Geliebte, wenn ich dich entzückt betrachte . . .

Orientalische und fernöstliche Liebesdichtung
in Nachdichtungen von Hans Bethge (1876-1946)
 


Robert Delaunay (1885-1941)
Une Fenêtre. Etude pour les trois fenêtres
(Ein Fenster. Studie zu die drei Fenster)
1912 Musée National d'Art Moderne
Centre Georges Pompidou Paris

 




Pfirsichblüten aus China
Chinesische Liebesdichtung



Die junge Witwe
Aus dem Schi-King (12. bis 17. Jh. v. Chr.)

Die schmale Barke aus Zypressenholz
Treibt wogend auf dem Fluß. Mein Haupthaar fiel
Unter der Schere, - mein Gemahl ist tot.

Ich habe einen heiligen Schwur getan:
Mich nimmermehr, so lang mein Atem geht,
Mit einem andern Manne zu vereinen.

Die köstlichsten Geschenke bietet mir
Die eigne Mutter, um mich umzustimmen, -
Was weiß sie von dem Schmerz in meiner Brust!

Die schmale Barke aus Zypressenholz
Treibt wogend auf dem Fluß. Mein Haupthaar fiel, -
Nur einige kleine Locken ließ man mir.

Die künden, daß ich einer neuen Ehe
Geneigt sei; doch durch meinen heiligen Schwur
Gebunden, laß ich nie mich darauf ein.

Die köstlichen Geschenke bietet mir
Die eigne Mutter, um mich umzustimmen, -
Was weiß sie von dem Schmerz in meiner Brust!
(S. 1)
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In Erwartung
Aus dem Schi-King (12. bis 17. Jh. v. Chr.)

Nun will ich bis zum Abend Blumen sammeln;
Noch hab ich nicht so viel, die hohlen Hände
Damit zu füllen. Käm mein Freund doch heim!

Mein Haar weht ungepflegt im Winde. Abends
Bei meiner Heimkehr will ich's gerne kämmen,
Jetzt muß ich Blumen für den Liebsten sammeln,
Am fünften Tage wollt er wiederkehren,
Heut ist der sechste - und er ist nicht da!

O käm er doch! Wie gerne will ich ihm,
Wenn er zur Jagd geht, seinen Bogen rüsten,
Wie gerne will ich ihm das Netz bereiten,
Wenn er zum Fischen ausgeht. Käm er nur!
(S. 4)
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Die Schönheit der Mädchen
Unbekannter Dichter

Wohl gibt es Mädchen mit so schönem Haar,
Daß selbst der Glanz der Perlen, die sie in
Den Ohren tragen, matt dagegen scheint.

Aus ihren seidnen Roben steigt ein Duft,
Der selig macht, und wenn sie singend schreiten,
Klirrt Jadeschmuck um ihre Schönheit her.

Der holde Lenz ersteht auf ihren Spuren;
Wenn sie sich zwischen Blumenbeeten zeigen,
Verlieren alle Blüten ihren Glanz.

Wenn sie am Flusse wandeln, und sie kommen
Vorüber an den Weiden, so verschwindet
Der Weidenzweige Schlankheit in ein Nichts.

Der Wind, der ihnen sanft entgegenweht,
Rührt schmeichelnd an ihr Haar und ihre Wangen:
Auch er ist krank vor Liebe und verwirrt.
(S. 9)
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Junges Mädchen bei Nacht
Ö-Yü (Lebensdaten unbekannt)


Der Mond scheint in den innern Hof. Ich strecke
Das Haupt durchs Fenster, und ich seh die Stufen
Der breiten Treppe weiß im Mondlicht ruhn.

Ich seh des Laubwerks Schatten - und den Schatten,
Den schwankenden, der Schaukel seh ich auch,
Die leise sich im nächtigen Wind bewegt.

Nun tret ich in das Zimmer, lege mich
Müd auf das Bett, darum ein Gitter läuft,
Und kühle Nachtluft weht zu mir herein.

Ich zittre in der kühlen Einsamkeit.
Horch, - jetzt ergießt sich Regen in den See!
Mein schmales kleines Boot wird morgen ganz

Voll kalten Wassers sein. Wie soll ich da
Hinfahren zu den lieben Lotosblumen,
Davon ich einen Kranz mir winden will?
(S. 16)
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Morgenbesuch
Unbekannter Dichter

Die reizende Prinzessin Ko-Ku-Eh
Besitzt die Gunst des kaiserlichen Herrn.

