Vater 
      im Himmel! wende nicht länger Dein Antlitz von mir, laß es aufs neue 
      leuchten für mich, so daß ich Deine Wege gehe und nicht mehr und mehr mich 
      verirre weit weg von Dir, wo Deine Stimme mich nicht mehr erreichen 
      könnte. Oh, laß Deine Stimme ertönen für mich, gehört werden von mir, wenn 
      sie auch schreckend mich einholen muß auf meinen irren Wegen, wo ich als 
      krank und beschmutzt im Geist abseits lebe und einsam, fern der 
      Gemeinschaft mit Dir und der Gemeinschaft mit Menschen. Du Herr Jesus 
      Christus, Du, der in die Welt kam, um den Verlorenen zu retten, Du, der 
      die neunundneunzig Schafe ließ, um das eine verirrte zu suchen, suche mich 
      auf den Abwegen meiner Verirrungen, wo ich mich verberge vor Dir und vor 
      Menschen, Du, der gute Hirte, laß mich Deine Stimme hören, laß mich sie 
      erkennen, laß mich ihr folgen! Du Heiliger Geist, tritt Du auch vor mich 
      mit unaussprechlichem Seufzer, bete für mich wie Abraham für das verderbte 
      Sodom, wenn da bloß ein reiner Gedanke, ein besseres Gefühl in mir ist, 
      daß doch die Zeit der Prüfung verlängert werden möge für den unfruchtbaren 
      Baum, Du würdiger Heiliger Geist, Du, der Du die Ausgestorbenen 
      wiedergebierst und den Alten verjüngst, erneuere Du auch mich und schaff 
      in mir ein neues Herz, Du, der mit Mutterfürsorge alles umfriedet, in dem 
      noch ein Funken von Leben ist. Oh, bewahre Du auch mich fester geknüpft an 
      Ihn, meinen Heiland und Erlöser, daß ich geheilt nicht vergessen möge wie 
      jene neun Aussätzigen, umzukehren, wie der eine Aussätzige zurück zu Ihm, 
      der mir das Leben gegeben hat, in dem allein Seligkeit zu finden ist, ja 
      heilige Du mein Tun und mein Denken, so daß erkannt werden möge, daß ich 
      Sein Leibeigener bin jetzt und in alle Ewigkeit.
      
      
      Aus: Sören Kierkegaard Die Tagebücher 1834-1855
      Ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
      Hegner Bücherei Im Kösel Verlag zu München 1949 (S. 116-117)
      
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      Vater im Himmel! Auf vielerlei Weise redest Du zu einem Menschen: Du, 
      dem Weisheit und Verstand allein gehören, Du willst Dich ihm doch 
      verständlich machen. Ach, und auch wenn Du schweigst, so redest Du ja doch 
      mit ihm; denn auch der redet, der schweigt, um den Lernenden zu überhören; 
      auch der redet, der schweigt, um den Geliebten zu prüfen; auch der redet, 
      der schweigt, auf das die Stunde des Verstehens desto innerlicher sei, 
      wenn sie kommt. Vater im Himmel, ist es nicht also? Oh die Zeit des 
      Schweigens, wann ein Mensch einsam steht und verlassen, da er Deine Stimme 
      nicht hört, da ist es ihm, als sollte die Trennung für immer sein; oh, die 
      Zeit des Schweigens, wenn ein Mensch verschmachtet in der Wüste, da er 
      Deine Stimme nicht hört, da ist es ihm, als wäre sie ganz entschwunden!
      
      Vater im Himmel, es ist ja doch nur des Schweigens Augenblick in der 
      Innerlichkeit des Zusammenredens. So laß es gesegnet sein, auch dieses 
      Schweigen, wie jedes Deiner Worte zu einem Menschen, laß ihn nie 
      vergessen, daß Du auch dann redest, wann Du schweigst; schenke ihm diesen 
      Trost, wenn er auf Dich baut, daß Du aus Liebe schweigst, wie Du aus Liebe 
      redest, so daß nun, ob Du schweigest oder redest, Du doch derselbe Vater 
      bist, dieselbe Väterlichkeit, ob du durch Deine Stimme leitest oder durch 
      Deine Schweigen erziehest.
      
