Sagen und Bilderlehre der persischen Dichter
 
        
        
        Die eigentliche religiöse Mythologie der Perser also, und aller anderen 
        gebildeten mohammedanischen Nationen, wie der Araber und Türken, beruht 
        einzig und allein auf dem Worte Allah's und des Propheten, das ist: auf 
        dem Koran, der von Mohammed im Nahmen des Himmels niedergeschriebenen 
        Offenbarung, der heiligen Schrift des Islams, und auf der Sunna, der, 
        später schriftlich aufgezeichneten, mündlichen Überlieferung des 
        Propheten. Da die Grundlehre des Islams die Einheit Gottes ist, und 
        reiner Theismus als Vernunftreligion alle Mythologie ausschließt; so 
        beschränkt sich der ganze Mythos des Islams nur auf den geringen Zusatz 
        von Wundern und biblischen Geschichten, womit Mohammed den Koran 
        ausgeschmückt, und denen die ersten Imame oder Kirchenväter des Islams 
        höheren Sinn und allegorische Bedeutung untergelegt haben. Die neue 
        persische Poesie würde verarmt seyn, wenn ihr keine andern Hülfsquellen 
        zu Gebothe gestanden hätten. Sie entschädigte sich für diese Armuth 
        durch den Reichthum der ältesten fabelhaften Geschichten und uralter 
        Dichtung, welche todte Wesen der Schöpfung vorzugsweise vor anderen mit 
        Seele und Sprache, oder andere in der Natur gar nicht bestehende, 
        hervorgebracht hat. Diesen Schatz bewahrten die alten Geschichten des 
        Reichs, und nachdem dieselben untergegangen der Auszug derselben, das 
        Schahname, Firdussi's unsterbliches Meisterwerk. Die Quellen 
        also des religiösen und historischen Mythos Persiens sowohl, als des 
        ganzen mohammedanischen Asiens, sind der Koran und das 
        Schahname, nach denen wir hier nur einen kurzen Umriß der 
        vornehmsten, in allen Dichtern häufig vorkommenen heiligen und 
        geschichtlichen Sagen aufstellen, und denselben mit den ebenfalls 
        allgemein angenommenen poetischen Allegorien beschliessen wollen.
        
        
        Die Schöpfungsgeschichte sowohl als die anderen aus der Bibel entlehnten 
        Geschichten der Propheten sind häufig mit ganz eigentümlichen Zügen und 
        besonderen Anekdoten vermischt, welche durch die ersten Imame erläutert 
        und erweitert, neue, von unserer biblischen Geschichte ganz 
        verschiedene, Historien bilden, deren Kenntniß aber zur Verständlichkeit 
        der immer wiederkehrenden Anspielungen sowohl in Gedichten als 
        Geschichten, dem europäischen Leser unerläßlich ist. Diese Abweichung 
        beginnt mit der Erschaffung der Welt und geht die Geschichte von vier 
        und zwanzig Propheten herunter bis Mohammed, das Siegel 
        des Prophetenthums. Schon beym Falle Adams spielt der Pfau, 
        welcher den Satan unter seiner Zunge ins Paradies trägt, eine eben so 
        große Rolle als die Schlange, und die Frucht der Erkenntniß ist 
        nicht der Apfel, sondern das Korn, das die Menschen 
        seitdem im Schweiße ihres Angesichtes bauen. Daher das Korn nicht nur 
        als Nahrungsquell, sondern auch im allegorischen und mystischen Sinne zu 
        großen Ehren gekommen. Die Erbsünde aller Begier und Leidenschaft trägt 
        der Mensch als schwarzes Korn in seiner Brust, das dort beständig 
        keimt und wuchert, und das nur dem Propheten vom Engel Gabriel entnommen 
        wird. Im mystischen Sinne ist das Korn die Wissenschaft der Sofis, 
        die um dieses von ihnen sogenannte grüne Korn alle Güter der Welt 
        für gering achten. Der Hüther des Paradieses ist Riswan, das 
        Urbild himmlischer Schönheit, die sich seit Adams Fall nur im 
        ägyptischen Joseph auf Erden geoffenbaret hat. Der Lieblingsbaum 
        des Paradieses ist nicht wie bey uns die Ceder, sondern der 
        Tuba oder Lotosbaum; Milch und Wasser strömt aus den Quellen
        Kewßer und Selsebil, rein wie Krystall und Perlen, duftend 
        nach Moschus und Ambra.
        
        
        Die Huris, Mädchen von blendend weisser Gesichtsfarbe, mit 
        funkelnden schwarzen Augen und von unverwüstbarer Jungfräulichkeit, sind 
        die Gespielinnen der Seligen, die mit ihnen auf goldenen Polstern, in 
        herrlichen Köschken, oder auf grünen Matten im Schatten der 
        Palmen, und beym Gemurmel unterirdischer Ströme und Wasserfälle ewiger 
        Freuden genießen. Diese Huris, die aus den Horen oder 
        Charitinnen entstanden zu seyn scheinen, ursprünglich aber des 
        Apsaras der Inder nachgebildet worden, sind keineswegs zu vermengen 
        mit den Peris oder den weiblichen Genien der alten persischen 
        Religionslehre, deren der Koran nicht erwähnt, indem er die Huri 
        an ihre Stelle gesetzt, die aber dennoch von den Dichtern als luftige 
        zarte Schönheiten, welche die Regionen der Luft bevölkern, bey Ehren 
        gehalten worden sind, und desto mehr verdienen,  daß wir ihrer noch 
        einmahl weiter unten erwähnen, weil sie als Fairies oder Feen 
        nach Europa eingewandert sind. Ebenso wenig vermenge man die acht 
        Paradiese (die acht christlichen Seligkeiten) mit den neun 
        astronomischen Himmeln, oder den sieben planetarischen Sphären, 
        wo die Gestirne gleichsam nur ein leuchtender Abdruck der ewigen 
        Schrift sind, welche im höchsten Himmel die ewige Feder, auf 
        der ewigen Tafel des Verhängnisses, für alle Zeiten und Welten 
        niedergeschrieben; der gestirnte Himmel ist der Thron Gottes, den Engel 
        tragen und bewachen, und die Dämonen, welche manchesmahl bis an die 
        Zinnen der Himmelsburg emporklimmen, mit ihren Lanzen zurückschleudern, 
        so daß sie sichtbar als Sternenschnuppen den Streif ihre Falles 
        bezeichnen. 
        
