Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58




Levin Christian Friedrich Sander
(1756-1819)



Ida

Ich stand am hellen Silberbach
Und wusch die Aeuglein klar,
Und sang die lieben Vögel wach,
Und lockte mir das Haar.

Da zog heran ein fremder Troß,
Und zog und zog fürbaß.
Ein Ritter hielt, und sprang vom Roß
Und fragte dies und das.

"Ich sah der Städt' und Länder viel
Mein ganzes Leben lang;
Ich hörte Sang und Harfenspiel,
Doch nimmer solchen Sang!

Es blühn auf unserm Erdenkreis
So roth die Rosen nicht,
Und nicht die Lilien so weiß,
Wie hier im Angesicht.

O Fräulein, hört mich weiter an!
Vom heil'gen Grabe her,
Da komm' ich jetzt mit Roß und Mann,
An Gold und Silber schwer.

Drum, holde Jungfrau, liebst du mich,
So nimm das goldne Band!
Mit Gold und Silber bind' ich dich:
O gib mir deine Hand!"

'Und fragt nun meine Pflegerin,
Woher dies Spangenband?'
"So sprich: Am Ufer ging ich hin,
Und hob es aus dem Sand."

'Und wenn mir beide Wangen dann
Von rothen Flammen glühn?'
"So sprich: Mich freit ein edler Mann,
Und Ida liebet ihn."

'Vom Adel glänzt dein Angesicht,
Doch nehm' ich nicht dein Band.
Ich bin dir gut, doch geb' ich nicht
Dir meine freie Hand.'

"Der Rasen schmiegt so sanft sich an,
So traulich sitzt sich's hier:
Komm, setz' dich und erzähle dann
Von deiner Sippschaft mir."

'Am Sommerabend kühl und spät
Gebar die Mutter mich,
Und ehe noch der Hahn gekräht,
Da lag sie und erblich.

Und kaum erstarb der Glocke Ton,
So scholl vom Kloster Bach
Für meinen kranken Vater schon
Das Betgeläute nach.

An meiner Mutter Seite lag
Der fromme Vater nun,
Da gingen meine Schwestern nach,
In stiller Gruft zu ruhn.

Ach! Alles, Alles starb dahin,
Nur Bruder Karl, nur er,
Er ließ mich meiner Pflegerin,
Und schiffte über's Meer.

Ach! Alles, Alles starb dahin;
Und eine fremde Hand,
Frau Sara, meine Pflegerin,
Die nahm mein Gängelband.

Frau Sara pflegte mütterlich
Ihr liebes Töchterlein,
Und fremde Jungrau's lehrten mich
Im stillen Kämmerlein.

Wohl lehrten fremde Jungfrau'n mich
Zu sticken und zu näh'n;
Doch lernt' ich selber sittsamlich
Den Pfad der Tugend gehn.

Mich kümmern weder Gut noch Geld,
Nur Eins betrübt mich sehr:
Mir lebet auf der weiten Welt
Nun keine Sippschaft mehr!'

Da drückte mich der Mann so warm
Und so von Herzensgrund
An seine Brust, in seinen Arm,
An seinen rothen Mund:

"Und doch, du traute Schwester, doch!
Gott Vater hörte mich;
Dein Karl, dein Bruder, lebet noch,
Und küßt und koset dich!

Wohlan, so freue dich, wohlan!
Ich ziehe durch das Land;
Und wo er wohnt, der frömmste Mann,
Dem geb' ich deine Hand.

Auf! locke nur dein krauses Haar,
Und flechte Blumen drein!
Du sollst mir noch in diesem Jahr
Die frohste Gattin seyn!

Und feiern soll dein Hochzeitfest
Das ganze Land umher,
Und schallen soll gen Ost und West
Die freudenvolle Mähr!"

Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849 (S. 49)

_____





 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite