Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Bernhardine Schulze-Smidt 
(1846-1920)


Kadi, sprich Recht!
Einem türkischen Volkssänger nachgedichtet

I.
Kadi, sprich mir Recht, du Born des Wissens!
Diese klag' ich an, die arge Dirne,
Vierzehnjährig kaum, mein Weib, das junge!
"Stiehlt sie Dir die Ruhe Deines Kissens,
Diese Liebliche mit weißer Stirne?
Stach sie Dich mit allzuspitzer Zunge?
Ist dem Wasserträger allzuhold sie?
Oder drückt des Bäckers freie Linke?
Oder gibt dem Ruderer Augenwinke?
Oder trotzt vor Dir um Putz und Gold sie?
Diese Lieblichen sind schlau und eitel,
Und die Deine gar, vom Zeh zum Scheitel,
Ist das Bild der Paradiesesgnaden,
Die Dir winken an kristall'nen Bächen,
Wo Du ruhst, der Liebe Frucht zu brechen!
Nenne mir, Efendim, ihren Schaden,
Du, der selbst sie vor Gericht geladen.
Sei sie thöricht, störrisch, untreu, schlecht,
Strafe find' ich im geschrieb'nen Recht".


II.
Kadi, sprich mir Recht, Gesetzverkünder! -
Wäre doch sie and'rem Mann gewogen!
Wahrlich - meinen Dolch hätt' ich gezogen
Und erstochen Sünderin und Sünder,
Hätte dann die Paradiesesgaben
In des Meeres ärgstem Schwall begraben,
Ruhe meiner Seelenqual geschafft,
Die mir nagt an meines Leibes Kraft!
Kadi - nein! Verstecktes Augenwinken
Und verstohl'nen Händedruck der Linken
Kennt sie nicht, sowahr die Rosen blühen,
Putz und Tand, sowahr die Sterne blinken,
Sind ihr allermindestes Bemühen.
Keines Mannes Auge, nur das meine
Schaut ihr Antlitz, mein's, Herr, und das deine!
Ich allein reich' ihr den Krug zur Labe,
Reiche selbst ihr lock'ren Brotes Gabe,
Wie ein Püppchen lebt sie still und züchtig,
Dennoch, Kadi, bin ich eifersüchtig;
Also klagt Dir dein ergeb'ner Knecht,
Kadi, Klugheitspfeiler, sprich mir Recht! -
"O Efendim! Eifersucht erblindet,
Tastet, bis sie Elendsberge findet,
Berge, die wir Maulwurfshügel nennen,
Riesen, die als Zwerge wir erkennen!
Eifersucht zerreißt der Mutter Kleid
Und befleckt der Schwester Lilienwange,
Fügt zur Liebe namenloses Leid
In verblendetem Zerstörungsdrange!
Schlägt die Krallen tief in's Fleisch mit Hasten,
Tödtet und vergiftet sonder Rasten,
Spricht und sinnt viel tausend Lügentücken
Dir in's Angesicht, Dir hinterm Rücken!
O Efendim, deck' mir auf besonnen
Deiner Eifersucht verborg'nen Bronnen,
Gieße seines Inhalts ganzen Graus
Seine trüben Wasser vor mir aus".


