunten
In dem Walde seltsam sange -
Alter Vater, laß mich 'runter!

»Lieber Sohn, wie machst mir bange!
Wend' zum Kreuze dich alsbalde,
Daß dich fürder nicht verlange
Nach dem dunkelgrünen Walde.

Drüben wohnt in dem Gebirge
Eine Fey auf blankem Schlosse,
Ist genannt Sidonia schöne,
Zeigt sich oft auf weißem Rosse.

Und wenn Frühling ist gekommen,
Steht sie oben auf der Zinne,
Schauet nach den dunklen Gründen,
Weint nach eines Knaben Minne.

Kommt der Vogel jeden Frühling
Immer zu des Waldes Pforte,
Singt hinaus in's Land so eigen,
Führet durchs Gebirg zum Schlosse.

Und so manchen wilden Knaben
Lüstete in frechem Mute
Nach der Feye schönem Leibe
Und den Edelstein' und Gute.

Doch von allen Knaben, allen
Mochte keiner Lieb' erwerben,
Mußten all' in bittern Klagen
In dem dunklen Walde sterben.«

»Vater! Ach, wie sprecht ihr trübe!
Hat's euch nie an's Herz geschlagen
Lockend aus dem grünen Walde,
Daß ihr also möget zagen?

Schon vor vielen frühen Jahren
Saß ich drüben, an dem Ufer,
Sah manch Schiff vorüberfahren
Weit hinein in Waldesdunkel.

Und gar seltsam hohe Blumen
Standen an dem Felsenrande,
Sprach der Strom so dunkle Worte,
'S war, als ob ich sie verstande.

Und wie ich so sinnend saße,
Und ein wundersam Gelüste
Mich gar seltsam tät erfassen
Mit zu ziehn im Strom der Düfte;

Kam auf einem goldnen Nachen
Bald die schönste aller Frauen,
Wie von lauter Edelsteinen
Eine Blume anzuschauen.

Und von ihrem Hals behende -
Tät sie lösen eine Kette,
Reichte mir mit zarten Händen
Wohl die allerschönste Perle.

Ein Wort, seltsam, unverständlich,
Sprach sie da mit rotem Munde,
Doch im Herzen ewig stehen
Wird des Worts geheime Kunde. -

Und so saß ich lange Jahre,
Und wenn neu der Lenz erwachte,
Immer von dem Halsgeschmeide
Eine Perle sie mir brachte.

Ich barg sie in Waldesgrunde,
Und aus jeder Perle reine
Sproßte eine Blum' zur Stunde,
Wie ihr Antlitz wunderfeine.

Und so bin ich aufgewachsen,
Tät der Blumen treulich warten,
Schlummert' oft und träumte golden
In dem bunten Waldes-Garten.

Fortgespült ist nun der Garten
Und die Blumen all verschwunden,
Und durchs Herze fühl' ich's ziehen,
Bluten, blühen alle Wunden.

In der Fern' liegt jetzt mein Leben,
Breitend sich wie grüne Träume,
Schimmert stets so seltsam lockend
Durch die alten dunklen Bäume.

Jetzt erst weiß ich, was der Vogel
Ewig ruft so bange, bange,
Unbekannt zieht ew'ge Treue
Mich hinunter zu dem Sange.

Locken dich nicht selbst die Klänge,
Wie sie ferne, wie Karfunkel,
Dunkelleuchtend irre schweifen
Durch das schauersüße Dunkel?

Wie die Wälder kühle rauschen,
Zwischendurch das alte Rufen!
Wo bin ich so lang' gewesen? -
O ich muß hinab zur Ruhe«!

Und es stieg vom Schloß hinunter
Schnell der süße Florimunde,
Weit hinab und immer weiter
Zu dem dunkelgrünen Grunde.

Hört' die Ströme stärker rauschen,
Sah in Nacht des Vaters Burge
Stillerleuchtet stehn im Dunkel,
Alles Leben weit verschwunden! -

Und der Vater schaut vom Berge,
Schaut zum dunkeln Grunde immer,
Regte sich der Wald so grausig,
Doch den Sohn erblickt er nimmer.

Und es kam der Winter balde,
Und viel Lenze kehrten wieder,
Doch der Vogel in dem Walde
Sang nie mehr die Wunderlieder.

Und das Waldschloß war versunken,
Und Sidonia schön verschwunden,
Wollte keinen andern haben
Nach dem süßen Florimunde.

