Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

 

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Friedrich Schiller
(1759-1805)


Inhaltsverzeichnis der Balladen:
 

 



Hero und Leander

Seht ihr dort die altergrauen
Schlösser sich entgegenschauen,
Leuchtend in der Sonne Gold,
Wo der Hellespont die Wellen
Brausend durch der Dardanellen
Hohe Felsenpforte rollt?
Hört ihr jene Brandung stürmen,
Die sich an den Felsen bricht?
Asien riß sie von Europen,
Doch die Liebe schreckt sie nicht.

Heros und Leanders Herzen
Rührte mit dem Pfeil der Schmerzen
Amors heil'ge Göttermacht.
Hero, schön wie Hebe blühend,
Er, durch die Gebirge ziehend
Rüstig, im Geräusch der Jagd.
Doch der Väter feindlich Zürnen
Trennte das verbundne Paar,
Und die süße Frucht der Liebe
Hing am Abgrund der Gefahr.

Dort auf Sestos' Felsenturme,
Den mit ew'gem Wogensturme
Schäumend schlägt der Hellespont,
Saß die Jungfrau, einsam grauend,
Nach Abydos' Küste schauend,
Wo der Heißgeliebte wohnt.
Ach, zu dem entfernten Strande
Baut sich keiner Brücke Steg,
Und kein Fahrzeug stößt vom Ufer;
Doch die Liebe fand den Weg.

Aus des Labyrinthes Pfaden
Leitet sie mit sicherm Faden,
Auch den Blöden macht sie klug,
Beugt ins Joch die wilden Tiere,
Spannt die feuersprühnden Stiere
An den diamantnen Pflug.
Selbst der Styx, der neunfach fließet,
Schließt die Wagende nicht aus,
Mächtig raubt sie das Geliebte
Aus des Pluto finsterm Haus.

Auch durch des Gewässers Fluten
Mit der Sehnsucht feur'gen Gluten
Stachelt sie Leanders Mut.
Wenn des Tages heller Schimmer
Bleichet, stürzt der kühne Schwimmer
In des Pontus finstre Flut,
Teilt mit starkem Arm die Woge,
Strebend nach dem teuren Strand,
Wo auf hohem Söller leuchtend
Winkt der Fackel heller Brand.

Und in weichen Liebesarmen
Darf der Glückliche erwarmen
Von der schwer bestandnen Fahrt
Und den Götterlohn empfangen,
Den in seligem Umfangen
Ihm die Liebe aufgespart,
Bis den Säumenden Aurora
Aus der Wonne Träumen weckt
Und ins kalte Bett des Meeres
Aus dem Schoß der Liebe schreckt.

Und so flohen dreißig Sonnen
Schnell, im Raub verstohlner Wonnen,
Dem beglückten Paar dahin,
Wie der Brautnacht süße Freuden,
Die die Götter selbst beneiden,
Ewig jung und ewig grün.
Der hat nie das Glück gekostet,
Der die Frucht des Himmels nicht
Raubend an des Höllenflusses
Schauervollem Rande bricht.

Hesper und Aurora zogen
Wechselnd auf dem Himmelsbogen,
Doch die Glücklichen, sie sahn
Nicht den Schmuck der Blätter fallen,
Nicht aus Nords beeisten Hallen
Den ergrimmten Winter nahn;
Freudig sahen sie des Tages
Immer kürzern, kürzern Kreis,
Für das längre Glück der Nächte
Dankten sie betört dem Zeus.

Und es gleichte schon die Wage
An dem Himmel Nächt' und Tage,
Und die holde Jungfrau stand
Harrend auf dem Felsenschlosse,
Sah hinab die Sonnenrosse
Fliehen an des Himmels Rand.
Und das Meer lag still und eben,
Einem reinen Spiegel gleich,
Keines Windes leises Weben
Regte das kristallne Reich.

Lustige Delphinenscharen
Scherzten in dem silberklaren
Reinen Element umher,
Und in schwärzlicht grauen Zügen
Aus dem Meergrund aufgestiegen
Kam der Tethys buntes Heer.
Sie, die einzigen, bezeugten
Den verstohlnen Liebesbund,
Aber ihnen schloß auf ewig
Hekate den stummen Mund.

Und sie freute sich des schönen
Meeres, und mit Schmeicheltönen
Sprach sie zu dem Element:
»Schöner Gott! du solltest trügen!
Nein, den Frevler straf' ich Lügen,
Der dich falsch und treulos nennt.
Falsch ist das Geschlecht der Menschen,
Grausam ist des Vaters Herz,
Aber du bist mild und gütig,
Und dich rührt der Liebe Schmerz.

»In den öden Felsenmauern
Müßt' ich freudlos einsam trauern
Und verblühn in ew'gem Harm,
Doch du trägst auf deinem Rücken,
Ohne Nachen, ohne Brücken,
Mir den Freund in meinen Arm.
Grauenvoll ist deine Tiefe,
Furchtbar deiner Wogen Flut,
Aber dich erfleht die Liebe,
Dich bezwingt der Heldenmut.

»Denn auch dich, den Gott der Wogen,
Rührte Eros' mächt'ger Bogen,
Als des goldnen Widders Flug
Helle, mit dem Bruder fliehend,
Schön in Jugendfülle blühend,
Über deine Tiefe trug.
Schnell von ihrem Reiz besieget
Griffst du aus dem finstern Schlund,
Zogst sie von des Widders Rücken
Nieder in den Meeresgrund.

»Eine Göttin mit dem Gotte,
In der tiefen Wassergrotte
Lebt sie jetzt unsterblich fort,
Hilfreich der verfolgten Liebe
Zähmt sie deine wilden Triebe,
Führt den Schiffer in den Port.
Schöne Helle! Holde Göttin!
Selige, dich fleh' ich an:
Bring' auch heute den Geliebten
Mir auf der gewohnten Bahn!«

Und schon dunkelten die Fluten,
Und sie ließ der Fackel Gluten
Von dem hohen Söller wehn,
Leitend in den öden Reichen
Sollte das vertraute Zeichen
Der geliebte Wandrer sehn.
Und es saust und dröhnt von ferne,
Finster kräuselt sich das Meer,
Und es löscht das Licht der Sterne,
Und es naht gewitterschwer.

Auf des Pontus weite Fläche
Legt sich Nacht, und Wetterbäche
Stürzen aus der Wolken Schoß,
Blitze zucken in den Lüften,
Und aus ihren Felsengrüften
Werden alle Stürme los,
Wühlen ungeheure Schlünde
In den weiten Wasserschlund,
Gähnend wie ein Höllenrachen
Öffnet sich des Meeres Grund.

»Wehe! Weh mir!« ruft die Arme
Jammernd. »Großer Zeus, erbarme!
Ach! Was wagt' ich zu erflehn!
Wenn die Götter mich erhören,
Wenn er sich den falschen Meeren
Preisgab in des Sturmes Wehn!
Alle meergewohnten Vögel
Ziehen heim in eil'ger Flucht,
Alle sturmerprobten Schiffe
Bergen sich in sichrer Bucht.

»Ach gewiß, der Unverzagte
Unternahm das oft Gewagte,
Denn ihn trieb ein mächt'ger Gott.
Er gelobte mir's beim Scheiden
Mit der Liebe heil'gen Eiden,
Ihn entbindet nur der Tod.
Ach! in diesem Augenblicke
Ringt er mit des Sturmes Wut,
Und hinab in ihre Schlünde
Reißt ihn die empörte Flut!

»Falscher Pontus, deine Stille
War nur des Verrates Hülle,
Einem Spiegel warst du gleich;
Tückisch ruhten deine Wogen,
Bis du ihn heraus betrogen
In dein falsches Lügenreich.
Jetzt in deines Stromes Mitte,
Da die Rückkehr sich verschloß,
Lässest du auf den Verratnen
Alle deine Schrecken los!«

Und es wächst des Sturmes Toben,
Hoch zu Bergen aufgehoben
Schwillt das Meer, die Brandung bricht
Schäumend sich am Fuß der Klippen,
Selbst das Schiff mit Eichenrippen
Nahte unzerschmettert nicht.
Und im Wind erlischt die Fackel,
Die des Pfades Leuchte war,
Schrecken bietet das Gewässer,
Schrecken auch die Landung dar.

Und sie fleht zur Aphrodite,
Daß sie dem Orkan gebiete,
Sänftige der Wellen Zorn,
Und gelobt den strengen Winden
Reiche Opfer anzuzünden,
Einen Stier mit goldnem Horn.
Alle Göttinnen der Tiefe,
Alle Götter in der Höh'
Fleht sie, lindernd Öl zu gießen
In die sturmbewegte See.

