Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Ludwig Storch
(1803-1881)


Der Bramin und die Bajadere

Vor Wischnu's Bild schwebt hochgeschürzt
Der Tänzerinnen leichter Chor;
Die Luft, von Opferduft gewürzt,
Trägt rings der Hymnen Schall empor.
Da tritt der Jüngste der Braminen
Mit Opferfrüchten zum Altar;
Allein will er dem Gotte dienen
Und winket fort der Jungfrau'n Schaar.

Sie zieh'n verschlungen Hand in Hand
Aus der Pagode heil'gem Ort;
Nur Eine bleibt, den Blick gebannt
Auf ihn, und strebt vergebens fort.
Noch einmal weist er auf die Pforte;
Sie zaudert noch, sie weilt, sie steht;
Die Blicke werden stumme Worte,
Womit sie ihn um Schonung fleht.

Und er versteht das stumme Wort,
Es faßt ihn wunderbar und stark;
Da reißt sie Kama's Flamme fort,
Die ihr durchrast des Lebens Mark;
Sie wirft sich wild zu seinen Füßen,
Sie hält den Jüngling fest umstrickt:
"Mit meinem Tode laß mich büßen,
Daß ich in's Auge dir geblickt!"

Doch stärker als die Liebe ist
In des Braminen Brust die Pflicht.
Geschlichtet ist sein inn'rer Zwist:
""Nein, schuldvoll leben sollst du nicht!
Sollst nicht des Gottes Tempel schänden!""
Er wirft den weißen Trauerflor
Ihr um das Haupt mit starken Händen
Und führt sie durch das Felsenthor.

""Herbei, Braminen! eilt herbei!
Nehmt dieses Weib mit Schuld bedeckt,
Daß sie dem Gott ein Opfer sei,
Deß Tempel sie mit Schmach befleckt!"" -
"Der Flamme Kraft muß sie vernichten!"
So ruft die Schaar der Priester laut.
"Wohlauf, laßt uns den Holzstoß schichten,
Das Flammenbett der Flammenbraut!"

Sie folgt dem Worte treu und still,
Das ihr zu sterben streng gebot.
Der junge Priester ruft: ""Ich will
Sie selber führen in den Tod!"" -
Verstanden hat sie wohl die Worte,
Wie Keiner sie zu deuten weiß,
Und folgt entzückt ihm zu dem Orte,
Wo ihrer harrt der Feuerkreis.

Die Sonne steigt in goldner Pracht
Stolz aus des Ganges heil'gem Fluß
Und weiht zu Jama's kurzer Nacht
Die Jungfrau durch den Weihekuß.
Der Priester schreitet ihr zu Seiten;
Es tönt der Hörner dumpfer Klang.
Wie sie so freudig vorwärts schreiten,
Als strebt' zum Brautbett hin ihr Gang!

Sie sind am Ziel. Der Jüngling trägt
Die Jungfrau auf den Feuerthron.
Gesang erschallt - die Flamme schlägt
Um sie die glüh'nden Arme schon.
""Ja,"" ruft er aus, ""die Gluth ist heilig!
Und unsre war, wie diese, rein;
Dein Hochzeitflammenlager theil' ich!""
Und stürzt sich in die Gluth hinein.

Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849
(S. 641)
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