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 50-53)
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Das Bildnis
Romanze

Der Knab' im grünen Walde
Ließ gerne Flur und Feld;
Das Waldhorn ferne schallte,
So weit lag alle Welt.
Er fragte: was er weine
Auf blumenreicher Au,
Was dieser Frühling meine,
Die Lüfte mild und blau?

Er kam zum dunkelhellen
Wundersam grünen Ort,
Da rauschten Wald und Quellen
Zaubrisch in einem fort;
Die zogen sich um sein Herze,
Da mußt er niederknie'n,
Gebannt in süßem Schmerze,
Mocht' nicht mehr weiter ziehn.

Dort stand eine Jungfrau milde,
Mit Kron' und Edelgestein',
Die in das grüne Wilde
Sandten vielsüßen Schein.
Süß Singen auf und nieder,
Und Blühen zu schauen war,
Nicht Farben waren's, noch Lieder,
Eine Glorie nur mild und klar.

Himmlische Rosen neigen
Sich Ihr um Wang und Brust,
Sie selber schien zu schweigen
Vor Wehmut und vor Lust,
Wie diese Melodieen
Ihr schlagen an die Brust,
Als wollt' die Welt Sie ziehen
Liebend an Ihre Brust. -

»O Königin vielsüße,
Du schöne Waldesbraut!
Wie Dich auch alles grüße
Mit holdem Frühlingslaut:
Mehr kann Dir keiner geben,
Als ich Dir geben muß,
Es wird mein ganzes Leben
Zum blüh'nden Liebesgruß.

Wo bin ich denn gewesen
Entfernt von Dir so lang?
Jetzt bin ich erst genesen,
In süßer Liebe krank.
Ach! was ich lieb' und habe,
Es war ja immer Dein,
Lassend der Erde Gabe,
Bleib' Du die Geliebte mein!«

Wie Schmerzen süß zu Schmerzen
Neigend die Königin,
Reicht Sie von Ihrem Herzen
Ihm eine Blume hin.
»Die Blume wohl bewahre!
Soll ewig Dich umblühn,
Zieht Dich nach einem Jahre
Wieder zu mir in's Grün.«

Nun schwiegen Wald und Quelle,
Versunken war die Braut,
Der Wald tät' auf sich helle,
Weit in den Lenz er schaut.
Nun wußt' er, was er weinte
Allein auf grüner Au;
Was dieser Frühling meinte,
Die Luft so lind und blau.

Und wie der Lenz von neuem
Mit tausend Stimmen sang,
Da ward dem Vielgetreuen
In seinem Tal so bang.
Er kniete zu der Stunde
Hin an des Hügels Hang,
Die Blume an dem Munde,
Die duftend ihn durchdrang.

Und aus der Blum' erstunde
Ein Glorifizieren mild,
Und in des Kelches Grunde
Blühte der Liebsten Bild.
Es macht' das süße Wunder
Süß alle Tränen los,
Sog alle Sinne hinunter
In seinen Farbenschoß.

Ein wunderbares Glimmen
Nun aus dem Frühling brach,
Rings überschwänglich' Stimmen
Tief lockend wurden wach,
Die Geliebte sah er schwimmen,
Als ob Sie zu ihm sprach
Und dieses Stromes Stimmen
Zogen den Liebsten nach. -

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 71-73)
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Die Hochzeitsnacht

Nachts durch die stille Runde
Rauschte des Rheines Lauf
Ein Schifflein zog im Grunde,
Ein Ritter stand darauf.

Die Blicke irrend schweifen
Von seines Schiffes Rand.
Ein blutigroter Streifen
Sich um das Haupt ihm wand.

Der sprach: »Da oben stehet
Ein Schlößlein überm Rhein,
Die an dem Fenster stehet:
Das war die Liebste mein.

Sie hat mir Treu versprochen,
Bis ich gekommen sei,
Sie hat die Treu gebrochen
Und alles ist vorbei.«

Viel' Hochzeitleute drehen
Da oben laut und bunt,
Sie bleibet einsam stehen
Und schauet in den Grund.

Und wie sie tanzten munter,
Und Schiff und Schiffer schwand,
Stieg sie vom Schloß hinunter,
Bis sie im Garten stand.

Die Spielleut' musizierten,
Sie sann gar mancherlei,
Die Töne sie so rührten,
Als müßt' das Herz entzwei.