»Höre meinen Ruf erschallen,
Steig aus deinen grünen Hallen,
Selige Leukothea!
Die der Schiffer in dem öden
Wellenreich, in Sturmesnöten,
Rettend oft erscheinen sah.
Reich ihm deinen heil'gen Schleier,
Der, geheimnisvoll gewebt,
Die ihn tragen, unverletzlich
Aus dem Grab der Fluten hebt.«

Und die wilden Winde schweigen,
Hell an Himmels Rande steigen
Eos' Pferde in die Höh'.
Friedlich in dem alten Bette
Fließt das Meer in Spiegelsglätte,
Heiter lächeln Luft und See.
Sanfter brechen sich die Wellen
An des Ufers Felsenwand,
Und sie schwemmen, ruhig spielend,
Einen Leichnam an den Strand.

Ja er ist's, der auch entseelet
Seinem heil'gen Schwur nicht fehlet!
Schnellen Blicks erkennt sie ihn,
Keine Klage läßt sie schallen,
Keine Träne sieht man fallen,
Kalt, verzweifelnd starrt sie hin.
Trostlos in die öde Tiefe
Blickt sie, in des Äthers Licht,
Und ein edles Feuer rötet
Das erbleichte Angesicht.

»Ich erkenn' euch, ernste Mächte,
Strenge treibt ihr eure Rechte,
Furchtbar, unerbittlich ein.
Früh schon ist mein Lauf beschlossen,
Doch das Glück hab' ich genossen,
Und das schönste Los war mein.
Lebend hab' ich deinem Tempel
Mich geweiht als Priesterin,
Dir ein freudig Opfer sterb' ich,
Venus, große Königin!«

Und mit fliegendem Gewande
Schwingt sie von des Turmes Rande
In die Meerflut sich hinab.
Hoch in seinen Flutenreichen
Wälzt der Gott die heil'gen Leichen,
Und er selber ist ihr Grab.
Und mit seinem Raub zufrieden
Zieht er freudig fort und gießt
Aus der unerschöpften Urne
Seinen Strom, der ewig fließt.

Aus: Friedrich von Schiller Sämtliche Gedichte und Balladen
Herausgegeben von Georg Kurscheidt
Insel Verlag 2004 (S. 145-152)
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Die berühmte Frau
Epistel eines Ehemanns an einen andern

Beklagen soll ich dich? Mit Tränen bittrer Reue
Wird Hymens Band von dir verflucht?
Warum? Weil deine Ungetreue
In eines andern Armen sucht;
Was ihr die deinigen versagen?
Freund, höre fremde Leiden an
Und lerne deine leichter tragen.

Dich schmerzt, daß sich in deine Rechte
Ein zweiter teilt? - Beneidenswerter Mann!
Mein Weib gehört dem ganzen menschlichen Geschlechte.
Vom Belt bis an der Mosel Strand,
Bis an die Apenninenwand,
Bis in die Vaterstadt der Moden
Wird sie in allen Buden feil geboten,
Muß sie auf Diligencen, Paketbooten
Von jedem Schulfuchs, jedem Hasen
Kunstrichterlich sich mustern lassen,
Muß sie der Brille des Philisters stehn
Und, wie's ein schmutz'ger Aristarch befohlen,
Auf Blumen oder heißen Kohlen
Zum Ehrentempel oder Pranger gehn.
Ein Leipziger - daß Gott ihn strafen wollte! -
Nimmt topographisch sie wie eine Festung auf
Und bietet Gegenden dem Publikum zu Kauf,
Wovon ich billig doch allein nur sprechen sollte.

Dein Weib - Dank den kanonischen Gesetzen ! -
Weiß deiner Gattin Titel doch zu schätzen.
Sie weiß warum? und tut sehr wohl daran.
Mich kennt man nur als Ninons Mann.
Du klagst, daß im Parterr' und an den Pharotischen,
Erscheinst du, alle Zungen zischen?
O Mann des Glücks! Wer einmal das von sich
Zu rühmen hätte! - Mich, Herr Bruder, mich,
Beschert mir endlich eine Molkenkur
Das rare Glück, den Platz an ihrer Linken -
Mich merkt kein Aug', und alle Blicke winken
Auf meine stolze Hälfte nur.

