Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Balthasar Friedrich Wilhelm Zimmermann
(1807-1878)


Herzog Ulrich

"Spiel' auf, spiel' auf, mein Edelknab,
Die Lieb' all, die ich im Herzen hab'!
Blas, blas im stillen Schlafgemach
Mit hellem Klang mein Liebchen wach!
Sie weiß wohl, wer so süße
Sie grüße."

Der Knabe bläst, das Waldhorn klingt,
Zur Schönsten auf das Lied sich schwingt;
Es weht der Wind, der Vorhang weht,
Eine Jungfrau hold am Fenster steht,
Sie ahnt, wer auf den Straßen
Mag blasen.

Das Waldhorn klang, die Schöne stand,
Das Waldhorn schwieg, die Schöne schwand,
Das Waldhorn ruft: "Gut Nacht, gut Nacht,
Hast mich um meine Ruh' gebracht."
Und lieblich flüstert's nieder:
"Bald wieder."

Der Herzog und sein Edelknab,
Sie ritten wohl die Straß' hinab;
Sein Sinn ist trübe, sein Haupt ist schwer,
Er spricht, und redet sonst nichts mehr,
Und zieht die Brauen nieder:
"Wann wieder?"

Und in des Waldes grünen Hall'n,
Da buhlen süß zwei Nachtigall'n.
Er jagt sein Roß mit Gert und Sporn,
Wild setzt er über Heck und Dorn:
Den Vögelein muß er neiden
Die Freuden.

Zu Stuttgart vor seinem Herzogschloß,
Da stürzt ihm entgegen der goldne Troß,
Da flunkert und glitzt es im Feierkleid
Von Hochzeitdamen und Herren heut;
Der Bräutigam fehlt nur zum Feste,
Das Beste.

Lang harret im Saale die Braut schon sein,
Die Baierfürstin, die muß er frei'n.
Er gibt ihr die Hand, das Herz doch nicht,
Der Priester Segen und Amen spricht.
So werden sie Eheleute
Noch heute.

Im Stuttgarter Schlosse da glänzt es und blinkt's,
Im Stuttgarter Schlosse da klingt es und singt's.
Das Auge trunken der Tag zumacht,
Im Hochzeitsaale da wird es nicht Nacht,
Hell, lustig flackern die Kerzen
Und Herzen.

Viel köstlich Geschmeide, viel buntes Gewand,
Den Schönsten reichen die Schönsten die Hand,
Sie tanzen den Saal hinab und hinauf,
Gar fröhlich spielen die Spielleut' auf,
Der Bräutigam fehlt nur zum Feste,
Das Beste.

Der reitet schon ferne den Wald hinan,
Die Tannenbäum' sehen so traurig ihn an.
Gen Nürtingen geht's in flugschnellen Lauf,
Das Waldhorn erklinget die Straße herauf:
"Wach' auf, wach' auf dort im Stübchen,
Mein Liebchen!"

Das Waldhorn klinget so süß, so weh:
Fahr wohl, mein Lieb, ade, ade!
Es klinget, wie wenn ein Herz zerbricht,
Und er sendet ihr Ros' und Vergißmeinnicht;
Sie sendet Je länger je lieber
Herüber.

Das Waldhorn klagt, das Waldhorn klingt,
Wie wenn ein liebend Herz zerspringt.
Und er jaget zurück über Berg und Thal,
Und er steht im hellen Hochzeitsaal:
"Rast, rast, ihr Trommeten und Geigen,
Zum Reigen!

Blast, blast, und sprängen die Zinken euch!"
Und er fasset die Braut zum Tanze sogleich;
Da spielt die Musik wie in wildem Zorn,
Er hört ihr Gellen, er hört nur das Horn,
Das Waldhorn, klingend voll Schmerzen
Im Herzen.

Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849
(S. 707)
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