Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

 

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Friedrich Wilhelm Gotter
(1746-1797)


Inhaltsverzeichnis der Balladen:
 




Tarquin und Lukrezia
Romanze
1769

Da, wo der Tiberstrom sein Gold
Durch Au'n, die immer grünen,
In hundert Labyrinthen rollt,
Vertieft' ich mich, eh ich's gewollt,
In schaurigen Ruinen.

Da fand ich eine Schilderey,
Halb von der Zeit verzehret.
Ich rieth nicht lange, was es sey;
Auf einem Täfelchen dabey
War alles treu erkläret.

Ihr Herren Knaben groß und klein,
Ihr kennt dieß Abentheuer;
Euch Schönen, denen kein Latein
Schulmeister in die Köpfe bläun,
Euch sing' ich's in die Leyer.

Einst war ein schönes Weib, genannt
Lukrezia, die Keusche.
Tarquin, ein Prinz in ihrem Land,
War schön, wie sie; doch sein Verstand
Macht' eben kein Geräusche.

Gefühlvoll war Lukrezia,
Wenn Pflichten sie nicht banden;
Tarquin entbrannt', als er sie sah;
Nur war's ein Unglück, siehe da!
Daß sie sich nicht verstanden.

Von Liebe heiß, berauscht von Wein,
Gesalbt wie Nachttischhelden,
Drang er einst in ihr Zimmer ein;
Vorzimmer pflegten nicht zu seyn,
Auch ließ man sich nicht melden.

Sie stutzt, setzt sich in Positur,
Und eilt mit stolzen Schritten
Nach ihrer Klingel; hätte nur
Der Schalk nicht insgeheim die Schnur,
Aus Vorsicht, abgeschnitten.

Er schwört ihr unverfälschte Treu,
Er stellt sich fromm und ehrlich,
Und sinkt auf beyde Knie dabey;
Man sagt, in dieser Stellung sey
Ein Jüngling sehr gefährlich.

Jetzt trotzt er ihrem Ach und Weh,
Trotzt auf der Thüre Riegel;
Sie fällt im Kampf auf's Kanape,
So schwer ist's, daß man sicher steh'
Auf Boden, glatt wie Spiegel.

Wenn wir die Ehrfurcht so entweihn,
Schweigt nie ein Weibchen stille;
Doch der muß doppelt strafbar seyn,
Dem ihre Blicke nicht verzeihn
In des Vergnügens Fülle.

Lukrezia, zu treugesinnt,
Ist ihrer Wuth nicht Meister,
Sie bringt sich um vor Schaam, das Kind!
Heil unsrer Zeit! Die Damen sind
Nicht mehr so schwache Geister.

Aus: Friedrich Wilhelm Gotter - Gedichte
Neu verlegt bei Herbert Lang 1971
Nachdruck der Ausgabe Gotha, Carl Wilhelm Ettinger 1787 (S. 31-35)
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Röschen und Lukas
Romanze
1775

Kein Mädchen unsres Dorfes kam
An Schönheit Röschen gleich;
Wie Lukas, war an Muth und Kraft
Kein andrer Jüngling reich;
Und beyde waren fromm und gut,
Von Kindesbeinen an,
Und beyde sich, mit Zärtlichkeit,
Wie Engel, zugethan.

Der elterliche Segen krönt
Der treuen Herzen Wahl;
Und morgen soll die Hochzeit seyn;
Bereit ist Bett und Mahl;
Da trieb sie noch gewohnter Fleiß
Ins Feld; sie gruben Leim;
Und ach! sie kamen diesmal nicht
Von ihrer Arbeit heim.

Denn über ihrem Haupte bricht
Das hohe Land, stürzt ein,
Begräbt sie; ängstlich hört man noch
Sie unterm Schutte schreyn.
Zu spät! - Man zieht sie todt hervor,
Auch noch im Tode schön;
Lautweinend kömmt das ganze Dorf,
Das Unglückspaar zu sehn.

Ein Sarg, ihr Bautbett nun, umschließt
Der Liebenden Gebein;
Der Kirchthür gegenüber, blinkt
Ihr goldner Leichenstein;
Beym Aus- und Eingang, seh' ich ihn,
Und thränend fragt mein Blick:
Wodurch verdiente solch ein Paar
Dieß traurige Geschick?

Aus: Friedrich Wilhelm Gotter - Gedichte
Neu verlegt bei Herbert Lang 1971
Nachdruck der Ausgabe Gotha, Carl Wilhelm Ettinger 1787 (S. 311-313)
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Der Schwur
1787

Daphnis
Bey des Mondes Zauberlichte,
Das vom hohen Himmel stralt,
Aller dieser Wipfel Früchte
Rings umher mit Silber malt,
Schwör' ich -

Daphne
Hüte dich zu schwören
Bey des Mondes falschem Glanz!
Oder wechselt deine Liebe,
Wie sein wunderbarer Tanz?

Daphnis
Nacht und Himmel sollen's hören,
Daß ich dich zum Abgott wähle,
Daß getreuer keine Liebe,
Daß noch keines Jünglings Seele
Redlicher, als meine, war!

Daphne
Daphnis! Daphnis! Sprichst du wahr?

Daphnis
Himmel, sey des Meindeids Rächer!

Daphne
Ach, er duldet auch Verbrecher.

Daphnis
Zeuge, zeuge gegen mich, o Nacht!

Daphne
Ach, sie schweiget, wann der Meineid wacht.

Daphnis
Sprich dann selbst, bey welcher Macht,
Daphne, soll ich schwören?

Daphne
Bey dir selbst must du mir schwören,
Soll ich dein Gelübde hören.

Daphnis
Nein, bey dir, die meiner Liebe
Lange schon der Himmel war,
Bey dir selbst will ich dir schwören.

Daphne
Du nur, Jüngling meiner Liebe,
Bist die Gottheit, die ich wähle.

Daphnis
Dich nur ehret meine Seele
Als den heiligsten Altar.

Aus: Friedrich Wilhelm Gotter - Gedichte
Neu verlegt bei Herbert Lang 1971
Nachdruck der Ausgabe Gotha, Carl Wilhelm Ettinger 1787 (S. 346-349)
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Antiochus und Stratonice
Romanze
1786

Es schien nur für Antiochus
Stratonice geboren;
Kein schönres Weib war auf der Welt,
Auch hatte sie der junge Held
Sich heimlich auserkohren.

Er liebt', und litt, und Niemand war,
Der seinen Kummer theilte.
Ihm schloß ein neidisches Geschick
Den Mund, wann, unbelauscht, sein Blick
Voll Perlen auf ihr weilte.

Zu wohl verstand Stratonice
Des nassen Blickes Sprache.
Sie, einst des Kummers ungewohnt,
Sie fand in Thränen jezt der Mond,
Im schweigenden Gemache.

Geführet hatte sie der Krieg
In seines Vaters Bande.
Sein Vater war des ihren Feind. -
Die Schwerder ruhn; der Fried' erscheint,
Und wählet sie zum Pfande.

O, Friede, nimm zwey Herzen wahr,
Die lang' im Stillen brennen!
Lös' ihren Mund durch deinen Kuß! -
Nicht Friede - Zwietrachtgenius,
Kömmt er, um sie zu trennen.

Der König selbst heischt ihre Hand
Vom neuen Bundsgenossen.
Sie hört's, und fluchet dem Geschicke,
Und wünscht die Fesseln sich zurück,
Die vormals sie umschlossen.

Doch fragte kalte Staatskunst je
Nach eines Mädchens Klagen?
Unwiederruflich ist ihr Schluß. -
Antiochus! Antiochus!
Wie wirst du das ertragen?

Dort, an des Stromes jähstem Rand,
Irrt er in Sturm und Wetter.
Wild schaut er in das offne Grab -
Jezt wankt sein Fuß - er stürzt hinab -
O, haltet ihn, ihr Götter!

Ach, keinen andern Sohn, als ihn,
Natur, wag's so zu prüfen!
Verlassen wird ihn der Verstand,
Von Blut wird die verruchte Hand,
Vom Blut des Vaters triefen.

Ihn faßt bey dem Gedanken schon
Die Furie der Reue.
Nein, seinem Vater flucht er nicht;
Nein, seines ganzen Zorns Gewicht
Fällt auf die Ungetreue.

"Ich Thor! spricht er zuletzt, sie fragt
Nach Vater nicht, noch Sohne;
Der Stolz entscheidet ihr Wahl;
Gleichgültig ist ihr der Gemahl,
Willkommen nur die Krone.

Sie sey gekrönt! doch will ich noch
Ihr den Triumph verbittern.
Ein Blick knüpft edler Seelen Band,
Ein Blick straft ihren Unbestand,
Sie soll mich sehn - und zittern. -

Altar und Opfer sind geschmückt,
Gefüllt des Bundes Schale.
Gestützt auf ihrer Weiber Hand,
Naht, langsam, bleich, wie ihr Gewand,
Die zitternde Vestale.

Und bey dem König steht der Prinz,
Erblickt sie - sinket nieder.
Die Rosen welken vom Gesicht,
Sein himmelblaues Auge bricht,
Hinsterben seine Glieder.

Man trägt ihn fort. Ein Klaggeschrey
Verdrängt die Hymenäen.
Der König geht; die schöne Braut
Folgt, ohne Thränen, ohne Laut,
Und glaubet zu vergehen. -

Der arme Prinz! da ist kein Arzt,
Kein Gott, der ihn errette!
Der Hofnung letzter Schimmer flieht.
In brünstigem Gebete, kniet
Sein Vater an dem Bette.

Jetzt naht sich auch Stratonice,
Zerfleischt von inn'rem Kummer.
Der Prinz kennt ihren Tritt, erwacht
(O Liebe, groß ist deine Macht!)
Aus seinem Todesschlummer.

Und wähnet, von Elysium
Den Vorschmack zu genießen.
Sein halberloschnes Auge starrt,
Als hätt' es ihrer nur geharrt,
Um lächelnd sich zu schließen.

Und seine bleiche Lippe bebt,
Als ob er leise spräche;
Doch Seufzer dringen nur hervor,
Und kämpfend fliegt sein Herz empor,
Als ob es endlich bräche.

"O, ruft der Arzt prophetisch aus,
Stratonice, verschiebe
Des armen Prinzen Rettung nicht!
Dein ist die Macht! dein ist die Pflicht!
Er stirbt für dich aus Liebe!" -

Der König hört's, und bebt, und ruft:
"Sohn, lebe! nimm sie wieder!" -
Mehr seine Mutter noch, als Braut,
Steht sie, von Schaam geröthet, schaut
Erbarmend auf ihn nieder.

Jetzt beugt sie sich, des Kranken Hand
Vom Vater zu empfangen;
Jetzt kehrt in seinen matten Blick
Des Lebens erster Stral zurück -
Und Hofnung auf die Wangen.

Heil sey dem Arzt! mein Lied soll ihn
Vom Untergange retten.
Sein Nam' ist Erasistratus -
O, schwebte noch sein Genius
Um Liebeskranker Betten!

Aus: Friedrich Wilhelm Gotter - Gedichte
Neu verlegt bei Herbert Lang 1971
Nachdruck der Ausgabe Gotha, Carl Wilhelm Ettinger 1787 (S. 350-358)
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