Abälard und Heloise

 

Edmund Blair Leighton - Abaelard und seine Schülerin
Edmund Blair Leighton (1853-1922)
Abaelard und seine Schülerin Heloise (1882)



Alexander Pope
(1688-1744)

Heloise an Abelard
(Bruchstücke)

Woher, woher an diesem heil'gen Orte,
Wo dumpfe Schwermuth finster grübelnd weilt,
Wo nur zum Himmel sich Gedanken, Worte
Aufschwingen, wo die tiefste Wunde heilt,
Woher der Sturm in der Vestalin-Brust,
Hier, wo erstarrt der Schmerz, wo stirbt die Lust?
Wie, oder schweifen, trotzend allen Schranken,
Hinaus von dannen, weithin die Gedanken?
Wie, noch entbrennt mein Herz, noch wallt mein Blut?
Hilf Gott, ich liebe noch mit aller Glut!
Dein Name hat mich meinem Wahn entrissen,
Ich seh' ihn hier und muss ihn bebend küssen.

O, nenn' ihn nicht, sprich' ihn nicht aus, o Mund,
Den unheilvollen, ach, so theuern Laut!
Dem stillen Herzen bleib' er anvertraut,
Dort sei gebannt er auf den tiefsten Grund,
Wo sich sein Bild mit Gottes Bild vereint.
Schreib' ihn nicht nieder, Hand! Doch schon erscheint
Geschrieben "Abelard". O, strömet nieder,
Ihr Thränen, und verwischt die Züge wieder!
Doch Heloise weint umsonst und sorgt.
Das Herz gebietet, und die Hand gehorcht.

Ihr kalten Mauern, die ihr oft vernommen
Der Seele Weinen, Seufzer tief beklommen,
Ihr Felsenstufen, unterm Druck geschwunden
Wankender Knie, die sich hinauf gewunden,
Ihr dumpfen Zellen, wo bei Zwielichtscheine
Die Dornenruthe schwankt, ihr heil'gen Schreine,
Vor denen bleiche Jungfrau'ns wachen, härmen,
Ihr Heil'gen, deren Bilder weinen lernen,
Zwar ward ich kalt und stumm, wie ihr, allein
Noch ward ich nicht entmenschlicht ganz zu Stein;
Noch nicht gehör' ich ganz dem Himmel an;
Ein Theil ist ihm, ihm, dem geliebten Mann.
Noch hält in Aufruhr die Natur mit Macht
Das halbe Herz; kein Beten, Fasten macht,
Auch Thränen nicht, und wär'n Millionen Tropfen,
Den eigensinn'gen Pulsschlag leiser klopfen.
___

Du weisst, wie keusch, wie rein ich Dir genaht,
Da Lieb', verhüllt in Freundschaft, vor mich trat,
Zum Engel schuf dich meine Phantasie,
Ein Ausfluss schienst du ew'ger Poesie;
Dein Auge, ach! so ernst und mild zumal,
Schien süss verlockend, wie des Himmels Strahl.
Arglos schaut' ich hinein und ward berauscht,
Hat doch der Himmel, wenn du sangst, gelauscht.
Von deinen Lippen hehr verkündet, schien
Mir ew'ge Wahrheit edler als vorhin.
Wer kann den Eingang zu dem Herzen wehren,
Wenn solchem Mund entströmen weise Lehren?
Zu bald er lehrte, dass der Geist sei frei,
Und dass die Liebe keine Sünde sei,
Und gern im Geist den Platz zurück ich rann:
Nicht bleib' er Engel, den ich lieb' als Mann;
Nicht locken mich die unbekannten Freuden
Der Seligen. Nein, ich mag sie nicht beneiden
Um ihren Lohn, einst auch bestimmt für mich,
Nicht um den Himmel, den ich liess für dich.
_____


Wie glücklich doch der frommen Nonne Loos;
Die Welt vergessend, lebet Gott sie blos!
Ein ew'ger Sonnenschein ihr rein Gemüth;
Treu ihr Gebet, beruhigt ihr Geblüt.
Arbeit und Musse theilen ihren Tag,
Und süsser Schlummer folgt gehorsam nach.
Kein Wunsch sie quält, Affekte sie nicht drücken,
Und ihre Thränen selbst sie noch entzücken.
Von heit'rer Stirne Gottes Gnade strahlt;
Ein Engel flüsternd süssen Traum ihr malt:
Die Rosen Edens glaubt sie zu erblicken;
Des Himmels Wohlgerüche sie erquicken.
Sie sieht den Bräut'gam, der hinauf ihr winkt,
Ein Jungfraunchor den Brautgesang ihr singt.
So schläft sie ein, löst auf sich ohne Leid,
Stirbt in Entzückung ew'ger Seligkeit.