Da trat ihr Bräut'gam süße
Zu ihr aus stiller Nacht,
So freundlich er sie grüßte,
Daß ihr das Herze lacht.

Er sprach: »Was willst du weinen,
Weil alle fröhlich sein!
Die Sterne schöne scheinen,
So lustig geht der Rhein.

Das Kränzlein in den Haaren
Steht dir so wunderfein,
Wir wollen etwas fahren
Hinunter auf dem Rhein.«

Zum Kahn folgt sie behende,
Setzt sich ganz vorne hin,
Er setzt' sich an das Ende
Und ließ das Schifflein ziehn.

Sie sprach: »Die Töne kommen
Verworren durch den Wind,
Die Fenster sind verglommen,
Wir fahren so geschwind.

Was sind das für so lange
Gebirge weit und breit?
Mir wird auf einmal bange
In dieser Einsamkeit.

Und fremde Leute stehen
Auf mancher Felsenwand,
Und stehen still und sehen
So steinern über'n Rand.«

Der Bräut'gam schien so traurig
Und sprach kein einzig Wort,
Schaut' in die Wellen schaurig
Und rudert' immerfort.

Sie sprach: »Schon seh ich Streifen
So rot im Morgen stehn,
Und Stimmen hör' ich schweifen,
Vom Ufer Hähne krähn.

Du siehst so still und wilde,
So bleich wird dein Gesicht,
Mir graut vor deinem Bilde -
Du bist mein Bräut'gam nicht.«

Da stund er auf - das Sausen
Hielt still in Flut und Wald,
Es rührt mit Lust und Grausen
Das Herz ihr die Gestalt.

Und wie mit steinern'n Armen
Hob er sie auf voll Lust,
Drückt ihren schönen, warmen
Leib an die eis'ge Brust. -

Licht wurden Wald und Höhen,
Der Morgen schien blutrot,
Das Schifflein sah man gehen,
Die schöne Braut drin tot.

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 75-77)
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Der Gefangene

In gold'ner Morgenstunde,
Weil alles freudig stand,
Da ritt im heitern Grunde
Ein Ritter über Land.

Rings sangen auf das beste
Die Vöglein mannigfalt,
Es schüttelte die Äste
Vor Lust der grüne Wald.

Den Nacken, stolz gebogen,
Klopft er dem Rösselein -
So ist er hingezogen
Tief in den Wald hinein.

Sein Roß hat er getrieben,
Ihn trieb der frische Mut:
»Ist alles fern geblieben,
So ist mir wohl und gut!«

Mit Freuden mußt' er sehen
Im Wald' ein' grüne Au,
Wo Brünnlein kühle gehen,
Von Blumen rot und blau.

Vom Roß ist er gesprungen,
Legt sich zum kühlen Bach,
Die Wellen lieblich klungen,
Das ganze Herz zog nach.

So grüne war der Rasen,
Es rauschte Bach und Baum,
Sein Roß tät stille grasen
Und alles wie ein Traum.

Die Wolken sah er gehen,
Die schifften immer zu,
Er konnt' nicht widerstehen, -
Die Augen sanken ihm zu.

Nun hört' er Stimmen rinnen,
Als wie der Liebsten Gruß,
Er konnt' sich nicht besinnen -
Bis ihn erweckt ein Kuß.

Wie prächtig glänzt die Aue!
Wie Gold der Quell nun floß,
Und einer süßen Fraue
Lag er im weichen Schoß.

»Herr Ritter! wollt Ihr wohnen
Bei mir im grünen Haus:
Aus allen Blumenkronen
Wind' ich Euch einen Strauß!

Der Wald ringsum wird wachen,
Wie wir beisammen sein,
Der Kuckuck schelmisch lachen,
Und alles fröhlich sein.«

Es bog ihr Angesichte
Auf ihn den süßen Leib,
Schaut mit den Augen lichte
Das wunderschöne Weib.

Sie nahm sein'n Helm herunter
Löst' Krause ihm und Bund,
Spielt' mit den Locken munter,
Küßt ihm den roten Mund.

Und spielt' viel' süße Spiele
Wohl in geheimer Lust,
Es flog so kühl und schwüle
Ihm um die offne Brust.

Um ihn nun tät sie schlagen
Die Arme weich und bloß,
Er konnte nichts mehr sagen,
Sie ließ ihn nicht mehr los.

Und diese Au zur Stunde
Ward ein krystallnes Schloß,
Der Bach ein Strom, gewunden
Ringsum, gewaltig floß.

Auf diesem Strome gingen
Viel' Schiffe wohl vorbei,
Es konnt' ihn keines bringen
Aus böser Zauberei.

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 163-166)
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Ballade

Hoch über den stillen Höhen
Stand in dem Wald ein Haus,
Dort war's so einsam zu sehen
Weit über'n Wald hinaus.

Drin saß ein Mädchen am Rocken
Den ganzen Abend lang,
Der wurden die Augen nicht trocken,
Sie spann und sann und sang:

»Mein Liebster der war ein Reiter,
Dem schwur ich Treu' bis in Tod,
Der zog über Land und weiter,
Zu Krieges Lust und Not.

Und als ein Jahr war vergangen,
Und wieder blühte das Land,
Da stand ich voller Verlangen,
Hoch an des Waldes Rand.

Und zwischen den Bergesbogen
Wohl über den grünen Plan
Kam mancher Reiter gezogen,
Der meine kam nicht mit an.

Und zwischen den Bergesbogen
Wohl über den grünen Plan
Ein Jägersmann kam geflogen,
Der sah mich so mutig an.

So lieblich die Sonne schiene,
Das Waldhorn scholl weit und breit,
Da führt' er mich in das Grüne,
Das war eine schöne Zeit! -

Der hat so lieblich gelogen
Mich aus der Treue heraus,
Der Falsche hat mich betrogen,
Zog weit in die Welt hinaus.«

Sie konnte nicht weiter singen
Vor bittrem Schmerz und Leid,
Die Augen ihr übergingen
In ihrer Einsamkeit.

Die Muhme die saß bei'm Feuer
Und wärmet sich am Kamin,
Es flackert und sprüht das Feuer,
Hell über die Stub' es schien.

Sie sprach: »Ein Kränzlein in Haaren,
Das stünde dir heute gar schön,
Willst draußen auf dem See nicht fahren?
Hohe Blumen am Ufer dort steh'n.«

»Ich kann nicht holen die Blumen,
Im Hemdlein weiß am Teich
Ein Mädchen hütet die Blumen,
Die sieht so totenbleich.

Und hoch auf des Seees Weite,
Wenn Alles finster und still,
Da rudern zwei stille Leute, -
Der Eine dich haben will.

Sie schauen wie alte Bekannte,
Still', ewig stille sie sind,
Doch ein Mal der Eine sich wandte,
Da faßt' mich ein eiskalter Wind. -

Mir ist zu wehe zum Weinen -
Die Uhr so gleichförmig pickt,
Das Rädlein, das schnurrt so in Einem,
Mir ist, als wär' ich verrückt. -

Ach Gott! wann wird sich doch röten
Die fröhliche Morgenstund'!
Ich möchte hinausgeh'n und beten,
Und beten aus Herzensgrund!

So bleich schon werden die Sterne,
Es rührt sich stärker der Wald,
Schon krähen die Hähne von Ferne,
Mich friert, es wird so kalt!

Ach, Muhme! was ist euch geschehen?
Die Nase wird euch so lang,
Die Augen sich seltsam verdrehen -
Wie wird mir vor euch so bang!« -

Und wie sie so grauenvoll klagte,
Klopft's draußen an's Fensterlein,
Ein Mann aus der Finsternis ragte,
Schaut' still in die Stube herein.

Die Haare wild umgehangen,
Von blutigen Tropfen naß,
Zwei blutige Streifen sich schlangen,
Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß.

Er grüßt sie so fürchterlich heiter,
Er heißt sie sein' liebliche Braut,
Da kannt' sie mit Schaudern den Reiter,
Fällt nieder auf ihre Knie.

Er zielt' mit dem Rohre durch's Gitter
Auf die schneeweiße Brust hin;
»Ach, wie ist das Sterben so bitter!
Erbarm' dich, weil ich so jung noch bin!« -

Stumm blieb sein steinerner Wille,
Es blitzte so rosenrot,
Da wurd' es auf ein Mal stille
Im Walde und Haus und Hof. -

Frühmorgens da lag so schaurig
Verfallen im Walde das Haus,
Ein Waldvöglein sang so traurig,
Flog fort, über den See hinaus.

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 166-169)
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Die Brautfahrt

Durch des Meeresschlosses Hallen
Auf bespültem Felsenhang
Weht der Hörner festlich Schallen,
Froher Hochzeitsgäste Drang
Bei der Kerzen Zauberglanze
Wogt im buntverschlungnen Tanze.

