Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Robert Prutz
(1816-1872)


Stumme Liebe

Marie war des Dorfes schönstes Kind;
Schwarz war ihr Haar, die Wange frisch und rund;
Wie Frühlingslächeln, lockend, lustig, lind,
Umspielt' ein Lächeln lieblich ihren Mund.
Unnennbar Süßes schien ihr Blick zu sagen:
Doch wer entbrannt von sündlicher Begier,
Vermochte nicht, ihr Auge zu ertragen.

Sie war sehr schön, und Niemand sagt' es ihr.
Tagtäglich ging sie in des Morgens Früh
Zum Gottesdienst: da grüßte sie die Leute
Mit holdem Mund, und wen sie grüßte, freute
Des Grußes sich, und heimlich lobt' er sie.

Ein Lindenbaum steht vor des Kirchleins Thür,
Weit ausgestreckt der grünen Aeste Zier,
Und tönt vom Thurm das heilige Geläute,
Rauscht mit den Blättern er, als wollt' er laden
Die müden Pilger in das Haus der Gnaden.

Im Lindenschatten lag der arme Hans:
Die dürren Blätter las er von der Erde,
Sah sie mit Lächeln, knüpfte sie zum Kranz,
Zerriß den Kranz mit kindischer Geberde.
Denn er war taubstumm: nie vernahm sein Ohr
Der Blätter Rauschen, noch der Vöglein Chor;
Den Mutternamen hatt' er nie genannt,
Was Worte wären, hatt' er nie gekannt.
So war der Unglückselige geboren,
Ein Gram den Weisen und ein Spott den Thoren.
Dort außen lag er, durft' hinein nicht treten,
Mit der Gemeind' im Heiligthum zu beten.
Mit Steinen warfen böse Knaben ihn,
Er mußt' es dulden! Mütter gingen scheu,
Als wollten sie geheimen Zauber fliehn,
Sich kreuzigend, am stummen Hans vorbei,
Und jauchzten auf beim Jauchzen ihrer Kleinen:
Hans ahnte nicht, wie schwer sein Schicksal sei,
Er wußte nicht, was diese Leute meinen.

An ihm vorüber täglich ging Marie:
Sie grüßte Jeden, ihn auch grüßte sie,
Und neigte sich, mit ihren weißen Händen,
Ein frommes Kind, Almosen ihm zu spenden.
So kam sie täglich - und sie war so schön!
Hans sah sie an: ein innerlich Behagen
Durchrieselt' ihn, so oft er sie gesehn,
So oft sie ihn mildgrüßend angelacht,
So oft sie Brod und Früchte ihm gebracht.
In seiner Seele Nacht begann's zu tagen;
Nichts kannt' er sonst, selbst seine Mutter nie;
Ein's kannt' er jetzt: die Eine war Marie.
Er konnte nicht den süßen Namen nennen,
Doch wußt' er sie aus Allen zu erkennen,
Hell lacht' er auf, wenn sie gegangen kam,
Und traurig ward er, wenn sie Abschied nahm.
Dann weint' er laut und lief im Feld umher,
Versteckt' im Moor sich, in des Waldes Mitten,
Bis daß er merkte, daß es Morgens wär'.
Dann lag er wieder vor des Kirchleins Thür,
Und kam Marie lieblich dann geschritten,
Dann freut' er sich und winkt' und nickte ihr,
Sie sah's mit Mitleid, ahnte, wußte kaum,
Was Liebe sei: wie käme Liebe nur
Zum armen Stummen unter'm Lindenbaum?
Er aber lag und küßte ihre Spur,
Und reichte ihr den Kranz, den er gewunden,
Und sah ihr nach, bis sie im Dorf verschwunden.

S' war Sonntag früh; Marie ging zum Altar:
Ein schwarz Gewand umfloß die zarten Glieder,
Ein Röslein trug sie in dem dunkeln Haar:
Sie war so schön, wie nie ein Mädchen war;
Sie wußt' es nicht, die Augen schlug sie nieder.
Und als sie kam bis an des Kirchlein Thür
Und ihre Spende gab dem armen Hans -
Hans sprang empor! der holden Augen Glanz
Drang in sein Herz: er sprang empor zu ihr,
In tiefster Seele fühlt' er's mächtig drängen,
Als wollt' es schier den Busen ihm zersprengen.
Er reicht die Hand ihr - und sie nimmt sie nicht!
Sieht ihr in's Aug - sie wendet das Gesicht!
Er stammelt, schreit, stürzt nieder in den Sand,
Zerwühlt das Haar mit unbarmerz'ger Hand,
Dann springt er auf! die wilden Augen rollen,
Und jetzt den Mund, die Lippen sieht man beben,
Als ob sie jetzt, o jetzt sich öffnen wollen,
Als werd' ein Wort, ein erstes, jetzt entschweben . . .
Stumm, ewig stumm! Da packt's wie Wahnsinn ihn,
Ein geller Schrei! - Marie will entfliehn,
Er laßt sie nicht! Er sieht sie prüfend an,
Legt an die Stirne seine Finger - dann
Drückt er sie heiß und heißer an die Brust,
Küßt ihren Mund in ungeheurer Lust,
Küßt Stirn und Busen, hält sie fest am Kleid,
Bis die entsetzte Menge sie befreit.

Nun hält man gut, in Fesseln ihn zu legen:
Der stumme Hans, erzählten sie, ist toll.
Man wollt' ihn heilen, wie ein Thier, mit Schlägen,
Er fühlt' es nicht: sein Auge kummervoll
Blieb an die Thüre wandellos geheftet;
Trat wer herein, er dacht', es wär' Marie,
Ging wer hinaus, er meint', es wäre sie.
So lag er lang', von Krankheit ganz entkräftet,
Nicht Hand, nicht Fuß vermocht' er mehr zu regen,
Vermochte nicht, das Auge zu bewegen,
Das leichenstarr, gebrochen, ohne Glanz,
Nur an die Thür blieb wandellos geheftet.
So endlich starb der arme, stumme Hans.
Zwei Monde drauf - zwei Monde, lange Zeit! -
Hat Schön Marie den Pachtersohn gefreit.

Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849 (S. 804-805)

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