Mewlana Abd ur Rahmân ibn Achmed

Dschami

(1414-1492)

Aus dem Diwan

(in der Übersetzung von Friedrich Rückert)


Teil 9


Gestern war mein Aug' entschlafen, und mein Glück war aufgewacht;
Meines Freundes Traumbild war mein Herzgespiel die ganze Nacht.

Ihn im Schlaf zu sehn, das brachte doch das einmal wache Glück;
Viel von diesem schläferigen Glück ist's, dass es das gebracht.

Jedem Zuckerlächeln, das von seines Munds Rubine floss,
Weinte gegenüber Edelsteine meines Auges Schacht.

Nur die Süssigkeit der Worte, die er sprach, behielt mein Herz,
(Gott, o Gott, wie hat er seine Zuckerwörtchen süss gemacht!)

Ach, die Worte selbst vergass ich, die er sprach, wiewohl mein Geist
Sie zu wiederholen nachtlang bis zum Morgen war bedacht.

Nacht ist mir der Tag im Auge ohne seiner Wange Licht;
O des süssen Tags, da nächtlich seine Wange mir gelacht!

Süsser Schlaf sei, o mein Auge, dir vergönnt, da heut im Schlaf
Dschami das gesehn, wonach er all sein Lebelang gewacht!
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Nächtlich ist der Zustand meines Herzens wirrer als dein Haar,
Stündlich streut mein Auge mehr noch als dein Mund Juwelen klar.

Zwar vom Bache weggehn kann nicht die Zipresse, doch sie steht
Zitternder als Schilf am Bache, wo dein Wuchs sich stellet dar.

Willst du einen Kuss, so sprachst du, oder böser Worte zwei? -
"Liebes Herz, du weißt, dass immer minderes das bessre war."

Wen um die Rathlosigkeit der Liebe, die von dir mich traf,
Ich um Rath befrag', ich find' ihn hundertmal rathloser gar.

Deine Liebe in der Seele, Seel' im Herzen, Herz im Leib
Berg' ich, und noch besser zu verbergen wünscht' ich sie fürwahr.

An der Glut des Herzens wäre mir verbrannt so Hemd' als Kleid,
Wenn nicht meines Auges Wasser heilte feucht das arme Paar.

Da die Nachtigall im Garten klar den Preis der Rose singt;
Wer soll Dschami's Lieder singen? wer noch einmal singt so klar.
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Die Nachtigall hub, um sich selbst zu retten, an zu schlagen,
Da sie nicht auszuhalten mehr vermochte meine Klagen.
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Aus dem Saitenspiel des Herzens lockt der Kummer dumpfe Klänge,
Seit ihm zur Besaitung fehlen deine seidnen Lockenstränge.
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Was ist geworden aus dem Köcher des Türken, der die Herzen bricht?
Ein Pfeil mit giftgetränkter Spitze ward meiner Seele lange nicht!
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Der Trennung Glutwind sengt die Au, der Liebe Wolk' ist ohne Thau,
Es welkt des Herzens Ackerbau, und Regen säumt zu lange.
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Weil der Erhörung Morgen lacht am Ende doch der Kummernacht,
Wenn auch die Nacht es lange macht, o Dschami, sei nicht bange!
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Hin geh' ich jeden Augenblick, und sehe, kommt er jetzt einmal?
Für hundertmale, welch ein Glück, wenn er nun kommt zuletzt einmal!
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Er, mein Herzleid, kommt mir nimmer; Sprichwort, o wie lügest du,
Dass man sagt: wer Herzlieb' hat, hat stets sein Herzleid auch dazu!
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So verlier' ich meinen Kopf, wo ich zu dir thu' einen Schritt,
Dass mir's vorkommt wie die Thür, wo mir die Wand entgegen tritt.
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O Zipressenzweig! der Himmel hat dich meiner Brust versagt;
Sonst, vom Lebensgarten hättest du allein mir zugesagt.
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Darum wie die Wolke löste sich mein Aug' in Thränen nur,
Weil die Liebeshuld des Freundes wie ein Blitz vorüber fuhr.
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Dschami trug, solang er lebte, deiner Liebe Leid im Sinn;
Seines Lebens zwei drei Tage bracht' er leidlich lieblich hin.
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Der du unsres Wehs dich freuest, ohne Sorge darfst du sein,
Denn von dir im Herzen werden wir stets haben Weh und Pein.
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Wer war der trotz'ge Reiter, der jüngst den Köcher schnürte,
Doch unterm Brauenbogen die Blick' als Pfeile führte!

