Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Friedrich Andreas Gallisch
(1754-1783)


Die Wanderer

Drei Wandrer schritten übers Moor;
Ein Dorf gewahrten sie.
"Ist Niemand hie?
Komm, Bote, leit' uns übers Moor,
Denn furchtbar ist die Nacht!"
Der Bote sprach: "Ich leit euch; kommt,
Und seid auf Heil bedacht!

Seht auf der Haid' ein Bäumchen ihr
In düstrer Ferne stehn?
Und fühlt ihr, wie vom Bäumchen her
Die Winde schaurig wehn?
Ist's nicht, als ächzte bang empor
Das Gras, auf dem ihr wallt?
Und hört ihr, wie von unserm Tritt
Der Boden wiederhallt?

Auf Gräbern wandelt ihr einher!
Auf Gräbern! Säumet nicht!
Schon stößt des Windes kalter Hauch
Mir frischer in's Gesicht.
Bald, wenn wir weilen, tanzr um uns
Ein wilder Geisterschwarm.
Ach! vor Entsetzen sänken wir
Wohl in des Todes Arm!

Seht ihr, wie dort das Lichtchen blinkt?
Ein wirthlich Halmenbach
Empfängt uns da. Ihr Wandrer, folgt,
O folgt in Hast mir nach!
Der Wind pfeift rauher mir in's Ohr;
Manch blasses Luftgesicht
Steigt aus den Gräbern schon herauf:
Schon heult's; drum säumet nicht!"

Die Wandrer folgten seinem Schritt,
Als dies der Bote sprach,
Mit raschem, ungewissem Gang
Verzagt und angstvoll nach.
Die Furcht der Nacht ergreift ihr Herz,
Ihr Blut erstarrt, es sinkt
Ihr Knie; doch endlich nimmt sie auf
Das Dach, wo's Lichtchen blinkt.

"Was schlugst du so, du harter Mann,
Mit Schrecken unsern Muth?
Was jagtest du zurück ins Herz
Das halberstarrte Blut?
Sprich, war das wilder Geister Schwarm,
Was dort um uns geheult?
Und lägen wir dem Tod' im Arm,
Wenn wir nicht so geeilt?"

So sprach der Eine, als sie sich
Rund um den Herd gesetzt,
Und schon ihr Herz durch manchen Trunk
Vom Nektarstrand geletzt.
Der Bote sprach! "O danket Gott,
Der euch hieher gebracht!
Denn manchen tödtete der Schreck
Dort in der finstern Nacht!

Doch soll ich kund euch thun, was dort
Für wüthend Geisterheer
Allnächtlich durch die Haide streift,
So höret meine Mähr!"
Da schürten sie des Herdes Gluth,
Und schauten auf den Mann,
Und rückten näher um ihn her;
Worauf er so begann:

"Dort, wo der Fluß mit schnellem Lauf
Sich durch die Hügel schlingt,
Steht eine Burg, zu der empor
Ein schmaler Pfad euch bringt.
Da hauste Rosberton vor Zeit,
Fromm, aber hart gesinnt,
Mit Agnes, seiner Tochter, schön,
Wie Maienröschen sind.

Hier oben, wo wir sitzen, stand
Des alten Rambolds Schloß,
Der, wild verpraßte Gut und Geld
In feiler Wollust Schooß.
Bei Saitenspiel und Becherklang
Schwelgt' er sein Leben hin;
Sein Sohn war Albert, aber fern
Von seines Vaters Sinn.

Agnes und Albert liebten sich;
Oft nahm der stille Hain,
Der noch die Mauern dort begränzt,
Die Hochbeglückten ein.
Ich bin dein Mann, sei du mein Weib!
Sprach Albert, und es band
Des alten Grafen Burgkaplan
Am Altar ihre Hand.

Das Bäumchen auf der Haide dort
Sah ihren ersten Bund;
Dort küßte Albert sein Gemahl
Zuerst auf Wang' und Mund.
Das Bäumchen auf der Haide dort,
Das rauschte sanft darein,
Als sie versiegelten den Bund
Im stillen Vollmondschein.

Mit Kaiser Karl war Rosberton
Gezogen in den Krieg,
Und kam zurück mit seiner Schaar,
Bekrönt mit Ehr' und Sieg.
Und als der Burg sie nahten, ritt
Er stracks voraus allein;
Denn ihm entbrannte schon das Herz,
Zu sehn die Tochter sein.

Als aber er zum Bäumchen kam,
Sah er im Mondenlicht
Am Stamm die Beiden traulich ruhn;
Ihn aber sahn sie nicht.
Und als ihn näher trug zum Baum
Leis übers Gras sein Roß,
Erkannt' er, ach! sein Töchterlein,
Gewiegt auf Alberts Schooß.