Ganz and're Träume mich im Schlaf berücken,
Unheil'ge Freuden, sündhaftes Entzücken.
Wenn traurig sich der Tag zu Ende neigt,
Und Phantasie im Schlaf verjüngt mir zeigt,
Was schnöde Unthat, Theurer, dir entrissen,
Dann fliegt, da ja unthätig das Gewissen,
Die Seele mein, von allen Banden frei,
Zu dir, zu dir und kennet keine Scheu.
Verwünschter, süsser Schrecken solcher Nacht,
Wo noch die Schuld die scharfe Lust entfacht,
Und Teufel selbst fortträumen Hindernisse,
Dass jede Liebesquelle in mir fliesse.
Ich hör' dich, seh' dich, meine Arme drücken
Fest an mein Herz dich, loderndes Entzücken.
Ich wache auf, ich lausch', ich fasse zu -
Ach, das Phantom ist grad' so kalt, wie du!
Ich rufe laut; es hört nicht, was man ruft,
Mein heisser Arm umschlinget kalte Luft.
O süsses Bild, o Träume kehret wieder!
Doch weh! nicht mehr - mich dünkt, wir zögen beid'
Durch Wüsten hin, beweinend unser Leid,
Wo um Ruinen kriechen Epheuranken,
Und Felsen über graus'ge Tiefen schwanken.
Da schwebst empor du, winkest mir noch mild,
Doch eine Wolke raubt mir jäh dein Bild,
Der See rollt laut, ein Sturmwind sich erhebt,
Und rings das Felsenlabyrinth erbebt,
Ich fahr' zusammen, weiss mich kaum zu fassen,
Erwach' zu all' dem Leid, das kaum verlassen.
_____

Sieh ausgestreckt mich hier auf kaltem Stein,
Nah manchem Grab, bei düst'rer Lampe Schein,
Will's mir bedünken, dass im Windesrauschen
Verwandte Geister Worte mit mir tauschen;
Und während still verlöschen will das Licht,
Aus jenem Schrein es da auf einmal spricht:
"Komm, Schwester, komm! (dumpf klang das Geisterwort)
Dein Platz ist hier! Komm, Schwester, komm' mit fort.
Einst so wie du hab' ich geweint, geklagt,
Der Liebe Opfer, jetzt 'ne heil'ge Magd.
Hier nur ist Ruh, hier sterben alle Triebe,
Hier seufzt nicht Kummer mehr, hier weint nicht Liebe.
Selbst Aberglauben weckt nicht Furcht noch Scheu;
Denn Menschen nicht, - Gott spricht hier sündenfrei."
Ich komm', ich komm'! Bereite mir die Hallen,
Lass Blumen duften, Himmelspalmen wallen,
Dort geh' ich hin, wo Sünder Ruh' erjagen,
Leidlos in Seraph's Brust die Herzen schlagen.
Du, Abelard, den letzten Dienst mir reiche,
Den Pfad mir ebne zu dem Himmelsreiche.
Sieh, wie mein Aug' umgiebt schon Todesnacht,
Die Lippe bebt, ja bald ist es vollbracht.
O, sauge meinen letzten Athemzug!
Fang' meine Seele auf, bereit zum Flug!
Doch nein, steh' fern! in düsterm Mönchgewand,
Die heil'ge Kerze zitternd in der Hand.
Das Kreuz erhebe, wenn ich schau' nach dir,
Lehr' mich zu sterben, lerne du's von mir.
Dann magst du mich, die du geliebt, ansehn,
Mich anzuschaun ist dann ja kein Vergehn.
Sieh', von der Wang' die Rosen alle fliehn,
Im starren Blick den letzten Strahl erglühn,
Bis stockt der Puls und Nacht mich ganz umgiebt,
Und selbst nicht Abelard mehr wird geliebt.
Ach! überzeugend kann der Tod nur lehren:
Wir lieben Staub, wenn Menschen wir verehren.
Und wenn dereinst des Todes Allgewalt
Sich wagt an deine herrliche Gestalt,
(Die Ursache meiner Schuld, all' meiner Freuden)
In himmlischer Verzückung magst du scheiden,
Purpurne Wolken mögen niederschweben,
Und Engel tröstend, liebreich dich umgeben.
Des Himmels Glorie auf dich niederscheine,
Find' Liebe dort, so treu, so ächt, wie meine!

Ein Grab soll unsre Asche dann vereinen,
Dein hoher Ruhm unsterblich lässt erscheinen
Auch meine Lieb'. Wenn dann in spätern Tagen,
Wenn dies rebell'sche Herz längst ausgeschlagen,
Zwei Liebende beglückt vorüberwallen
An Paraklet's berühmten Klosterhallen,
Vor unserm Grab die Lippen sie dann schliessen,
Die Thränen trinkend, die vor Mitleid fliessen.
Und beide sagen sie zum Tod betrübt:
O, liebten nie wir, so wie sie geliebt.
Ja, wenn vom Chor Hosianna schallt mit Macht,
Erhöhend noch des graus'gen Opfers Pracht,
Und auf den Stein dann fällt ein scheuer Blick,
Der das verbirgt, was bleibt von uns zurück,
Wird Andacht selbst vom Himmel abgelenkt,
Und eine Thräne quillt, die Gott nicht kränkt.

(übersetzt von Albrecht Deetz)
 

aus: England und Amerika
Fünf Bücher englischer und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-
krittischen Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885 (S. 163-167)


 

 



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