Aber an des Fensters Bogen,
Ferne von der lauten Pracht,
Schaut der Bräut'gam in die Wogen
Draußen in der finstern Nacht,
Und die trunknen Blicke schreiten
Furchtlos durch die öden Weiten.

»Lieblich«, sprach der wilde Ritter
Zu der zarten, schönen Braut,
»Lieblich girrt die sanfte Zitter -
Sturm ist meiner Seele Laut,
Und der Wogen dunkles Brausen
Hebt das Herz in kühnem Grausen.

Ich kann hier nicht müßig lauern,
Treiben auf dem flachen Sand,
Dieser Kreis von Felsenmauern
Hält mein Leben nicht umspannt;
Schön're Länder blühen ferne,
Das verkünden mir die Sterne.

Du mußt glauben, du mußt wagen,
Und, den Argonauten gleich,
Wird die Woge fromm dich tragen
In das wunderbare Reich;
Mutig streitend mit den Winden
Muß ich meine Heimat finden! -

Siehst du, heißer Sehnsucht Flügel,
Weiße Segel dort gespannt?
Hörst du tief die feuchten Hügel
Schlagen an die Felsenwand?
Das ist Sang zum Hochzeitsreigen -
Willst du mit mir niedersteigen?

Kannst du rechte Liebe fassen,
Nun so frage, zaudre nicht!
Schloß und Garten mußt du lassen
Und der Eltern Angesicht -
Auf der Flut mit mir alleine,
Da erst, Liebchen, bist du meine!«

Schweigend sieht ihn an die milde
Braut mit schauerlicher Lust,
Sinkt dem kühnen Ritterbilde
Trunken an die stolze Brust.
»Dir hab' ich mich gern ergeben,
Weihe dir mein ganzes Leben«

Und er trägt die süße Beute
Jubelnd aus dem Schloß aufs Schiff,
Drunten harren seine Leute,
Stoßen froh vom Felsenriff;
Und die Hörner leis verhallen,
Einsam rings die Wogen schallen.

Wie die Sterne matter blinken
In die morgenrote Flut,
Sieht sie fern die Berge sinken,
Flammend steigt die hehre Glut,
Über'm Spiegel trunkner Wellen
Rauschender die Segel schwellen.

Monde steigen und sich neigen
Lieblich weht schon fremde Luft,
Da seh'n sie ein Eiland steigen
Feenhaft aus blauem Duft
Wie ein farb'ger Blumenstreifen -
Meerwärts fremde Vögel schweifen.

Alle faßt ein freud'ges Beben -
Aber dunkler rauscht das Meer,
Schwarze Wetter schwer sich heben,
Stille wird es ringsumher,
Und nur freudiger und treuer
Steht der Ritter an dem Steuer.

Und nun flattern wilde Blitze,
Sturm rast um den Felsenriff,
Und von grimmer Wogen Spitze
Stürzt geborsten sich das Schiff.
Schwankend auf des Mastes Splitter,
Schlingt die Braut sich um den Ritter.

Und die Müde in den Armen,
Springt er abwärts, sinkt und ringt,
Hält den Leib, den blühendwarmen,
Bis er alle Wogen zwingt,
Und am Blumenstrand gerettet,
Auf das Gras sein Liebstes bettet.

»Wache auf, wach' auf, du Schöne!
Liebesheimat ringsum lacht,
Zaubrisch ringen Duft und Töne,
Wunderbarer Blumen Pracht
Funkelt rings im Morgengolde -
Schau um Dich! wach auf, du Holde!«

Aber frei von Lust und Kummer
Ruht die liebliche Gestalt,
Lächelnd noch im längsten Schlummer,
Und das Herz ist still und kalt,
Still der Himmel, still im Meere,
Schimmernd rings das Land von Zähren.

Und er sinkt zu ihr vor Schmerzen,
Einsam in dem fremden Tal,
Tränen aus dem wilden Herzen
Brechen da zum erstenmal,
Und vor diesem Todesbilde
Wird die ganze Seele milde.

Von der langen Täuschung trennt er
Schauernd sich - der Stolz erweicht,
Andre Heimat nun erkennt er,
Die kein Segel hier erreicht,
Und an echten Schmerzen ranken
Himmelwärts sich die Gedanken.

Schweigend scharrt er ein die Stille,
Pflanzt ein Kreuz hoch auf ihr Grab,
Wirft von sich die seidne Hülle,
Leget Schwert und Mantel ab,
Kleidet sich in rauhe Felle,
Haut in Fels sich die Kapelle.

Über'm Rauschen dunkler Wogen
In der wilden Einsamkeit,
Hausend auf den Felsenbogen,
Ringt er fromm mit seinem Leid,
Hat, da manches Jahr entschwunden,
Heimat, Braut und Ruh gefunden. -

Viele Schiffe drunten gehen
An dem schönen Inselland,
Sehen hoch das Kreuz noch stehen
Warnend von der Felsenwand,
Und des strengen Büßers Kunde
Gehet fromm von Mund zu Munde.

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 204-207)
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Das kalte Liebchen

Er. Laß mich ein; mein süßes Schätzchen!
Sie. Finster ist mein Kämmerlein.
Er. Ach, ich finde doch mein Plätzchen.
Sie. Und mein Bett ist eng und klein.

Er. Fern komm' ich vom weichen Pfühle;
Sie. Ach, mein Lager ist von Stein!
Er. Draußen ist die Nacht so kühle.
Sie. Hier wird's noch viel kühler sein.

Er. Sieh! die Sterne schon erblassen.
Sie. Schwerer Schlummer fällt mich an. -
Er. Nun, so will ich schnell Dich fassen.
Sie. Rühr' mich nicht so glühend an!

Er. Fieberschauer mich durchbeben.
Sie. Wahnsinn bringt der Toten Kuß.
Er. Weh! es bricht mein junges Leben!
Sie. Mit ins Grab hinunter muß.

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 208)
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Der zauberische Spielmann

Nächtlich in dem stillen Grunde,
Wenn das Abendrot versank,
Um das Waldschloß in die Runde
Ging ein lieblicher Gesang.

Fremde waren diese Weisen
Und der Sänger unbekannt,
Aber, wie in Zauberkreisen
Hielt er jede Brust gebannt.

Hinter blüh'nden Mandelbäumen
Auf dem Schloß das Fräulein lauscht -
Drunten alle Blumen träumen,
Wollüstig der Garten rauscht.

Und wie Wellen buhlend klingen,
Ringend in geheimer Lust:
Kommt das wunderbare Singen
An die süßverträumte Brust.

»Warum weckst Du das Verlangen,
Das ich kaum zur Ruh gebracht?
Siehst Du hoch die Lilien prangen? -
Böser Sänger, gute Nacht!

Sieh', die Blumen steh'n voll Tränen
Einsam die Viole wacht,
Als wollt' sie sich schmachtend dehnen
In die warme Sommernacht.

Wohl von süßem roten Munde
Kommt so holden Sanges Macht -
Bleibst Du ewig dort im Grunde,
Unerkannt in stiller Nacht?

Ach' im Wind' verfliegt mein Grüßen!
Einmal, eh' der Tag erwacht,
Möcht' ich Deinen Mund nur küssen,
Sterbend so in süßer Nacht!

Nachtigall, verliebte, klage
Nicht so schmeichelnd durch die Nacht! -
Ach! ich weiß nicht was ich sage,
Krank bin ich und überwacht.«

Also sprach sie, und die Lieder
Lockten stärker aus dem Tal,
Rings durchs ganze Tal hallt's wider
Von der Liebe Lust und Qual.

Und sie konnt' nicht widerstehen,
Enge ward ihr das Gemach,
Aus dem Schlosse mußt' sie gehen
Diesem Zauberstrome nach.

Einsam steigt sie von den Stufen,
Ach! so schwüle weht der Wind!
Draußen süß die Stimmen rufen
Immerfort das schöne Kind.

Alle Blumen trunken lauschen,
Von den Klängen hold durchirrt;
Lieblicher die Brunnen rauschen;
Und sie eilet süßverwirrt. -

Wohl am Himmel auf und nieder
Trieb der Hirt die goldne Schar,
Die Verliebte kehrt nicht wieder,
Leer nun Schloß und Garten war.

Und der Sänger seit der Stunde
Nicht mehr weiter singen will,
Rings im heimlich kühlen Grunde
War's vor Liebe selig still.

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 209-211)
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Die Zauberin im Walde (2)
(1831-1836)

»Schon vor vielen, vielen Jahren
Saß ich drüben an dem Ufer,
Sah manch' Schiff vorüber fahren,
Weit hinein in's Waldesdunkel.