Mein Albert, gib der Furcht nicht Raum!
Ich lasse nicht von dir!
Denn was ich nur begehren kann,
Das alles bist du mir!
An deinem Herzen glüht mein Herz,
Von deinem Kuß mein Mund.
Die Flamme meiner Liebe thun
Dir diese Lippen kund!

Dein Weib, dein trautes Weib ist dein!
Ich lasse nicht von dir.
Trät' auch mein Vater vor uns hin,
Und droht' im Zorne mir!
Ach, Vater! spräch' ich, ach, umsonst,
Daß mir dein Blick so droht!
Mein ist nun Albert, ich bin sein;
Nichts trennt uns, als der Tod!"

So trenne Tod, du Schlange, dich! -
Rief jetzt ihr Vater laut, -
Und seines Schwertes Kraft durchdrang
Die Brust der jungen Braut.
Da floß ihr Blut in's kühle Gras;
Sie rief im Todesschmerz
Noch einmal stöhnend: Albert! aus,
Und, ach! da brach ihr Herz!

"Ha, Bube!" rief ihr Vater dann,
Mit wildentflammtem Blick:
"Sieh! das hast du gethan! Nun gib
Die Tochter mir zurück!"
Und Albert wüthig: "Ha! Tyrann!
Mein Weib, mein Weib gib mir!
Und kannst du's nicht, so sende mich
Dein Mörderschwert zu ihr!"

"Nein, lebe noch! Dein Vater seh'
Dich scheiden aus der Welt!
Vielleicht, daß ihm ein Schauspiel auch
Von meiner Art gefällt.
Reit', Knappe, reit' zu Rambolds Schloß:
Steig' auf! Du sollst den Sohn
Am Baum der Haide sterben sehn!"

Der Knappe ritt. Beim Mahle saß
Die trunkne Ritterschaar;
An Rambolds Tafel saßen sie
Mit Mädchen Paar und Paar,
Und laut ertönte Rundgesang,
Laut wilder Scherz umher,
Und oft ward, bei Drommetenschall,
Der volle Becher leer.

Des Knappen Ruf drang in den Saal:
"Steig' auf! Du sollst den Sohn
Am Baum der Haide sterben sehn!
Ihn tödtet Rosberton!" -
Hinaus! so schrie die trunkne Schaar,
Und raffte sich empor.
Hinaus, zu retten deinen Sohn!
Und stürzt' hinab zum Thor.

Rasch übers Blachfeld ging's. Am Baum
Vernahm die Reiterei
Von Rosberton, herbeigerückt,
Der Trunknen Schlachtgeschrei.
Da schickte sie zur Schlacht sich kühn,
Und wilder Kampf begann;
Da stöhnten furchtbar durch die Nacht,
Verwundet, Roß und Mann.

Von Rosberton getödtet, sank
In seines Mädchens Schooß
Der Jüngling, dessen heißes Blut
Auf ihren Leichnam floß.
Und unter seiner Helden Schwert
Fiel Rambolds trunkner Schwarm,
Mit Fluch und grausem Angstgeheul,
Wohl in des Todes Arm.

Da stürzte Rambold in sein Schloß,
Und Rosberton ihm nach:
"Heraus mit dir, und räche dich,
Und tilge deine Schmach!"
Die Reiterei umgab das Schloß,
Und Rambolds Maß war voll;
Die Flamme fraß das Haus, bevor
Zum Sturm die Glocke scholl.

Der holden Agnes Seele stieg
Mit Alberts Seel' empor.
Sie grüßte froh mit Siegesglanz
Ein lichter Engelchor.
Und jener trunknen Geister Schwarm,
Den Todesnacht umgab,
Stieß in der finstern Erde Schooß
Der Böse tief hinab.

Nun steigen wild um Mitternacht
Aus Gräbern sie empor,
Und gräßlich tönt ihr Angstgeheul
Dann in des Wandrers Ohr.
Und weilt er achtlos, tanzt herbei
Der grause Geisterschwarm;
Entsetzen faßt ihn, und er sinkt
Wohl in des Todes Arm.

Horcht aus dem Fenster! Horcht, es tost
Und heult das Höllenheer!
Horcht aus! Es ächzt das dürre Gras
Der Haide bang und schwer.
Im Nebeldufte seht ihr dort
Das Bäumchen einsam stehn,
Und fühlt von seinen Aesten her
Die Winde schaurig wehn." -

Die Wandrer standen auf, und sahn
Zum Fenster bebend aus,
Da pfiff der Wind scharf um ihr Haar;
Da ward ihr Herz voll Graus.
Mit leisem Tone sprachen sie:
"Wie furchtbar ist die Nacht!"
Der Bote sprach: "O danket Gott,
Der euch hieher gebracht!"

Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
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