Kaum ist der Morgen grau,
So kracht die Treppe schon von blau und gelben Röcken,
Mit Briefen, Ballen, unfrankierten Päcken,
Signiert: An die berühmte Frau.
Sie schläft so süß! - Doch darf ich sie nicht schonen.
»Die Zeitugen, Madam, aus Jena und Berlin!«
Rasch öffnet sich das Aug' der holden Schläferin,
Ihr erster Blick fällt - auf Rezensionen.
Das schöne blaue Auge - mir
Nicht einen Blick! - durchirrt ein elendes Papier
(Laut hört man in der Kinderstube weinen),
Sie legt es endlich weg und frägt nach ihren Kleinen.

Die Toilette wartet schon,
Doch halbe Blicke nur beglücken ihren Spiegel.
Ein mürrisch ungeduldig Drohn
Gibt der erschrocknen Zofe Flügel.
Von ihrem Putztisch sind die Grazien entflohn,
Und an der Stelle holder Amorinen
Sieht man Erinnyen den Lockenbau bedienen.

Karossen rasseln jetzt heran,
Und Mietlakaien springen von den Tritten,
Dem düftenden Abbe, dem Reichsbaron, dem Briten,
Der - nur nichts Deutsches lesen kann,
Großing und Kompanie, dem Z** Wundermann
Gehör bei der Berühmten zu erbitten.
Ein Ding, das demutsvoll sich in die Ecke drückt
Und Ehmann heißt; wird vornehm angeblickt.
Hier darf ihr - wird dein Hausfreund so viel wagen? -
Der dümmste Fat, der ärmste Wicht,
Wie sehr er sie bewundre, sagen;
Und darf's vor meinem Angesicht!
Ich steh' dabei, und will ich artig heißen,
Muß ich ihn bitten, mitzuspeisen.

Bei Tafel, Freund, beginnt erst meine Not,
Da geht es über meine Flaschen!
Mit Weinen von Burgund, die mir der Arzt verbot,
Muß ich die Kehlen ihrer Lober waschen.
Mein schwer verdienter Bissen Brot
Wird hungriger Schmarotzer Beute;
O diese leidige vermaledeite
Unsterblichkeit ist meines Nierensteiners Tod!
Den Wurm an alle Finger welche drucken!
Was, meinst du, sei mein Dank? Ein Achselzucken,
Ein Mienenspiel, ein ungeschliffenes Beklagen -
Errätst du's nicht? O, ich versteh's genau!
Daß diesen Brillant von einer Frau
Ein solcher Pavian davon getragen.

Der Frühling kommt. Auf Wiesen und auf Feldern
Streut die Natur den bunten Teppich hin,
Die Blumen kleiden sich in angenehmes Grün,
Die Lerche singt, es lebt in allen Wäldern -
Ihr ist der Frühling wonneleer.
Die Sängerin der süßesten Gefühle,
Der schöne Hain, der Zeuge unsrer Spiele,
Sagt ihrem Herzen jetzt nichts mehr.
Die Nachtigallen haben nicht gelesen,
Die Lilien bewundern nicht.
Der allgemeine Jubelruf der Wesen
Begeistert sie - zu einem Sinngedicht.
Doch nein! Die Jahrszeit ist so schön - zum Reisen.

Wie drängend voll mag's jetzt in Pyrmont sein!
Auch hört man überall das Karlsbad preisen.
Husch ist sie dort - in jenem bunten Reihn,
Wo Ordensbänder und Doktorenkragen,
Zelebritäten aller Art,
Vertraulich wie in Charons Kahn gepaart,
Zur Schau sich stellen und zu Markte tragen,
Wo, eingeschickt von fernen Meilen,
Zerrißne Tugenden von ihren Wunden heilen,
Dort, Freund - o lerne dein Verhängnis preisen! -
Dort wandelt meine Frau und läßt mir sieben Waisen.

O meiner Liebe erstes Flitterjahr!
Wie schnell - ach wie so schnell bist du entflogen!
Ein Weib, wie keines ist und keines war,
Mir von des Reizes Göttinnen erzogen,
Mit hellem Geist, mit aufgetanem Sinn
Und weichen leicht beweglichen Gefühlen -
So sah ich sie, die Herzenfeßlerin,
Gleich einem Maitag mir zur Seite spielen;
Das süße Wort: Ich liebe dich!
Sprach aus dem holden Augenpaare.
So führt' ich sie zum Traualtare -
O wer war glücklicher als ich!
Ein Blütenfeld beneidenswerter Jahre
Sah lachend mich aus diesem Spiegel an,
Mein Himmel war mir aufgetan.
Schon sah ich schöne Kinder um mich scherzen,
In ihrem Kreis die Schönste sie,
Die Glücklichste von allen sie,
Und mein durch Seelenharmonie,
Durch ewig festen Bund der Herzen.
Und nun erscheint - o mög' ihn Gott verdammen! -
Ein großer Mann - ein schöner Geist.
Der große Mann tut eine Tat! - und reißt
Mein Kartenhaus von Himmelreich zusammen.