        
        Außer den vier Engeln, Trägern des Throns (Mokarribin, Cherubim), welche 
        Thiergesichter haben wie beym Propheten, sind die vornehmsten der Engel
        Gabriel, Michael, Israfel und Israel. Der 
        erste, der Bothe göttlicher Offenbarungen an die Propheten, heißt auch 
        der heilige Geist, der himmlische Pfau, der höchste der 
        Engel. Der letzte ist der Würge- oder Todesengel, der 
        jedem Menschen seine Seele abfordert und am Tage der Auferstehung in die 
        Posaune stößt. Die Engel der Winde, der Ströme, der Berge, des Feuers, 
        bevölkern Himmel und Erde, sie lobpreisen immerwährend Gott stehend und 
        fliegend und sitzend und knieend; im höchsten Himmel aber halten sie 
        täglich siebenmahligen Umgang um das Zelt Gottes, das aus einem 
        einzigen Rubine geformt, dem heiligen Hause Kaaba zu Mekka 
        zum Muster gedient hat. Zur Kaaba wenden sich die Gesichter der 
        Rechtgläubigen beym Gebethe, und um dieselbe halten die Pilger 
        siebenmahligen Umgang, wie die Engel im Himmel um das Allerheiligste des 
        Herrn. Alle Himmel durchflog Mohammed der Prophet in seiner nächtlichen 
        Himmelfahrt auf dem Glanzrosse (Aldorrak), das die Schwingen vom Vogel 
        und das Gesicht vom Menschen hat. Er begann seinen Ritt im Tempel zu 
        Jerusalem, und wiewohl er in jedem Himmel sich mit den Propheten seiner 
        Vorfahren besprach, vollendete er ihn dennoch so schnell, daß, als er in 
        sein Bett zurückkam, das Wasser der Kanne die er im Auffluge umgestoßen 
        hatte, noch nicht ausgeronnen war. Dies Himmelfahrt, die allenfalls als 
        eine Erscheinung im Träume ausgelegt werden kann, wird von den Meisten, 
        besonders aber von den Dichtern, buchstäblich genommen, und die 
        Beschreibung oder der Preis derselben macht beym Lobe des Propheten, das 
        unter die bey jedem größeren Dichterwerk unerläßlichen Prologomena 
        gehört, einen Hauptbestandtheil aus.
        
        
         Diese Himmelfahrt ist, wenn sie buchstäblich genommen wird, auch das 
        einzige Wunder Mohammed's, dessen er selbst im Koran erwähnt, indem er 
        sonst mehr als einmahl darin im Nahmen Gottes ausspricht, daß es zur 
        Beglaubigung seiner himmlischen Sendung keines andern Zeichens, als der 
        Verse des Korans, dieser wahren Wunderzeichen des Wortes, bedürfe. 
        Wiewohl aus eben diesem Grunde vernünftige Ausleger des Korans auch die 
        Himmelfahrt als bloße Erscheinung deuten, so halten sich die Dichter 
        doch um so fester daran, des poetischen Stoffes willen, und sie macht 
        einen wesentlichen Theil der Anrufung des Propheten, des Siegels 
        aller vorhergehenden. Unter diesen Propheten sind mehrere, die nur den 
        Arabern und nicht den Hebräern bekannt waren, selbst die bekannten aber 
        werden mit Anspielungen und Beziehungen, die wir in unserer biblischen 
        Geschichte nicht kennen, erwähnt. An der Spitze der ersten stehen Hud 
        und Saleh, zwey alte arabische Propheten, wovon jener dem Stamme
        Aad, dieser dem Stamme Themud den wahren Glauben predigte, 
        ohne anderen Erfolg, als den eines vertilgenden Zorngerichts. Das Haupt 
        des Stammes Aad war Schedad (Sat ol amad), stolz 
        auf seine Säulen, d. i. auf die Zahl seiner Zelten, der ein 
        irdisches Paradies in den Garten von Irem anlegte, und hiedurch 
        der vom Propheten verheissenen himmlischen Freuden spotten wollte. Die 
        Hand des Todesengels berührte ihn ehe noch sein Fuß dasselbe betrat, und 
        es ward mit allen seinen Schätzen von dem Sande der Wüste begraben. 
        Anspielungen auf die Schätze und Freuden dieses irdischen Paradieses 
        sind häufig in allen Dichtern und Geschichtsschreibern des Morgenlandes.
        
