Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

 

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Anastasius Grün
(1806-1876)


Inhaltsverzeichnis der Balladen:
 

 


Ein Liebesbote

Sehnsuchtskrank nach dem geliebten Jungen,
Dessen Blick ihr tief ins Herz gedrungen,
Sprach das Mägdlein beichtend zu dem Pater:
"Frommer Mönch, des Seelenheils Berater,
Wißt, so streng das Haus mein Vormund hütet,
Gegen jedes Männleins Einlaß wütet,
Wußte doch mein Liebster einzudringen,
Im Gewand der Magd mußt' ihm's gelingen.
Sagt ihm nun, daß er nicht wiederkehre,
Daß ich büßend ihm den Einlaß wehre;
Bringt dies Ringlein, das er mir gegeben,
Ihm zurück als Abschiedspfand fürs Leben."
Ei, wie schlau sprach die scheinbar Spröde,
Ei, wie war der Mönch so blind, so blöde,
Denn das Ringlein sagt ihm's selbst am Ende,
Daß es nicht geformt für Frauenhände.

Klar doch ward der Botschaft Sinn dem Jungen,
Dessen Herz ihr süßer Blick bezwungen;
Dem's noch nie gelang, zu ihr zu kommen,
Jetzt wohl weiß er's: Magdgewand wird frommen!
Händeküssend spricht er zu dem Pater:
"Frommer Mönch, Ihr, unsres Heils Berater,
Sagt der Maid, wie tief mich's schmerzt zu weichen,
Ihr Gebot doch ehr' ich; des als Zeichen
Bringt zurück dies Armband ihr von Golde,
Das mir einst als Huldpfand bot die Holde." -
Ei, wie ist der Knabe schlau nicht minder,
Doch wie blieb der Mönch ein Blöd' und Blinder,
Denn sonst müßt' ihm's selbst dies Armband sagen,
Daß nicht Männer solchen Goldreif tragen!

Abends als die Sternlein aufgegangen,
Halten Knab' und Maid sich liebumfangen,
Draußen blühn und glühn verschwiegne Rosen,
Innen blüht's und glüht's von Kuß und Kosen,
Lachend segnen sie die Liebesnoten
Ihres Witzes und den blinden Boten;
Doch die Täublein ahnen nicht im Neste,
Wer der Schlauste aller und der Beste.

Einsam an dem Fenster seiner Zelle
Lehnt der Mönch und blickt zur Sternenhelle,
Saugt den Würzehauch der Blumenglocken,
Hört des Sprossers Locken und Frohlocken,
Und er denkt der Maid und denkt des Knaben:
"Was mir selbst versagt, mag's andre laben!"
Gleichwie Rosenschein auf dem Angesichte:
"Bleibt nur in dem Wahn, ihr guten Kinder,
Daß ich nichts erriet, ein Blöd' und Blinder!"

Aus: Anastasius Grüns Werke in sechs Teilen.
Dritter Teil: Lyrische Dichtungen II. Hrsg. von Eduard Castle.
Berlin Leipzig Wien Stuttgart Deutsches Verlagshaus Bong & Co. 1909 (S. 169-170)
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Der Brautkuß
Ballade

Was flattern die Raben am Hochgericht?
Was wimmert der Eulen ächzend Gezücht?
Sie wimmern der Sünderin Leichengesang,
Den Totenreihn flattern die Raben bang.

Was blicket der Mond so bleich herab?
Er blicket traurig aufs frische Grab,
Wo eingescharrt die Verbrechrin, die heut
Am Rade der grinsende Tod gefreit.

Ein Knäblein, das sündige Liebe gebar,
Rang hilflos das zarte Händepaar;
Statt Lebens gab Tod ihm der Mutter Hand,
Weil treulos der Vater in fernem Land. -

Der zieht nun zur Heimat bei stiller Nacht,
Kein Ahnungsbild ist in dem Falschen erwacht,
Vergessen die Taube, die er verführt,
Weil neue Liebe sein Herz nun regiert.

Und sinnend wallt er in die Nacht hinein,
Hell blinken die Sterne, der Mond so rein;
Da flattert der Raben und Eulen Gezücht,
Und siehe! er steht am Hochgericht.

Dort schimmert im silbernen Mondenlicht
Ein frisches Grab; er kennt es wohl nicht -
Und neben dem Leichenhügel hinab
Senkt tief sich, noch offen, ein anderes Grab.

