Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



August Friedrich Ernst Langbein
(1757-1835)


Der Bergknappe

"Glück auf!" Die Bergleute fuhren
Hinab in den Eisenschacht,
Und ihre Lampen erhellten
Die unterirdische Nacht.

Dicht war mit Dornen umwachsen
Der Berges verschlossener Mund;
Seit fünfzig Jahren berührte
Kein Fuß den verödeten Schlund.

Denn weiland hielt, nach der Sage,
Ein Gnomengeschlecht darin Haus,
Und trieb mit steinigem Hagel
Die Grubenarbeiter hinaus.

Doch alle diese befuhren
Seitdem das friedliche Grab;
Jetzt stiegen die Söhne, die Enkel,
Zur Wiege des Eisens hinab.

Und als ein verfallener Stollen
Sich nun aus den Trümmern erhub,
Erschien ein verunglückter Jüngling,
Den dort das Schicksal begrub.

Er lag (den Findern ein Wunder)
Wie noch von Leben durchglüht:
Ihm waren die Rosen der Jugend
Nicht auf der Wange verblüht.

Von einer Bergwand gefangen,
In Eisenwasser versenkt,
Blieb ihm durch die Kraft des Metalles
Der Schimmer des Lebens geschenkt.

Die Knappen trugen den Leichnam
Ans Licht des Tages empor.
Und schnell durcheilte die Kunde
Der Bergstadt niedriges Thor.

Da zogen Jugend und Alter
Hinaus in gedrängten Reihn,
Und männiglich sah mit Erstaunen
Dort Leben und Tod im Verein.

Doch das Gewimmel des Volkes,
Das rings den Entseelten umstand,
Durchliefen vergebens die Fragen:
"Wer ist er? wer hat ihn gekannt?"

Und siehe, da kam aus dem Städtchen,
Gekrümmt von des Alters Last,
Noch eine Greisin am Stabe,
Mit kraftlos zitternder Hast.

Und als sie den Leichnam erblickte,
Erbebte sie wundersam,
Und stürzte dahin mit dem Rufe:
"O Gott! mein Bräutigam!"

Sie hub mit gewaltigem Streben
Sich unter der Ohnmacht Gewicht;
Sie beugte mit Augen der Liebe
Sich über des Todten Gesicht.

Sie küßte mit strömenden Zähren
Des Mundes eiskaltes Roth,
Und die so lange Getrennten
Vereinte plötzlich der Tod. -

Erschüttert standen die Zeugen;
Nur Seufzer durchhauchten die Luft.
Die Liebenden ruhen nun beide
In einer gemeinsamen Gruft.


Aus: A. F. E. Langbein's sämmtliche Gedichte
Stuttgart Scheible, Rieger & Sattler 1843 (Band 2 S. 81-83)




 


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