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      Edmund Blair Leighton 
      (1853-1922) 
      Abaelard und seine Schülerin Heloise (1882)  | 
      
        
       
      Gottfried August Bürger  
      (1747-1794) 
       
       
      Heloise an Abelard 
      Frei nach Popen 
       
      Hier im Schauer tiefer Totenstille, 
      Wo die Himmelstochter Andacht wohnt, 
      Und Melancholie in schwarzer Hülle 
      Sinnig mit gesenktem Haupte thront, 
      Was will hier entflammter Triebe Hader 
      In der gottgeweihten Jungfrau Brust? 
      Warum glüht ihr noch in jeder Ader 
      Rückerinnerung entflohner Lust? - 
      Immer noch zu Liebe hingerissen, 
      Immer noch durch dich, mein Abelard, 
      Muß ich den geliebten Namen küssen, 
      Welcher mir so unvergeßlich ward. 
       
      Süßer Zaubername, dem das Siegel 
      Heiliger Verschwiegenheit zerspringt! - 
      Birg, o Herz, ihn tiefer unterm Flügel 
      Da, wo Liebe wild mit Andacht ringt! 
      Schreib' ihn nicht! - Doch ach! was hilft mein Wehren? - 
      Rasch Hand, du schriebst ihn ja schon hin! - 
      Löscht ihn wieder aus, ihr meine Zähren! 
      Rettet, rettet die Verräterin! - 
      Ah! Die Arme, die vor Schuld erbanget, 
      Schluchzt und weint umsonst, umsonst ihr Ach; 
      Was gebieterisch das Herz verlanget, 
      Schreibt die Hand nur allzu willig nach. 
       
      Mitleidslose Mauern, zwischen denen 
      Sich die Buße langsam selbst entseelt! 
      Harte Quadern, oft benetzt von Thränen 
      Und von wunden Knieen ausgehöhlt! 
      Felsengrotten, tief in Dorn verborgen! 
      Heil'genblenden, wo die ganze Nacht 
      Christus' Braut mit ihren frommen Sorgen 
      Zu Gebeten und Gesängen wacht! 
      Bilder selbst, die ihr bei uns so kläglich 
      Weinen lernt! Mit euch in Harmonie 
      Ward ich kalt zwar, stumm und unbeweglich: 
      Doch zu Stein vergaß ich noch mich nie. 
      Nimmer herrscht da unumschränkt der Himmel, 
      Wo sich Abelard nicht bannen läßt. 
      Stets geneigt zu Aufruhr und Getümmel, 
      Hält Natur des Herzens Hälfte fest. 
      Alles Beten, alles Fasten hemmet 
      Nicht des Blutes Sturm und Drang aufs Herz; 
      Jahrelang, allein umsonst, beschwemmet 
      Wang' und Busen meiner Reue Schmerz. 
       
      Kaum entfalt' ich deinen Brief mit Beben, 
      So durchbohrt das Herz mir wie ein Schwert 
      Jener Name, traurig meinem Leben, 
      Dennoch ewig meiner Seele wert; 
      Jener Name, meines Friedens Klippe, 
      Abgestorbner Freude Monument, 
      Den der Büßerin verblühte Lippe 
      Nimmer ohne Thrän' und Seufzer nennt. - 
      Auch den meinen beb' ich zu erblicken: 
      Überall ziehn Kränkung oder Schmach, 
      Überall des Schicksals böse Tücken 
      Ihm, wie Schatten ihren Körpern, nach. 
      Meine Seufzer finden keine Weile; 
      Eine Zähre drängt die andre fort: 
      Denn ein Schwert, ein Schwert ist jede Zeile, 
      Und ein Stachel ist ein jedes Wort. 
      Schnell aus freier, goldner Frühlingshelle, 
      Wo mich warmer Liebeshauch umgab, 
      Schlang mein Leben eine Klosterzelle, 
      Kalt und düster wie die Gruft, hinab. 
      Hier verlosch die Lohe meiner Triebe 
      Vor des finstern Kirchenwahnes Hauch; 
      Und die besten, Ehrbegier und Liebe, 
      Hier zerflosen sie in eitlen Rauch. 
       
      Dennoch schreib', Geliebter meiner Seele, 
      Schreib' mir alles, alles ohne Scheu, 
      Daß mein Schmerz dem deinen sich vermähle, 
      Daß ich deiner Seufzer Echo sei! 
      Diese Macht entzogen ja der Armen 
      Ihr Geschick und ihre Feinde nie. 
      Könnte wohl, entneigter dem Erbarmen, 
      Abelard ihr mehr entziehn als sie? 
      Noch sind sie mein eigen, diese Zähren: 
      Wozu spart' ich sonst die Zähren noch? 
      Wollt' ich sie der Liebe nicht gewähren, 
      So entpreßte sie mir Buße doch. 
      Meiner matten Augen letzte Kräfte 
      Sehnen sich von nun an, spät und früh, 
      Nach dem einen seligen Geschäfte: 
      Lesen nur und weinen wollen sie. 
       
      Teile dann dein Weh mit meinem Herzen! 
      Weigre mir sie nicht, die bittre Lust! - 
      Teilen? - O zu wenig! - deine Schmerzen 
      Alle, alle schütt' in meine Brust! - 
      Traun, ein Gott war's, welcher Schrift und Siegel 
      Für ein armes Liebespaar erfand; 
      Für das Mädchen hinter Schloß und Riegel, 
      Für den Jüngling, weit von ihr verbannt. 
      Briefe leben, atmen warm und sagen 
      Mutig, was das bange Herz gebeut. 
      Was die Lippen kaum zu stammeln wagen, 
      Das gestehn sie ohne Schüchternheit. 
      Daß im Gram sich Herz an Herz erhole, 
      Herz von Herz getrennt durch Land und Meer, 
      Tragen sie von Indus bis zum Pole 
      Dienstbar auch den Seufzer hin und her. 
       
      Mann, du weißt, wie schuldlos ich entbrannte, 
      Als, besorgt vor jungfräulicher Scham, 
      Deine Lieb, die sich Freundschaft nannte, 
      Leise mich zu überflügeln kam. 
      Nicht als einen von der Erde Söhnen, 
      Nein, als ersten aus der Engel Schar, 
      Als das Urbild des Unendlichschönen 
      Stellte dich die Phantasie mir dar. 
      Süßes Lächeln, daß der Sieg nicht fehle, 
      Milderte des glanzes Flammenspiel 
      Der nun schmeichelnd mir in Aug' und Seele 
      Wie ein Tag des Paradieses fiel. 
      Arglos blickt' ich in die sanfte Klarheit, 
      Arglos lauschte dir mein offnes Ohr; 
      Doppelt wahr kam jedes Wort der Wahrheit 
      Mir auf deiner Honiglippe vor. 
      Wer die Lehre solcher Lippen höret, 
      O, der glaubt, von jedem Zweifel frei! 
      Nur zu bald ward ich durch sie belehret, 
      Daß die Liebe keine Sünde sei. 
      Wiederkehrend aus des Himmels Höhen 
      In der Erdenwonnen Region, 
      Wünscht' ich keinen Gott in dem zu sehen, 
      Den ich liebt' als holden Erdensohn. 
      Wirr' und dämmernd wie ein Traumgewimmel 
      Schwebte fern der Engel Lust mir vor, 
      Und ich gönnte Heiligen den Himmel, 
      Den ich gern um Abelard verlor. 
       
      O wie oft, zur Sklaverei der Ehe 
      Durch den Spruch gestrenger Zucht verdammt, 
      Rief ich über jede Satzung Wehe, 
      Welche nicht von freier Liebe stammt. 
      Freie Liebe bebet vor den Schlingen 
      Fesselnder Verträge scheu zurück. 
      Schnell entfaltet sie die leichten Schwingen 
      Und entflieht im ersten Augenblick. 
      Immer folge der vermählten Dame 
      Reichtum, Pomp und hoher Ehrenstand; 
      Hehr und unbescholten sei ihr Name: 
      Gegen Liebe, welch ein leerer Tand! 
      Den Betrognen, die der heil'gen Liebe 
      Nicht um ihretwillen nur sich weihn, 
      Haucht sie rächend umgestüme Triebe 
      Zur verdienten Seelenmarter ein. 
      Werfe sich der ganzen Welt Gebieter 
      Huldigend zu meinen Füßen hin: 
      Stolz verschmäh' ich ihn und alle Güter, 
      Wenn ich nur des Liebsten Holdin bin. 
       
      Fällt dir sonst ein Name, mich zu zieren, 
      Freier, süßer noch als Holdin, ein: 
      O, so laß, Geliebter, mich ihn führen, 
      Laß mich dir, was er bedeutet, sein! 
      Welch ein selig Los, wann Seel' und Seele 
      Sich einander ziehn durch eigne Kraft 
      Und, nur folgsam der Natur Befehle, 
      Liebe Freiheit, Freiheit Liebe schafft! 
      Allbesitzend immer, allbesessen, 
      Labet eins am andern sich alsdann. 
      Keine der Begierden darbt vergessen, 
      Die sich nicht in Fülle weiden kann. 
      Der Gedank' erahndet den Gedanken, 
      Ehe noch die Lipp' ihn offenbart; 
      Kaum entschlüpft der Wunsch des Herzens Schranken, 
      Als sich schon Erfüllung mit ihm paart. 
      Bild der Seligkeit! Wenn auch hienieden 
      Keine Welterfahrung sonst dir glich: 
      Uns war deine Wirklichkeit beschieden; 
      Selig waren Abelard und ich. - 
       
      Weh' mir! Welch ein Wechsel jener Szenen! 
      Was für Greuel plötzlich mir so nah'! - 
      Horch! des Hochgeliebten Todesstöhnen! 
      Nackt, gebunden, blutend liegt er da! - 
      Ha, wo war ich mit der Retterstimme, 
      Mit der hohen dolchbewehrten Hand? - 
      Ach! ich hätte des Verfolgers grimme 
      Frevelthat vielleicht noch abgewandt. 
      "Halt, Barbar, mit der entblösten Schneide, 
      Halt mit dem verruchten Vorsatz ein! 
      Rügst du Schuld, so tragen wir sie beide, 
      Beider müss' also die Strafe sein!" - 
      Ach, ich kann nicht mehr! - Von Scham befangen 
      Und von Wut, erstickt in mir das Wort. 
      Redet, Flut der Augen, Glut der Wangen, 
      Redet ihr statt meiner Lippe fort! - 
       
      Kannst du noch dir in die Seele rufen 
      Jenen feierlichen Trauertag, 
      Als gestreckt auf des Altares Stufen 
      Jegliches von uns, ein Opfer, lag? 
      Als bei tausend Thränen hoch und teuer 
      Warme Jugend sich der Welt entschwur? - 
      Dennoch ach! empfing der Weiheschleier 
      Seinen Kuß von kalter Lippe nur. 
      Rund umher erbebte Gottes Tempel; 
      Jeder Kerze sank in Dämmerung; 
      Staunend sah der Himmel dies Exempel 
      Ungebgreiflicher Eroberung. 
      Als wir drauf zum Hochaltare gingen, 
      O, wie schlug das volle Herz in mir; 
      Heloisens Aug' und Seele hingen 
      Nicht am Kreuze, hingen nur an dir. 
      Liebe, statt der Gnade, deine Liebe 
      War das Herzgeschrei der Schwärmerin. 
      Ach! Wenn diese nicht ihr übrigbliebe, 
      So wär' alles, alles für sie hin. 
      Komm dann, Liebster, komm mit Blick und Stimme! 
      Lindre mir den wilden Seelenschmerz! 
      Stimm' und Blick entzogst du ja dem Grimme 
      Deines Schicksals für mein armes Herz. 
      Laß mein Haupt an deinem Busen lauschen! 
      Laß, indem dein Arm mich fest umschließt, 
      In dem süßen Gifte mich berauschen, 
      Welches dir von Aug' und Lippe fließt! 
      Komm, o komm, du meines Lebens Leben! 
      Alle meine Wünsche rufen dich; 
      Gib mir alles, was du noch kannst geben; 
      Und was nicht - erträumen laß es mich! - 
      Himmel, nein! Genuß wie dieser werde 
      Selbst durch deine Hilfe mir zum Spott! 
      Zeige mir den Himmel statt der Erde! 
      Abelard verschwinde mir vor Gott! 
       
      Komm und hilf! - Ach, mindestens bedenke, 
      Was der guten Herde noch gebührt, 
      Die du zwischen Wald und Felsenbänke 
      Hier auf neue Weide hergeführt! 
      Du hast diese Freistatt aufgerichtet, 
      Der so manches zarte Lämmchen schon 
      Sich vor Wolf und Tiger zugeflüchtet, 
      Welche draußen seiner Unschuld drohn. 
      Deiner Großmut Gaben nur bedecket 
      Statt erschlichnen Gutes dieses Dach. 
      Ihrem väterlichen Erbe strecket 
      Keine Waise hier die Hände nach. 
      Hier belud das sterbende Verbrechen, 
      Zagend vor dem nahen Strafgericht, 
      Den erzürnten Himmel zu bestechen, 
      Den Altar mit Gold und Silber nicht. 
      Diese schlichten, ungeschmückten Hallen, 
      Die bescheidne Frömmigkeit erhob, 
      Tönen nicht von Ach und Weh, erschallen 
      Ganz allein von ihres Schöpfers Lob. 
       
