Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58

 


Luise Fürstin von Wied-Neuwied
(1747-1823)




Emma von Holdberg

In Ritter Rudolf's Felsenburg,
Wo Kröt' und Uhu wacht,
Seufzt Emma dreizehn Tage schon
In banger Kerkernacht.
Schön Emma - wie die Liebe schön,
Wie Veilchen still und süß!
Den Thurm erfüllt ihr Angstgestöhn,
In den sie Rudolf stieß.

"Kind! - spricht die edle Bertha leis
In's schwarze Gitter 'rein -
Weh! trauter Liebling, morgen kommt -
Kommt Kurt von Argenstein.
Des Vaters Will' ist eisenfest,
Sein Eifer donnert schwer;
Wenn Emma sich nicht opfern läßt,
Wo nehm' ich Stärkung her!" -

'Ach, Mutter, Herzensmutter, klagt
Um eure Emma nicht!
Mich freut, des langen Leidens satt,
Des Todes Angesicht.
O, holt' er mich mit klarer Hand,
Mir würd' es Wonne sein!
Weit ärger ist der Ehe Band
Mit Kurt von Argenstein!'

Nur zwanzig Sommer zählte Kurt.
Die Holde kannt' ihn nicht. -
Doch Argenstein, der wilde war
Der Gegend Schreckgedicht.
Bei Rittern, Bauern, edeln Frau'n
Hieß er der Tolle nur,
Und bloß in seinem Äußern, traun,
Blieb noch der Schönheit Spur.

Der Tag verstreicht, die Nacht sich senkt
Auf Kerker, Flur und Wald.
Ein Schleier deckt den Silberschein
Des Mond's, des Spähers, bald.
Und traulich schallt es dicht am Thurm:
"Komm, Emma, folge mir!
Dich retten will ich vor dem Sturm;
Als Helfer sieh mich hier."

Er, der einst Emma wiegte, trug,
Sie führt' am Gängelband,
Der alte Treuhold öffnet jetzt
Den Thurm mit Vaterhand.
Er führt durch einen finstern Gang
Sie durch die Erde durch;
Erst drunter her, und dann entlang
Die väterliche Burg.

Durch Felsenklüfte schickt er sie
Zu einem Hüttchen hin;
Ein stilles Eh'paar wohnte dort
Mit Patriarchensinn.
Ein einz'ger Sohn, ihr Liebling, lag
Seit kurzem erst im Grab.
Für sie erwacht ein neuer Tag,
Die Zähre trocknet ab.

Sie sagen ihr: "Sollst Kind uns sein!
Du scheinst uns fromm und gut."
In des Verstorb'nen Kleid gehüllt,
Nimmt sie der Heerden Hut.
Hier lebt' sie lang' und froh, und pries
Oft ihre Seligkeit;
Nur stört in diesem Paradies
Sie, ach! der Mutter Leid.

Als einst an einem schwülen Tag
Sie an der Quelle schlief,
Das war's ihr, als ob Menschenlaut
Bang: "Hülfe! Hülfe!" rief.
Sie eilt bewegt mit raschem Schritt
Der dunkeln Wildniß zu. -
Längst störte keines Menschen Tritt
Die gräbergleiche Ruh'.

Ein Ritter, edel war sein Bau,
Lag mit dem Rosse hier.
Sein wehmuthvolles Auge bat, -
Ein Raub des Todes schier.
Fort eilt jetzt Emma - Hülfe fliegt
Vom Hüttchen mit zurück
Man trägt ihn heim; - das Leben siegt!
Er dankt mit nassem Blick.

Doch bleibt er wenig Wochen noch,
Vom Sturz verwundet, hier.
Einst sagt er: "Edles, bied'res Paar,
O sprich, wie dank' ich dir?
Zu klein, zu klein ist jeder Lohn.
Der Himmel leistet ihn!
Doch, Freunde, Retter! - euren Sohn -
O, laßt ihn mit mir zieh'n!

Mein Herz ist sein, mein ganzes Glück.
Das Schicksal trenn' uns nie!
Und sterb' ich, lass' ich Burg und Gold,
Ihm eigen lass' ich sie." -
Voll Feuer spricht er's. Emma hört's;
Ihr Herz verrieth sie schier.
Sein Pochen in der Brust beschwört's:
"Mit Freuden folgt' ich dir!"

Er steht und fleht. Die Mutter spricht:
"Herr Ritter, 's kann nicht sein!
Mein Sohn ist nicht mein Sohn - Er ist
Ein fremdes Mägdelein.
Die Vorsicht führte mir's in Schooß; -
Kann nichts Geringes sein.
Sein Thun ist fein, sein Geist ist groß,
Sein Sinn ist fromm und rein."

Zu Emma's Füßen stürzt er nun:
"O Schöne, Holde, sprich!
Ich sterb', erhörst du nicht mein Fleh'n,
Dein 'Ja' beglücke mich!" -
'Nein, Ritter, ewig bleib' ich hier!
- Fällt Emma traurig ein -
Mein Schutzgeist, er begrub mich hier
Vor Kurt von Argenstein.'

"Was sagst du? Gott! wen nennst du da?
Wie? Emma Holdberg du?
O Treffliche, wie sag' ich dir ...
O, lächle Muth mir zu!
Ich bin es - Kurt - der Mitleid sucht!
Ich, unwerth deiner Huld!
Gebessert hat mich deine Flucht;
Ich fühlte meine Schuld.

Ich schloß Vernunft und Menschlichkeit
Mein Innres wieder auf,
Begann mit Reu' und Seelenkraft
Der hohen Tugend Lauf." -
Sie ruft entzückt: 'Nimm hin die Hand,
Vom Vater dir bestimmt;
Und find' im festgeknüpften Band
Glück, das kein Ende nimmt!'

Vermählt wird nun das holde Paar.
Zu Rudolf schickt sogleich
Den Knappen Kurt von Argenstein:
"Vergönnt mir, daß ich euch
Mein Weibchen bringe - gut und schön,
Gleich Emma schön und gut.
Frau Bertha's Tugend will sie seh'n;
Sie, traun, nicht eher ruht!"

Die Edle, die in Einsamkeit
Die Nächte durchgewacht,
Kann sonder Grausen Kurt nicht seh'n,
Der ihr das Leid gebracht.
Doch, als das holde Weib erscheint,
Vergißt sie vor'ger Noth. -
Die Zähre, die die Freude weint,
Bringt Leben, nicht den Tod!
 

Gedicht aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S.37-38)


 


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