Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Clara Kestranek (Ps. Clara Forstenheim)
(1868-1925)


Die trefflichste Antwort

Es waren drei Schwestern in Turkestan,
Drei Sprößlinge dienender Eltern.
Ihr Vater, der war nur ein armer Mann
Und half dort die Weintrauben keltern,
Zum köstlichen Wein für den besten Mann,
Den jungen Gebieter von Turkestan.

Einst trat Der unter des Armen Dach,
Zu werben um eins von den Kindern.
Zum grüßenden Vater er milde sprach:
"Dein Elend wird heut' sich noch mindern.
Als Gattin soll froh mir willkommen sein
Das klügste von Deinen drei Töchterlein.

Wohl finde ich alle der Liebe werth
Und glaube sie frei noch von Sünde; –
Doch welche mir passe für meinen Herd,
Gestatte, daß ich's erst ergründe.
Ich frage: und die mich am meisten liebt,
Dem Frager die trefflichste Antwort giebt.

Du, älteste Schwester, verkünde mir,
Was mag von den irdischen Schätzen
Am meisten, am besten gefallen Dir,
Das sehnende Herz zu ergötzen:
Die Schwüre der Liebe? des Schmuckes Glanz?
Bei fröhlichen Festen der frohe Tanz?"

Sie sprach: "Du sollst niemals dem Manne trau'n,
Denn falsch ist stets männliche Liebe,
Was hätten, verlassen, wir armen Frau'n,
Wenn kindischer Tanz uns nicht bliebe?
Wenn treulos der Gatte die Gattin läßt,
Besucht sie geschmücket ein frohes Fest!"

Der Werber, der schüttelt erstaunt das Haupt.
"So jung noch, o Mädchen, an Jahren!
Ich hätte wahrhaftig es nie geglaubt,
Daß, Kleine, Du schon so erfahren.
Laß hören, was sich Deine Schwester denkt:
Worauf hast Du, Jungfrau, den Wunsch gelenkt?"

Sie sagte: "Ein Fest rasch verfließen muß,
Ein Kuß, der kann niemals entschweben.
Er bleibt! – Darum ist auch der Liebe Kuß
Das höchste der Güter im Leben". –
Der Herrscher mit spottendem Lächeln spricht:
"Zum erstenmal küssest Du heute nicht!"

Die Jüngste nur schluchzet so sehnsuchtsvoll:
"Ich möchte das Beste Dir sagen;
Doch weiß ich nicht, was ich Dir sagen soll.
Ich hab' noch kein Schmuckstück getragen,
Besuchte kein Fest und mir ward kein Kuß,
Unseliger Mund, der nun schweigen muß!"

Da preßt sie der Werber an seine Brust:
"Ich Glücklicher lange es ahnte!
Zum liebenden Herzen, o hohe Lust,
Die Frage die Wege mir bahnte.
Die Antwort der Unschuld, so rein und klar,
Die Deine, mein Bräutchen, die beste war!"

Aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 264-265)

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