III.
Kadi, sprich mir Recht! Mein Weib ist schuldig,
Macht mich krank und macht mich ungeduldig!
Zehnmal mehr als mich liebt sie die Sonne!
Unsre Rosen, die sich knospend ranken,
Sind, statt meiner, ihre ganze Wonne.
Auf zum Monde seufzt sie in Gedanken -
Ihre Blicke schmachten in die Ferne
Ihrer Wangen Sammt vergräbt sie gerne
In Jasminstrauchs weiße Blüthensterne,
Ihre Füßchen, die pantoffellosen,
Läßt sie von der blauen Fluth umkosen,
In des Maienmorgens Silbernebeln
Sah ich sie den bunten Tauber schnäbeln,
Sah sie an gewund'ner Muschel lauschen,
Die dem Öhrchen sang wie Meeresrauschen,
Und mit schmeichelnd hingestreuten Brocken
Gold'ne Fischchen sich an's Ufer locken.
Ach! mit Erd' und Himmel, Haus und Garten,
Diesen Freuden meiner sanften Zarten,
Lieg' ich im erbitterten Gefecht -
Kadi, Weisheitseckstein, sprich mir Recht! -
"O Efendim! Hitzig tobt Dein Leiden!
Kühlung, Herr, ist Dir zuerst von nöten
Und alsdann Versöhnungsrat euch Beiden.
Durch den Schleier sieh Dein Weib erröthen,
Gleich dem Westen bei der Sonne Scheiden!
Die Gestirne kann Dein Zorn nicht töten,
Noch vermag er, mit dem Schwert der Schmerzen
Frühlingsblüthenfülle auszumerzen!
Recht zu fordern, Herr, bist Du gekommen,
Und das Recht sei jetzt von Dir vernommen:
Auferlegt sei Dir und Deiner Zarten
Zum Versuch noch eines Jahres Warten.
Jedes gehe friedsam und gemach
Seiner Tagespflicht und Freude nach;
Abends aber, wenn der Tag entschwindet
Wenn die Nacht den Sternenkranz sich windet,
Sollt, umhaucht vom Dufte der Violen,
Und in Ruheseligkeit verbündet,
Guten Rath ihr bei der Liebe holen,
Bittend, daß sie Euch den Funken kündet,
Der an Eurem Himmel freundlich zündet
Einen Stern, der hell euch Beiden glänzt,
Daß sie heimlich pflanzt im Mondenscheine
Euch im Garten ihrer Ranken eine,
Die Euch knospend, herzverbindend kränzt,
Daß sie lockt ein Täubchen zu euch Zweien,
Das in Silbernebelduft des Maien
Rothes Schnäblein bietet so zum Küssen,
Daß sich Eure Lippen treffen müssen.
Geht von hinnen - tragt vereintes Leiden,
Jedes sei des And'ren Herr und Knecht,
Möge nur der Tod dereinst Euch scheiden,
Eure Treue sei demantenecht. -
Allah's Segen wandle mit euch Beiden,
Allah's Hand verschlinge Eure Hände,
Allah's Huld befehl' ich Euer Recht!"
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IV.
Kadi, - sei gegrüßt zur Jahreswende!
"O Efendim! Ist die Noth zu Ende?
Allah sei gepriesen! Beichte treulich,
Wie Du schlugst die Eifersucht abscheulich!" -
Kadi! Liebe war mein Waffenträger,
War des mörderischen Schakals Jäger,
Hat den lügnerischen Hund bezwungen,
Mit der Giftbereiterin gerungen!
Liebe wußte jauchzend uns zu sagen
Süßes Wort im Nachtigallenschlagen,
Liebe hat die Ampel schön geründet,
Hat des Mondes Silberkreis entzündet
Wandelte mit mir und meiner Zarten
Schweigsam, schmiegsam durch den duft'gen Garten,
Liebe ließ den Stern vom Himmel fallen
Uns zum Lichtchen in des Hauses Hallen,
Liebe gab mir meiner Liebsten Ich:
Winzig, zierlich hat's verdoppelt sich!
Seine weichen Rosenärmchen ranken
Sich um uns und unsre Glücksgedanken,
Holder als Jasminstrauchs Blüthen schmeicheln
Weiße Fingerspitzchen uns mit Streicheln,
Unsre engverbundnen Hände kosen
Mit den Füßchen, den pantoffellosen,
Nicht bedürfen wir der Zuckerbrocken,
Uns das gold'ne Fischlein anzulocken,
Und das Taubenschnäblein aus Korallen
Beut uns Küsse, beut uns lieblich Lallen,
Das so sanft wie Muschelsingen tönt! -
Kadi! nimm den Lohn, wir sind versöhnt!
Dornenwildniß trieb uns Rosenblüthe: -
Daß mir Allah meinen Sohn behüte! -
Allah, segne ihn und sein Geschlecht! -
Kadi! nimm das Gold für gold'nes Recht!

Aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 78-79)

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