Margarete Beutler (1876-1949) - Liebesgedichte



Margarete Beutler
(1876-1949)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Die weiße Blume

Nun ist's Zeit - ich sehe auf und nehme
diese wunderweiße Crysantheme,
und ich komme sternensacht
zu Dir in der Nacht.

Meine weiße Blume nickt versonnen,
und ihr Silberkelch ist seltsam schwer -
wie die Abendstunden heut verronnen,
weiß ich gar nicht mehr.

Meine Hände sehnen Deine Hände,
und mein Mund will Deinem nahe sein -
nur der Mond als goldne Gottesspende
darf zu uns herein.

Und wenn eine rote Sehnsucht käme,
legt ich Dir auf's Herz die Crysantheme - -
meiner Blume stiller Fleiß
macht die Sehnsucht weiß.

O Du große, wunderweiße Blüte!
Über uns hält eine Gottesgüte
und ein holdes Märchen Wacht,
heut in stiller Nacht.

Aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt bei Hermann Costenoble Berlin 1902 (S. 35-36)

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Der Pulsschlag

Macht hoch die Thür, das Thor macht breit,
denn meine junge Seligkeit
muß da hinein - - -
Ach - viel zu klein -
das muß viel höher und breiter sein!
Denn die ich pulsend in mir trag,
ist weit wie leuchtender Frühlingstag,
ist mächtig wie Adlersfittichschlag.
Du Demantseelchen, künde
mir nun: Was ist denn "Sünde"?
Fließt's nicht so zart und rührend klar
wie Kindertrauern?
Starrt's nicht so bang und blütenbar
wie Zuchthausmauern?
Das Wort, des Sinn ich nie gefaßt
und dessen Klang ich so gehaßt -
mir war es stets wie Geißelhieb,
der meine arme Seele trieb
in dunkle Grübelgründe -
daß sie nun endlich rasten mag,
du Morgenglanz, du Ostertag,
leucht mir: Was ist das, "Sünde"? -
Du kommst aus Landen, wo alles klar,
was ist, was werden wird, was war,
du bist noch gottverwandt genug -
Du Seelchen in mir, mach mich klug!


Aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt bei Hermann Costenoble Berlin 1902 (S. 36-37)

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Sonnenuntergang

Ach, komm Du, eh sie ganz versinkt
zu unsrer Heidehöhe,
daß oben mich Dein Kuß durchdringt
und alle Trauer aus mir trinkt,
wenn ich sie sterben sehe.
Das geht nun so: Geburt und Tod
und Morgenglanz und Abendrot
und Liebeslust und Herzeleid.
Ach Gott, nun kommt bald meine Zeit -
Und sprach ich selbst mich vogelfrei
und riß von aller Welt mich los,
nun klopft's und drängt's in meinem Schoß -
und - keine Mutter steht mir bei.


Aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt bei Hermann Costenoble Berlin 1902 (S. 37)

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Schwester, komm mit!

Schwester, komm mit!
Deine Hände sind zart und schlank -
mir ist um Dich so bang -
Schwester, komm mit!

Ob Dich der Schlamm geboren,
ob Dich das Laster fand
noch an der Kindheit Rand,
ob Dich die Not erkoren -
ich will nicht fragen.
Mein Stübchen ist friedvoll rein,
da sind wir beide allein,
und ich will Dir Liebes sagen -
ich will Dich Schwester nennen
um der Sehnsucht willen,
die wir alle kennen -
ich bette Dein Haupt in meinen Schoß
und spreche Dich aller Sünde los.
Du sollst rein
diesen kurzen Abend sein
um meiner Sehnsucht willen -
Schwester, komm mit!


Aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt bei Hermann Costenoble Berlin 1902 (S. 38)

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Abwehr

Wer bin ich, daß sich tausend Hände strecken,
Begehrliche und grobe Männerhände,
Nach meinem Leib, der nur zu blühen trachtet,
Selig zu blühen, wenn der Geist ihn segnet,
Und seine goldene Zeit sich still erfüllt! -

Wer bin ich, daß sich tausend Hände strecken,
Gierige und verschmutzte Alltagshände,
Nach meiner Seele, die der Feinsten eine,
Die mit dem Grase zittert unterm Weste,
Und Andacht hält in einem Lerchenliede! -


Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 6)

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Lied der Frauen

Wer fragt uns denn, ob unser Glaube
An alles, was ins Leben mündet,
Hinschlängelt wie der Wegerich im Staube
Oder sich stolz auf Felsen gründet?

Auch Liebe fragt nicht, die so viele Fragen
Bang nach Erkenntnis ihres Wertes tut -
So sind wir alle stumm vor Graun und tragen
An Bord des Todes unser Glaubensgut.

Wir wissen wohl, und dies ist unser Los:
In unsern Kindern sind wir auferstanden
Und ziehn unsre eigenen Qualen groß.
Das Leben aber liegt mit breitem Schoß
Und läßt die tausend Wellen in sich landen.


Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 7)

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Absage

Der sich nach mir zersehnt, verzehrt,
Dessen Mannheit in Wirren krankt,
Dessen Seele den Tod verlangt,
Dem werd' ich Genesung,
Mir selbst zur Erlösung.
Du aber willst mich, wie man Wein begehrt -
Trink anderswo!! - Du bist mein Blut nicht wert! -


Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 8)

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Zwischen Ruinen

Laß uns noch einmal den Augenblick greifen,
Laß uns noch einmal selig und still
Diese Gärten des Todes durchstreifen,
Ehe zum Wort die Gedanken reifen,
Und eine Sehnsucht sie pflücken will.

Über die rissigen Tempelwände
Geht des genossenen Tages Schein.
Traumhafter Blicke und Wonnen kein Ende,
Und in den Jubel verschlungener Hände
Rauschen die ewigen Wogen hinein.

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 8)

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Episode

I.
Noch ist Dunkel um uns her,
Denn wir sind uns tief verfallen
Und verlieren uns in allen
Dingen pfadlos wie im Meer.

Und doch ist's wie tastend Schreiten -
Über uns wächst still die Zeit
Und macht leuchten, was geschehen.
Und in diesem Glanze sehen
Wir vielleicht den Weg sich breiten
Aus der einen Trunkenheit
In die vielen Trunkenheiten!


II.
Ich fühle es: Ich muß mich wieder lösen,
Und Wege gehen, weit und unbenannt,
Denn die Versunkenheit, die mich nur sieht
Als ihren Träumen scheu entstiegenes Wesen,
Als eigene Schöpfung in dem eigenen Land,
Die nicht vor meinen tiefsten Wundern kniet,
Kann Brot und Wein, mein Blut und meinen Leib
Nicht frohen Glaubens von mir nehmen.
Sie macht mich klein, sie sagt mir "Armes Weib",
Und meine Seele muß sich schämen.

Wie alles Grauen, das ein Traum verschwendet
Durch Wälder voller tiefer Mitternacht,
Zerstoben ist beim ersten Hahnenschrei,
So schaff' ich, daß die laue Lüge endet,
Die mir nur finstre Ängste eingebracht.
- Im Höhensturme steh ich wieder frei
Und einsam wie in meinen Mädchenjahren -
Ein Birkhahnruf - lächelnder Wellen Schlag -
Und all das Törichte, das ich erfahren,
Liegt hinter mir wie ein verwehter Tag!


III.
Dein letzter, harter Schritt verhallt -
Mein Morgen wird mit ihm verblassen,
Ich aber weiß,
Weil meine Kräfte mich nicht ruhen lassen:
Mir reicht ein kühler Mittag bald
Köstlichen Preis!


IV.
"Gesund ist, wer vergißt". -
So geh ich, meiner Unlust satt,
Durch diese Nacht, die wie ein Bad
Und wie ein Kuß im Traume ist . . .


Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 9-11)

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Ein Ort der Erinnerung

Hier sind wir einst gelegen
Am Waldesrand,
Als alles Land in Segen
Und ich in Blüte stand.

Du warst zu müd zur Ernte,
Zum goldnen Schnitt zu krank,
Und meine Jugend lernte
Der Nächte Wehgesang.

Und meine Seele tauschte
Für Lieb' nur wirres Leid - - - -
Des Liedes Quell verrauschte
In uns um jene Zeit . . .


Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 13)

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Am Gängelband

Entzücken schwellt die volle Brust,
Wenn sie ein Mann begehrt,
Allein am höchsten ist die Lust,
Die nicht zu lange währt.

Am Gängelband führt Mutter Zeit
So Weib als Dichterin,
Und zwischen Rausch und Einsamkeit
Taumelt mein Leben hin . . .


Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 26)

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Der Marabu
ein Lied auf Stelzen

Sprach zu mir der Marabu,
Dem ihr mich vertrauet hattet:
"Königin, dein Wald bist du,
Rot durchglüht und tief verschattet!

Und aus jedem Drosselschrei
Lockt mich deiner Stimme Süße,
Und wie Schwäne fliehn vorbei
Deine wilden Frauenfüße.

Und aus jedem Waldesquell
Trifft mich deines Auges Schwärze,
O, wie pocht das Herz mir schnell!
O, wie schnell pocht mir das Herze! -"

Sprach ich: "Alter Marabu,
O, wie pfeifst du magre Lieder,
Und was für ein Tropf bist du,
Und wie dürr sind deine Glieder!

Wird es dunkel überm Wald,
Mag der Quell mich nicht mehr spiegeln,
Und ich bin ein Buch dir bald,
Marabu, mit sieben Siegeln!

- - Steht ein Häuschen hinterm Bach -
Kleine Fenster, kleine Türen,
Aber die ins Lustgemach
Meiner hellsten Wünsche führen.

Jemand macht die Laden zu,
Und entzündet alle Kerzen - -
O, wie schnell, du Marabu,
Schlagen zwei Zigeunerherzen!"

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 28-29)

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Ein Liedlein zu der Männer Schande

Meine grüne Wiese lag
Noch in Tau und Träumen -
Sprach ich: "Lieber Liebster, trag'
Mich zu unserm Erdbeerschlag
An den Ahornbäumen!

Ach, ich weiß, ich bin nicht leicht,
Doch du bist ein Riese - -
Auch ist schnell ein Lohn erreicht,
Wenn man so als Zweie schleicht
Durch die Morgenwiese" . . .

Also bat ich, zierlich fein -
Doch es wollt' nicht nützen!
Sollt mir nicht beschieden sein,
Hoch im jungen Tagesschein
Königlich zu sitzen.

Denn der sehr Geliebte klagt,
Ich sei unbescheiden,
Er hätt' sich genug geplagt,
Und auf süßen Lohn die Jagd
Möcht' er lieber meiden . . . . .

Schließlich sei der Mann kein Vieh,
Und der stärkste Riese
Hätte wohl genug der Müh',
Wenn er bis zur Morgenfrüh'
Sich galant erwiese.
- - - - - - - - - - -

Schwestern, flehen wir zu Pan,
Daß er uns bescheere,
Was uns stets erfreuen kann
Und in Fülle jedem Mann
Recht zu wünschen wäre!


Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 30-31)

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An eine junge Frau

Nein! Es ist dies nicht genug!
Sanfter Kuß ist kein Versinken,
Und aus mattem Born zu trinken,
Dünkt mich weder gut noch klug.

Aber wär' ein Wunsch mir frei,
Spräch' ich: O Ihr ewigen Götter,
Ihr, der Dichter Flucht und Retter,
Schaffet, daß ich selig sei!

Endet diese dunkle Pein!
Laßt mich einmal nur im Leben,
Um ein volles Glück zu geben,
Füllhorn und nicht Truhe sein!

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 32)

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Schwabinger Liebesduett

- "Schwesterchen, es ist ein Jammer,
Wieder ging das Geld zu Ende,
Und in unsrer blassen Kammer
Starren fühllos die vier Wände.
Ach, daß sich ein Gönner fände! -"

- "Brüderchen, was nutzt das schlechte
Dulje ho, das schlechte Leben?
Bleibt doch schließlich nur das Rechte,
Jeder Nacht das Ihre geben -
Dulje ho! Das bleibt es eben! -"

- "Schwesterchen, der letzte Taler
Steckt im Weine - gottbefohlen!
Täglich wird die Bude kahler,
Alles macht sich auf die Sohlen -
Ei, das mag der Teufel holen!"

- "Brüderchen, der Wein ist sauer,
Doch die breiten Kelche bluten,
Und ein mitternächtiger Schauer
Bringt zwei brennende Minuten,
Dulje ho! bringt Frühlingsgluten."

- "Schwesterchen, nicht einen Schimmer
Hab' ich, wovon morgen leben,
Und der Wirt, der ist ein Schlimmer,
Kann man keine Miete geben -
O, der Wirt! Das ist es eben!" -

"Brüderchen, ein heißes Mädel
Braucht sich keiner Glut zu schämen.
Morgen brummt uns doch der Schädel -
Mußt mich heut noch sonder Grämen -
Dulje ho! ans Herz nehmen!"

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 34-35)

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Sehnsüchtige Sonette

I.
An W. D.
Wie flüchtig ist doch der Begierde Kuß
Und wie erbärmlich dumpfe Frauentreue!
Ich sehne mich. Mit diesen Worten streue
Ich meine weiten Wünsche in den Fluß.

Ich sehne mich nach edlerem Genuß
In deines Heimatlandes lichter Bläue
Und fühle schmerzlich, wie mein Blut aufs neue
Die Blume meiner Sehnsucht tränken muß.

Mir ist der Liebe vielerlei Gewand
Aus meinen frühen Mädchenheimlichkeiten
Wie Kinderspiel und Frühling tief bekannt.

Dich lieb ich nicht. Ich liebe nur dein Land
Und seinen wilden sonnensatten Weiten,
Und blütensicher muß ich dir entgleiten.


II.
Die Kiefer
Mich flieht der Schlaf am mittagstillen Raine.
Die Kiefer spricht zu mir mit leisem Schelten:
"Wie, soll ich neben ihr nun gar nichts gelten?
Ist denn ihr Stamm noch schlanker als der meine?

Wie kränkte es dich sonst in diesem Haine,
Wenn sie dir eine von den Schwestern fällten;
Jetzt schaut dein Auge stets in andre Welten,
Und diese Pinie liebst du nun allein." -

. . . Ich aber grabe meine beiden Hände
Der Erde in die wirren braunen Haare
Und rufe wild nach dem entglittnen Jahre.

Wo bist du, Meer? Hier sind so tiefe Brände
Zu opfern auf dem felsigen Altare!
Ach, daß mich eine deiner Wellen fände!


III.
Heimweh
Ein Gruß aus Rom, den ich im Schreibtisch finde,
Muß dir die Bitternis von neuem reichen.
O, müde bin ich euer, krause Eichen
Und müde deiner, mütterliche Linde!

Und müde bin ich dieser Frühlingswinde,
Die gleich um Moos und Menschenstirnen streichen.
Du Gott der Kraft, gib doch ein kleines Zeichen
Dem traurigen, in Heimweh kranken Kinde!

Sieh, meine Heimat war von jeher da,
Wo meiner Seele Fruchtgelände lagen,
Und um das Weh, daß edler Saat geschah,

Muß ich nun kraftlos und entgöttert klagen,
Denn in der Sonne, die der Rausch nur sah,
Vermochten meine Felder nicht zu tragen.


IV.
Der Freund
Es überfloß. Es sprachen alle Dinge
Von jenen Wundern, die nur halb genossen.
Des Lebens froher Sinn war mir verschlossen,
Sein Inhalt schien mir schal und sehr geringe.

Und regte wohl der Geist die matte Schwinge,
So war sein Tag wie Rauch und Schaum zerflossen;
Er kehrte heim, zergrübelt und verdrossen,
Wie wenn dies Land voll lauter Schwermut hinge . . .

Da sprach der Traum: "Wohlan, ich will dich leiten,
In meine Fremdheit hülle ich dich ein -
Dann kann dir niemand Freund und Bruder sein,

Doch siehst du dich allnächtlich selig schreiten,
Allein mit deinen tiefen Einsamkeiten,
Und untertauchen in den Pinienhain!"


V.
Die Klippe
Ihr Haupt gekrönt von stillen dunklen Bäumen . . .
Um ihren Fuß ballt sich die Woge schnell
Und schlürft behend den schmalen Felsenquell,
Um trunken in sich selbst zurückzuschäumen.

Mich dünkt es Glück, hier wegefroh zu träumen,
Das Ohr gesenkt ins spielende Gefäll
Der Wasserhügel, und die Blicke hell
Entsendet nach den blanken Ufersäumen.

Führ' mich dorthin, Gebieter meiner Nächte,
Die ohne dich duftleere Blumen sind!
Die Andacht ist der Liebe liebstes Kind, -

Führ' mich dorthin, weil ich entblühen möchte
Der Qualen unterirdischem Geschlechte,
Das meiner Seele dunkle Netze spinnt . . .


VI.
An eine junge Schönheit
. . . Und einmal sollte eine Sturmflut steigen
Und alles Land in finstrer Bängnis stehen.
Die Wogen, die um meine Klippe wehen,
Die ließen euer Schiff sich sinkend neigen.

Dann wollt' ich beten in den tollen Reigen
Und von der Flut gebietend dich erflehen.
Die Andern müßten alle untergehen,
Um deine süße Göttlichkeit zu zeigen.

Und hättest du dich dann zu mir gerettet,
So käm' die Sonne schwesterlich, und wir
Vergäßen unsrer Hüllen ganz vor ihr. -

Ich läge, wenn das Meer sich mählich glättet,
Den Kopf in deinen blonden Schoß gebettet,
Und deine warme Schönheit über mir . . .

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 59-64)

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Der Reigen

I.
Den Vorübergegangenen
So wilde Andacht hab' ich nun gehalten,
Verstrickt in meines Waldes Dunst und Schwüle -
Zermorschte Wurzeln zwang ich mir zum Pfühle
Und grub die Hände in der Moose Falten.

Da mußte diese Seele Euch gestalten
Und Euch im Sturm unfaßbarer Gefühle
Aus längst verrollter Zeiten Erdenkühle
Entfesseln zu laut fordernden Gewalten.

Und Mann für Mann - nur rätselvolle Schatten,
Ungreifbar, doch im Tiefsten mir verbunden
Durch Rausch und Qual vergilbter Liebesstunden,

Erstandet ihr -. Und eure niemals satten
Begierden haben meinen Puls gefunden
Im reifem Duft der übersonnten Matten . . .

II.
Die verliebte Stunde
Vom Fenster sprang ein übermütiger Tag!
Die dunklen Ufer tranken seine Blicke,
Der Wald erklang, in Silber stand die Brücke,
Der Laubgang zitterte im Drosselschlag . . .

Da sang ein Lied in mir - erst scheu und zag -
Und wuchs doch schnell zu ewigem Geschicke:
Es wies den alten Pfad zum Liebesglücke,
Und meines Blutes Einsamkeit erlag.

Wer will der eignen Seele Gründe kennen?
- Ein Händedruck, ein leises Namennennen,
Ein kurzes Wandern durch den Morgenfrieden -

Und schon ist es genug. Vier Lippen brennen.
Gesehn, gejubelt - - und erstaunt gemieden -
Der Hammer saust, ein Frauenlos zu schmiede.


III.
Der Dunkle
Wohl zu rechten Stunde kommst du her,
Grauen mit den tief bekannten Zügen!
Unter den zerwühlten Haaren liegen
Noch wie einst die Augen irr und schwer.

Auf den Lippen grollt ein dunkles Heer
Wüster Fragen, die dein Herz betrügen
Um ein schöpferfröhliches Genügen,
Und dein Tag blieb grau und segenleer.

Wohl zur rechten Stunde kommst du heut
Noch einmal durch meine Welt gegangen,
Die von warmen Seelen Glanz empfangen;

Flieh' aus diesem Reich der Fruchtbarkeit,
Denn für dich ist hier kein Heim bereit,
Wo die Träume selbst voll Sonnen hangen.


IV.
Der Kindliche
Und einer war, der pfiff sein helles Lied
Und hatte Wind und Wellen zu Gespielen . . .
Sein Knabenfrohsinn wußte nichts von Zielen
Und nichts von Liebe, die vor Thronen kniet.

Licht war sein Tag und Glück sein Jagdgebiet,
Wo reife Früchte in den Schoß ihm fielen,
Ihm grub das Leben keine Arbeitsschwielen,
Auf daß sein Frühlingsglanz nicht von ihm schied.

Nur Seele war er, war nur Rausch und Klang,
Nur eines Mittags knapp erschlossene Blüte,
Nur eines Maitags starke Sonnengüte,

Nur einer Kehle goldener Überschwang . . .
Ich aber eilte krausen Wegs entlang -
Und weilte, bis sein Wesen mich durchglühte . . .


V.
Der Gehaßte
Und einer war, des Hand lag über mir
Wie Schicksalshand,
Und meine Seele wand
Sich hilflos und entgöttert unter ihr.

Da war ich nichts wie ein geducktes Tier,
Vom Eisenband
Niederer Lust umspannt,
Nur Aug und Tatze - Angst und wilde Gier!

- Ich grüble viel, wie es wohl möglich war,
Daß mir mein Eigenstes so ganz entrückte,
Daß meines Wesens Bronnen, gut und klar,

Sich durch das Moor verruchter Fäulnis bückte,
Und jener Geist, jeglicher Güte bar,
Sich mit den Farben meiner Knechtschaft schmückte . . .


VI.
Der Ungekannte
Dich kenn' ich nicht! - Wenn wir mit wachen Sinnen
Durchschritten diese Welt der Nichtigkeiten,
So würde ewiges Grauen uns geleiten,
Und unsere Seelen flöhen bald von hinnen.

Wir aber schreiten blind. Die Jahre rinnen
Um unsern Fuß zu den Vergessenheiten,
Und wir versuchen noch, im schnellen Schreiten
Ein flatternd Blütenglück uns zu gewinnen.

Dich kenn' ich nicht! - Und doch bist du im Reigen?
So bist du, den in allen Liebesstunden
Mein Puls gesehnt, und den ich nie gefunden? -

Ach, meiner Jugend Blüte will sich neigen -
Bist du der Tod, so laß den Kreis sich runden
Und nimm mich mit ins wesenlose Schweigen!


Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 69-74)

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Zwiegespräch

Die Flöte spricht zum Knaben:
Schon quillt der Abend aus dieser Stunde,
Und nach dem Pirol lüstet's die Eiche . .
Küsse die Töne mir aus dem Munde,
Daß ich dem goldenen Pirol gleiche!

Jetzt noch umspielen uns rötliche Säume,
Aber das Wunder des Tages entflieht,
Und durch die krausen Gehänge der Bäume
Schüttet der Mond uns Tränen und Träume
In unser Lied . . .

Der Knabe spricht zur Flöte:
Wie wenn du ein Mädchen wärest!
Wie meine Lippe an dir sich kühlt!
Wie du so zärtlich die Finger beschwerest,
Wie du dich wehrest und Wonnen lehrest,
Die meine Seele noch nie gefühlt! -

Aber die Nacht gibt mir Träume und Tränen,
Und die Lieder des Abends zerfließen - -
Siehe, ich möchte vor lauter Sehnen
Mein Blut in die fliehende Sonne gießen!

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 82-83)

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Die Venusfahrt
Ein Rokkokkostücklein

Es fuhr ein Wagen über Meer
Von Gold und Edelrubin -
Da schwammen zehn schöne Meerfräulein her:
"O parapila! Der Wagen ist leer,
Sitzt niemand, sitzt niemand darin. . .

He, Fuhrmann, für wen ist dein Wagen so fein
Von Gold und Edelrubin?
Wir sind zehn schöne Meerfräulein,
Wir geben wohl bunten Perlmutter dir drein,
Läßt du uns fahren darin!" -

- - Da schwang er die Gerte aus perlendem Tang,
Die gab einen lustigen Ton,
Die Rosse schäumten, die Meerflut sang.
- "Ich fahre die klingende Küste entlang,
Da steht ein smaragdener Thron.

Die Allerlieblichste sitzt darauf,
Als Szepter ein Herz in der Hand -
Hohü, meine Rößlein, nun steht im Lauf:
Frau Venus, steig' auf, Frau Venus, steig' auf,
Es wartet das feiernde Land. -"

Und wie sie den Fuß von dem Felsen hob,
Da sprang eine Blume vom Grund,
Und wie sie das Schloß von dem Gürtel schob,
Und wie ihr die Sonne ein Kränzlein wob,
Da lachte ihr feuchtroter Mund.

Da glühten die Küsten, da reifte der Wein,
Da sehnten die Mädchen sich sehr.
Die Lieblichste sagte: "Die Welt ist mein!" -
Und Erde und Himmel gaben sich drein,
Und es ging ein Jauchzen durchs Meer! -

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 84-85)

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Das Weib
Eine Ballade aus dem Lande Leidenschaft

Der Richter trat ins Kerkerloch:
- "Und hast du ein Begehren noch,
Wir wollen dir's erfüllen.
Karg ist bemessen deine Zeit,
Doch achtet unsre Obrigkeit
Des Sünders letzten Willen." -

Da sprach sie: "Seht, ich bin so heiß,
Mein Mann, der alte Zottelgreis,
Hat darum sterben müssen.
Und weil's im Blut mir hüpft und lacht,
Laßt in der letzten nackten Nacht
Mich meinen Henker küssen."

Der Richter schrie: "Sei Gott dafür! -
Nun steht dies Weib an Todestür . . .
- Doch wässert's ihm im Munde:
Ein junges Blut, ein guter Wein!
Da möchte mancher Henker sein
um solche Liebesstunde! -

Der Mond hing mit gelassner Hand
An jede kahle Kerkerwand
Viel Strahlenkranzguirlanden,
Der Henker kam und war wie Erz -
Allein des tollen Weibes Herz,
Das tanzte ihn zu Schanden.

Ihr Lager war das Dielenbrett,
Ihr warmes Fleisch sein Daunenbett,
Bis alle Sterne gingen.
Dann rief sie hell: "Der Tag bricht ein,
Nun muß mein Liebster Henker sein,
Bald wird das Glöckchen klingen! -"

Und als die letzte Stunde kam,
Dem Henker ward der Arm so lahm,
Er konnt' sie nicht erschlagen . . .
Sie lachte, daß es weithin klang:
"Nun liebt' ich ihn die Mondnacht lang,
Nun mag er's nicht mehr wagen!" -

- Heidi! Wie hieb der Henker gut!
Sein eigen Hirn, sein eigen Blut
Troff von des Weibes Armen.
Die Richter standen rings im Kreis
Und waren wie der Kalk so weiß
Und elend zum Erbarmen.

Da sprang des Henkers roter Knecht . . .
Und der verstand sein Handwerk recht,
Der riß sie an den Brüsten
Mit Metzgerhand zum Sünderstein -
Sie trank den Streich wie guten Wein
Und starb in wilden Lüsten! -

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 89-91)

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Liebesspiel

Einst kam der Tod auch in ein Freudenhaus,
Ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle,
Das feinste Fräulein fand er bald heraus
Und lud galant es zur Champagnerbowle.

Da hob nun an verliebte Causerie:
Er sprach von seinen vielen Weltenfahrten,
Sprach unterhaltsam und piquant - und sie
Sprach von dem Weg durch Aphroditens Garten.

Wie malte sie so sanft und so beredt
Der Freuden Fülle, die sie dort genossen
Und pries des Eros krauses Blumenbeet,
In dem die Blüten vielgestaltig sprossen.

"Ei", sagte sie, "mit niemand tauschte ich,
Denn so viel Tage, wie mein Leben währte,
So oft tat meines Pförtchens Riegel sich
Für jeden, auf, der Einlaß nur begehrte . . .

Ich geizte nie, und jedem Manne ward
Was er gewünscht. Ich lieh mich allen Trieben,
Und stolz bekenne ich es: Keine Art
Der Liebe ist, die ich nicht weiß zu üben."

- "Doch eine Wollust", sprach ihr Partner, "ist
Dir dennoch fremd! Laß mich dir heute zeigen,
Wie man ein Weib in meiner Heimat küßt,
Und mach auch diese Kunst dir noch zu eigen!" -

- Und seine Hand strich westwindleis ihr Haar
Und bog sie still und zierlich zu sich nieder.
Ein Schauer, der unendlich Sehnen war -
Noch nie gefühlt, durchflammte ihre Glieder.

Im Glase sprang der letzte Tropfen Wein,
Und in des Mannes Arme sank sie müde
Und schlief in seinem Schoße lächelnd ein -
Der Cavalier sprach wie ein Priester: "Friede!"


Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 96-97)

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Nacht

Wieder leb' ich eine jener Nächte,
Wo die Seele lachend Stern an Stern
In die Ewigkeiten tropfen möchte,
Und mein Leib fühlt seine Schwere kaum . . .

Und in dieser Nacht - denn du bist fern -
Muß ich in gestaltendunklen, feuchten
Waldesgründen wie in Rausch und Traum
Meine ganze Seligkeit zerleuchten.

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 101)

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Dem Geliebten entgegen

Und feiern will ich, was mir heut gelang,
Den Tag, der nur ein wehender Gesang,
Ein einzig Lied gewesen! -
Der Abend kommt auf bunten Wolkenwegen,
Ich schreite großen Auges ihm entgegen,
Denn eine Sehnsucht hab' ich zu erlösen! -

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 101)

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Feierabend

Buschumgürtetes Land -
Leise fällt ein Gewand!

Welle löst sich vom Stein,
Sterne tropfen darein.

Durstig trinkt Glied um Glied -
Welle umtanzt mich und flieht!

Welle klingt und zerschellt -
Welt taucht atmend in Welt . . .

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 102)

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Verheißung

Wenn aber nun die Wolken ruhn
Auf ihren Firnenkissen,
Dann will ich deinen Händen tun
So Liebliches, daß sie nicht wissen,
Wie sie sich biegen, schmiegen müssen! -

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 102)

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Als sich der Tag neigte

Trinke mein Freund, denn es quellen die Stunden
Voller über die festlichen Wände -
Schimmernde Rosen sind unsere Hände,
Noch in die Zagheit der Knospe gebunden.

Feierlich muß uns der Spiegel die roten
Tücher der Sonne zu Füßen breiten,
Aber die Schatten, die ihnen entgleiten,
Sind schon des Abends willkommene Boten.

Wenn sie dann kommt, die erlösende Kühle,
Werden die Blumen des Tausches erbleichen,
Und es wird unter stillerem Zeichen
Schreiten die Göttin der großen Gefühle.

Über uns werden die Sterne erglühen
Und mit uns tauchen ins dunkle Gelände,
Und die Knospen unserer Hände
Werden sich öffnen und blühen - blühen . . .

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 103)

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Blüh' auf!

Blüh' auf, du Rose meiner Leidenschaft!
Alle Wesen mögen dich tränken,
Tränken mögen dich Zeiten und Dinge . . .
Daß dein Duft durch die Lande quölle,
Und die Greise die Kirche vergäßen,
Wie die Jugend des Leides! -
Blühe auf!