      
      Aus: Sören Kierkegaard Die Tagebücher 1834-1855
      Ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
      Hegner Bücherei Im Kösel Verlag zu München 1949 (S. 210)
      
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      Herr Jesus Christus! Ein ganzes Leben hieltest Du aus und littest, um 
      auch mich zu erlösen: ach, und doch ist die Zeit Deines Leidens nicht 
      vorbei; aber auch dieses Leiden wirst Du lösend und erlösend aushalten, 
      dieses Geduldsleiden, es mit mir zu tun zu haben, der ich so oft abweiche 
      vom rechten Weg, oder wenn ich doch auf dem rechten Weg blieb, doch so oft 
      strauchelte auf dem rechten Weg, oder doch so langsam ging, so kriechend 
      nur auf dem rechten Weg. Unendliche Geduld, unendliches Leiden der Geduld! 
      Wie viele Male wurde ich ungeduldig, wollte verzagen, wollte alles 
      aufgeben, wollte den furchtbar leichten Ausweg nehmen: der Verzweiflung; 
      aber Du verlorest nicht die Geduld. Ach, nicht paßt auf mich, was Dein 
      auserwählter Diener sagt: daß er Deine Leiden vollendete. Nein, auf mich 
      paßt nur, daß ich Deine Leiden vermehrte, neue hinzufügte zu denen, die Du 
      einmal littest, um auch mich zu erlösen.
      
      
      Aus: Sören Kierkegaard Die Tagebücher 1834-1855
      Ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
      Hegner Bücherei Im Kösel Verlag zu München 1949 (S. 398)
      
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      Vater im Himmel! Was ist doch ein Mensch ohne dich! Wie ist alles, was 
      er weiß, wäre es auch die Menge der Mannigfaltigkeit, nur ein Bruchstück, 
      wenn er dich nicht kennt; wie ist all sein Streben, wäre es auch 
      weltumspannend, nur eine halbfertige Arbeit, wenn er dich nicht kennt, 
      dich, den Einen, der Eines ist und Alles! So gib du dem Verstande 
      Weisheit, das Eine zu fassen, dem Herzen Aufrichtigkeit, das Verstandene 
      anzunehmen, dem Willen Reinheit, nur Eines zu wollen; gib du in guten 
      Tagen Beharrlichkeit, nur Eines zu wollen; in Zerstreuungen Sammlung, nur 
      Eines zu wollen, in Leiden Geduld, nur Eines zu wollen. O du, der du 
      beides gibst, das Anfangen und das Vollenden, gib zeitig, wenn der Tag 
      graut, dem Jüngling den Entschluß, nur Eines zu wollen; wenn der Tag sich 
      neigt, gib du dem Greise ein erneutes Gedenken an den ersten Entschluß, 
      daß das Letzte wie das Erste und das Erste wie das Letzte sein möge, das 
      Leben dessen, der nur Eines wollte. Ach, aber es ist ja nicht so; es kam 
      ja etwas dazwischen, die Sünde hat sich trennend dazwischen gelegt, 
      tagtäglich kommt etwas dazwischen: die Verzögerung, der Stillstand, die 
      Unterbrechung, die Verirrung, das Verderben. So gib du in der Reue 
      Freimütigkeit, wieder Eines zu wollen. Wohl ist es eine Unterbrechung des 
      Tagewerkes, wohl ist es ein Stillstand der Arbeit, als wäre es ein 
      Ruhetag, wenn der Reuige und nur in der Reue mühselig Arbeitende in der 
      Erkenntnis der Sünde zur Ruhe kommt, in der Selbstanklage vor dir allein 
      ist; ach, es ist ja aber eine Unterbrechung, die zu ihrem Anfang 
      zurücksucht, daß sie wieder das Getrennte zusammenbinden möge, daß sie in 
      ihrer Sorge das Versäumte nachholen möge, daß sie in ihrer Bekümmernis das 
      Voranliegende vollbringen möge. O, du, der du sowohl das Anfangen wie das 
      Vollbringen gibst, gib du den Sieg am Tage der Not, damit was dem 
      brennenden Wunsche, dem entschlossenen Vorsatze nicht gelang, dem in der 
      Reue Betrübten doch gelingen möge: nur Eines zu wollen.
      
      
      Aus: Sören Kierkegaard Die Reinheit des Herzens
      Aus dem Dänischen übersetzt von Lina Geismar [1876-1942]
      Christian Kaiser Verlag München 1924 (S. 11-12)
      