Früh um die Morgenröte reitet sie
In den Palasthof, durch das goldne Tor.

Sie weiß, daß Schminke ihrer feinen Haut
Nur schaden kann, - so naht sie ungeschminkt.

Nur ihre Augenbrauen hat sie leicht
Mit einem dünnen Pinsel angetuscht.

Dem Fühlerpaar der Seidenschmetterlinge
Sind ihre Augenbrauen zu vergleichen.

Ein Schmetterling, ein lächelnd süßer Hauch:
So grüßt sie stolz den kaiserlichen Herrn.
(S. 17)
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Jugend
Li-Tai-Po (702-763)

Ein sorgenloser Jüngling, der am Wege
Der kaiserlichen Grabdenkmäler wohnt,
Verläßt auf weißem Hengste stolz das Haus.

Er bringt das Tier, an dessen Sattelzeug
Geputztes Silber funkelt, in Galopp
Und reitet froh durch weichen Frühlingswind.

Unter des Schimmels Hufen wirbeln Wolken
Von Blütenblättern auf. Ein hoher Teppich
Von bunten Blüten füllt den ganzen Weg.

Nun reitet er im Schritt. Er weiß nicht recht,
Wo er verweilen soll. Er blickt umher, -
In seinem Aug ist Unentschlossenheit.

Da dringt das leichte Lachen einer Frau
Aus einem Blütenbusch. Er stutzt, er hält.
Nun weiß er gleich, wo er verweilen soll!
(S. 23)
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Lustfahrt im Boot
Li-Tai-Po (702-763)

Auf leichtem Boote treiben wir dahin,
Gelenkt von starken Rudern. Schöne Mädchen
Mit goldnen Flöten sind uns beigesellt.

Sie spielen feine Melodien und scherzen.
Ein edler Wein kreist in den Bechern. Freude
Und Übermut herrscht auf der schönen Fahrt.

Wohl harren meiner die Unsterblichen,
Auf gelben Störchen durch die Lüfte reitend, -
Ich bleibe ruhig in dem leichten Kahn.

Die königlichen Burgen und Paläste,
Die einst auf diesen öden Hügeln ragten,
Sind ausgelöscht, verschwunden in das Nichts.

Die großen Worte der erhabnen Dichter
Sind unvergänglich, wie ein strahlend Denkmal,
Das mächtig zu den Sternen sich erhebt.

Wenn mich Begeistrung überkommt, so greif ich
Zum Pinsel, und mein rauschend Lied erschüttert
Die heiligen fünf Berge wie im Sturm.

Stolz ist in mir und Frohmut, - ich verlache
Die bunten Herrlichkeiten dieser Erde,
Sie sind vergänglich wie ein Blütenblatt.

Wenn ich der Macht, dem Reichtum und der Ehre
Mich je verschreibe und mich an sie hänge, -
So wird der Gelbe Fluß stromaufwärts ziehn!
(S. 25-26)
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Die sehnsuchtsvolle Gattin
Li-Tai-Po (702-763)

Im frischen Wind des Abends tönt der Sang
Der kleinen Vögel aus den Blütenzweigen, -
Sie singen selig, sie sind froh vereint.

Hinter dem Gitter ihres Fensters sitzt
Ein junges Weib. Sie stickt auf seidnem Stoffe
Die schönsten Blumen für den fernen Gatten.

Sie hebt das Haupt und läßt die Arme sinken,
Ihr Denken ist bei ihm, der nun so lange
Schon fern ist, und sie flüstert vor sich hin:

"Die Vögel finden sich im Laubwerk wieder, -
Die Tränen eines jungen Weibes aber,
Sie rufen den Geliebten nicht zurück!"

Sie hebt die müden Arme aus dem Schoß
Und beugt das Haupt auf ihre Arbeit nieder,
Und wieder flüstert sie, mit feuchtem Aug:

"Nun will ich kleine Liebesverse zwischen
Die Blumen sticken, - ach, vielleicht, daß sie
Ihn mahnen, daß er heimkehrt an mein Herz!"
(S. 29)
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Die schöne Tänzerin
Li-Tai-Po (702-763)

Zur Stunde, wann die Raben auf den Türmen
Sich niederlassen, tanzt im königlichen
Palast die schöne Si-Schy, feenhaft.