        
        Saleh 
        predigte dem Stamme Themud am östlichen klippigen Ufer des rothen 
        Meeres auf der Straße nach Mekka. Sie tödteten sein Kameel, daß er aus 
        dem Felsen hervorgerufen, und der Samum tödtete alles Leben weit umher. 
        Noch zeigt man die Felsengrotten an diesem Gebirge als die Wohnsitze des 
        Stammes Themud; noch beschleunigen die Pilgerkarawanen, wenn sie hier 
        durch nach Mekka ziehen, ihren Schritt unter lautem Geschrey, um das 
        fürchterliche Geschrey des unschuldig erschlagenen Prophetenkameels, das 
        in diesem wüsten Thale die Wanderer erschreckt, zu übertönen, und noch 
        ist diese seltsame merkwürdige Gegend durch tausend Hindernisse und 
        Gefahren allen europäischen Reisenden, selbst dem unermüdeten Seetzen, 
        der doch zweymahl in Mekka gewesen, unzugänglich geblieben. Beyde dieser 
        Propheten scheinen bald nach der Sündfluth gelebt zu haben, die nach dem 
        Koran ihren Ursprung aus einem Feuerherde nahm, woraus das Wasser 
        unaufhörlich zuströmte bis es die ganze Erde überschwemmte. Nach der 
        Sündfluth begann der Sternendienst der Chaldäer, und Abraham, der 
        demselben göttliche Ehre zu erweisen und das Feuer anzubethen sich 
        weigerte, ward auf Nimrod's Befehl in einen ungeheuren Holzstoß 
        geworfen, wo mitten im Feuer Rosen blühten und Quellen rieselten, und er 
        den Herren lobpries (wie die drey Knaben im Feuerofen). Häufig wird er 
        genannt als Erbauer der Kaaba, als Zeuge der Einheit Gottes; aber öfter 
        noch Jakob, wiewohl nicht so viel in Beziehung auf sich selbst, 
        als auf seinen Sohn Joseph oder Jussuf, dessen Geschichte 
        eines der schönsten Kapitel des Korans, nämlich das XII, einnimmt, und 
        ganz gewiß, wie der Koran sie selbst nennt, die schönste der 
        Geschichten zu heißen verdient. Da dieser Stoff von den ersten 
        romantischen Dichtern des Morgenlandes um die Wette behandelt worden, so 
        wird an seinem Orte umständlicher hievon zu reden sich Gelegenheit 
        darbiethen. Hier sey es genug darauf aufmerksam zu machen, daß Jussuf 
        als das Ideal männlicher Schönheit und Vollkommenheit im ganzen 
        Morgenlande gilt, und seine Liebesgeschichte mit Suleicha von dem 
        Mystikern durchaus allegorisch gedeutet wird auf die Liebe der höchsten 
        Schönheit, der höchsten Wahrheit, des höchsten Gutes, welche der 
        sinnlichen Liebe der Menschen unerreichbar, denselben nur dann erst zu 
        Theil wird, wenn sie wie Suleicha bekehrt und weise, durch 
        göttliche Gnade wieder neugeboren sind. Nach dieser Ansicht oder durch 
        die andern aus der biblischen Geschichte bekannten Begebenheiten seines 
        Lebens, ist Jussuf den Morgenländern der schönste Jüngling, der 
        keuscheste Liebhaber, der beste Erzähler, der scharfsinnigste Ausleger, 
        der vollkommenste Dollmetsch, der weiseste Statthalter, der 
        wahrhaftigste Prophet, und heißt daher vorzugsweise Essidik oder 
        der Wahrhaftige.
        
        
        Moses 
        und Jesus erscheinen beyläufig auf derselben Stufe der Würde, 
        beyde als Gesetzgeber und Religionsstifter, beyde als wunderthätige 
        Propheten. Die wunderthätige weiße Hand des Moses, der damit die 
        Blendwerke der Gaukler und die Macht des Drängers vernichtete, der 
        wunderwirkende Hauch des Herrn Jesus, der damit Todte zum 
        Leben erweckte, und aus Thon geformten Vögeln das Leben einhauchte, der 
        aber nach der Aussage des Korans nicht wirklich gekreuzigt, sondern vor 
        der Kreuzigung in den Himmel aufgenommen ward, kommen alle Augenblicke 
        vor. Den letzten, der im dritten Himmel wohnt, läßt Hafis sogar 
        nach der Weise seiner Lieder mit Sohre, dem weiblichen Genius des 
        Abendsterns, den Reigen tanzen. Gleichzeitig mit Moses lebte der 
        Prophet Chiser (der Allbegrünende), von dem Einige 
        behaupten, daß es derselbe mit Elias gewesen, Andere ihn aber 
        gänzlich davon unterscheiden. Er ist eine der Hauptpersonen der 
        orientalischen Mythologie, der hülfreiche Genius der Unterdrückten, der 
        Genius des Frühlings, der Vermittler (wie der Mithras der alten Perser), 
        der Retter in Gefahr, der Ermahner der Fürsten, der Rächer des Unrechts, 
        der Wegweiser durch die Wüsten des Lebens, und endlich der ewig junge 
        Hüther des Quells des Lebens. Als solcher verjüngt er Menschen und 
        Thiere und Pflanzen, ertheilt verlorene Schönheit wieder, und bekleidet 
        im Frühling die erstorbene Erde mit frischem Grün. Grün ist seine 
        Lieblingsfarbe, in strahlendes Grün ist er gekleidet, und im Lande der 
        Finsterniß, wo der Quell des Lebens pulsend rauscht, verkündet denselben 
        grünes Licht, das ihn umgibt, den Suchenden. Ewige Schönheit, Jugend und 
        Weisheit spendet seine Quelle den Trinkenden; was Wunder wenn denselben 
        alle Sterblichen mit brennender Begierde verfolgen, wiewohl ihn noch 
        keiner, selbst nicht Alexander der Welteroberer, welcher deßhalb 
        einen Zug ins Land der Finsterniß unternahm, gefunden. Auf 
        verschiedenen Wegen suchen ihn die Menschen als das höchste Ziel ihrer 
        Wünsche, bald in Gold, bald in Ehren, bald in Liebesgenuß, und 
        unbefriediget versplittern sie das Leben, ohne zum wahren Quell 
        desselben zu gelangen, worunter nach den Philosophen von der äußeren 
        Lehre, die praktische Jugend, nach den Sofis aber, oder den 
        Philosophen des inneren Sinns, die reine Liebe Gottes, als das sicherste 
        Gut und als der wahre Quell, verstanden wird, woraus der alte Mensch, 
        verjüngt und wiedergeboren, zu einem neuen Leben aufsteht. Ein weit 
        höherer Sinn als der gewöhnliche erotische Dichter, welche den 
        Lebensquell im Munde des Geliebten und das ihn umgebende zarte Grün in 
        den weichen Flaumen des jungen Bartes suchen.
        
        
        Wie Chiser der geheimnißvollste Prophet in der Welt der 
        Erscheinungen, so tritt Salomon, als der Mächtigste 
        derselben in der wirklichen Welt auf. Prophet, Weiser und König, 
        beherrschte er nicht nur die Menschen, sondern alle Reiche der Natur, 
        Fische, Vögel und vierfüßige Thiere, und selbst die Dämonen, die ihm als 
        Handlanger zu den großen Gebäuden die er in Jerusalem, Tadmor und 
        Persepolis aufführte, und deren ungeheure Ruinen die Welt noch heute 
        anstaunt, dienen mußten. Der Ostwind war sein Reitpferd, und der
        Widhopf sein Wegweiser in Wüsten, sein Bothe im Briefwechsel mit
        Balkis der weisen Königin von Saba. Das Zeichen seiner 
        Herrschaft und Begewaltigung über Menschen, Thieren und Dämonen war das
        Siegel Salomons, der Zauberring, vor dessen Kräften der Erde und 
        die Hölle erzitterte. Als Repräsentant der Menschen an seinem Hofe 
        schlichtete die Geschäfte derselben Aßaf der Dichter und 
        Großwesir, dessen Nahmen seitdem das höchste Lob aller regierenden 
        Wesire geblieben; als Repräsentanten unter den Vögeln sah man dort das 
        letzemahl unter den Menschen Simurg oder Anka, den weisen 
        Vogelgreis, der sich seitdem ins Gebirge Kaf zurückgezogen, wo er 
        als Staatsmann in der Einsamkeit lebt. Der Koran erwähnt desselben zwar 
        nicht, aber desto umständlicher das Schahname, wo also auch 
        schicklicher von ihm ein Wort gesagt werden soll. Salomon war schon todt, 
        als die Dämonen, die sich seines Rings bemächtiget hatten, noch vierzig 
        Tage fortregierten, während denen sie seinen Nahmen mißbrauchten, um 
        magische Bücher unter das Volk zu bringen, und dasselbe auf solche Art 
        zu verführen. Erst am vierzigsten Tage, als ein Holzwurm den Stab, 
        worauf gestützt sie Salomon täglich dem Volke als auf dem Throne sitzend 
        zeigten, durchfressen, und derselbe mit dem Leichnam zusammenfiel, ward 
        der Betrug offenbar.
        
        
        Alles bisher aus dem Koran angeführte Fabelhafte gilt, als auf Gottes 
        Wort gegründet, über allen Zweifel erhaben. Von minderem Ansehen in 
        religiöser Hinsicht, wiewohl vom allergrößten in historischer, sind die 
        Fabeln des Schahname. Es ist aber hier nöthig zu warnen, daß man 
        sich hüthe nach Herbelot's Angabe allen von ihm aus türkischen 
        sowohl als persischen Manuscripten zusammengeraften Fabeln gleichen Grad 
        von Ansehen und poetischer Glaubwürdigkeit beyzumessen. Herbelot 
        schöpfte dieselben nicht allein aus dem Schahname, sondern auch 
        aus Nachahmungen desselben, aus den türkischen prosaischen Werken: 
        Suleimanname, Kahrimanname, Iskendername, 
        Tahumraßname, Huschengname, Kuschtaspname, 
        Kurschaspname, usw. welche aber, die beyden ersten ausgenommen, eben 
        so unbekannt und ohne Credit sind, als das Schahname berühmt und 
        angesehen. 
        
        
        Vor Adam herrschten auf Erden Dschan Ben Dschan, die Geschlechter 
        der Dschinnen (Genien), deren schon der Koran als aus einem 
        Feuerfunken geschaffen erwähnt. Ihre Herrscher hießen Salomonen 
        und waren Herren der Welt; als Rathgeber stand ihne bey Simurg 
        oder Anka, der weise Vogelgreis, der seitdem noch am Hofe des 
        letzten Weltmonarchen, am Hofe Salomon's des Sohns David's, sichtbar 
        gewesen, seitdem sich aber in das Gebirge Kaf zurückgezogen, 
        welches die Erde als einen Ring einschließt, und hinter dem 
        Dschinnistan oder das Land der Feeerey liegt. Hierher wurden die 
        Geschlechter der Dschinnen verbannt, nachdem Gott der Herr den Engel 
        Garasel (sonst Iblis, und nach seinem Falle Satan 
        genannt) gesendet hatte, ihrem Unwesen auf Erden ein Ende zu machen. 
        Iblis, der sich in der Folge mit einem Anhange von Engeln empörte, 
        ward in die Hölle gestürzt, wo Malek der Hüther der Hölle (wie 
        Riswan, der Hüther des Paradieses) und neunzehn Folterengeln (wie im 
        Paradies die Cherubim und Erzengel) seinen Hof ausmachen. 
        Man sieht hieraus den Unterschied zwischen Dschinnen oder 
        Diwen, die nur ein gefallenes Riesengeschlecht, und zwischen 
        Teufeln, die ein Geschlecht gefallener Engel sind. Der Aufenthalt 
        der ersten ist Dschinnistan, im Umkreise des Berges Kaf, 
        an den Enden der Erde; der Wohnsitz der zweyten ist im Mittelpuncte der 
        Erde, in der Hölle, wo sieben Höllen mit wachsendem Grade des Feuers und 
        der Peinen, den Verbrechen der Verdammten angemessen sind. Ueber 
        derselben geht die Brücke Sirath weg, fein wie ein Haar und 
        scharf wie ein Schwert, worüber die Menschen nach dem jüngsten Gerichte 
        gehen müssen. Leicht und behende die Gerechten hinüber ins Paradies, 
        aber die Verdammten stürzen hinunter ins höllische Feuer. Alles dieses 
        gründet sich auch auf den Koran. 
        
        
        Wie die Geister in Engel des Himmels und der Hölle getheilt werden, so 
        die Genien der Erde in gute und böse; die letzten heißen Dschinnen 
        oder Diwe, die ersten Peris (Feen), weibliche luftige 
        Geschöpfe, zart wie die Lichtstrahlen, schön wie die Morgenröthe, 
        Freundinnen der Blumen und Düfte, aus denen ihr ganzes Wesen aufgehaucht 
        ist. Beständig von den Diwen bedrängt und verfolgt, leben sie mit 
        ihnen im immerwährenden Kriege, beschützen die Menschen und pflegen oft 
        mit denselben vertrauliche Gemeinschaft. So war Balki's, die 
        Königinn von Saba, berühmt durch ihren durchdringenden Verstand, der 
        selbst den weisen Salomon in Verlegenheit setzte, die Tochter eines 
        arabischen Königs und einer Peri. So schön, zart und lieblich die
        Peris sind, eben so häßlich böse und widerlich sind die 
        Dschinnen oder Diwe. Ungeheuer mit Drachenhäuptern, die Feuer 
        speyen, mit Ziegenfüßen und Schweifen, mit Bärentatzen und Geyerkrallen, 
        die von Dschinnistan aus oft die Erde unsicher machen, aber auch 
        darum nur in Sandwüsten und unwirthbaren Klüften hausen. Im Beginne der 
        Menschenherrschaft, als Kajumerß, der erste Monarch dessen die 
        morgenländische Geschichte erwähnt, den Thron der voradamitischen 
        Salomonen einnahm, hatte er noch viele und mächtige Kämpfe zu bestehen 
        mit den Diwen, die damahls noch kaum ins Dschinnistan gebannt, mächtig 
        andrangen, um die verlorne Herrschaft der Erde wieder zu erobern, und 
        ihm sogar seinen Sohn tödteten. Tahmuraß, der zweyte seiner 
        Nachfolger, erhielt den Nahmen Diwbend oder der Diwbändiger. 
        Der Schauplatz dieser Kämpfe waren die unwirthbaren Gegenden von 
        Masenderan, kalt, öde, sumpficht am Meer, und waldigt am Gebirge, 
        ganz zum Aufenthalte der Diwe geschaffen.
        