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      Wie sollte man von der Liebe recht reden können, wenn man dich 
      vergäße, du Gott der Liebe, von dem alle Liebe ist im Himmel und auf 
      Erden! dich, der nicht kargte, sondern alles in Liebe hingab; dich, der 
      die Liebe ist, so daß der Liebende was er ist nur dadurch ist daß er in 
      dir ist! Wie sollte man recht von der Liebe reden können, wenn man dich 
      vergäße; dich, der offenbarte was Liebe ist; dich, unsern Heiland und 
      Versöhner, der sich selbst hingab um alle zu erlösen! Wie sollte man recht 
      von der Liebe reden können, wenn man dich vergäße, du Geist der Liebe; 
      dich, der nichts von seinem Eigenen nimmt sondern an jenes Opfer der Liebe 
      erinnert, der den Glaubenden erinnert zu lieben wie er geliebt ist und 
      seinen Nächsten als sich selbst! Ewige Liebe, die du überall gegenwärtig 
      bist und dich nie unbezeugt lässest wo du angerufen wirst, laß dich auch 
      jetzt nicht unbezeugt bei allem was hier von der Liebe oder dem Walten der 
      Liebe gesagt werden soll! Denn wohl sind es nur etliche Werke, welche die 
      menschliche Sprache auszeichnet und kleinlich Liebeswerke nennt; im Himmel 
      aber ist es ja so, daß dort kein Tun angenehm ist es sei denn ein Werk der 
      Liebe: aufrichtig in Selbstverleugnung, im Drang der Liebe getan, und 
      ebendaher ohne Anspruch auf ein Verdienst!
      
      
      Aus: Sören Kierkegaard Leben und Walten der Liebe
      Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1924
      Übersetzt von Albert Dorner [1842-1926] und
      Christoph Schrempf [1860-1944] (S. 3)
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      Vater im Himmel! Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkest, und des 
      Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst - und auf alle Weise, in jeder 
      Hinsicht! Wahrlich, in nichts ließest du dich unbezeuget; und zuletzt 
      gabst du ihm dein Wort. Mehr konntest du nicht tun; ihn zwingen, daß er es 
      benutze, es lese oder höre, ihn zwingen, daß er danach tue: das konntest 
      du nicht wollen. Und doch tust du noch mehr. Denn du bist nicht wie ein 
      Mensch; der tut selten etwas um nichts, und tut er es um nichts, so will 
      er wenigstens keine Mühe davon haben. Du hingegen, o Gott, du gibst dein 
      Wort als eine Gabe, das tust du, unendlich Erhabener, - und wir Menschen 
      haben dir nichts dafür zu geben. Und findest du dann bloß einige 
      Willigkeit bei dem Einzelnen, so bist du sofort zur Stelle und sitzest 
      erst mit mehr als menschlicher, ja mit göttlicher Geduld bei dem Einzelnen 
      und buchstabierst mit ihm, um ihm zum rechten Verständnis des Wortes zu 
      verhelfen; und dann nimmst du ihn ferner mit mehr als menschlicher, ja mit 
      göttlicher Geduld gleichsam bei der Hand und hilfst ihm, wenn er darnach 
      tun will - du, unser Vater im Himmel!
      
      Aus: Sören 
      Kierkegaard Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen
      Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1922
      Übersetzt von Albert Dorner [1842-1926] und
      Christoph Schrempf [1860-1944] (S. 7)
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        Vater im 
        Himmel! Du bist Geist, und wer dich anbeten will, soll dich im Geist und 
        in der Wahrheit anbeten; - wie aber im Geist und in der Wahrheit, wenn 
        wir nicht nüchtern sind oder doch vor allem nüchtern werden wollen? So 
        sende denn deinen Geist in unsre Herzen; er wird so oft angerufen, daß er komme und Mut und Leben, Kraft und Stärke bringe; 
        ja, sende uns deinen Geist, damit er uns vor allem nüchtern mache, damit 
        dann auch das übrige uns zu teil und zum Segen werden könne!
        
      Aus: Sören 
        Kierkegaard Leben und Walten der Liebe
        Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1924
        Übersetzt von Albert Dorner [1842-1926] und
        Christoph Schrempf [1860-1944] (S. 77)
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        Wieder ist ein Jahr vergangen, himmlischer Vater! Wir danken Dir 
        dafür, daß es zur Zeit der Gnade gelegt ward, und erschrecken nicht 
        darüber, daß es auch zur Zeit der Rechenschaft gelegt werden soll; denn 
        wir vertrösten uns auf Deine Barmherzigkeit. Das neue Jahr steht vor uns 
        mit seinen Forderungen; und gehen wir auch gebeugt und bekümmert hinein, 
        weil wir vor uns nicht verheimlichen können und wollen den Gedanken an 
        der Augen Lust, die betörte; an die Süße der Rache, die verführte; an 
        den Zorn, der uns unversöhnlich machte; an das kalte Herz, das weit von 
        Dir wegfloh; - so gehen wir doch auch nicht ganz mit leeren Händen 
        hinein; denn wir wollen auch sie mit uns nehmen: die Erinnerungen an die 
        bangen Zweifel, die beruhigt wurden; an den niederdrückenden Sinn, der 
        erhoben wurde; an die frohe Hoffnung, die nicht beschämt wurde. Ja, wenn 
        wir in sorgenvollen Augenblicken unsern Sinn stärken und aufrichten 
        wollen durch den Gedanken an die großen Männer, Deine erwählten 
        Werkzeuge, die in schweren Anfechtungen, in der Angst des Herzens den 
        Sinn frei behielten, den Mut ungeschwächt, den Himmel offen, so wollen 
        wir auch dazu unser Zeugnis legen in der Überzeugung, daß, wenn auch 
        unser Mut im Vergleich mit dem Jener nur Mißmut ist, unsere Macht nur 
        Ohnmacht, Du doch derselbe bist, derselbe gewaltige Gott, der die 
        Geister prüft im Streit, derselbe Vater, ohne dessen Wille nicht ein 
        Sperling zur Erde fällt. Amen.
        
