Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Friedrich Leopold Graf zu Stolberg
(1750-1819)


Rudolf

In der Väter Halle ruhte
Ritter Rudolf's Heldenarm,
Rudolf's, den die Schlacht erfreute,
Rudolf's, welchen Frankreich scheute,
Und der Sarazenen Schwarm.

Er, der letzte seines Stammes,
Weinte seiner Söhne Fall!
Zwischen moosbewachsnen Mauern
Tönte seiner Klage Trauern.
In der Zellen Wiederhall.

Agnes mit den goldnen Locken
War des Greises Trost und Stab;
Sanft wie Tauben, weiß wie Schwäne,
Küßte sie des Vaters Thräne
Von den grauen Wimpern ab.

Ach! sie weinte selbst im Stillen,
Wenn der Mond ins Fenster schien.
Albrecht mit der offnen Stirne
Brannte für die edle Dirne,
Und die Dirne liebte ihn.

Aber Horst, der hundert Krieger
Unterhielt im eignen Sold,
Rühmte seines Stammes Ahnen,
Prangte mit erfochtnen Fahnen,
Und der Vater war ihm hold.

Einst beim freien Mahle küßte
Albrecht ihre weiche Hand;
Ihre sanften Augen strebten
Ihn zu strafen, ach! da bebten
Thränen auf das Busenband.

Horst entbrannte, blickte seitwärts
Auf sein schweres Mordgewehr;
Auf des Ritters Wange glühte
Zorn und Liebe, Feuer sprühte
Aus den Augen wild umher.

Drohend warf er seinen Handschuh
In der Agnes keuschen Schooß:
"Albrecht, nimm! Zu dieser Stunde
Harr' ich dein im Mühlengrunde!"
Kaum gesagt, schon flog sein Roß.

Albrecht nahm das Fehdezeichen
Ruhig, und bestieg sein Roß;
Freute sich des Mädchens Zähre,
Die, der Lieb' und ihm zur Ehre
Aus dem blauen Auge floß.

Röthlich schimmerte die Rüstung
In der Abendsonne Strahl;
Von den Hufen ihrer Pferde
Tönte weit umher die Erde,
Und die Hirsche flohn in's Thal.

Auf des Söllers Gitter lehnte
Die betäubte Agnes sich,
Sah die blanken Speere blinken,
Sah - den edlen Albrecht sinken,
Sank, wie Albrecht, und erblich.

Ban' von leiser Ahndung, spornet
Horst sein schaumbedecktes Pferd;
Höret nun des Hauses Jammer,
Eilet in des Fräuleins Kammer,
Starrt - und stürzt sich in sein Schwert.

Rudolf nahm die kalte Tochter
In den väterlichen Arm,
Hielt sie so zwei lange Tage,
Thränenlos und ohne Klage,
Und verschied im stummen Harm.

Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849 (S. 17-18)
_____




 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite