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      Raimon von Miraval 
      (um 1200) 
       
  
      
      Mich quält ein doppeltes Bestreben, 
      Lieb' oder Geist, wem soll ich traun? 
      Sing' oder sing' ich nicht die Fraun, 
      So lang' ich weile hier im Leben? 
      Gründe hab' ich groß und schwer, 
      Daß ich singe nimmermehr. 
      Doch sing' ich schon, denn Lieb' und Jugendsinn, 
      Und Klugheit lehrt mich, reizt mich, reißt mich hin. 
       
      Und ließ ich ehdem mich nicht eben 
      Gewandt und froh und höflich schaun, 
      Muß jetzt ich zu gefällgen, traun, 
      Worten und Thaten mich erheben. 
      Solche Dam' ist mein Begehr! 
      Und misfälliger Verkehr 
      Zieht Ihren Blick zu keinem Bulen hin; 
      Zu edel ist Ihr Thun gleichwie Ihr Sinn. 
       
      Empor zur Hohen will ich streben, 
      Doch nicht zu Ihrem Schaden, traun! 
      Verrieth mich eine von den Fraun, 
      Soll ich drum Streit und Zank erheben? 
      Nein, ihr würd' es frommen mehr, 
      Wenn ich mich vergienge schwer. 
      Der schaden Fehler nicht, die schlecht von Sinn, 
      Sie hat von Streit ja und von Spott Gewinn. 
       
      Mit so geehrter Herrschaft eben 
      Ließ ich mich immer wahrhaft schaun. 
      Vor Kummer, Misgeschick und rauhn 
      Begegnungen sollt' ich erbeben? 
      Was will doch das Lügnerheer 
      Und ihr heimlicher Verkehr? 
      Ich weiß, daß von Verlust, wie von Gewinn, 
      Von Lust und Leid ich heimgesuchet bin. 
       
      Es bücke sich, wer sich will heben! 
      Wächst doch an Reiz die Frau der Fraun, 
      Gleichwie die Blumen auf den Aun 
      Im Sommer höhre Lust uns geben. 
      Doch als ob es Sommer wär' 
      Immer, so strahlt Sie daher! 
      Mit Antlitz, Mienen und Gespräch voll Sinn 
      Reißt Sie die Blick' und Herzen Aller hin. 
       
      Um Sie lieb' ich die Bäum' und Reben, 
      Gebüsche, Hecken, Gärten, Aun, 
      Klug', edle, dumm' und schlechte Fraun, 
      Und wem das Dasein sonst gegeben 
      Jenes Frankenland, woher 
      Sie entstammt, so hoch und hehr. 
      So sehr nach Ihr strebt mein Gedank' und Sinn, 
      Daß anderswo ich in der Welt nicht bin. 
       
      Frau Alazais ist mehr 
      Als blos gut, ist schön und hehr. 
      Wer unhold Ihr, dem störe Gott den Sinn! 
      Und mag das Ende gleichen dem Beginn! 
      
       
      
      
       
      
      Nachgedichtet von Karl Ludwig Kannegießer (1781-1861) 
       
      Aus: Gedichte der Troubadours 
      im Versmaaß der Urschrift übersetzt 
      von Karl Ludwig Kannegießer 
      Tübingen 1852 (S. 258-260) 
      
       
      
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      Mich freut des Sommers süße Zeit, 
      Mich freut's, wenn Vogelsang erschallt, 
      Auch freut mich grünbelaubter Wald, 
      Mich freut der Auen grünes Kleid: 
      Doch, Herrin, Ihr freut hundertmal mich mehr, 
      Und Euch zu dienen, freuet mich gar sehr. 
      Doch Ihr willfahrt mir immer gnädiglich; 
      Der Wunsch zu sterben drum erfreuet mich. 
       
      Ein Wunsch erweckt mich, größer weit 
      Als andre Wünsch' an Vollgehalt, 
      Der Wunsch, daß Eure Huldgestalt 
      Mir wünsch' und schenke Seligkeit. 
      Im Kuss verdoppelt Wunsch sich und Begehr, 
      Und wünscht dann sonder Täuschung immer mehr. 
      Laßt nicht im Wunsch, o Herrin, sterben mich! 
      Denn wünschend freue man der Liebe sich! 
      
       
      
      
       
      
      Nachgedichtet von Karl Ludwig Kannegießer (1781-1861) 
       
      Aus: Gedichte der Troubadours 
      im Versmaaß der Urschrift übersetzt 
      von Karl Ludwig Kannegießer 
      Tübingen 1852 (S. 261) 
      
       
      
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        Biographie (engl.): 
        
        
        http://en.wikipedia.org/wiki/Raimon_de_Miraval    
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