      In dies Haus, vom Lärm der Welt geschieden, 
      In den Dom, von Epheu grün bedacht, 
      Rund umkränzt mit schlanken Pyramiden, 
      Und in seiner hohen Wölbung Nacht, 
      Wo hinein durch schmale, trübe Fenster 
      Wie ein stilles, hehres Mondenlicht 
      In der Wanderstunde der Gespenster 
      Selbst der sonnenhellste Mittag bricht, 
      Strömte Wonne sonst aus deinen Blicken 
      Und schuf hohen, lichten Tag umher: 
      Doch von jenem himmlischen Entzücken 
      Strahlt kein Auge, glüht kein Antlitz mehr. 
      Trübe Blicke, blaß gehärmte Wangen, 
      Schlaffe Häupter rund umher gestehn 
      Ohne Worte täglich das Verlangen, 
      Ihren Hirten wieder hier zu sehn. 
      O so komm dann! Heitre das Betrübte! 
      Komm, mein Vater, Bruder, Gatte, Freund! 
      Tochter, Schwester, Gattin und Geliebte, 
      Alles, alles fleht in mir vereint. - 
       
      Nicht des Felsen Stirn im Fichtenkranze, 
      Die sich rauschend in die Wolken hebt, 
      Noch des Hügels Rücken, der vom Tanze 
      Froher Lämmerherden lebt und webt; 
      Nicht der Waldstrom, der vom hohen Gletscher 
      Donnernd über Felsenstufen fällt; 
      Noch der Grottenquell, der mit Geplätscher 
      Tag und Nacht das Echo wach erhält; 
      Nicht des Frühlings Winde, welche säuselnd 
      Durch das Laub der Wiesenpappel wehn, 
      Noch des Teiches Wellen, die sich kräuselnd 
      Um den Flügelschlag des Schwanes drehn; 
      Nicht von allem Großen, allem Schönen 
      Spricht ein Trostwort meinem Kummer zu, 
      Nicht mit ihren besten Wiegentönen 
      Lullt Natur den Wüterich zur Ruh'. 
      Wie im Kreuzgang über Leichensteinen, 
      So schwebt überall Melancholie. 
      Über Gärten, Wiesen, Feldern, Hainen, 
      Über Thal und Hügel schwebet sie. 
      Ächzend deckt sie mit dem Trauerflore 
      Alle Schimmer, alle Farben zu. 
      Weh thut jeder Frohlaut ihrem Ohre; 
      Totenstille heischt sie nur und Ruh'. 
      Tief stimmt sie herab die höchsten Töne: 
      Tief herab der Glock' und Orgel Klang, 
      Tief und bis zu dumpfem Grabgestöhne 
      Silberhellen Feld- und Waldgesang. 
       
      Dennoch muß ich hier nun ewig weilen, 
      Ewig zwischen Gott und dir mein Herz 
      Peinlich in der bangen Öde teilen. 
      Nur der Tod bricht endlich meinen Schmerz. 
      Und auch dann zerfällt mein Staub hier, zwischen 
      Ausgelöschter Herzen Aschenrest; 
      Bis ihn, frei zum deinen ihn zu mischen, 
      Die Natur den Winden überläßt. 
       
      Ha! Verworfne, die so hochvermessen 
      An der Hand den Brautring Gottes trägt, 
      Doch im Herzen, gott- und ehrvergessen, 
      Eines Mannes Bild und Liebe hegt! - 
      Hilf mir, Himmel, wider meine Fehle! - 
      Doch - was preßte diesen Ruf mir aus? 
      Hauchte Frömmigkeit aus tiefer Seele, 
      Oder stieß Verzweiflung ihn heraus? 
      Hier noch, wo ihr Haupt in dichten Schleier 
      Kalte Keuschheit birgt, noch hier sogar 
      Finden für ihr scheltenswertes Feuer 
      Lieb' und Wollust Tempel und Altar. 
      Büßen sollt' ich zwischen diesen mauern; 
      Doch vergebens winket mir die Pflicht. 
      Den Geliebten kann ich wohl betrauern, 
      Aber das Vergehn der Liebe nicht. 
      Immer blick' ich's an, und immer lodert 
      Hoch das Herz bei seinem Anblick mir; 
      Kaum bereut es alte Lust, so fodert 
      Neu schon die sträfliche Begier. 
      Bald erheb' ich himmelan die Hände 
      Und beweine laut, was ich verbrach; 
      Bald, wann ich nach dir die Seele wende, 
      Sprech' ich aller Unschuld Hohn und Schmach. 
      Von dem Schweren, was die Liebe lernet, 
      Bleibt Vergessen stets die schwerste Kunst. 
      Wenn sie das Vergehn auch von sich fernet, 
      So begleitet's doch ihr Blick mit Gunst. 
      Haßt das Weib die Sünde wohl von Herzen, 
      Das von Herzen so den Sünder liebt? 
      Weiß ich, ob mir Buße diese Schmerzen, 
      Oder Liebe sie zu fühlen gibt? - 
      Hartes Werk, die Leidenschaft zu dämpfen, 
      Für ein Herz, so hoch wie meins entbrannt! 
      O wie oft muß Haß mit Liebe kämpfen, 
      Eh' der Friede Lärm und Aufruhr bannt! 
      O wie oft wird nicht das Herz indessen 
      Hoffen, zagen, wünschen, streben, ruhn, 
      Schmachten und verschmähn, - nur nicht vergessen! - 
      Alles sonst erleiden, alles thun! - 
      Doch, wann sein der Himmel sich bemeistert, 
      Dann - ha! wie es dann nicht bloß gerührt, 
      Nein! entzückt, belebt nicht, nein! begeistert 
      Sein erhabnes Heldenwerk vollführt! - 
      Komm, o komm und hilf den Kampf mir wagen! 
      Hilf besiegen die Natur in mir! 
      Hilf mir meiner Liebe, hilf entsagen 
      Meinem Leben, meinem Selbst - und dir! 
      Eile, mein Geliebter, und vermähle 
      Deine Braut mit Gott! denn Gott allein 
      Kann nach Abelard von ihrer Seele 
      Letzter, einziger Gebieter sein. 
       
      O wie selig, selig unermessen 
      Ist der reinen Gottverlobten Los! 
      Welt vergessend und von Welt vergessen 
      Bettet sie sich in der Ruhe Schoß. 
      Kein Gebet von ihr bleibt unerhöret, 
      Weil sie stets in Gottgenügsamkeit 
      Jeden eitlen Erdenwunsch sich wehret. 
      Fleiß und Muße teilen ihre Zeit. 
      Sie kann schlafen, wachen, lächeln, weinen, 
      Beten, singen, wie es ihr gefällt. 
      Friedlich müssen Triebe sich vereinen, 
      Die der Geist im Gleichgewicht erhält. 
      Was sie weint, das weinet sie mit Wonne; 
      Was sie seufzt, das wehet himmelan. 
      Gleich dem Strahl der milden Abendsonne 
      Lacht der Gnade holdes Licht sie an. 
      Engel, im Geleite goldner Träume, 
      Schweben säuselnd über ihrer Ruh'; 
      Engel, sanft bewegend Edens Bäume, 
      Fächeln ihr der Blüten Düfte zu. 
      Sie zur Braut sich zärtlich zu bedingen, 
      Reicht den Ring der Bräutigam ihr dar. 
      Weiße Jungfraun, Hand in Hand, umschlingen 
      Unter Brautgesängen den Altar. 
      Aufgelöst vom Klange zarter Saiten, 
      Mild umschimmert von des Himmels Strahl, 
      Wähnt sie, wie ein Bächlein hinzugleiten 
      In das ewig helle Wonnethal. 
       
      Ha! In solche Paradiesgefilde 
      Träumt sich meine irre Seele nie. 
      Ehrenlose, sträfliche Gebilde, 
      Reger Wollust Brut, umschwärmen sie. 
      Wann in Nächten, darbend an Genüge, 
      Phantasie ersetzt, was Wut geraubt, 
      Das Gewissen schläft und ohne Rüge 
      Schnöder Üppigkeit ihr Spiel erlaubt: 
      Dann entschlüpft sie ihren Schranken, stürzet 
      Wonnedürstend sich an deine Brust, 
      Und die Mitgespielin, Sünde, würzet 
      Höher, feuriger den Kelch der Lust. 
      Höllengeister, die bei Tage schliefen, 
      Spornen rascher der Begierde Lauf, 
      Rühren bis in seine tiefsten Tiefen 
      Jeden Quell der Lieb' und Wollust auf. 
      Ha! Dann blick' und lechz' ich mit Entzücken 
      Jede Blume deiner Schönheit an 
      Und umkette rund bis in den Rücken 
      Mit den Armen den erträumten Mann. 
      Ich erwach', - aus Arm, aus Aug' und Ohre 
      Schlüpft das Traumbild, liebeleer wie du. 
      Schnell verzischt es, gleich dem Meteore; 
      Seinen Schimmer deckt der Nachtflor zu. 
      Weit erstreck' ich dann die leeren Arme; 
      Rasch verfolgt es mein erwachter Blick; 
      Laut ruf' ich ihm nach in wildem Harme: 
      Doch umsonst! Es kehrt mir nicht zurück. 
      Schmachtend sinkt des müden Hauptes Schwere 
      Rückwärts auf den Pfühl zu neuem Traum: 
      "Komm zurück, du holder Taumel! Gäre 
      Wieder auf, du süßer Nektarschaum!" - 
      Nichts! - Mir dünkt, nun wandern wir zusammen 
      Durch die Schauer öder Wüstenei 
      Und bejammern, daß von unsern Flammen 
      Nirgends, nirgends mehr Erlösung sei. 
      Abgemattet von des Tages Schwüle, 
      Von der Wanderung durch Dorn und Moor, 
      Suchen wir und finden keine Kühle. 
      Schwere Dämpfe steigen grau empor 
      Und benehmen unserm müden Gange, 
      Gleich den Dünsten einer Totengruft, 
      Zwischen fürchterlichem Überhange 
      Hoher Felsenmassen, Licht und Luft. 
      Jach erhebst du dich von meiner Seite, 
      Schwebest bis zur Wolkendeck' empor, 
      Winkst mir zu aus der erhabnen Weite 
      Und verbirgst dich in der Dämmrung Flor. 
      Donnerklang und Sturm- und Stromgebrause 
      Schreckt mich wach; doch werd' ich des nicht froh: 
      Denn ich find' in meiner öden Klause 
      Alles Elend, dem ich kaum entfloh. 
       
      Anders hat zu deinem Lebensteile 
      Gütig strenge das Geschick gewählt 
      Und das Herz dir gegen alle Pfeile 
      So des Schmerzes wie der Lust gestählt. 
      Seinen gleichen, sanften Schlag beflügelt 
      Nie ein rasches, wild entflammtes Blut. 
      Deines Geistes stille Großmacht zügelt 
      Die Begier und wehrt der Überflut. 
      Ruhiger lag nicht in seinen Tiefen, 
      Als noch angefesselt der Orkan 
      Und die Kräfte der Bewegung schliefen, 
      Ruhiger lag nicht der Ozean; 
      Sanfter schlummert aus der Welt Getümmel 
      Nicht der Gottversöhnte sich ins Grab; 
      Milder leuchtet nicht der offne Himmel 
      In sein halbgebrochnes Aug' herab. 
       
      Sei mir dann, sei nochmals her entboten! 
      Denn was fürchtest du mein Angesicht? 
      Komm, o Abelard! Denn unter Toten 
      Zündet ja der Liebe Fackel nicht. 
      Kalt versagt Natur dich süßem Scherze; 
      Gott verdammt, was heiße Liebe schwärmt; 
      Ach! Sie lodert gleich der Totenkerze, 
      Die kein Leben in die Urne wärmt. 
       
      Was für herzentweihende Gebilde 
      Stellen sich mir allenthalben dar! 
      Ich mag betend wandeln im Gefilde, 
      Ich mag knieend beten am Altar: 
      Unter meiner Sehnsucht Hauch verdunkelt 
      Und verzehrt mein Morgenlämpchen sich; 
      Hell an jeder Betkoralle funkelt 
      Eine Thräne, hingeweint für dich; 
      Allenthalben stiehlt mit leisem Gange 
      Zwischen Gott und mich dein Bild sich hin; 
      Dich vernimmt in jedem Chorgesange 
      Das getäuschte Ohr der Schwärmerin. 
      Wann vom Altar bis zum Tempelbogen 
      Blau die süße Weihrauchwolke schwebt 
      Und sich, steigend mit den Orgelwogen, 
      Himmelan die fromme Seel' erhebt: 
      Dann zerstört auf einmal der Gedanken 
      Flüchtigster an dich des Festes Glanz; 
      Alles seh' ich durcheinander wanken, 
      Priester, Kerze, Rauchfaß und Monstranz; 
      Fühle tief in einem Feuermeere 
      Meine Seele brennend untergehn, 
      Währenddes in Flammen die Altäre 
      Und umher die Engel zitternd stehn. - 
       
      Jetzt, da ich der Reue Dolch empfinde, 
      Da aus mir die Tugend wieder weint, 
      Da ich betend mich im Staube winde, 
      Da mein Herz ein Gnadenstrahl bescheint, 
      Jetzt komm an, dein Herrenrecht zu pflegen! 
      Schwinge deines Reizes Zauberstab! 
      Setze dich des Himmels Macht entgegen! 
      Streit ihm mutig deine Sklavin ab! 
      Komm! Ein süßer Blick von dir vernichte 
      Jeden Wunsch der Frömmigkeit in mir! 
      Tritt zu Boden meiner Buße Früchte! 
      Alle Macht der Gnade weiche dir! 
      Übereile meine Segensstunde, 
      Reiße mich, schon nahe meinem Glück, 
      Reiße, mit dem Höllengeist im Bunde, 
      Noch aus Gottes Armen mich zurück! - 
       
      Nein, entfleuch! O fleuch zur fernsten Ferne! 
      Laß, wie Pol und Pol, uns nimmer nahn! 
      Steige Berg auf Berg bis an die Sterne! 
      Rolle zwischen uns ein Ozean! 
      Komm nicht, schreib' nicht, denk' mein nicht und trage 
      Nun und nimmer wieder Leid um mich! 
      Jeden Schwur erlaß ich dir; entsage 
      Jeder Rückerinnerung an dich. 
      Fleuch, verwirf und hasse Heloisen! - 
      Aber du, ihr einst so wonnevoll, 
      Sei hiermit zum letzenmal gepriesen, 
      Holdes Bild! Und nun - leb' ewig wohl! - 
      Hehre gnade! Göttlich schöne Tugend! 
      Segenvolle Weltvergessenheit! 
      Hoffnung, Himmelskind im Schmuck der Jugend! 
      Glaube, Spender hoher Seligkeit! 
      Sprecht nun, all' ihr hoch willkommnen Gäste, 
      Freundlich meiner offnen Seele zu! 
      Schenket zu dem nahen Jubelfeste 
      Meinem Feierabend sanfte Ruh'! - 
       
      Sieh', o sieh' hier an des Todes Schwelle 
      Heloisen trauernd ausgestreckt, 
      Wo ihr Leib vielleicht die Ruhestelle 
      Einer gleichen Dulderin bedeckt! 
      Mehr als Luft ist, was mit sanftem Schauer 
      Oft sie anweht, leise sie umstöhnt; 
      Mehr als Echo, was von jener Mauer 
      Murmelnd ihre Klagen widertönt. 
      Wach, gleich wie ihr Blick das düstergelbe, 
      Matte Kerzenlicht, so wach vernahm 
      Jüngst ihr Ohr den Ruf, der vom Gewölbe 
      Hohl und dumpf herausgewandelt kam: 
      "Komm", so sagt' es oder schien's zu sagen, 
      "Komm von hinnen, arme Schwester, komm" 
      Hier ist Ziel und Ruhestatt der Klagen. 
      Die dich ruft, war schwach wie du und fromm! 
      Vormals bebte, weinte, seufzte, flehte, 
      Litt sie, ach! um Liebe, gleich wie du. 
      Gott vernahm der frommen Angst Gebete, 
      Und geheiligt ging sie ein zur Ruh'. 
      Ah, wie sanft und süß ist hier der Schlummer! 
      Wie so still ist alles rund umher! 
      Ausgewimmert hat allhier der Kummer, 
      Und die Liebe seufzt und weint nicht mehr. 
      Höllenangst ob ihrer Menschheit Schwächen 
      Folgt hieher der frommen Einfalt nicht; 
      Menschenhärte darf den Fehl nicht rächen, 
      Dem ein milder Gott Verzeihung spricht." 
       
      Ha, ich komm', ich komme! Seht mich fertig, 
      Eure Rosenlauben zu beziehn! 
      Seid mit Himmelspalmen mein gewärtig 
      Und mit ewig blühendem Jasmin! 
      Mich verlangt, in Ruhe da zu weilen, 
      Wo die reinen milden Lüfte wehn, 
      Wo der Liebe Flammenwunden heilen 
      Und in Lust die schmerzen übergehn. - 
      Jetzo komm, mein Abelard, und leiste 
      Liebreich mir die letzte Trauerpflicht! 
      Ebne sanft dem müden Pilgergeiste 
      Seinen Übergang aus Nacht in Licht! 
      Sieh' das Brechen meiner trüben Augen, 
      Sieh' das Beben meiner Lippen an! 
      Neige dich, den letzten Hauch zu saugen 
      Und im Fluge meinen Geist zu fahn! - 
      Nein, ach nein! - Im heiligen Talare, 
      Still erbebend wie der Espe Blatt, 
      Mit geweihter Kerze vom Altare 
      Nahe dich zu meiner Lagerstatt! 
      Folge meinem irren Augensterne 
      Mit dem Kreuz und reich' es mir zum Kuß; 
      So auf einmal lehre mich und lerne 
      Du von mir auch, wie man sterben muß! - 
      Ah! Nun magst du, tief im Schaun versunken, 
      Schuldlos vor der einst so Teuern stehn; 
      Magst verglühn des Auges letzten Funken 
      Und verglühn der Wange Rosen sehn! 
      Stehn, bis keiner ihrer Lebensgeister, 
      Selbst der kleinste sich nicht weiter regt, 
      Bis ihr Herz für seinen großen Meister, 
      Seinen Abelard, auch nicht mehr schlägt. - 
      Tod, o Tod, du Redner ohnegleichen 
      Vor dem Liebenden, der sonst nichts hört, 
      Wie erschütternd, selbst durch stumme Zeichen, 
      Predigst du, was ihn für Staub bethört! - 
       