Wen hab' ich nun?- Beweinenswerter Tausch!
Erwacht aus diesem Wonnerausch,
Was ist von diesem Engel mir geblieben?
Ein starker Geist in einem zarten Leib,
Ein Zwitter zwischen Mann und Weib,
Gleich ungeschickt zum Herrschen und zum Lieben;
Ein Kind mit eines Riesen Waffen,
Ein Mittelding von Weisen und von Affen!
Um kümmerlich dem stärkern nachzukriechen,
Dem schöneren Geschlecht entflohn,
Herabgestürzt von einem Thron,
Des Reizes heiligen Mysterien entwichen,
Aus Cythereas goldnem Buch gestrichen
Für - einer Zeitung Gnadenlohn!

Aus: Friedrich von Schiller Sämtliche Gedichte und Balladen
Herausgegeben von Georg Kurscheidt
Insel Verlag 2004 (S. 205-208)
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Ein Wechselgesang

Leontes
Delia - Mein dich zu fühlen!
Mein durch ein ewiges Band.
Göttern auf irdischen Stühlen
Gönn' ich den dürftigen Tand.
Dich in die Arme zu drücken -
O wie verdien' ich mein Glück?
Geb' ich auch dir dies Entzücken,
Dir dieser Seligkeit Fülle zurück?

Delia
Ach nur ein einziges Leben,
Teurer Leontes, ist mein.
Tausende, könnt' ich sie geben,
Tausende wollt' ich dir weihn.
Einmal nur kann ich mich schenken,
Einmal durchschauert von Lust,
Einmal auf ewig nur sinken,
Sinken an deine hochschlagende Brust.

Beide
Höre den Dank deiner glücklichen Seelen,
Glücklich durch deinen allmächtigen Wink,
Glühenden Dank dir: du lehrtest uns wählen,
Glühenden Dank für dein bestes Geschenk.

Leontes
Delia, da wir uns fanden,
Hört' ich den himmlischen Ruf:
»Willst du mein Himmelreich ahnden,
Liebe dies Mädchen! Ich schuf.
Menschen, besudelt von Sünden,
Bleibt meine Gottheit verhüllt.
Willst du den Ewigen finden,
Such' ihn in diesem bescheidenen Bild.«

Delia
Da mir Leontes erschienen,
Flüsterten Engel mir ein:
»Trockne die heimlichen Tränen,
Mädchen, der Jüngling ist dein.
Aus den erwärmenden Sonnen
Seines beseelenden Blicks
Sind deine Himmel gesponnen,
Fließen dir Strahlen unsterblichen Glücks.«

Beide
Höre den Dank deiner glücklichen Seelen,
Glücklich durch deinen allmächtigen Wink,
Glühenden Dank dir: du lehrtest uns wählen,
Glühenden Dank für dein bestes Geschenk.

Delia
Wenn wir uns liebend umschlingen,
Küsse vor Küssen entfliehn,
Flattern auf eilenden Schwingen
Goldene Stunden dahin.
Mir reicht Leontes die Hände
In den gefürchteten Kahn,
Weil ich Leontes dort finde,
Locken Elysiums Fluren mich an.

Leontes
Stille Vergnügungen (pflücken
Wird der Verschwender sie nie)
Klimmen empor zum Entzücken,
Teil' ich mit Delia sie.
Pfeile, die fern auf mich zielen,
Wehrt deine Liebe zurück.
Schmerzen, die still mich durchwühlen,
Schmelzen an deinem empfindenden Blick.

Beide
Höre den Dank deiner glücklichen Seelen,
Glücklich durch deinen allmächtigen Wink,
Glühenden Dank dir: du lehrtest uns wählen,
Glühenden Dank für dein bestes Geschenk.

Aus: Friedrich von Schiller Sämtliche Gedichte und Balladen
Herausgegeben von Georg Kurscheidt
Insel Verlag 2004 (S. 518-520)
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