Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Wilhelm von Schütz
(1776-1847)


Zauberei der Nacht

Aus Wolken tritt der Mond herfür,
Um ihn die Sterne stehn,
Da öffnet sich die kleine Thür:
"Nun, Mädchen, muß ich gehn."

'Und mußt du gehn, so bleibe treu;
Auch fern gedenke mein!'
"O stets bleibt meine Liebe neu,
Der Kuß soll Bürge seyn!"

So zog ich von der Süßen fort,
Heim durch den dichten Wald,
Ich denke noch ihr letztes Wort
Und schaue die Gestalt.

Rings um mich her schlief Einsamkeit,
Vom Mondenschein bewacht,
Da klang herüber von der Haid'
Ein Hufschlag durch die Nacht.

Und wie ich aus der Waldnacht trat
Zum Wege breit und frei,
Ein Reiterpaar von ferne naht,
Kommt wunderbar herbei.

Der Ton klang meinem Ohre süß,
Mir dehnte sich die Brust,
Weiß nicht, was nach mich folgen hieß,
Ich folgte unbewußt.

Der Ein' im grausen Haar und Bart
War kühn und schlank und schön,
Der Andre war gar lieblich zart,
Ein Knabe anzusehn.

Mich zog das Bild so lieblich schon,
Und wie ich schleiche, klingt
Von Lippen ihm ein süßer Ton,
Wie Mädchenbrust ihn singt.

Die Worte fielen Sternen gleich
In's goldne Mondenlicht,
Die Rede klang so zart und weich,
Doch ich verstand sie nicht.

Und Herz und Auge sich besann,
Daß dies ein Mädchen sei;
Dem Sattel schloß ein Bein sich an,
Gar lieblich, schlank und frei.

Die volle Hüfte schwebte kühn,
Die Lende trug die Hand,
Des Busens Wölbung zart erschien,
Vom Westchen knapp umspannt.

Die Augen italienisch braun,
Die Wangen Rosenglanz,
Die Lippen Nelken anzuschaun,
Das Haar ein dunkler Kranz.

Der Mond die Keuschheit fahren ließ,
Das Knie schien seine Lust,
Dann spielt' er auf den Wangen süß,
Und streichelt' dann die Brust.

Ich folgt' ihm zu den schönen Au'n,
Und trunken war mein Sinn;
Nicht Wald noch Berg war mehr zu schau'n,
Nach ihr nur blickt' ich hin.

Durch Felder, Wiesen, Dörfer ging
Ich unermüdet gern,
Ein Schloß, das hoch vom Berge hing,
Zeigt sich nun in der Fern'.

Ein schöner Knabe kam gerannt,
Der sich der Herrin neigt,
Er reicht der Schönen seine Hand,
Die aus dem Sattel steigt.

Das zarte Füßchen eilig hüpft
Hinein in's offne Thor.
So war das Bildniß mir entschlüpft,
Betrübt stand ich davor.

So lang die süße Nacht noch schien,
Blieb ich an diesem Ort;
Der Morgen hieß mich weiter ziehn,
Bild, Nacht und Lust war fort.

Nun schimmert nicht der Mond so bald,
So kommt mir in den Sinn
Das Schloß, der Ton und die Gestalt,
Zieht mich in's Freie hin.

Drum kann ich nicht zu Jener gehn
Im Hüttchen dort im Wald;
Ich habe vor dem Schloß gesehn
Die lieblichste Gestalt.


Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849
(S. 239-240)
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