Sie tanzt die lockendsten und kühnsten Tänze,
Sie singt die anmutvollsten Liebeslieder,
Sie hat das Herz des Herrschers ganz umstrickt.

Hinter den grünen Hügeln ist die Sonne
Zu Tal gesunken, - aber Si-Schy Tänze
Gehn weiter, ihre Lust ermüdet nie.

Sie tanzt die Nacht hindurch. Die Nacht entschwindet,
Der Mond des Herbstes neigt sich in das Wasser
Des Großen Teiches, - Si-Schy lacht und tanzt.

Im Osten wird der Himmel hell; schon dämmert
Die Morgenröte; im Palast des Herrschers
Ist Trunkenheit und Lachen, - Si-Schy tanzt . . .
(S. 33)
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Frühling im kaiserlichen Palast
Li-Tai-Po (702-763)

Nun ist der Schnee gewichen von den Zweigen
Des Aprikosenbaums. Des Frühlings Atem
Wird wieder in den Weidenzweigen wach.

Der Vogel Yng singt seine Liebeslieder
Und macht die Sinne trunken. Um die Dächer
Schwärmen die Schwalben mit gelindem Schrei.

Die Zeit der langen Tage kommt, die Zeit,
Da über frohe Festgelage sich
Die Sonne schwingt, die Zeit, in der die Blumen,

Die strahlend sich im Frühlingshauch erschlossen,
Wetteifern mit der wundervollen Schönheit
Der Tänzerinnen elegant und jung.

Wenn sich der Abend senkt, entfernt man wohl
Die Wächter mit den schimmernden Kürassen,
Und Lust und Lieder lärmen durch die Nacht.

Die wunderbaren Wasserpflanzen bringen
Dem Lenz geheimnisvolle Huldigungen
Durch die Entfaltung ihrer Blüten dar.

Im Pavillon, der blau strahlt wie Azur,
Sieht man des Kaisers Kurtisanen tanzen;
In diesem Monat, wo die Pfirsiche

Und Pflaumen blühn im kaiserlichen Parke,
Herrscht hinter den gestickten Vorhangtüchern
Die Trunkenheit der Liebe Tag und Nacht.

Du junges Laub der Trauerweiden bist
Wie Filigran aus Gold! Ihr Birnbaumblüten
Erscheint wie duftiger, frisch gefallner Schnee!

Die schönsten Mädchen sind erwählt, dem Wagen
Des Kaisers nachzufolgen; singend treten
Sie aus geheimen Zimmern an das Licht.

Wer aber nimmt in diesem Park, in diesem
Palast, in diesen bunten Pavillonen,
In all dem Glanz die erste Stelle ein?

Das ist die Kaiserin Fey-Yen, die aus
Dem Volke stammt und heut das herrlichste
Geschöpf ist, das durch Chinas Gärten geht!
(S. 40-41)
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Klagen einer schönen Frau
Thu-Fu (714-774)

In Einsamkeit, in fernem, ödem Tale
Saß eine Frau von solcher Schönheit Zauber,
Wie ihn das Schicksal selten nur verleiht.

Sie sprach: Ich bin aus vornehm-alten Hause,
Doch sank das Unglück schwer auf mich hernieder,
In wilder Gegend such ich ein Asyl.

Furchtbares Unheil hat mein Vaterland
Verwüstet; meine Brüder sind ermordet,
Sie strahlten herrlich in der Jugend Glanz.

Nicht einmal ihre Leichen hat man mir
Gegeben, daß ich sie bestatten könnte, -
Von Haß und Roheit wird die Zeit beherrscht.

Unsicher ist das Dasein wie die Flamme
Der Fackeln in dem Winde. Mein Gemahl
Hat mich verlassen im Gewirr der Zeit.

In seinem Herzen ist nicht Kraft noch Größe,
Sein einziges Verlangen ist: ein andres,
Lachendes Weib an seine Brust zu ziehn.

Vor seinen Augen gaukelt schon der Liebreiz
Der Andern. Daß er einmal nur die Seufzer
Der Frau vernähme, die er von sich stieß!

Ich schickte meine Mägde in die Ferne,
Die Perlen meines Schmuckes zu verkaufen,
In meinem Zelt aus Schilf blieb ich zurück.

Das Zelt ist schlecht. Ich will die Kletterpflanzen
Die schlechten Stellen auszubessern bitten,
Kühl weht die Luft, und mein Gewand ist leicht.

Die Mägde bringen Blumen, - fort damit!
Das ist kein Schmuck für mich. Zypressenzweige
Tun mir als Zeichen meiner Trauer not.

Die Sonne sinkt. Ich will mir eine Stelle
Unter den großen Bambusbüschen suchen
Als Ruhplatz für die kalte, öde Nacht.
(S. 44-45)
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Die Frau auf dem Blumenboot
Thu-Fu (714-774)

Auf diesem Boote weilt die schönste Frau, -
Dem Fühlerpaar der Schmetterlinge sind
Die Bogen ihrer Brauen zu vergleichen.

Sie singt, sich auf der Flöte selbst begleitend,
Ein Lied der Schwermut; alle Götter hören
Auf ihren Wolken tief ergriffen zu.

"Ich bin wie eine arme Blume, die
Man in den Schmutz warf; keiner nimmt mich auf.
Man geht vorüber, ohne mein zu achten.

Das Reisfeld, das sich leicht im Wind bewegt,
Ist glücklicher als ich; wenn sich die Halme
Auftun, meint man ein Lächeln drin zu sehn.

Ich selber aber lächle schon seit langem
Nicht mehr; mein junges Angesicht ist düster,
Nur Eine Hoffnung schwebt noch durch mein Herz:

Daß bald ein schlanker Jüngling kommen wird,
Der nimmt die seidne Schnur, mit der mein Fahrzeug
An dieser Küste festgekettet ist.

Und leitet, wie der holdeste der Genien,
Mich elend Wesen an ein bessres Ufer,
Wo mir ein neuer Himmel leuchten wird."
(S. 57-58)
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Ein Frühlingstraum
Tsing-Tsang (Thang-Epoche)

In der vergangnen Nacht stahl sich der Hauch
Des Frühlings in die Tiefen meines Zimmers.
Und meine Seele eilte weit hinweg
Bis an den Kiang-Fluß, wo sie frohlockend
Das Mädchen fand und küßte, das ich liebe.
Ganz kurz nur war der Traum, denn kurze Zeit
War es mir nur vergönnt im Schlaf zu ruhn.
Doch hat die kurze Zeit vollauf genügt,
Daß meine Seele bis zum Kiang-Flusse
Enteilte, wo sie seligen Entzückens
Das Mädchen fand und küßte, das ich liebe.
(S. 84)
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Der Pfad
Unbekannter Dichter

Ich habe einen Pfad gesehen, leise
Umdunkelt durch das Laub der großen Bäume,
Umsäumt von Büschen, die in Blüte stehn.

Mein Auge nahm die dunkelgrünen Schatten
Mit Wohlgefallen wahr, es hat sich lange
Ergötzt an dem verschwiegnen Sommerpfad.

Ich bin ihn nicht gewandelt. Warum sollt ich
Ihn wandeln, da er nicht zu der Behausung
Des Mädchens leitet, der mein Herz gehört?

Als meine Liebste auf die Erde kam,
Hat man die Füße ihr mit Erz umzwängt,
Sie wandelt niemals nun durch die Alleen.

Als meine Liebste auf die Erde kam,
Hat man mit Eisen ihr das Herz umzwängt,
So kann sie niemals Liebe fühlen, - nie.
(S. 85)
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Ganz allein
Li-Oey (Lebensdaten unbekannt)

Lichtwolken ziehn am heißen Firmament,
Wie wohl ist mir im Schatten dieses Waldes!

Wann trifft es sich einmal, daß ich beim Weine
So einsam bin wie jetzt in diesem Wald?

Nun naht der Abend, blaues Licht des Mondes
Verbreitet sich und funkelt auf dem Tau.

Dem Raschelklang der dürren Bambuszweige
Antwortet sanft die Quelle durch die Nacht.

Ein frischer Luftzug weht mich schmeichelnd an
Und stiehlt sich in die Seide meiner Ärmel.

Wem kann ich jetzt von meiner Sehnsucht sprechen?
Ach, keinem, keinem, - ich bin ganz allein.
(S. 86)
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Abreise des Geliebten
Dichterin Ly-Y-Han (12. Jh.)
[Li Tsching-dschau (1083-etwa 1151)]

Kalt ist die Asche in dem schöngeformten
Goldnen Behälter, der die Wohlgerüche
Verbrennt und eines Löwen Körper zeigt.

Ich wälze mich erregt auf meinem Lager
In roter Decke, - jählings werf ich
Die Decke fort, und ich erhebe mich.

Ich finde nicht den Mut, die wirren Haare
Zu ordnen; viel zu schwer scheint mir der Kamm
Für mein gebeugtes, glückgemiednes Haupt.

Auf meinem Toilettentische liegen
Kostbare kleine Gegenstände, - ach,
Sie liegen ungebraucht, von Staub bedeckt.

Die Sonne steigt herauf. Nun wird er bald
Abreisen, den ich liebe! Immer bittrer
Frißt sich der Schmerz in meine Seele ein.

Wie vieles möcht ich sagen, was mir auf
Den Lippen liegt! Ich stoß es hart und kalt
Ins Herz zurück; verschwiegen bleibt mein Mund.

O wie ich mager ward! So ward ich nicht
Durch Trunkenheit, nicht durch das Weh des Herbstes, -
Durch meines Herzens Jammer ward ich so.

Vorbei! Vorbei! Heut zieht er in die Ferne,
Und säng ich tausendmal: "O bleibe! Bleibe!", -
Er bliebe dennoch nicht an diesem Ort.

Um meinen Pavillon steigt Nebel auf;
Mein Denken wird nun immer weit von hier
In jenem Land sein, wo er Wohnung nimmt.

Um meinen Pavillon fließt düstres Wasser.
Es ist der einzige Zeuge meines Schmerzes,
Der Spiegel meines dumpfen, starren Augs.

Du düstres Wasser! Immer fürchterlicher
Wirst du die Starrheit meiner Augen spiegeln!
Denn unheilbar ist dieses Herzens Qual!
(S. 88-89)
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Jammer
Dichterin Ly-Y-Han (12. Jh.)
[Li Tsching-dschau (1083-etwa 1151)]

Über des Wassers dunkeln Tiefen schwimmt
Die Lotosblüte, ganz geöffnet, weiß,
Sie lächelt zu mir her, - ich hasse sie.

Ich nehme meine Angel, und mit Kraft
Ziel ich genau hinüber nach der Blüte,
Daran die langen, feinen Wurzeln sind.

Ha! die geheimnisvolle Dunkelheit
Der Tiefen hab ich aufgestört; weithin
Erkennt man die Erregung in der Flut.

Was aber tu ich jetzt? Ich suche mit
Der Angelschnur die Blüte abzureißen,
Als wärs sein Herz, sein frevelhaftes Herz.

Die Sonne flammt gemach zum Horizonte,
Dann wird sie still und müd und schwebt von dannen
Und ist nicht mehr. Es naht die düstre Nacht.

Ich steige blaß hinauf in meine Wohnung
Und halte vor dem Spiegel an. O Jammer,
Wie ist mein Antlitz wüst und voller Qual!

Die Pflanzen werden wieder jung, wenn sich
Der Frühling naht, - ich aber, die ich ganz
Ohn Hoffnung bin, zerrüttet und zerbrochen, -

Wie kommt es, daß der Tod nicht längst mich nahm?
(S. 90-91)
_____



Kalter Frühling
Dichterin Ly-Y-Han (12. Jh.)
[Li Tsching-dschau (1083-etwa 1151)]

In dem schwermütigen Parke wogt der Wind,
Haardünne Regenfäden streichen nieder, -
Gut, daß mein Zimmer fest verschließbar ist.

Die Weiden mit der mädchenhaften Anmut,
Die zarten, jungen Blumen stehen leidend
In diesem kalten Frühlingswetter da.

Die wilden Schwäne zogen schon vorüber, -
Wie gern hätt ich mit meines Herzens Kummer
Beladen ihren pfeilgeschwinden Flug!

Auf allen Seiten hab ich die Gardinen
In meinem Pavillon herabgelassen, -
Mich friert, die Wohlgerüche sind verraucht.

Ich stehe auf von meinen düstern Träumen, -
Warum sind die mit Schmerz beladnen Seelen
Auch noch zu düstrer Träumerei verdammt?

Die Bäume werden dicht vom jungen Laube
Des Lenzes, - viele Menschen singen Lieder,
Da nun der liebe Frühling wiederkam.

Die Sonne steigt, der Nebel ist gewichen, -
Mir ist in meiner wilden Qual beschieden,
Des Lenzes schönste Heiterkeit zu sehn.
(S. 92-93)
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Vergissmeinnicht
Schüin-Ling (19. Jh.)