        
        Mehrere Kämpfe bestand mit denselben Rostem, der Herkules der 
        persischen Geschichte, der Befreyer des Reichs, der Held in den 
        beständigen Kriegen wider Turan, der Abkömmling eines 
        Heldenstammes, er selbst Vater eines jungen Heiden. Rostem Dastan, 
        oder der Starkhandige, Sohn Sal's des Sohnes Sam's des Sohnes Neriman's 
        des Sohnes Keren's. Schon seine Ahnen wirkten Wunder der Tapferkeit, 
        sowohl durch sich selbst als durch den Beystand Simurg's, der 
        sich schon der Erziehung Sal's, des Vaters von Rostem, angenommen 
        hatte. Einsam und altklug wohnt dieser Vogelwesir der Salomonen am Berge
        Kaf, viel gerühmt, nie gesehen von dem lebenden 
        Menschengeschlechte. Einzig in seiner Art, und stolz auf die Würden, die 
        er als Wesir so vieler Weltmonarchen bekleidete, flieht er die 
        Gesellschaft der Menschen, ist jedoch Rittern und Helden, welche ihre 
        Abentheuer bis zu seinem Neste am Berge Kaf verfolgen, immer zu gutem 
        Rathe erböthig. Den Helden des Schahname's, die er in seinen besonderen 
        Schutz nahm, gab er zwey seiner Federn, die sie auf den Kopf steckten 
        als einen Talisman wider alle Gefahren, als Unterscheidungszeichen 
        seiner Gunst und ihres Heldenmuthes. Seitdem es keine Simurgfedern mehr 
        gibt, sind Reigerbüsche oder sogenannte Tschelenk, als 
        kriegerische Unterscheidungszeichen und Belohnungen, an ihre Stelle 
        getreten. Durch Simurg begünstiget vollführte Rostem 
        Wunder der Tapferkeit wider Diwe und turanische Helden, 
        besonders im Zuge der sieben Abentheuer; doch ereilte auch ihn 
        das Unglück, indem er seinen Sohn Sohrab, der ihn, ohne ihn zu 
        kennen, herausgefordert hatte, nach einem langwierigen Zweykampf tödtete.
        
        
        Rostem's 
        Pferd und Schwert waren nicht minder gefeyet als sein Federbusch aus den 
        Federn Simurg's, welcher zuerst Tahmuraß dem Diwenbändiger 
        einen ähnlichen verliehen hatte. 
        
        
        Berühmter noch als Rostems gefeyete Rüstung und Mähre, als 
        Feridun's Stier und Keule, und Kawe's Schurzfell, um das sich 
        die Völker Persiens zum Sturze des Tyrannen Sohak sammelten, und 
        das dann bis zum Ende des persischen Thrones die Reichsfahne blieb, sind 
        in den orientalischen Fabelgeschichten die drey berühmten Talismane der 
        drey größten Monarchen der Welt, Salomon's des Universalmonarchen, 
        Dschemschid's des größten Königs der Könige, und Alexander's 
        des Welteroberers. Des Siegels Salomon's ist bereits gedacht 
        worden, und seine Tugenden sind, Dank den europäischen Feen- und 
        Zauberromanen, und der Tausend und einen Nacht, berühmt genug, um kein 
        Wort weiter darüber verlieren zu dürfen. Minder bekannt sind der 
        mystische Becher Dschemschid's, (über den Herder in seinen 
        persepolitanischen Briefen und Kreutzer in seiner Mythologie viel 
        Vortreffliches sagt) und der Weltenspiegel Alexander's. Der 
        erste, der auch das weltenzwingende Glas heißt, war ein Becher durch 
        sieben Linien siebenfach abgetheilt. Je nachdem er bis auf 
        die eine oder andere dieser Linien vollgefüllt war, zeigte er die 
        Geheimnisse dieses oder jenes Erdgürtels an, und Dschemschid 
        durfte nur hineinschauen, um dieselben zu erfahren. So zeigte auch der 
        Weltenspiegel Alexander's auf einen Blick die ganze Uebersicht 
        der Erde mit allen Ländern und Völkern. Die Sage des ersten ist 
        wahrscheinlich aus dem Opferkelche der Perser, und die Fabel des zweyten 
        aus einer verderbten Ueberlieferung vom Alexandrinischen Pharus 
        entstanden, denn zu Alexandria am Borde des Meeres war dieser 
        Weltenspiegel aufgerichtet. So scheint auch der Zug Alexander's 
        nach dem Ammonstempel in die lybische Wüste zu dem fabelhaften Zuge ins
        Land der Finsterniß, wo der Quell des Lebens strömt, Anlaß 
        gegeben zu haben. 
        
        
        Nach Alexander verschwinden die Fabeln immer mehr und mehr aus der 
        Geschichte, die auf diese Art der Poesie mehr und mehr fremd wird. Doch 
        ist noch unmittelbar vor Mohammed, Chosru Parwis, der letzte 
        große Kaiser der Perser, mit einer leuchtenden Glorie poetischer Fiction 
        umgeben. Seine Größe und Prachtliebe, die herrlichen Gebäude die unter 
        seiner Regierung aufgeführt wurden, die Künstler die er an seinem Hofe 
        vereinte, seine Liebesgeschichte mit Schirin der Christin, alles 
        trug dazu bey, der Geschichte seiner Regierung den Anstrich des 
        Fabelhaften und Wunderbaren zu geben. Das Historische derselben gehört 
        nicht hieher und ist schon anderswo erwähnt worden. Poetische Sagen, die 
        sich daraus erhalten haben, und auf welche häufige Anspielungen 
        vorkommen, sind: 
        
        
        Das weiche Handgold, das er in seinen Händen nach beliebiger Form 
        drückte; das Schachspiel, dessen Figuren die Bewegungen des Feindes 
        anzeigten; der Thron, über den künstliche Vögel flogen, und das 
        ganze Sternensystem in regelmäßiger Ordnung auf- und unterging; die 
        sieben Schätze, je einer unglaublich reicher als der andere; der
        Kanal, um in den Pallast Schirin's frische Milch 
        hinzuleiten, und endlich die schöne Mythe von dem Ursprung des 
        Granatapfels aus dem Blute Ferhad's entsprungen, indem das 
        Beil mit dem er sich getödtet, im Sturze auf der Erde stecken blieb, 
        wurzelte und Früchte trug mit gespaltenem Busen und blutigem Herzen. Die 
        um Hamadan wachsenden Granatäpfel heißen noch heute die 
        Granatäpfel Ferhad's, wie eine andere Pflanze das Blut von 
        Sijawusch heißt, zum Andenken des unschuldig vergossenen Blutes 
        dieses Prinzen, dessen Geschichte mit seiner Stiefmutter, einer anderen 
        Phädra, einen der schönsten Gesänge des Schahname ausmacht. Mit Mohammed 
        verschwindet die Fabel und beginnt erst die wahre arabische und 
        persische Geschichte, und in so weit der Ausdruck der Araber ganz 
        richtig, welche das Zeitalter vor ihm, das Zeitalter der Unwissenheit 
        nennen.
        
        
        Wie sich die Zeiten aufhellten, und die Wissenschaften an arabischen und 
        persischen Höfen blühten, war die Herrschaft der Fabel zu Ende, und ihr 
        Reich erhielt wenigstens weiter keine allgemeine gültige Vergrößerung. 
        Die Sagen des Koran's und des Schahname blieben der 
        unversiegbare Quell des Mythos, der nicht mehr ab- und zunahm, und der 
        noch heute in allen Gedichten des Morgenlandes lebendig fortströmt. Die 
        anderen allgemein gültigen Fictionen, die sich weder auf den Koran 
        noch auf das Schahname gründen, sind sehr wenige, scheinen jedoch 
        aber aus der grauesten Zeit von dem ältesten Persien auf das neueste 
        herübergekommen zu seyn. An der Spitze derselben stehen die 
        astronomischen Sagen, die augenscheinlich mit Spuren indischer, 
        ägyptischer und griechischer Mythologie verwebt sind; die Sternenbilder 
        leben und weben als wirkliche Personen oder Thiere in der Welt 
        morgenländischer Dichtung, wie dieß an einem anderen Orte ("Ueber die 
        Sternbilder der Araber") umständlicher auseinander gesetzt worden. Eine 
        genaue Bekanntschaft mit dieser Sternbilderlehre ist zur 
        Verständlichkeit aller rhetorischen und poetischen Kunstwerke des 
        Orients unumgänglich nothwendig, so häufig kommen Anspielungen darauf 
        vor, besonders auf die zwölf Thierzeichen, die Stationen des Mondes, die 
        Fixsterne erster Größe, und die sieben Planeten. Diese letzten 
        erscheinen als eben so viele Genien, welche die Herrschaft des Himmels 
        unter sich theilen. Jupiter als der Richter und Herr, Saturnus 
        als der alte Gauner auf seinem Raubschloß, Mars als blutdürstiger 
        Krieger, der Mond der Schenke des Himmels, Merkur als der 
        Schreiber des Himmels, der Gründer der Wissenschaften, der den Kopf auf 
        das Knie gestützt in tiefe Betrachtungen versenkt ist. Venus 
        endlich, welche Sohre oder Anahid heißt, als der weibliche 
        Genius des Morgen- und Abendsterns, der mit Lyragetön den Reigen der 
        Sterne anführt. Diese Sichtung, eine der lieblichsten und 
        interessantesten, verdient ausführlichere Erwähnung.
        
        
        Harut 
        und Marut, zwey Engel welche das Loos der Menschen beneideten, 
        die nach kurzem Erdenleben mit ihnen die himmlischen Freuden theilten, 
        erhielten vom Herrn des Himmels die Erlaubniß, auf Erden zu wandeln, 
        jedoch in sterblichen Leibern und allen Begierden und Gebrechen der 
        Menschen unterworfen, um selbst zu erproben, ob das Verdienst des 
        Menschen, rein durchs Erdenleben zu gehen, so gering sey. Er lehrte sie 
        das heilige Wort, kraft dessen sie vom Himmel niederzusteigen und wieder 
        aufzusteigen vermochten. Sie kamen zu Sohre oder Anahid, 
        einer schönen Frau, die sie zu verführen suchten, indem sie sich ihr als 
        Engel zu erkennen gaben, die ihnen aber nur unter der Bedingung zu 
        willen zu werden versprach, wenn sie ihr das Einlaßwort des Himmels 
        sagten. Sie sagten ihrs, vergassen es aber im Augenblicke, da sie davon 
        Mißbrauch gemacht; Anahid sprach es aus und stieg unter die 
        Sterne empor, wo sie zum Lohne ihrer Tugend auf den Morgenstern versetzt 
        ward, auf dem sie mit ihrer Lyra den Ton der Musik der Sphären angibt. 
        Eine eben so schöne als zarte Idee, auf welche persische Dichter häufig 
        anspielen, aber unsers Wissens keiner zarter und glücklicher als 
        Hatifi in seinen Hymnen auf Gott, wo er den Herrn preiset: der 
        die Lyra des Abendsterns mit den Strahlen der Sonne besaitet hat. 
        Nahid ist die Alitta und Mylitta Herodot's, die 
        von Armeniern und Persern bald als Venus, bald als Diana, 
        bald als Pallas, und bald als Göttinn der Nacht verehrt ward, 
        vielleicht dieselbe mit der ägyptischen Neight, deren ägyptischer 
        und persischer Nahme sich im englischen Night und im deutschen 
        Nacht, nur mit Aenderung des Hauchlautes, erhalten hat. Diese 
        Apotheose des Morgensterns, der mit der Strahlenleyer die Harmonie der 
        Sphären anführt, ist eine der schönsten Dichtungen des Orients. Die 
        Entwürdigung des Tempeldienstes Mylitta's zu Babylon, wo sich 
        Frauen und Mädchen öffentlich den Fremden preisgaben, ist vielleicht der 
        gefallene Morgenstern der Schrift.
        
