Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Marie Emilie Weber (Ps. E. Avari)
(
1841-1903)


Die Zigeunerin

"Greif' in die Saiten, laß ein Lied mich hören,
Du braune Dirne mit dem Rabenhaar,
Doch lieb
egirrend nicht - ich will Dir's schwören! -
Rührst Du mein Herz, längst sanfter Regung bar.

Sing' von Verrath mir und von feiger Tücke,
Gebroch'ner Treue und gebroch'nem Eid,
Getäuschter Hoffnung und zerstörtem Glücke,
Von heißen Thränen, bitterm Herzeleid.

Sing' mir von düsterm Gram und dumpfem Trauern,
Von wildem Haß, von blut'ger Rachbegier;
Sing' von Verzweiflungsdunkel, Wahnsinnsschauern - -
Von Menschenfeindschaft und Verachtung mir.

Sing' mir - -" Doch schon erbraust's mit mächt'gem Klange
Durch Saal und Hallen hin wie Sturmeswind,
Dazwischen tönt's, als riefe klagend, bange
Auf öder Haide ein verirrtes Kind.

Und wie verirrt im weiten Weltenraume -
Zwei Sterne aus der rechten Bahn gebracht -
So glüh'n des Mädchens Augen wie im Traume
Gebannt in der Erinn'rung öde Nacht.

Was je an Leid das junge Herz erduldet,
Es strömt dahin in Liedes Klageton;
Was liebeleer die Welt an ihm verschuldet,
Grollt dumpf herauf wie fernes Wetterdroh'n.

Dann in zerriss'nen Lauten schrill und gellend
Fährt es dahin wie jäher Wetterstrahl;
Wie Wassersturz, an jähem Fels zerschellend,
Zischt es empor - - Ist's Lust? Ist's Höllenqual?

Ist's Haß, ist's Liebe, was in diesen Tönen
Beschwörungsmächtig zu dem Hörer spricht;
Was aus den Augen dieser wilden Schönen -
Ein glüh'nder Strom - wie Feuerzauber bricht?

Ein Zauber, ja! es sprühen tausend Funken
Und zünden in des finstern Mannes Brust:
Mit starkem Arm umfaßt er wonnetrunken
Die braune Maid und heischet Liebeslust.

Doch stärker als des Ritters heiß' Begehren
Erweist die Kraft sich der Zigeunerin -:
"Denkt Eures Schwurs! Nicht Liebe zu gewähren
Kam ich hierher - so tritt sie vor ihn hin -

Wahrsagen will ich Euch nur noch, Herr Ritter,
Dann aber laßt mich ziehen ohne Groll:
Mein Spruch ist hart, doch Wahrheit ist oft bitter
Auch für den Mund, der sie verkünden soll ...

Einst war ein Kind, der Sturmwind braust
, der scharfe,
Um seinen lumpeneingehüllten Leib;
Vor einem Thore, in der Hand die Harfe,
Stand bittend es - bei ihm ein krankes Weib.

Man ließ sie ein. Beim glänzend frohen Feste,
Bei Würfelspiel und lautem Becherklang
Tönt zu dem Jubel der berauschten Gäste
Des Weibes Saitenspiel, des Kindes Sang.

Was dann geschah - wie unter Hohngelächter
Fort aus dem Saal ihr Kind die Mutter zog,
Wo unter hundert Rittern doch kein echter,
Kein edler Mann gewesen - wißt Ihr's noch?

Wißt Ihr es noch, wie man sie dann mit Hunden
Hinausgetrieben in die kalte Nacht,
Und wie man in der Frühe sie gefunden - -
Das Kind hielt bei der todten Mutter Wacht.

Wißt Ihr's, Herr Ritter, wie der Herr des Schlosses -
Ein Jüngling war's mit goldgelocktem Haar -
Der Blicke achtend nicht des Dienertrosses,
So zärtlich mit der jungen Waise war? - -

Die Haideblume braucht nur wenig Sonne
Und kargem Boden leiht sie ihre Pracht:
Ein Fünkchen Liebe nur, ein Tröpflein Wonne -
Und des Zigeunerkindes Herz erwacht.

Es war erwacht. Doch weh! Der Mund, der blasse,
Das starre Auge, das im Tode brach,
Der Tochter reden sie von glüh'ndem Hasse,
Von Racheschwüren für erlitt'ne Schmach.