Da fährt es ihm schaurig und kalt durch den Sinn,
Er starrt auf die beiden Gräber hin,
Und wie er aus seinem Entsetzen erwacht,
Sieht wandeln er eine Gestalt durch die Nacht.

Sie wallet ihm näher, und er erblickt
Ein Mädchen, von himmlischer Anmut geschmückt;
Ein Kranz ihr weißrosig die Stirne umschließt,
Von welcher das goldne Lockenhaar fließt.

So steht vor ihm das herrliche Weib,
Ein Band von Demant umschlingt ihr den Leib,
Es streuet der Mond sein Silberlicht
Ihr mild in das bleiche Angesicht.

Und als er ins Antlitz der Wanderin schaut,
Erblickt er erstaunt die betrogene Braut;
Nun lodert der Liebe erstorbene Glut,
Es fließt ihm so wohl durch Gebein und Blut.

"Woher, fein Liebchen, so spät bei der Nacht?
Was hat aus dem wärmenden Bett dich gebracht?"
"Ich floh aus der Kammer, da weil' ich nicht gern,
Denn, Liebster, ich glaubte dich treulos und fern.

Es ließ im Gemach mir nicht Rast und Ruh',
Drum wallt' ich im Gram deinem Pfade zu."
"Was deutet am Haupte der rosige Kranz?
Was prangst du so reich in des Schmuckes Glanz?"

"Der Brautkranz, der blüht auf dem Haupte mir,
Das Brautkleid, das ist meines Leibes Zier,
Es harren die Hochzeitsgäste im Haus,
Es bleib nur der Bräutigam zögernd aus."

"Ich walle, mein Liebchen, zur Hochzeit mit dir,
Doch reiche erst liebend den Brautkuß mir,
Dann eine uns Segen und Schwur am Altar,
Dann schlinge den Reigen der Gäste Schar."

Er schwellet zum Kusse die Lippe so heiß,
Doch Schrecken! er küßt nur Moder und Eis;
Es rieselt ihm Fieberfrost durch das Gebein,
Es schwindet verlöschend des Auges Schein.

Er sinket, er sinket im Schwindel hinab,
Und taumelnd sinkt er in das offene Grab,
Sein brechend Auge noch, statt der Braut,
Am Rade ein blaues Irrlicht erschaut.

Und krächzend flattert vom Hochgericht
Hinab auf die Leiche der Raben Gezücht,
Es wimmern die Eulen den Totengesang
Und durch die Nacht widerhallt es bang.

Aus: Anastasius Grüns Werke in sechs Teilen.
Dritter Teil: Lyrische Dichtungen II. Hrsg. von Eduard Castle.
Berlin Leipzig Wien Stuttgart Deutsches Verlagshaus Bong & Co. 1909 (S. 188-190)
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Die Verlobung
Romanze

Horch, Waffenschlag! Drommetenschall!
Welch donnerndes Gerassel!
Horch, Hämmern, Pochen überall,
Welch schmetterndes Geprassel!
Horch, wie der Pfeil die Luft durchschwirrt,
Der Bogen rauscht, der Säbel klirrt,
Horch, wie die Schleudern tönen!
Horch, wie die Mauern dröhnen!

Das Banner wurzelt schon im Wall,
Die Mauer ist erklommen,
Eindringt das Kriegsvolk Schwall auf Schwall,
Die Feste ist genommen.
Im Innern kämpft kein Söldner mehr,
Zerstreut fliehn Mann und Weib umher,
Dem Feinde zu entrinnen,
Sich Rettung zu gewinnen.

Und durch die innre Burg verteilt
Sich rasch die Flut der Sieger,
Durch alle Prunkgemächer eilt
Der wilde Schwarm der Krieger.
Er waltet dort mit rauher Hand,
Und nirgend ist ein Widerstand,
Den er allda erführe,
Als nur vor einer Türe.

Dort steht ein schönes Frauenbild
Bewehrt mit Helm und Degen,
Auch hält es einen eh'rnen Schild
Den Stürmenden entgegen.
Und wie die Hand den Degen schwingt,
Ein Krieger gleich zu Boden sinkt,
Sie schwingt den Degen wieder,
Ein zweiter stürzt danieder.

Da werden hundert Klingen bloß,
Da zischen hundert Schneiden,
Es wogt der Kampf, der Drang ist groß,
Wie wird sich dies entscheiden?
Da sieh! ein hehrer Rittersmann
Macht durch die Kämpfenden sich Bahn,
Mit ernster Mien' und Rede
Hemmt er geschickt die Fehde.