Sie selber steckte diese kleinen Blumen
Von märchenhaftem Blau an meinen Gürtel,
Vor einem Jahr war's, und sie sprach dazu:

"Denk an den Namen dieser blauen Blume, -
Sie heißt Vergißmeinnicht. Vergessen wir
Nie das Geheimnis, das uns zwei vereint!"

Die blauen Blumen blühn in diesem Jahre
So schön wie damals. Wo ist die geblieben,
Die mir das Sträußlein zur Erinnerung gab?

Ich bin allein, ich blicke in die Ferne,
Der leichte Blütenduft an meinem Ärmel
Ist alles, was mir von dem Glück verblieb.
(S. 94)
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Das Mädchen im Fenster
Schüin-Ling (19. Jh.)

Sieh, aus dem dunkeln Hintergrund des Fensters,
Das eingerahmt von Frühlingsblumen ist,
Taucht zart und süß ein junges Mädchen auf.

Sie neigt nach vorne sich, erst halb bekleidet,
Die jugendliche Haut ist hell wie Neuschnee,
Jetzt strahlt sie klar über dem Sims aus Stein.

Von ihrer Kleidung ist fast nichts zu sehen,
Nur ihres Haares Schmuck ist schon beendet,
Die Augenbrauen zeigen Halbmondform.

Mit einer kleinen Kanne aus Metall,
Die sie graziös in ihrer Rechten hält,
Gießt sie die Blumen, neigt sich hin und her.

Wie gerne würde ich an ihrer Stelle
(Vorausgesetzt, sie stünde neben mir!)
Die Blumen gießen morgens und am Abend.
(S. 95)
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Im Frühling
Unbekannter Dichter

In der vergangnen Nacht hat es geregnet.
Heut morgen war das Wetter wieder schön
Wie immer. Aber ich bin trüb und matt.

Die jungen grünen Wedel an den Palmen
Öffnen sich heimlich und beginnen Schatten
Zu werfen. Aber ich bin trüb und matt.

In meinem Zimmer wandl ich auf und nieder,
Erinnerungstrunken. Alle meine Schmerzen
Rührt der beginnende Frühling wieder auf.

Ich denke an den zauberhaften Frühling
Der Liebe, der mir ganz zu nichts zerrann,
Und wilder Kummer schleudert mich zu Boden.

Die grünen Sträucher draußen zeichnen sich
Auf meinem Vorhang ab. Das Moos dort draußen,
Vom Tau genäßt, schimmert wie Sammet auf.

Ich aber seh in der Erinnerung wieder
Ein duftig Oberkleid, darunter glänzte
Der schönste dunkelrote Seidenrock.

Und andres Wundervolle seh ich wieder
Und seufze, seufze, an die Balustrade
Gelehnt, - zur Arbeit bin ich heut nicht froh.

Ich tue weiter nichts als all die Flüsse
Und Berge zählen. Ebenen und Täler,
Die zwischen mir und meinem Frühling sind.
(S. 96-97)
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Der Orangenblütenzweig
Tin-Tün-Ling (19. Jh.)

Das junge Mädchen, das den ganzen Tag
Einsam in ihrem Zimmer weilt, schrickt auf -:
Ihr Ohr vernimmt ein zartes Flötenlied.

Sie stellt sich vor, es sei ein schöner Jüngling,
Deß sehnsuchtsvolle Stimme sie vernehme, -
Und ist doch nur der kleinen Flöte Ton.

Durch das Papier des Fensters dringt der Schatten
Eines Orangenblütenzweigs; er fällt
Quer über des erstaunten Mädchens Knie.

Sie sieht ihn lächelnd an und phantasiert:
Daß jemand bei zu heftiger Umarmung
Die seidne Robe ihr am Knie zerriß . . .
(S. 99)
_____



Der Fächer
Tschan-Jo-Su (19. Jh.)

Die junge Gattin sitzt in ihrem Zimmer,
Dem duftenden, - der Gatte tritt herein,
Zur Hochzeitsnacht, das allererste Mal!

Sie hält in ihren Händen einen Fächer,
Mit zartem Pinsel steht darauf geschrieben:
Wenn heiß die Luft glüht und kein Windhauch weht,

So liebt man mich und bittet mich um Kühlung,
Wenn aber frischer Wind die Luft durchzieht,
So lieg ich achtlos in Vergessenheit . . .

Die junge Gattin liest bewegt die Worte,
Sie denkt an ihren Gatten, und Gefühle
Der tiefsten Traurigkeit umschatten sie.