        
        Von den Sternen, den Blumen des Himmels, senket der Dichter den Flug zu 
        den Blumen, den Sternen der Erde, unter denen die Rose, wie dort 
        Nahid, den Reigen anführt. Die Dichtung der Liebe der Nachtigall zur 
        Rose  ist eine der ältesten und zartesten Mythen persischer Poesie, so 
        alt und zart wie die Rosenhaine von Persis, wo die Nachtigall 
        schon vor Firdussi Pehlewi oder altpersisch sprach, wie er so 
        schön sagt:
        Steh' auf am Morgen, blick' auf, und dicht',
        
        
        Hör' wie die Nachtigall altpersisch spricht.
        
        
        Die Rose, die hundertblättrige (Sadberg), ist die Königinn 
        der Schönen, die Nachtigall, die tausendstimmige (Hesardassitan), 
        der König der Sänger, beyde die Gefährten des Frühlings, der schönsten 
        Zeit der Jugend und der Lust. Immer prangt hellglänzend und lacht 
        frohlockend die Rose, während die Nachtigall flehend und wimmernd die 
        Schmerzen ihrer Liebe der Nacht klagt, daher sie auch der Sänger der 
        Nacht heißt. Wo Rosen entblühen, kosen auch Nachtigallen, welche nie 
        aufhören, unter tausend wechselnden Formen des Wohllauts, der Rose ihre 
        Liebe zu erklären, während diese, darüber unbekümmert, sich nur des 
        Lebens freut, ohne sich die melancholischen Klagen der Nachtigall sehr 
        zu Herzen zu nehmen. Unabläßig singt diese von Liebe, und wiewohl nicht 
        immer zufrieden mit der Gegenliebe der Rose, muntert sie doch als Muster 
        treuer Liebe den Wanderer zur Liebe auf; so sagt Saadi sehr schön
        
        
        Weißt was Nachtigall
        Dort singet im Gesträuß?
        Was für ein Mensch bist du!
        Der nichts von Liebe weiß?
        
        
        Daher ist sie die eigentliche und einzige Muse orientalischer Dichter, 
        welche sie nicht nur im Anfange ihres Gedichtes, sondern auch beym 
        Anfange einzelner Gesänge anrufen, wie der Verfasser der deutschen 
        Schirin sein Werk beginnt:
        
        
        O Sängerinn des Frühlings und der Liebe u.s.w. (Schirin I. Gesang)
        
        
        
        Öfters redet aber der Dichter auch statt der Nachtigall seine Seele oder 
        sein Herz, besonders bey erhabenen Gegenständen, und manchmahl die Flöte 
        an, wie Horaz seine Lyra. So beginnt das große Gedicht 
        Dschelaleddin Rumi's mit den Versen:
        
        
        Hör' wie die Flöte traurend klagt,
        Was sie von ihrer Trennung sagt, usw.
        
        
        und der zweyte Theil der deutschen Schirin nach persischen 
        Vorbildern:
        
        
        Komm wieder Sängerinn des Frühlings und der Rosen,
        Komm, Nachtigall! aus Fluren von Schiras,
        Mit meiner Flöte in dem weichen Gras
        Wie mit der Königinn des Blumenstaats zu kosen.
        
        
        Außer der Personifizierung der Flöte kömmt auch öfters die der 
        Laute und der Halbtrommel vor, aber nicht als Anrufung im 
        Anfange der Gedichte, sondern in Erzählungen, wo bey Gelegenheit eines 
        Gesanges, den Laute und Halbtrommel begleiten, sie mit einem Gespräche 
        über ihre eigenen Schicksale präludiren; so daß nach dieser so artigen 
        als sinnreichen Dichtung, das Vorspiel der gesangbegleitenden 
        Instrumente nichts als eine Reflexion des Instruments über sich selbst 
        ist. So erzählt die Flöte, wie es ihr ging, da sie noch als Rohr ein 
        Spiel des Windes war, während jetzt der Hauch des Mundes auf ihr spielt; 
        die Halbtrommel klagt, wie sie Unsägliches habe erleiden müssen, ehe sie 
        als Haut gegerbt, und dann in den Reif gespannt worden. Die Laute 
        erinnert sich, wie sie noch als grünender Baum im Walde stand, wo die 
        Lüfte des Himmels durch ihre Blätter, wie jetzt die Finger durch ihre 
        Saiten schwirren, sie erzählt wie das Eisen angelegt, der Baum gefällt 
        und sie dann zur Laute gewölbt ward usw. Diese drey Instrumente sind 
        gleichsam die sprechenden Repräsentanten aller Blas-, Saiten- und 
        Schlaginstrumente.
        