Noch immer mein' ich, in deinem Schoße
Birgt mir der Stein sich, den ich erträumte
In den Jahren der Mädchenherbheit . . .
Blühe auf, meine Rose,
Daß ich ihn sehe,
Vielkantig und edel,
Den Stein meiner Sehnsucht,
Der in sich schließt
Wie strahlende Gottheit
Alle Fülle und alles Leben! -

Aus: Neue Gedichte von Margarete Beutler
Bruno Cassirer Verlag Berlin 1908 (S. 109)

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Zwischen Mittag und Abend

Nun gewandet euch ein in schwere Rhytmen, Gedanken,
Wandelt die dunkle Allee jener Cypressen hinab,
Kräuselt die Stirn voller Ernst und schöpft aus dem Bronnen der Weisheit
Alter Geheimnisse Kraft, wuchtiger Worte Gepräng!
Die ihr so oft euch gesellt den Stunden an regnichten Tagen,
Heute im sonnigen Land leitet mich treulich ans Ziel!
Zwiesprach halt’ ich mit euch mit würdig verzogener Braue,
Daß sich Eros erschreckt im Oleander verbirgt.
O, mein Knäblein, ich weiß, du hast für mich eine Schwäche,
Doch gedulde dich heut, bis sich die Sonne geneigt:
Wenn violettes Gewölk enttaucht den gewaltigen Bergen
Und auf den Wassern des Sees silbern die Sichel sich wiegt,
Dann verschenk' ich mich neu, dann fallen die schweren Gewänder,
Unter Lachen und Lust schürzt sich das lockere Lied!
Dann, o Eros, ist's Zeit, den blühenden Busch zu verlassen
Und mich tanzenden Schritts hin zum Gestade zu ziehn!

Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 3)

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Zu Zweien

Schimmernde Flügel bewegen die dunkelnden Wasser,
Fliehen und suchen und sinken und heben sich wieder;
Leise verzittern die Wellen in schwingenden Kreisen,
Und an dem schwebenden Weidengefieder zuckt bläulich
Schmal die Libelle.

Wie es so fürstlich sich schweigt in den schwankenden Schatten
Tiefer Gedanken, gestaltender Träume zu zweien,
Wenn in der Feierlichkeit der gesegneten Stunde
Fernes dem Geist sich enthüllt und die Seelen entzündet
Allem Geheimnis!

Aber derweilen, entrückt in olympische Zonen,
Wissen wir gar nicht, daß unsere zärtlichen Hände,
Müde der göttlichen Höhe, wie fröhliche Kinder,
Spielen das köstliche Spiel von Libelle und Wasser,
Suchend und fliehend.


Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 4)

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Mädchentränen

Sieh, wie tropfen Blüten auf jene Stelle,
Wo du standest, Sehnsucht im kleinen Herzen
Deine Arme hobest ins Licht und Tränen
Weintest um Liebe!

Solche Tränen sammelt die Mutter Sonne,
Und sie werden leuchtende Blumenblätter;
Busch und Baum muß strahlen im Glanze ihrer
Schneeigen Sterne!

Tröstend gab die Nacht dir ihr seidnes Kissen —
Doch nun staune, Liebliche! Wo du standest,
Tauen nieder, zierlich verwandelt, die du
Weintest um Liebe!


Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 5)

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An einen Stein

Aus den Grotten Catulls nahm ich mit lüsterner Hand
Dich als köstliches Gut, atemlos, da ich dich fand.

Zornig rauschte der See, als ich behutsam dich trug
Und mein kindisches Herz stürmischer gegen dich schlug

Eilig ließ ich mit dir, fast wie in ängstlicher Flucht,
Ganz in Sonne getaucht Sirmios zärtliche Bucht. —

Und nun ruhst du bei mir, hier in der nordischen Stadt:
All dein Leuchten entschwand, seelenlos scheinst du und matt.

Doch zu Zeiten geschieht's, daß mich ein Durst überfällt
Nach der prunkenden Lust deiner versunkenen Welt.

Dann ergreif ich dich wild, halte dich schmerzlich und fest,
Bis dein Leben erwacht, gegen die Stirne gepreßt;

Bis du endlich von mir Pulsschlag und Seele empfängst
Und mir trunkenen Wein seltner Erinnerung schenkst:

"Sprich! Was hast du gesehn? Bronzener Glieder Gerank?
Tänze in Wollust und Glut? Feste voll Wein und Gesang?

Junge Leiber im Schmuck? Fessellos üppiges Spiel?
Laubengänge im Duft? Grotten als Liebesasyl?

Lose Knaben am Strand? Liebliche Mädchen im Bad?
Faun und Nymphe gepaart? Ruhende, selig und satt?

Nächte, sternüberströmt? Morgenrot, göttlich und frisch?
Blütentropfend im Tag Lorbeer und Taxusgebüsch?

Sahst du Sirmios Herrn? Stand er nicht still und versehnt
Oft im schwindenden Licht gegen den Abend gelehnt?

Er, der frohe Catull, dem sich die Freude ergab,
Dem das Lachen gehorcht und der umwundene Stab?

Ward dem Spötter nicht auch, Zukunft zu sehen, verliehn?
Wuchs inmitten der Lust Not nicht und Grauen um ihn?

Sah in Ohnmacht und Groll er nicht sein 'Perlchen' entstellt,
Sieche Frauen im Schutt seiner vergessenen Welt?

Hat in bitterem Weh über dies flüchtige Sein
Seine Hand dich berührt und dich geliebkost, o Stein? — —

Klinge, Stein, von Catull, klinge von Wollust und Leid
Mir, dem törichten Kind einer entgötterten Zeit!"


Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 6-7)

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Der kühle Tag

O Tag, so kühl und sonnensatt
Hast du dich in die Welt geschmiegt!
So kühl wie dieses Rosenblatt,
Das zwischen meinen Lippen liegt,
So kühl wie jene Mädchenhand,
Die über meine Stirne ging,
Kühl wie ein seiden Nachtgewand,
Kühl wie ein weißer Schmetterling!

Was tu' ich nun mit meiner Glut,
Die in die Sonne lechzt und drängt,
Wo du mit einer Schleierflut
Von Wolken mir das Licht verhängt?
Trag' ich nun still mit heißer Hand
Recht wie ein wartekrankes Kind
Mein rotes Herz durch müdes Land
Bis an den grauen Abendwind? —


Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 8)

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Im Spiegel

Ach, du Verliebte,
Wie mein' ich mich selber
In dir zu erkennen,
Wenn deine kleinen
Sehnsüchtigen Füße
Wandern im Zwielicht!
Da wissen die Büsche
Von Obdach und Zuflucht
In Schauer und Dunkel;
Da lachen die Quellen
Mit blitzenden Augen
Und senden dir eifrig
Das rieselnde Rinnsal,
Die purzelnden Bäche
Und stürzenden Wasser,
Den Durst dir zu löschen!

Da blinzeln die Sterne
Verschwiegen und lüstern,
Indessen die Moose
Gefällig sich ducken,
Indessen die Meisen
Die wohlige Wärme
Im Nestchen dir rühmen,
Und nur die zwei Igel
Im Krautwerk dich pfauchend
Und schnaufend verwarnen:
"Auch Liebe macht Arbeit."
Ach du Verliebte,
Wie mein' ich mich selber
In dir zu erkennen,
Wenn deine kleinen
Sehnsüchtigen Füße
Wandern im Zwielicht!


Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 10-11)

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Clement Marot an sich selbst

Ich bin nicht mehr, der ich gewesen
Und werd' es nimmer wieder sein;
Mein Sommer ohne Federlesen
Sprang meinem Frühling hinterdrein.
Eins aber weiß ich: Du allein,
O Liebe, hast mir Glück gegeben!
Und lebt' ich noch einmal dies Leben,
Es wär' noch schrankenloser Dein!


Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 33)

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Volkslied
(aus Molière: Misanthrope)

Und gäb' mir der König Paris,
Paris, seine goldene Stadt,
Und wollt', daß ich jene verstieß',
Die mein Herz in den Händen hat;
Ich spräch: "König Heinrich, nimm hin,
Nimm hin deine goldene Stadt,
Weil ich selig bei der lieber bin,
Die mein Herz in den Händen hat!"
O du Liebe, du Meine du!


Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 34)

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Die Puppe

Liebe Puppe,
Wohlfrisierte kleine Puppe,
Wie hast du es leicht!
Du wendest das Köpfchen
Nach rechts und nach links,
Du lächelst, du schmollst,
Du weinst, du lächelst,
Und wenn man dich aufzieht
Am Knopf des Gefühlchens,
Des einzigen kleinen
Dir eignen Gefühlchens:
Der Liebe zu dir,
Zu dir, kleine Puppe,
So tänzelst du zierlich
Und neigst dich dankend
Dem Schwarm deiner Freunde,
Und äugst unter seidnen
Gebogenen Wimpern,
Ob du ihn nicht siehst,
Den schmerzlich ersehnten,
Ergebenen Diener,
Der an dem Knöpfchen
Des einen Gefühlchens
Dich liebevoll aufzieht
Bis an dein Ende,
Dein Puppenende . . . .
Wir aber, entartet
Und vielfach geschmäht,
Wir andern, wir Ernsten,
Wir Dunklen, wir Schweren,
Wir Trägerinnen
Geheimen Wissen
Wir Deuterinnen
Uralter Runen,
Wir keuchen und brechen
Fast unter der Last
Des gnädigen Schicksals,
Das sie uns gab,
Unsre sehende Seele,
Von der du nichts weißt. —
O liebe Puppe,
Wohlfrisierte kleine Puppe,
Wie hast du es leicht!


Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 40-41)

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Der Junitanz auf der Bergwiese

"— Ach sieh nur, die Botschaft, die man mir gab!
Ich trug sie behutsam zu dir hinab.
Im Blühen trieb ich da oben um,
Ein singendes Evangelium;
Und jeder Halm, jeder Stempelknauf
Hängte ein Flöckchen Liebe mir auf.
Ich sage dir, Liebster, das ist eine Last,
Wenn man sich so mit der Liebe befaßt!
Von oben bis unten bin ich übersät —
Nun mach' ich den Wind, der zum Brauttanz weht!
Nun mach' ich den Sturm, der da rüttelt und packt:
Da tanzt es, das Völkchen, im göttlichen Takt!
Da wimmelt und wogt es, gebläht und geschwellt,
Sucht jedes ein Plätzchen, das ihm gefällt!
Sucht jedes sein Schätzchen — nur ich armes Tier
Steh' gänzlich verwaist da — Komm, tanze mit mir!" —

Aus: Leb' wohl, Boheme! Ein Gedichtbuch von Margarete Beutler
München und Leipzig bei Georg Müller Verlag 1911 (S. 93)

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Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Margarete_Beutler



 

 


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