"Das Herz meines Geliebten ist jetzt heiß
Und ungestüm", so denkt sie, "darum kommt
Er zu mir, um sein heißes Herz zu kühlen.

Einst aber wird sein Herz voll Kälte sein,
Dann wird er mich verschmähen und nicht kennen,
Dann wart ich achtlos in Vergessenheit . . ."
(S. 102)
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Ein Dichter blickt in den Mond
Tschan-Jo-Su (19. Jh.)

Von meinem Garten aus hör ich bei Nacht
Das sehnsuchtsvolle Singen einer Frau, -
Ich aber blicke ruhig in den Mond.

Ich habe nie daran gedacht, die Frau,
Die in dem Nachbarsgarten singt, zu treffen, -
Ich blicke unablässig in den Mond.

Ich glaube, daß der Mond auch mich ansieht, -
Ein langer, schöner, voller Strahl aus Silber
Dringt durch den Äther still zu mir herab.

Die Fledermäuse flattern wohl zuweilen
Hin durch den überirdischen Strahl und machen,
Daß ich die Wimpern senke, wie verwirrt.

Richt ich das Aug dann wieder auf, so seh ich
Den Silberstrahl von neuem auf mir weilen,
Ganz unbeirrbar, so wie Schicksalsblick.
(S. 103)
_____



Wunsch
Lu-Hung-Tschang (19. Jh.)

O Drachengott! Der Du dem uferlosen,
Gewaltigen Meer des Todes als Beherrscher
Vorstehst, hör zu:

Wenn ich dereinst in glühnder Träumerei
Am Herzen meiner Freundin ruh, berauscht
Von ihrem Atem, dann erscheine, nimm
Mich und die Herrliche samt ihrem Atem
Und führ uns fort auf Deinem Geisterschiffe.
Daß so wir in die Ewigkeit entschweben,
Von Liebe trunken, selig, eng vereint!
(S. 104)
_____



Getrennt von der Geliebten
Sing-Ling (19. Jh.)

An das Papier des Fensters klopft der Regen
Mit feinem Schlag. Mir ist, es seien Tränen
Aus meinem Aug. So traurig ist mein Herz!

Ich leide Liebesqualen. Ganz allein
Im Anblick einer kleinen, stillen Lampe
Verbring ich diese schmerzensreiche Nacht.

Schwermut drückt mich mit finstrer Macht zu Boden,
Ich presse meine Wange in das Kissen,
Doch find ich keinen Schlaf und keinen Traum.

Nun naht der Morgen; Nebel steigt; er wallt
Auch um das Haus, in dem die Liebste wohnte,
Darin sie niemals mehr am Fenster weilt.

Was fang ich an mit meiner armen Seele?
Ach, daß sie wie ein Schmetterling enteilte
Und fände der entflohnen Freundin Spur!

Ach, daß sie wie ein Schmetterling enteilte
Und liebevoll um die Gefundene schwärmte
Und rührte zärtlich an ihr Seidenkleid!
(S. 105)
_____



Verzweiflung
Tsu-Ping-Schu (geb. 1883)

Ich bin mit mir und mit der Welt zerfallen.
Ich schlage mir die Brust und rufe wild:
Was soll das Alles? Ach, wozu die Qual?

Fertig ist mein Gedicht, jedoch der Jammer
Weicht nie und nimmer. Mit der Liebe brach ich,
Doch heißer nur ward meines Herzens Qual.

So zart sind meine Tränen wie die Tränen
Der Kinder sind, so furchtbar wie die Tränen
Der Helden. Einsam möcht ich im Gebirg

Mein Lied erklingen lassen oder einsam
Am fliehnden Fluß. Ich wandle ruhelos
Mit schwermutvollen Schritten durch die Nacht.
(S. 106)
_____



Brautnacht
Tsu-Ping-Schu (geb. 1883)

Mein ganzes Sein leg ich in deine Hand,
Geliebter, - dennoch hab ich Angst vor dir.
Ich hocke auf dem silbernen Bett und ziehe
Beschämt die violette Robe aus.
Ich weiß, daß diese Nacht die schrecklichste
Zerstörung bringen wird. Ich trete dennoch
Zum Spiegel hin und ordne mir das Haar,
Als käme eine Nacht wie viele sind.
(S. 108)
_____


Aus: Hans Bethge Pfirsichblüten aus China
Ernst Rowohlt Verlag Berlin 1923



 

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