      Wann nun auch die schönste der Gestalten, 
      Die mein Blick so lüstern oft umirrt, 
      Unter Lebensmüh' und Zeit veralten 
      Und erschlafft zusammensinken wird: 
      Dann verwandle sich in Hochentzücken 
      Alle deine Herzbeklommenheit! 
      Weit vor deinen aufgeklärten Blicken 
      Öffne sich des Himmels Herrlichkeit! 
      Eine lichte Wolke steige nieder 
      Und, umringt von froher Engel Chor, 
      Schwebe bei dem Klange süßer Lieder 
      Deine Seel' ins Paradies empor! 
      Ruf' ihr dort der Heiligen und Frommen 
      Ganze Schar, die sich entgegendrängt, 
      So voll Liebe, so voll Lust Willkommen, 
      Als dich Heloisens Arm umfängt! 
       
      Beide Asche decke nun ein Hügel, 
      Beider Namen werd' ein Stein geweiht! 
      Glorreich trage deines Ruhmes Flügel 
      Meine Liebe zur Unsterblichkeit! 
      Fügt sich's dann in später Nachwelt Tagen, 
      Wann am Herzen mir kein Wurm mehr frißt, 
      Und von meinen Seufzern, meinen Klagen 
      Längst der letzte Laut verschollen ist, 
      Daß ein Ungefähr nach seiner Weise 
      Für ein trautes Paar den Plan erdenkt 
      Und die Schritte seiner Pilgerreise 
      Nach dem stillen Paraklete lenkt: 
      O so tret' es wehmutsvoll und schweigend 
      An den alten grauen Marmelstein! 
      Haupt zu Haupte sanft hinüberneigend, 
      Schlürf' es eins des andern Thränen ein! 
      Aufgeschüttert von des Mitleids Triebe, 
      Hinterlaß es betend unser Grab: 
      "Segn' uns Gott mit einer frohern Liebe, 
      Als das Schicksal diesen Armen gab!" 
       
      In der Feierstunde, wann der Chöre 
      Lautes Hosianna hier ertönt, 
      Oder wann ihr banges Miserere 
      Knieend eine Schar von Büßern stöhnt; 
      Mitten dann im Pomp der Hekatombe 
      Frommer Seufzer, die gen Himmel wehn, 
      Müsse noch auf unsre Katakombe 
      Seitwärts manches Auge niedersehn! 
      Selbst der Andacht müss' in höchster Sphäre 
      Ein Gedanke noch an uns entfliehn, 
      Und, die ihn begleiten wird, die Zähre 
      Werde gern im Himmel ihr verziehn! 
       
      Wenn das Glück nicht meinen Nachruhm neidet, 
      So erhebt ein Sänger sich vielleicht, 
      Der an einer Seelenwunde leidet, 
      Die der meinigen an Tiefe gleicht; 
      Der umsonst, umsonst durch lange Jahre 
      Seiner Hochgeliebten nachgeweint, 
      Bis ihn noch mit ihr - doch vor der Bahre! - 
      Das Geschick minutenlang vereint; 
      Der nun unter Klagemelodieen, 
      Fern von treuer Gegenliebe Kuß, 
      Schmachtend in das Land der Phantasieen 
      Seine liebsten Wünsche senden muß: 
      Dieser mach' in preislichem Gedichte, 
      Wohlgestimmt dazu an Herz und Mund, 
      Unsre thränenlockende Geschichte, 
      Meinem Schatten noch zum Labsal, kund! 
      Bei dem Liede mein- und seiner Schmerzen 
      Werde jedes Hörers Brust erregt! 
      Denn nur der beweget leicht die Herzen, 
      Welchem selbst ein Herz im Busen schlägt. 
      
 
         
         
        Aus: Bürgers Gedichte. 
        Herausgegeben von Arnold G. Berger. Kritisch durchgesehene und 
        erläuterte Ausgabe Leipzig und Wien 1891. Bibliographisches Institut (S. 
        331-347) 
         
          
       
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