Kein einz'ges Herz im Busen von allen, die ihn schauten,
Das nicht vom Brauenbogner ein Strahl zum Tode rührte.

Kein frommer Herzensspeicher, der da entging der Flamme,
Wo seines  Renners Hufschlag im Kiesel Funken schürte.

Des Lebens Faden boten zur Schnur an die Verliebten,
Wo seines Hengstes Zügel der Ungestüm entschnürte.

Er flog vorbei, ich staunte ihm nach; was sollt' ich machen,
Da heftig ging sein Rösslein, mein Thier sich langsam rührte!
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Von jener Lippe redet die Seel' in nächt'ger Stunde,
Der Papagei bewahret vom Zucker eine Kunde.

Wer von des Paradieses gewürztem Quell' erzählet,
Beglaubigt die Erzählung mit jenem würz'gen Munde.

Er hat sich von der Seite geschafft die falschen Hüter,
Und sich an unsre Seite gestellt mit treuem Bunde.

Sein Schelmenauge zücket das Schwert der Seelenkränkung,
Doch sein Rubin, der Spender des Lebens, schirmt die Wunde.

Wozu bedarfs, um Dschami zu tödten, eines Schwertschlags?
Ein Augenblick genüget dazu ihm jene Stunde.
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Der Liebesbrief mit farbiger Aufschrift

Bothe, bringst du diesen Brief ihm, bring' nicht meinen Namen vor!
Vom Gered der Leute ward mein Name lästig seinem Ohr.

Das genügt zum Commentare der vollkommnen Liebesglut,
Dass mein Auge dieses Blattes Aufschrift farbig macht mit Blut.
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Der Liebende gab auf den Geist, der Kaaba zuzueilen;
Der Fromme sitzt indessen und fragt nach Zahl der Meilen.
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Ueber Herzenshärte setzt Dschami den Freund zur Rede;
Dünnes Glas mit hartem Stein lässt sich ein in Fehde.
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Nirgend deines Rosses Huftritt sieht in Altarform geprägt
Ein Verliebter, der darauf nicht seine Stirn anbetend legt.
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Das Herz, die Laut' in Kummers Hand, hat angestimmt kein Lied,
Darein mit Einklang fiele nicht ein Strom vom Augenlid.
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Ich selber wage nicht den Blick, und es erträgt ihn nicht;
O zieht des Schleiers Scheidewand von jenes Angesicht!
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Wenn mein Leib erkrankte, bringet übern Hals den Arzt mir nicht!
Freunde, wenig liegt am Leibe; denket an das Herz, das bricht!
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O Dschami, schweigen lass dein Wort! denn der, zu dem es spricht,
Merkt den Geheimsinn und versteht die Gleichnisrede nicht.
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Von deinem Gram hab' ich gezehrt in dieser Welt; nun sende
Den letzten, der für jene Welt mir Reisezehrung spende!
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Sieh den Umfang seiner Huld an, und gerathe nicht in Zorn,
Stolze Rose, dass der Gärtner heget auch den Hagedorn.
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Mit der Seele wollte gehn der Leib auf des Geliebten Spur,
Doch die Seele ging so schnell, dass nicht ihr Gehn der Leib erfuhr.
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Aus: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft
29 Band (1875) S. 191-198
 

 

 

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