Erwacht war Haß und Liebe und verloren
Der Seele Frieden und der Unschuld Glück;
Zum öden Haideland, wo sie geboren,
Verlassen kehrt die Waise nun zurück.

Und ruhelos ist weiter sie gezogen
Mit den Genossen hin von Land zu Land,
Vom nord'schen Fels bis wo die blauen Wogen
Sich brechen an des Südens blum'gem Strand.

An jedem Tag, den neu die Sonne grüßet,
Hat ihres Racheschwures sie gedacht,
Mit bitterm Weh ein süßes Glück gebüßet,
Das mitleidsvoll der Traumgott ihr gebracht.

Wenn Lärm und Streit des Tags verstummt und wieder
Geheimnißvoll die Nacht herniedersinkt,
Die duft'ge Lagerstatt der jungen Glieder -
Das blum'ge Gras - den Thau des Himmels trinkt:

Dann mit den dunkeln Schatten steiget leise
Herab ein leichtverklärtes Traumgebild,
Und flüsternd an das Ohr der armen Waise
Tönt süßer Laut: Schläfst du mein Röslein wild?

Du willst mich hassen, und doch ist es Liebe,
Was Dich durchglüht wie Morgensonnenstrahl;
Nicht Rachbegier sind Deines Herzens Triebe;
Nicht Rachethat stillt Deiner Sehnsucht Qual.

Dein Blut ist heiß - das meine steht in Flammen!
Und ungebändigt ist Dein wilder Sinn -
In mir stürmt Kraft mit stolzem Muth zusammen -
Was zürnst Du mir, daß ich Dir ähnlich bin?

Einst wird Dein hungernd Herz zurück Dich führen
In Deines Feindes Haus, an seine Brust,
Dann sage ihm, ob von den Racheschwüren,
Die Du gethan, dies Herz etwas gewußt.

Das Bild entschwand, doch kehrt's in Tagen, Wochen,
Und Jahren wieder ihr im nächt'gen Traum -
Wie oft der Lenz des Winters Macht gebrochen,
Sie hat es nicht gezählt, sie merkt es kaum.

Sie weiß es nicht, was sie zurück geführet,
Ob Haß, ob Liebe ihrer Sehnsucht Qual:
Sie steht vor Ihm; sie hat sein Herz gerühret;
Sie hat geträumt zum letzten - letztenmal!

Noch ein
en Blick in seine bleichen Züge:
Der Rache Werk - das Leben hat's vollbracht;
Der süße Traum - auch er war eine Lüge -
Der Traum ist aus; es bleibt die öde Nacht.

Ich scheide nun. Mein Hassen und mein Lieben -
Todt und begraben ist's für alle Zeit!
Doch Eines nehm' ich mit, das mir geblieben:
Ein hungernd Herz, das sei mein Weggeleit ...

Lebt wohl!" - Es klint wie banger Seufzer Stöhnen
Dazu die Harfe dumpf und trauervoll,
Ersterbend dann in leisen Klagetönen
Hallt es wie Geistergruß
"leb' wohl, leb' wohl!"

Der Klang verhallt. Im fahlen Mondenlichte
Gespenstisch ragt das hohe Ritterschloß,
Und in die Nacht mit bleichem Angesichte
Starrt jenes stolzen Hauses letzter Sproß.

Wo sich, erkennbar kaum dem späh'nden Blicke,
Im Osten dehnt das braune Haideland,
Dorthin, wie suchend nach verlornem Glücke,
Ist sehnsuchtsvoll des Mannes Blick gewandt.

Kein Ton durchdringt das nächtig hehre Schweigen,
Ob auch gespannt und gierig lauscht das Ohr,
Nur dort, wo sich die mächt'gen Wipfel neigen,
Rauscht es geheimnißvoll zu ihm empor.

Doch jetzt - - ist es des Uhu's heis'res Krächzen,
Das aus dem Thurmgemäuer schaurig klingt;
Ist's eines Menschen schmerzgebor'nes Ächzen,
Das dem gequälten Busen sich entringt?

"Ein hungernd Herz!" - Mit sanftem Windeswehen
Hat sich das hingehauchte Wort vereint;
Die Thräne, die der bleiche Mond gesehen,
Die einz'ge war's, die je dies Aug' geweint.

Aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 74-76)

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