        
        Nebst der schönen Allegorie der Liebe der Nachtigall und der 
        Rose, welche ungeachtet der Klagen der Nachtigall und des leichtes 
        Sinnes der Rose, dennoch im Ganzen eine glückliche und genußreiche Liebe 
        ist, kennen persische Dichter noch zwey andere Allegorien unglücklicher 
        Liebe, welche auf diese Weise den mythischen Cyklus der Liebe gleichsam 
        erschöpfen. Diese sind die Liebe des Ballens und des Schlägels,  
        und dann die Liebe des Schmetterlings zur Flamme des Lichts. 
        Beyde ein Sinnbild unglücklicher Liebe, jedoch mit dem Unterschiede, daß 
        in dem ersten von Seiten der Liebenden mehr knechtische Unterwürfigkeit, 
        in dem zweyten eine vollere und größere Selbstaufopferung zu gewahren 
        ist, daß dort die Geliebte (der Schlägel) zwar härter, aber 
        dennoch nicht unerbittlich, sich mit dem Liebenden spielend abgibt, 
        während hier die Geliebte (die Flamme) sich dem Liebenden von 
        selbst auch nicht im geringsten annähert, und ihn, wenn er sich ihr 
        opfert, grausam vernichtet. Der Ballen ist immer bereit, sich (im 
        Maillespiel) nach Belieben des Schlägels schlägeln und herumkugeln zu 
        lassen, und ist herzlich froh, wenn sich dieser nur würdigt, ihm 
        Streiche auf den Kopf zu geben. Der Schmetterling hingegen fliegt 
        immer um das Licht, das bald lacht, bald weint, je nachdem die Flamme 
        aufflackert oder das Wachs schmilzt, und in dessen Gluthen er sich 
        endlich verzehrt. Der Schmetterling ist also dem Morgenländer nicht wie 
        dem Abendländer ein Sinnbild der Unbeständigkeit und des Flattersinnes, 
        sondern vielmehr ein Sinnbild der treuesten, hingebensten, sich selbst 
        vergeßenden und aufopfernden Liebe, und die entgegengesetzte Polarität 
        des Ostens und Westens, die sich überall auch in den geringsten 
        Kleinigkeiten bewahrt, springt hier auf eine auffallende Weise ins Auge: 
        Abend- und Morgenländer stehen von einander ab, wie der Occident vom 
        Orient.
        
        
        Außer der Rose dienen zwar wohl auch alle anderen schönen Blumen und 
        Bäume dem Dichter, daraus einen Kranz zum Lobe seiner Geliebten zu 
        flechten, und wir werden unter dieser Beziehung weiter unten ihrer 
        erwähnen; aber mythologischen Sinn haben bey persischen Dichtern unseres 
        Wissens nur zwey, nämlich die Lilie unter den Blumen, und die 
        Cypresse unter den Bäumen, und zwar jede derselben unter zwey 
        verschiedenen Beziehungen, von denen ihnen eine gemeinsam ist. Die 
        Lilie, deren Blätter sonst insgemein mit Degen, Wimpern usw. 
        verglichen werden, hat zehn Zungen, und ist dennoch stumm, sie lehrt die 
        Weisheit des Schweigens trotz aller polyglottischen Gelehrsamkeit; die
        Cypresse, in deren schwankender Bewegung der Liebende nur den 
        anmuthsvollen Gang und den Wuchs seiner Geliebten sieht, schattet auf 
        Gräbern als Denkmahl der Abgeschiedenen. Beyde aber, so die Lilie 
        als die Cypresse, sind Symbole der Freyheit; die Lilie 
        ist die Blume, und die Cypresse der Baum der 
        Freyheit. Europäische Leser werden nicht wenig staunen, die 
        Freyheit in Asien neben der Wiege des Despotismus 
        anzutreffen, und sogar einem Freyheitsbaume zu begegnen, der in Europa 
        verdienter weise in so üblen Ruf gekommen. Aber von wie verschiedenen 
        Seiten erscheint auch wieder dem Asiaten und Europäer die Freyheit und 
        ihr Symbol! – Die Lilie ist ihm frey, weil sie weiß, von 
        aller Mackel, von aller irdischen Befleckung, von aller sinnlichen 
        Anhänglichkeit an Farben, rein ist. Die Cypresse ist's, weil sie 
        keinen ihrer Zweige zum Boden senkt, sondern alle himmelwärts kehrt, und 
        gar nicht wie andere Bäume einen in viele Zweige auslaufenden, sondern 
        einen einzigen kegelförmigen Stamm darstellt. Reinigkeit also von 
        sinnlichen Begierden, und Verzicht auf irdische Gegenstände sind die 
        Bestandtheile der wahren Freyheit, die in ihrer ganzen 
        Vollkommenheit freylich nur im Grabe gefunden werden kann, worauf 
        heiteren und tiefen Sinnes die Lilie blüht und die Cypresse 
        schattet.
        
        
        Unendlich ist das Gebieth der Natur und die Herrschaft der 
        Einbildungskraft, welche aus demselben ihre Vergleichungen hernimmt. Wer 
        vermag die Grenzen der einen oder andern dem Genius der Dichtkunst 
        abzustecken! Indessen hat derselbe jedoch von jeher bey verschiedenen 
        Völkern nach Maßgabe der verschiedenen Himmelsstriche, der Naturscenen, 
        der Erziehung und der Religion, gewisse Formen vor andern liebgewonnen 
        und sich daran festgehalten. Dieß ist besonders der Fall bey Metaphern 
        und Gleichnissen, welche das große Farben- und Bildermagazin der Poesie 
        sind. Ausnahmen großer origineller Geister, welche sich über die vor 
        ihnen bestandenen Schranken erhoben, und durch die Excentrität ihres 
        Hippogryphenfluges die Freyheit der Einbildungskraft beurkunden, und 
        gleichsam von Zeit zu Zeit wieder gebähren, gehören nicht hieher. So 
        haben wir Deutsche einen Jean Paul, dessen Muse sich aus dem 
        Orient nach dem Occident verirrt, und um als Fremdlinginn unerkannt zu 
        bleiben, die Larve des Witzes und der Laune vorgenommen zu haben 
        scheint, dessen Phantasie deutscher Poesie wohl als Kronjuwele, aber 
        deutscher Cultur und Bildung nicht als Gemeingut angehört.
        
        
        Nur von dem letzten, in so weit es das allgemein gang und gäbe Eigenthum 
        der Volksdichter, in so weit Bild- und Gleichniß nicht ein oder zweymahl, 
        sondern vielmahl gebraucht, zu einem bekannten Vereinigungs-Symbole 
        persischer Poeten geworden, sey hier die Rede. 
        
        
        Sururi, 
        ein großer türkischer Gelehrter und berühmter Commentator persischer 
        Dichter, hat nach dem Enissol-uschak oder Freund der 
        Verliebten in seiner Poetik Bahral-maarif oder das Meer 
        der Kenntnisse betitelt, die Schönheitsbeschreibenden Vergleichungen 
        in Rubriken gebracht, und mit Beyspielen aus persischen Dichtern belegt, 
        deren vollständige Übersetzung in eine persische Poetik gehört, und 
        nicht inner den Grenzen dieses Werkes liegt. Wir begnügen uns daher blos 
        mit der Anzeige der Bilder selbst.