"Sag' an, du hehres Frauenbild,
Bewehrt mit Helm und Degen,
Was macht dich so beherzt und wild,
Das Schwert zum Kampf zu regen?"
Das Frauenbild versetzt: "Sieh dort!"
Und öffnet selber nun die Pfort'. -
Und sieh! ein Siechenbette
Zeigt sich an innrer Stätte.

"Der Burgherr und mein Vater ist's",
Spricht drauf das Fräulein leise. -
"Der Töchter edelste, du bist's!"
Hebt jener an mit Preise.
"O hehre Jungfrau! groß Gemüt!
Wie auch dein Leib mit Reizen blüht,
Noch schönere vermählen
Sich doch mit deiner Seelen.

Nicht unter uns sei Feindschaft mehr!
Das wolle Gott ablenken,
Daß solche Tochter, fromm und hehr,
Ich ferner sollte kränken.
Auf Krieger! steckt die Schwerter ein,
Nicht Fehde, Friede soll hier sein,
Zu ew'gem Freundschaftsbunde
Verknüpf' uns diese Stunde.

Der solch ein Kleinod hier bewahrt,
An unbemerkter Stätte,
Das holden Reiz mit Tugend paart,
O Greis im Siechenbette!
Reich' freundlich mir die Freundeshand
Zum ew'gen Friedensunterpfand;
Treu bis zur Todesstunde
Verharr' ich unserm Bunde.

Und wiss'! bezwungen fühl' ich mich,
Der Sieger ist besieget.
Drum werter Freund und Ritter, sprich,
Ob dir mein Wert genüget?
Ist dies, nimm mich zum Tochtermann,
Zu deinem Sohne nimm mich an,
Wie ihr, sei mir ein Vater,
Ein freundlicher Berater.

Hoch ehren, pflegen will ich dich,
Sei dafür außer Sorgen,
Fortan mit ihr gemeinschaftlich
Am Abend wie am Morgen.
Mein Arm, mein Schwert sei stets bereit,
Für deine Ruh' und Sicherheit
In deinen greisen Tagen
Das Nötige zu wagen."

Der Ritter spricht's, der Kranke winkt,
Die Jungfrau sieht's mit Harme.
Sie zweifelt, zagt, doch endlich sinkt
Sie jenem in die Arme.
Da ruft die ganze Kriegerschar:
"Heil! Heil! dem neuen Liebespaar!
In nah und fernen Gauen
Ist schöner keins zu schauen."

Da wandelt sich der Anblick schnell,
Vorbei ist alle Klage,
Von Kerzen wird die Wohnung hell
Zum schönsten Festgelage.
Den Boden deckt des Teppichs Pracht,
Ein ganzer bunter Frühling lacht
Herab von allen Wänden,
Aus Kränzen Duft zu spenden.

Da klingt der Saiten holder Ton,
Da rauscht geschwind die Seide,
In Bechern schäumt Tokaier schon,
Und lauter wird die Freude.
Aus jedem Aug' strahlt heitre Lust,
Doch keiner ist sich mehr bewußt
Des Glückes, als der Freier
Bei der Verlobung Feier.

Aus: Anastasius Grüns Werke in sechs Teilen.
Dritter Teil: Lyrische Dichtungen II. Hrsg. von Eduard Castle.
Berlin Leipzig Wien Stuttgart Deutsches Verlagshaus Bong & Co. 1909 (S. 209-211)
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Die Rache
Romanze

Dumpf verhallt's vom Turme nieder,
Aufwärts wallen Totenlieder,
Und zum stillen Leichenhaus
Zieht die düstre Schar hinaus:
In des Grabes ernstes Schweigen
Will sie einen Jüngling neigen;
Tausend Augen blicken feucht,
Nur ein Herz bleibt unerweicht,
Einer segnet diese Stunde,
Lächeln schwebt auf einem Munde.

Wieder kömmt am Himmelsbogen
Silberrein der Mond gezogen,
Wieder neigt in alter Pracht
Erdwärts sich die stumme Nacht,
Tausend Augen schließet Schlummer,
In dem Herzen schweigt der Kummer;
Nur ein Blick, der schließt sich nicht,
Nur ein Herz, das ruhet nicht,
Einer wallt am Pilgerstabe

Zu des Jünglings frischem Grabe.
Pappel und Zypresse wehen
Frieden auf der Gräber Höhen,
Frieden haucht in reine Luft
Bleicher Rosen süßer Duft;
Und vom klaren Mond hernieder
Lächelt Fried' und Segen wieder.
Fluch bebt nur auf einem Mund,
Nur in eines Herzens Grund,
Haß strömt nur aus einer Kehle,
Haß brennt nur in einer Seele.

"Fluch dir! Fluch noch tief im Grabe,
Räuber meiner einz'gen Habe!
Was ich Himmlisches geglaubt,
Hat dein frecher Arm geraubt.
Sie, die Leben mir gespendet,
Hast du schlau von mir gewendet,
Auferstand die Liebe dir,
Unterging das Leben mir;
Drum, nicht hier, wo Fromme rasten,
Soll dein Leib entheil'gend lasten!

Daß sich Rab' und Geier streite
Um die neu erspähte Beute,
Schlepp' ich dich zum Hochgericht!
Jenen Ort entweihst du nicht!" -
Jetzt mit wütender Gebärde
Wühlt er auf die frische Erde,
Rastlos fort mit blut'ger Hand
Reißt er an des Sarges Band,
Jetzt ein Hieb! - er ist entriegelt
Und des Grabes Bund entsiegelt!

Bleich und schön, voll heil'ger Ruhe,
Liegt der Jüngling in der Truhe,
Die erstarrten Hände fest
An das welke Herz gepreßt,
Dran, umrankt vom duft'gen Kranze,
Strahlt ein Bild in goldnem Glanze,
Sieh! ein herrlich Frauenbild,
So voll Anmut, hehr und mild;
Jenes Bild, das beid' erfreute,
Jenes Bild, das beid' entzweite.

Herrlich strahlt's im Blumenrahmen,
Und des Rächers Arm' erlahmen,
Und sein Fuß ist festgebannt,
Denn er hat das Bild erkannt!
Liebe facht im Herzen wieder,
Auf den Toten sinkt er nieder,
Drückt die kalte Hand zum Bund,
Küßt den lächelnd bleichen Mund,
Und es wehn Zypress' und Flieder
Fried' ihm in die Seele nieder.

Aus: Anastasius Grüns Werke in sechs Teilen.
Dritter Teil: Lyrische Dichtungen II. Hrsg. von Eduard Castle.
Berlin Leipzig Wien Stuttgart Deutsches Verlagshaus Bong & Co. 1909 (S. 216-218)
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Heimliche Liebe

Der Pfarrer Jost hat ein süßes Lieb,
Das hält er verborgen fein,
Wie Perlen im stillen Muschelschrein,
Wie Rehlein in dunkler Waldesnacht,
Wie Körnlein Goldes in tiefem Schacht,
Daß es kein Laienaug' ersehe,
Daß es kein Späher je erspähe.

Einst schlich er heim vom süßen Lieb,
Da sang im Teich ein Schwan:
"Ei seht, Herr Jost auf Amors Bahn!
Manch süßen Blick hat er erhascht,
Manch Küßchen von rotem Mund genascht!
Was sonst ihm Süßes ward zu eigen?
Wißt, daß ich auch gelernt zu schweigen!"

Im Dorfe sang eine Schwalb' am Dach:
"Wo wohnt Herr Jostens Schatz?
Im Wald ist ein Häuschen auf grünem Platz,
Zwei hohe Linden rauschen am Tor,
Ein Brünnlein springt dazwischen empor,
Am Fenster wehn grünseidne Gardinen,
Vier Röslein nicken wohl hinter ihnen."

Im Pfarrhof sang die Nachtigall:
"Was küßt Herr Jost im Brevier?
Ihr Bild und ein Löckchen von ihr!
Er birgt sie wie Rehlein in Waldesnacht,
Wie Körnlein Goldes in tiefem Schacht;
Doch singen von ihr die Schwän' im Bache,
Doch zwitschern von ihr die Schwalben am Dache!"

Und weiter sang die Nachtigall:
"Sei guten Muts, Herr Jost!
Und minn' und küsse fort getrost!
Wie dir's erging, gehts noch zurzeit
Manch bravem Mann in der Christenheit;
Auch sind, die ihm solch Liedlein gesungen,
Nicht immer Nachtigallenzungen."