        Aus: Sören 
        Kierkegaard Religiöse Reden
        Ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
        Verlag Hermann A. Wiechmann München 1922 (S. 33-34)
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        Vater im Himmel! Du hältst alle guten Gaben in Deiner Hand. Dein Überfluß ist reicher, als daß menschlicher Verstand ihn fasse, Du bist 
        willig zu geben, und Deine Güte ist größer, als daß eines Menschen Herz 
        sie verstehe; denn Du erfüllst jede Bitte und gibst, um was wir bitten, 
        oder gibst noch Besseres, als was wir bitten. So gib Du denn jedem 
        seinen zugewiesenen Teil, wie es Dir wohlgefällt; aber gib Du auch jedem 
        die Überzeugung, daß alles von Dir kommt, damit nicht die Freude uns von 
        Dir reiße in der Vergessenheit der Lust, damit nicht das Leid die 
        Scheidewand setze zwischen Dich und uns; sondern daß wir in der Freude 
        hinsuchen zu Dir und im Leide bei Dir bleiben, damit, wann unsere Tage 
        gezählt sind, und der äußere Mensch verdorben ist, der Tod nicht kalt 
        und furchtbar in seinem eigenen Namen komme, sondern mild und freundlich 
        mit Gruß und Botschaft, mit Zeugnis von Dir, unserem Vater, der Du im 
        Himmel bist! Amen!
        
        Aus: Sören 
        Kierkegaard Religiöse Reden
        Ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
        Verlag Hermann A. Wiechmann München 1922 (S. 68)
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        Vater im Himmel! Wohl wissen wir, daß das Suchen allzeit seine 
        Verheißung hat, wie also nicht Dich zu suchen, Du aller Verheißungen und 
        aller guten Gaben Geber! Wohl wissen wir, daß der Suchende nicht allzeit 
        hinauszuwandern braucht in die Welt, denn je heiliger das ist, was er 
        sucht, um so näher ist es ihm, und wenn er nun Dich sucht, o Gott, Du 
        bist ihm ja am allernächsten! Aber wir wissen auch, daß das Suchen immer 
        seine Mühe hat und seine Anfechtung, wie also nicht ein Schrecken, Dich 
        zu suchen, Du Gewaltiger! Wagt sogar der, welcher in Gedanken sich 
        vertröstet auf seine Verwandtschaft, wagt sogar der sich mit dem 
        Gedanken nicht ohne Schrecken in jene Entscheidungen hinaus, wo er durch 
        Zweifel hindurch Deine Spur sucht in des Daseins weiser Ordnung, wo er 
        durch Verzweiflung hindurch Deine Spur sucht in der erregten Ereignisse 
        Gehorsam unter deine Vorsehung; sucht er, den Du Deinen Freund nanntest, 
        der vor Deinem Antlitz wandert, sucht doch auch der nicht ohne Beben der 
        Freundschaft Begegnung mit Dir, Du einziger Gewaltiger; wagt der 
        Betende, der aus ganzem Herzen liebt, wagt doch auch der sich nicht ohne 
        Angst in des Gebets Streit mit seinem Gott; läßt selbst der Sterbende, 
        für den Du ja das Leben umtauschest, läßt doch auch der nicht ohne 
        Schaudern vom Zeitlichen, wenn Du rufest; flieht selbst der Elende, dem 
        die Welt eitel Leiden bringt, flieht doch auch der nicht ohne Schrecken 
        hin zu Dir, Du, der Du nicht ein wenig nur linderst, sondern der Du 
        Alles bist: wie darf da der Sünder Dich suchen, gerechter Gott! Aber 
        deshalb sucht er Dich auch nicht wie jene, sondern er sucht Dich in der 
        Sünden Bekenntnis.
        