Denn ein Vogel jeden Frühling
An dem grünen Waldes-Saume
Sang mit wunderbarem Schalle,
Wie ein Waldhorn klang's im Traume.

Und gar seltsam hohe Blumen
Standen an dem Rand der Schlünde,
Sprach der Strom so dunkle Worte,
'S war, als ob ich sie verstünde.

Und wie ich so sinnend atme
Stromeskühl' und Waldesdüfte,
Und ein wundersam Gelüsten
Mich hinabzog nach den Klüften:

Sah ich auf kristall'nem Nachen,
Tief im Herzensgrund erschrocken,
Eine wunderschöne Fraue,
Ganz umwallt von gold'nen Locken.

Und von ihrem Hals behende
Tät sie lösen eine Kette,
Reicht' mit ihren weißen Händen
Mir die allerschönste Perle.

Nur ein Wort von fremdem Klange
Sprach sie da mit rotem Munde,
Doch im Herzen ewig stehen
Wird des Wort's geheime Kunde. -

Seitdem saß ich wie gebannt dort,
Und wenn neu der Lenz erwachte,
Immer von dem Halsgeschmeide
Eine Perle sie mir brachte.

Ich barg all' im Waldesgrunde,
Und aus jeder Perl der Fraue
Sproßte eine Blum' zur Stunde,
Wie ihr Auge anzuschauen.

Und so bin ich aufgewachsen,
Tät der Blumen treulich warten,
Schlummert' oft und träumte golden
In dem schwülen Waldes-Garten.

Fortgespült ist nun der Garten
Und die Blumen all' verschwunden,
Und die Gegend, wo sie standen,
Hab' ich nimmermehr gefunden.

In der Fern' liegt jetzt mein Leben,
Breitend sich wie junge Träume,
Schimmert stets so seltsam lockend
Durch die alten, dunklen Bäume.

Jetzt erst weiß ich, was der Vogel
Ewig ruft so bange, bange,
Unbekannt zieht ew'ge Treue
Mich hinunter zu dem Sange.

Wie die Wälder kühle rauschen,
Zwischendurch das alte Rufen,
Wo bin ich so lang' gewesen? -
O ich muß hinab zur Ruhe!«

Und es stieg vom Schloß hinunter
Schnell der süße Florimunde,
Weit hinab und immer weiter
Zu dem dunkelgrünen Grunde.

Hört' die Ströme stärker rauschen,
Sah in Nacht des Vaters Burge
Stillerleuchtet ferne stehen,
Alles Leben weit versunken.

Und der Vater schaut' vom Berge,
Schaut' zum dunklen Grunde immer,
Regte sich der Wald so grausig,
Doch den Sohn erblickt' er nimmer.

Und es kam der Winter balde,
Und viel' Lenze kehrten wieder,
Doch der Vogel in dem Walde
Sang nie mehr die Wunderlieder.

Und das Waldhorn war verklungen
Und die Zauberin verschwunden,
Wollte keinen andern haben
Nach dem süßen Florimunde. -

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 384-387)
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Die zauberische Venus

Bei dem lauten Hochzeitsfeste
Klingen rings die vollen Becher,
Fröhlich schwingen sie die Gäste,
Wohlgeübte wackre Zecher;
Und von seinem Sitz erhoben,
Grüßt ein jeder schön mit Witzen,
Die Verliebten, die da oben
Schamrot bei einander sitzen.

Doch kaum hat das Fest geendet,
Als der Bräutigam alleine
Sich zum stillen Garten wendet,
Um im hellen Mondenscheine,
Wenn sich sanft die Lüfte kühlen,
Einsam, vom Gewühl verlassen,
Sein errungnes Glück zu fühlen,
Das er kaum vermag zu fassen.

Während sehnsuchtsvolle Träume
Liebend seine Brust umschleichen,
Geht er unterm Laub der Bäume
Nach dem Grunde zu den Teichen;
Dort sieht er vom Tau befeuchtet
Einen Nachen angebunden,
Von dem blassen Licht beleuchtet,
Das der Mond der Nacht verbunden.

Wie im weitern Kreis die Wellen
Spielend auseinander schweben,
Will die Brust Verlangen schwellen,
Sich der Flut zu übergeben.
Denn es scheint aus klarem Grunde,
Wo ein immerwährend Schweigen
Gibt unendlich tiefe Kunde,
Seiner Liebe Bild zu steigen.

