Dich, den Allmächtigen, ehren anbetend ...

Aus Hymnen und Sequenzen des 4. - 15. Jh.s

 


Hermann Stenner (1891-1914)
Der weisse Knabe

 



Gottschalk von Orbais
(um 803-869)

Hymnus zum Lobe der heiligsten Dreifaltigkeit

Was befiehlst du mir, o knäblein,
Warum forderst du, o söhnlein,
Dass ich süsse lieder singe,
Der ich als verbannter lang das meer durchdringe?
O warum soll ich dir singen?

Besser ziemte mir elenden,
Knäblein, meinen sang zu wenden,
Klagen sollte ich als büsser
Statt zu singen, wie du forderst, lieber, süsser.
O warum soll ich dir singen?

Lieber wollt ich, jugendlicher,
Magst du's wissen, brüderlicher,
Frommen herzens in mir trauern
Und in dem gesenkten geiste tief erschauern.
O warum soll ich dir singen?

Denn du weisst, göttlicher lerner,
Denn du weisst, erhabner lehrer,
Dass ich lange hier verbannt bin,
Tag und nacht viel zu ertragen hier ernannt bin.
O warum soll ich dir singen?

Weisst, dass den gefangnen scharen,
Die in Babylon einst lagen,
Israel befohlen wurde,
Ohne matten zu besingen Judas ende.
O warum soll ich dir singen?

Doch du liessest dich bestimmen,
Und sie brauchten doch nicht immer
Ihre süssen lieder schallend
Vor dem fremden volk der erde dort zu hallen.
O warum soll ich dir singen?

Aber da du es beschlossen,
Ausgezeichneter genosse,
Sing dem Vater und dem Sohne
Und dem Heiligen Geiste ich mit lautem tone
Diesen sang aus freiem willen.

Sei gebenedeit, o höchster,
Vater, Sohn und milder Tröster,
Gott in dreien, Gott der eine,
Gott der grösste, Gott der gute, Gott der reine,
Durch den sang aus freiem willen.

Doch ich bin verbannt, gebieter,
Hier im meere, du geliebter,
Schon zwei jahre sieh mich armen
Hier verweilen, lass dich endlich mein erbarmen,
Darum bitt ich auf den knien.

Und als sang aus freier gabe
Singt inzwischen, holder knabe,
Psalm die seele, psalm die lippe
Psalm am tage, psalm in nächten, süsse lieder
Sing ich dir, du milder könig.



 

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Aus: Hymnen und Sequenzen von Friedrich Wolters
Übertragungen aus den lateinischen Dichtern
der Kirche vom vierten bis fünfzehnten Jahrhundert
Verlag Otto v. Holten
Berlin MDCCCCXIV (1914) (S. 82-84)




 

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