        Aus: Sören 
        Kierkegaard Religiöse Reden
        Ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
        Verlag Hermann A. Wiechmann München 1922 (S. 126)
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        Du Unveränderlicher, den nichts verändert, Du in Liebe 
        unveränderlicher, der Du gerade zu unserm Besten Dich nicht verändern läßt: daß auch wir unser Wohl suchten, durch Deine Unveränderlichkeit 
        uns erziehen ließen, in unbedingtem Gehorsam Ruhe zu finden und zu ruhen 
        in Deiner Unveränderlichkeit. Du bist nicht wie ein Mensch, der nicht 
        viel haben darf was ihn bewegt, und sich nicht darf zu sehr bewegen 
        lassen, wenn er nur etwas Unveränderlichkeit bewahren will. Dich bewegt 
        und in unendlicher Liebe Alles; selbst was wir Menschen unbedeutend 
        nennen, woran wir unbewegt vorübergehen: des Vogels Mangel bewegt Dich; 
        was wir oft kaum beachten, ein menschlicher Seufzer bewegt Dich, 
        unendliche Liebe: aber nichts verändert Dich, Du Unveränderlicher! Der 
        Du in unendlicher Liebe Dich bewegen lässest, laß Dich auch unsere Bitte 
        bewegen, daß Du sie segnest, und das Gebet uns verändere in 
        Übereinstimmung mit Deinem unveränderlichen Willen.
        
        Aus: Zwölf Reden 
        von Sören Kierkegaard
        Zusammengestellt von A. [Albert] Bärthold
        Zweite, umgeänderte Auflage
        Halle Verlag von Julius Fricke 1886 (S. 44)
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        Herr Jesus Christus, der Du uns zuerst geliebt hast, der Du bis ans 
        Ende die liebtest, welche Du von Anfang geliebt hattest, der Du bis ans 
        Ende der Tage fortfährst jeden zu lieben, der Dir angehören will: Deine 
        Treue kann sich nicht selbst verleugnen - ach, nur wenn ein Mensch Dich 
        verleugnet, kann er Dich, Du Liebreicher, gleichsam zwingen, auch ihn zu 
        verleugnen. So sei denn dies unser Trost, wenn wir eingestehen müssen, 
        was wir verbrochen haben und was wir unterlassen haben, unsere 
        Schwachheit in Versuchungen, unsern langsamen Fortschritt im Guten, das 
        ist, unsere Untreue gegen Dich, dem wir einmal in der frühen Jugend und 
        dann wiederholt Treue gelobten: das sei unser Trost, daß wenn wir auch 
        untreu sind, Du doch treu bleibst; Du kannst Dich selbst nicht 
        verleugnen.
        
        Aus: Zwölf Reden 
        von Sören Kierkegaard
        Zusammengestellt von A. [Albert] Bärthold
        Zweite, umgeänderte Auflage
        Halle Verlag von Julius Fricke 1886 (S. 186)
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        Groß bist Du, o Gott; obschon wir Dich nur kennen wie in dunkler 
        Rede und wie in einem Spiegel, wir beten doch staunend Deine Größe an - 
        wie viel mehr werden wir sie einstmals preisen, wenn wir sie 
        vollkommener lernen! Wenn ich unter der Wölbung des Himmels stehe, 
        umgeben von den Wundern der Schöpfung, da preise ich bewegt und anbetend 
        Deine Größe, Dich, der Du so leicht die Sterne in dem Endlosen trägst 
        und väterlich um den Sperling Dich bekümmerst. Aber wenn wir hier in 
        Deinem heiligen Hause versammelt sind, da sind wir ja auch überall 
        umgeben von dem, was in noch tieferem Sinn an Deine Größe erinnert. Denn 
        groß bist Du, Schöpfer und Erhalter der Welt; aber da Du, o Gott, die 
        Sünde der Welt vergabst, und Dich mit dem gefallenen Geschlecht 
        versöhntest, ach, da warst Du ja doch noch größer in Deiner 
        unbegreiflichen Erbarmung. Wie sollten wir da nicht gläubig danken und 
        Dich preisen und anbeten hier in Deinem heiligen Hause, wo uns alles 
        daran erinnert, besonders die, welche heute versammelt sind um Vergebung 
        der Sünden zu empfangen und um sich aufs neue anzueignen die Versöhnung 
        mit Dir in Christo!
        
        Aus: Zwölf Reden 
        von Sören Kierkegaard
        Zusammengestellt von A. [Albert] Bärthold
        Zweite, umgeänderte Auflage
        Halle Verlag von Julius Fricke 1886 (S. 196)
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