Aus: Anastasius Grüns Werke in sechs Teilen.
Zweiter Teil: Lyrische Dichtungen I. Hrsg. von Eduard Castle.
Berlin Leipzig Wien Stuttgart Deutsches Verlagshaus Bong & Co. 1909 (S. 236-237)
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Die Sünderin

Einsam liegt ein Häuschen abgelegen,
Hart am Meer, das an die Wände braust
Daß sie ewig zitternd sich bewegen,
Wie so manches Herz, das drinnen haust.

Dieses niedre Pförtlein, will's nicht deuten,
Daß nur Niedres ungehemmt hier zieht
Doch der Reinheit Kranz, beim Drüberschreiten,
Leicht vom Haupt sich abstreift und verblüht?

Denn ein Tempel ist's, der Sünd' erschlossen! -
Und doch seht, wie glänzt das Frührot drauf.
Daß er, wie aus reinem Gold gegossen,
Ragt als heil'ger Sonnentempel auf!

Horch, des schmalen Fensters Flügel klingen!
Und es blickt mit welkem Busenstrauß,
Fahlem Kranz und schlaffen Lockenringen
Eine Priestrin dieses Doms heraus.

Blaß sind ihrer Wangen kalte Flächen,
Wie des Richters weißes Pergament,
Das des Schuldigen geheimst' Verbrechen
Und zugleich sein strenges Urteil nennt.

Wie so matt die trüben Augen schimmern,
Fast wie Kerzen, über Nacht gebrannt,
Die nun kärglich fahl und müde flimmern,
Seit der goldgelockte Tag erstand.

Blumen prangen dort in bunten Farben,
Die begießt sie jetzt daß fort sie blühn,
Wenn im Herzen schon die Blumen starben,
Läßt man gern sie vor den Fenstern glühn.

Zwischen Rosen, Ampeln, Engelchören
Steht ein Bild der Himmeiskönigin;
Dort der ew'gen Lampe Glut zu nähren,
Bringt sie Öl, wie Vestas Priesterin!

Neue Blumen geht sie jetzt zu pflücken,
Zwei Gewinde fügt sie tändelnd draus,
Einen Kranz, Mariens Haupt zu schmücken,
Für sich selbst dann einen Blumenstrauß.

Scheint's nicht reinstes Hochgefühl des Weibes,
Das so arglos hier mit Kränzen spielt,
Weil es selbst den Schoß des eignen Leibes
Einen Heiland wert zu tragen, fühlt?!

Künstlich schminkt sie nun die blassen Wangen,
Und doch nenn' ich Schamrot dieses Rot
Denn sie läßt es auf dem Antlitz prangen,
Ach, aus Scham, daß es so blaß und tot!

Nun daß ros'ge Haupt sie laß und lose
In die weißen Hände niederbeugt,
Scheint's nicht eine müde Purpurrose,
Auf zwei Nachbarlilien hingeneigt?!

Und so starrt sie schweigend in die Welle,
Unter ihr schlägt wild die Brandung an,
Aber fern ist Frieden, Tageshelle,
Heitre Ruhe, ebne Spiegelbahn.

Und so späht sie starr durch Luft und Wogen
Nach dem längst erloschnen Morgenstern,
Fernhin, wo die weißen Segel zogen,
Ihrer Unschuld Bild, so weiß - so fern!

Weint sie nicht? - Kind, wein! ins Meer nur nieder!
Dieser Perlenschrein wird doch nie leer,
Deine Augen füllen bald sich wieder,
Und an Perlen reicher wird das Meer.

Schimmre fort, du ros'ge Morgenröte,
O verklär' ihr fort das Angesicht!
Ha, inmitten ihrer Blumenbeete
Wie verklärt sie steht, wie rein, wie licht!

Und sie ist nur eine welke Blume
Von der Paradieseerose: Weib,
Trümmer nur vom schönsten Heiligtume,
Ach, ein tiefgefallen sündig Weib!

Und doch könnt' ich knien hier und beten,
Wie vor Heil'gen beten, weinen hier!
Eine Rose liegt am Weg zertreten
Und ein ganzer Himmel wohl mit ihr.

Aus: Anastasius Grüns Werke in sechs Teilen.
Zweiter Teil: Lyrische Dichtungen I. Hrsg. von Eduard Castle.
Berlin Leipzig Wien Stuttgart Deutsches Verlagshaus Bong & Co. 1909 (S. 93-95)
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