Doch eh' er zum Kahn hinunter
Steigt, den er zur Fahrt erkoren,
Zieht er noch den Ring herunter,
Bei dem ihm die Braut geschworen;
Daß er nicht, das Ruder schwenkend,
Um den Nachen zu regieren,
Ihrer Treue Pfand versenkend,
In den Fluten mag verlieren.

Dorten wo am grünen Lande
Hohe Schilfe wehend schossen,
Steht ein Venus-Bild am Strande
Von dem Mondenlicht umflossen;
Kalten Marmorstein begeistert
Alter Zeiten heilig Leben;
Von des Künstlers Hand gemeistert,
Später Nachwelt übergeben.

An den Finger nun dem Bilde
Steckt er seinen Ring mit Eilen,
Stößt dann ab in's Flutgefilde
Seinen Nachen ohn' Verweilen.
Als die Wogen wiegend schweben,
Schmeichelnd bald den Kahn umspülen,
Muß er des Gemüts Erheben
Höher in dem Busen fühlen.

Wie mit blüh'nden Segeln Kähne
Aus dem grünen Hang der Bäume,
Sieht er kreisen sanfte Schwäne,
Vögel linder Götter-Träume.
Über ihnen fern dem hellen
Mondenschein, den sie begrüßen,
Unter ihnen kühl die Wellen,
Die der Schwäne Busen küssen.

Einsam lodern stille Flammen,
Um die beiden zu verwirren
Schwan und Schiffer, die zusammen
Auf den öden Wassern irren.
Doch vom weißen Marmor gleitet
Schimmer auf den See so milde,
Und von diesem Licht geleitet
Kehrt er sicher zu dem Bilde.

Still erblaßt schaun dessen Augen
In die blauen Fluten nieder,
Und der Welle Spiegel saugen
Durstig diese Marmorglieder,
Die im feuchten Bette schliefen.
Von dem lauen Wind umflogen,
Schwebend über jenen Tiefen,
Wiegen buhlend sie die Wogen.

Sanfter durch den grünen Zwinger
Hört er jetzt die Winde fliehen,
Als er seinen Ring dem Finger
Jenes Bildes will entziehen -
Aber Schrecken zum Vergehen
Fühlt er durch die Adern schießen!
Denn die feuchten Augen sehen
Sich die Hand von Marmor schließen.

Rückwärts zum betauten Boden
Sinkt er ohne Leben nieder,
Spät erwacht der schwache Odem,
Gibt ihm das Bewußtsein wieder.
Und er fühlt ein heimlich Grauen
Und dabei doch süß Behagen,
Beides zwingt ihn zu vertrauen
Und die Blicke aufzuschlagen.

Und er sieht, im toten Bilde
Regt sich wunderbares Leben,
Und es scheint der Busen milde
Sich im Mondenhauch zu heben.
Wie die Augen buhlend strahlen,
Zu dem Knienden niederlachen,
Fühlt er andre Liebesqualen
In bewegter Brust erwachen.

Neue Leiden, neue Schmerzen,
Lust und unbewußt Verlangen
Steigen aus zerriss'nem Herzen,
Tränen feuchten seine Wangen,
Wie gebannt von Zauberringen
Hat er keine Kraft zu fliehen,
Fühlt von Sehnsucht sich bezwingen,
An den Marmorbusen ziehen.

Und als sollt' in seinen Armen
Dieses Bild im Traume lachen,
Von des Herzens Puls erwarmen,
Und an seiner Brust erwachen,
Also muß er es umfassen,
Schlägt um seinen Leib die Hände,
Kann es nimmermehr verlassen
Bis an seines Lebens Ende.

Braut und Hochzeit sind vergessen,
Jedes ird'sche Band zerbrochen,
Und die Schwüre, die vermessen,
Seine blinde Glut gebrochen,
Büßen spät Gebet und Tränen,
Baut sich eine stille Zelle,
Einsam schlägt mit tiefem Sehnen
Jetzt an sie des Sees Welle.

Wie in tiefster Nacht verborgen
Rauschen heimlich Zauberquellen,
Nie ergraute je ein Morgen
Über den verborgnen Wellen,
Und noch keinem ist's gelungen,
Ihren Ursprung zu belauern,
Doch daß manchen sie bezwungen,
Fühlen wir in bangen Schauern.

Aus: Joseph von Eichendorff Sämtliche Gedichte
und Versepen Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 555-559)
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