Anna Behrens-Litzmann (1850-nach 1913) - Liebesgedichte

 



Anna Behrens-Litzmann
(1850-nach 1913)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Sehnsucht

Meine Sehnsucht gleicht dem Meere,
Kommt und geht im Kreis der Stunden,
Immer wieder hat die Welle
Ihren Weg zu mir gefunden.

Sah ich auch, wenn ich gerungen,
Um im Sturme dann zu siegen,
Nur als bleichen fernen Streifen
Sie am Horizonte liegen. —

Immer wieder, leise, leise,
Kam heran die dunkle Welle,
Und jetzt zähl' ich schon die Kreise,
Und berechne ihre Schnelle.

Und ich fühle, wenn die Schwingen
Meiner Seele stolz sich breiten,
Schon das dumpfe Vorwärtsdringen
Neuer schwerer dunkler Zeiten.
(S. 1)
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Traum

Ich bin der Wind, der deine Stirne kühlt,
Ich bin die Welle, die dich lind umspült,
Ich bin der Morgen, der dir Rosen bringt,
Ich bin der Vogel, der in Schlaf dich singt.

Ich bin dein Leid, dein Glück, dein Weib, dein Kind,
Ich bin, was dir Millionen sonst nicht sind,
Kraft deiner Arbeit, deiner Muße Lust,
Sonne des Hauses, Frieden deiner Brust.

So sprach ich heut' im Traum, — da wacht' ich auf,
Grau, einsam, dämmerte der Tag herauf,
Doch immer noch den langen, dunklen Tag
Klangen die stolzen, schönen Worte nach.
(S. 14)
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Geliebter, alles hab' ich dir gebracht, —
Du weißt es ja, in deine treuen Hände
Hab' ich die zarten Blüten still gelegt;
Wir wußten nicht, ob sich die Frucht vollende.

Nun ist sie reif und du bist mir so fern,
Und immer ferner rückst du meinem Leben,
Die Schale halt ich zitternd in die Luft,
Wem soll ich meine Kostbarkeiten geben?

Sie waren Kostbarkeiten nur für dich,
Nun sind sie wertlos, und mein Herz voll Trauer;
Dein sind sie, dein, und ach, du nimmst sie nicht, —
Auf meine Schale fällt ein Tränenschauer.

Nun berg' ich sie im allertiefsten Schrein,
Bis Lieder diesen Tränen auch entsprossen,
Die dann vielleicht von jenem klaren Schein,
Der milden Sternennächten gleicht, umflossen;
Dann dringen sie ins Reich des Lichtes ein,
Und deine Hand hält dennoch sie umschlossen.
(S. 25)
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Frühlingsdämmerung

Ich steh' mit aufgehobnen Händen
Die Sonne mir herabzuflehn,
Ich darf die Zeit nicht mehr verschwenden,
Ich muß den Frühling wiedersehn.
O gib ihn, gib, die Stunden schwinden
Und jede mag die letzte sein,
Durch Blüten möchte ich ihn finden,
Den Weg ins fremde Land hinein.

Schon alles um mich drängt ins Weite,
Die Menschen stehen weltentrückt,
Nur Liebstes noch an meiner Seite
Und Schönheit, die mich hier beglückt.
Ein Lächeln, mild wie Abendglühen,
Verklärt des Lebens armes Tun,
Nun Frühling, laß die Wiesen blühen
Und mich in ihrem Dufte ruhn.

Ich bin so jung wie du geblieben,
Weil ich die Freude nie vergaß;
Nun lehr mich schenken noch und lieben
Und geben ohne Ziel und Maß.
Breit deine bunten weichen Kissen
Mir unter Haupt und Hände hin
Und laß mich so noch einmal wissen,
Daß ich ein Kind der Sonne bin.
(S. 58)
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Meine Seele ist ein Sonntagskind

Meine Seele ist ein Sonntagskind,
Liebt die goldig blauen Frühlingstage,
Liebt den leichtbeschwingten Morgenwind
Und der Nacht geheimnisvolle Klage.
Meine Seele weiß geheimen Weg,
Den die Tatenfrohen hier nicht kennen,
Schwankend glitt sie über manchen Steg,
Den die Klugen nie mit Worten nennen.

Meine Seele ist ein Sonntagskind,
Die ein Gott erschuf mit frohem Herzen,
Für die kleinen Alltagssorgen blind,
Heilig sind ihr auch die tiefsten Schmerzen.
Ja, mit Inbrunst bietet sie die Brust
Noch dem Sturm, ob auch der Pulsschlag zittert,
Urkraft spürend nur und Werdelust
In dem Kampf, der über ihr gewittert.
(S. 59)
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Oft geht ein Flammen durch die Nacht

Oft geht ein Flammen durch die Nacht,
Mit Worten kaum zu nennen —
Wie Sehnsucht dann in mir erwacht
Nach Sonne und nach Schönheitspracht,
Nach Tönen, nicht ersterbend sacht,
Nein, brausend, wie Gewittermacht —
Nach Lebensfülle, heißem Blut!
Es ist, als müßt' ich an der Glut
Der Sehnsucht schier verbrennen.

Dann heimlich zögernd kommt's heran
Aus fernen, fernen Tagen,
Was duftumwebt der Frühling spann,
Was blütenschwer der Sommer sann,
Durch Herbstlaub feuerfarben rann,
Und was der Winter feiernd dann
An goldnen Früchten, reif und schwer,
Uns noch ins Haus getragen.

Und leis erlischt der Sehnsucht Glut
Vor neuer Töne Schwingen;
Wie junges Fieber ist im Blut
Ein übermächtig Klingen.
Ich lieg' auf Rosen, atme Duft,
Ich schwimme wie in goldner Luft,
Posaunendröhnend bricht's hervor,
Als eine sich der Sterne Chor,
Und ahnungsschauernd hört mein Ohr
Schon von der Ewigkeiten Tor
Den letzten Riegel springen.
(S. 64)
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Meine Seele trägt so schwer

Meine Seele oftmals trägt so schwer,
Wie ein Baum, der voll von Früchten hänget,
Ihrer Liebe reife goldne Last,
Die schon Zweig um Zweig zu Boden dränget.

Keine Hände heben sich empor,
Sie wie einst im Sonnenlicht zu pflücken,
Und die armen Glieder sind zu müd',
Nach gefallner Frucht sich noch zu bücken.

Meine Liebe, sag', wie geht dein Weg,
Führt er nur durch Dunkelheit und Leiden,
Muß ich selber, wenn ich schenken will,
Vom geliebten Licht der Sonne scheiden?

Flüsternd streichelt mich der Abendwind,
Zeigt den Mond, der überm Berg zu sehen,
Höher steigt er, leuchtend durch die Nacht,
Bald um ihn die tausend Sterne stehen.

Und mein Baum erstrahlt, — schon sehe ich
Dunkle Schatten längs den Mauern streifen,
Mehr und mehr Gestalten nahen sich,
Nach der lichtbeglänzten Frucht zu greifen.

Morgen wird es und mein Baum ist leer,
Seine Zweige recken sich und schwingen
Goldnen Fahnen gleich ihr letztes Laub,
Es der Erde noch als Gruß zu bringen.

Sieghaft geht der junge Tag durchs Land,
Wie berauscht hört er noch Lerchenlieder,
Meine Krone aber steigt empor,
Sonngeboren auf zur Sonne wieder.
(S. 76-77)
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O du, mein Leid

O du mein Leid, aus Glückesfülle mir geboren,
O du mein Glück, im tiefsten Schmerze nie verloren,
Ihr beide stammt ja aus der Liebe Land,
Und geht durch meine Tage Hand in Hand.

Ihr Gotteskinder, die ihr diese Erde nur
Gestreift mit eurer Füße tastend leiser Spur,
Verloren, wenn euch aus den dunklen Tiefen,
Die Stimmen in den Lärm des Tages riefen.

Ihr wart und bleibt mein Sein, mein Wollen und mein Tun,
In euch muß meine Kraft zum Weiterleben ruhn,
Ich muß mit euch, ob Augen auch erblinden,
Die Sonne suchen und die Sterne finden.

Bleibt mir getreu, laßt nicht das bitter harte Leben
Euch Schleier jetzt ums edle Antlitz weben,
Und ruft die Zeit euch in die Not hinein,
Laßt nur Erbarmen eure Antwort sein.
(S. 98)
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Aufschrei

Du, meines Lebens Glück und Glanz und Zier,
Du, die uns Werden und Vollenden schafft,
Du, aller Schönheit Inbegriff und Kraft,
Soll ich zugrunde gehen nun an dir?

Soll jener Hunger, den nur mein Gebot,
Mein Wille immer wieder neu bezwingt,
Daß er nicht wie ein Schrei die Nacht durchdringt,
Soll er mich schlimmer töten als der Tod?

O Liebe du, nicht dieser Erde Kind,
Willst du dich rächen, weil wir irdisch sind
Und dennoch Erben deiner Seligkeit?
Du hängtest über dich das Netz der Zeit,
Gabst mir als Hüterin die Einsamkeit. —
Die heil'ge Flamme haben wir bewacht.
Wer hat im Sturm sie neu zur Glut entfacht?
Du lebst — und außer dir ist Tod und Nacht.
(S. 106)
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Wenn wir mit Sehnsucht, die kein Wort mehr nennt,
Aus tiefstem Abgrund auf zur Höhe steigen
Und auf dem Gipfel dann, in heil'gem Schweigen
Die Seele ihre Heimat neu erkennt, —
Dann möchten wir mit brünstigem Verlangen
Der Stunde sagen, bleib' uns immer nah',
Und bist du doch an uns vorbeigegangen
Und uns umfängt das alte wehe Bangen,
Sag' es uns immer wieder —
Ich war da!
(S. 107)
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Flamme

Sterben ist nichts, ein Vergessen, ein Hauch,
Flamme verlöschend in Todeskühle,
Aber solang' ich die Flamme noch fühle,
Soll sie brennend leuchten und glühn,
Die in verborgenen Winkel sich stehlen,
Unbewußt auch noch Funken sprühn,
Gluten entfachen in anderen Seelen
Steigend hinauf in die Nacht der Sterne,
Strahlend hinaus in weiteste Ferne,
Was sie ergreift noch, sie soll es besiegen,
Um im Tode erst still zu liegen,
Asche unter dem kühlen Stein,
Wartend, um mit erwachendem Schein
Reinere, hellere Flamme zu sein.
(S. 108)
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Unendlichkeit

Wenn ich sterbe, dann erst werd' ich leben,
Wie ich nie gelebt hier in der Zeit,
Alle unverbrauchten Kräfte geben
Noch der leuchtenden Unendlichkeit.

Blüte will ich werden, Schaum der Welle,
Mondesglitzern überm Gletschereis;
Glocke, schwingend in der Sonnenhelle,
Die nur Liebe noch zu klingen weiß.

Wie ein Adler steigen in die Lüfte,
Flügelrauschend wie Gewitternacht,
Über Gräber hauchen süße Düfte,
Bis ein Rosengarten aufgewacht.

In dem heil'gen Buch der Sterne lesen,
Wissen, was die Augen nie gesehn,
Und so in millionenfachem Wesen
Untergehn und wieder auferstehn.
(S. 113)
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Freude

Freude ward als sel'ges Erbteil mir gegeben,
Engel warfen sie von Gottes Hochaltar
Jauchzend einst hernieder in mein knospend Leben,
Als ich jung und ihrer noch nicht würdig war.
Freude sang der Sonne tausend Liebeslieder,
Wenn ich Rosen auch noch unter Dornen fand,
Freude ging und kam mir immer, immer wieder,
Fiel auch ungesehen noch in meine Hand.

Not hab' ich in Einsamkeiten finden müssen,
Ihre Worte fielen kalt und hagelschwer
Und ihr gottgesegnet tiefes reines Wissen
Tropfte still wie Frühlingsregen hinterher. —
Jetzt, wenn ich ihr in die ernsten Augen schaue,
Ist sie nur mir die geweihte Priesterin,
Der ich auch die höchste Freude anvertraue,
Wenn ich ganz in sie verloren bin.
(S. 113-114)
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Der Sünden Sünde

Wenn wir einmal der Sünden Sünde fänden
Und trügen sie herbei von Haus zu Haus,
Wir würden fremd ihr oft ins Auge blicken
Und staunend fragen: "Also siehst du aus?"
Mißtönend würde ihre Stimme klingen,
Auch da, wo Gutes unter uns geschah,
Und auch an Stätten würden wir sie finden,
Die unser Auge einst als Tempel sah.

Und wenn wir dann der Sünde Sünder bänden
Und richteten für sie den Feuerstoß —
Die Funken würden bis zum Himmel sprühen
Und eine Flamme würd' es riesengroß.
Und wenn die Asche still herniedersänke,
Es stände eine Schar, erstarrt in Graun,
Sie würde über tausend leere Häuser
Und ungezählte Leichenstätten schaun.

Dann aber würde sie die Hände falten
Und tiefer Christi heilig Wort verstehn,
Und wo sich Auge noch in Auge senkte,
Nur Liebesmacht und Liebeswerben sehn.
Doch ehe sie den Tempel noch errichtet,
Dort Gottes Wort zu künden klar und rein,
Die Erde stürzte über ihr zusammen
Und würde nicht mehr Menschenerde sein.
(S. 121)
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Liebe

Wenn du in unsrer Brust die Glocke schwingst,
Du, die wir hier auf Erden Liebe nennen,
Und deine goldnen Sonnenlieder singst,
Die wir beim ersten Flüsterlaut erkennen,
Wir spannen über dich das Himmelszelt
Und nennen dich die Königin der Welt!

Doch wenn die Güte, dein geliebtes Kind,
An deine Brust sich schmiegt so zart und lind,
Wenn wir in deinem Sommerrausch erbeben, —
Wir fühlen, wie sich unsre Flügel heben,
Und wissen es, nun weitet sich das Leben.
(S. 128)
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Letzter Wunsch

Kein Liebeszeichen mehr, wenn ich gestorben,
Kein einzig Blümlein legt mir auf den Sarg;
Was soll damit die kalte schwarze Erde,
Die schon zuviel des Irdischen uns barg!

Was ihr an Liebe bergt, schenkt es mir heute,
Dann wandelt sich's in Farbe, Glanz und Duft,
Wird Keim und Blüte, Frucht und reife Ernte,
Wird Sonnenlicht und weiche Mondscheinluft.

Einst war ich reich und meine Seele spannte
Um einen andren solch ein Liebeszelt,
Jetzt streck' ich sehnend nur noch meine Hände
Und bitte um den letzten Glanz der Welt.
(S. 132)
_____


Aus: Anna Behrens-Litzmann Gedichte
Weiß'sche Universitätsbuchhandlung
Heidelberg 1920
 



Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Behrens





 

 


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