Hero und Leander

Die Sage von Hero und Leander in der Dichtung

 

Evelyn de Morgan (1850-1919) - Hero hält die Fackel



Hans Sachs
(1494-1576)

Historia.
Die unglückhafft lieb Leandri mit fraw Ehron.

Hört zu gar ein kleglich geschicht,
Die uns Museus hat bericht!
Vor langer zeyt der fein poet
Nach der lenge erzelen thet
Von dem schön jüngling Leandro.
Gen dem die zart jungkfraw Ero
Inn heisser liebe wart verwund.
Doch keins zum andren kommen kund.
Sie wont auff einem thuren hoch,
Umbflossen mit dem meere noch,
Bey Abido, der mechting stat.
Endlich fund Leander ein rat.
Zu nacht er uberschwimmen wolt,
Ein liecht sie ihm auffstecken solt,
Das er sich richten möcht darnach.
Als nun die finster nacht anprach,
Ersach Leander das warzeichen,
Thet doch vor grosser forcht erbleichen
Ob dem grausamen meer ungstüm.
Sprang doch darein und wend sich ümb,
Dem liecht nach zu dem thuren schwam.
Ero ihn freudenreich auff namb.
Sie trücknet sein nasse gelider.
Da er sein krefft erholet wider,
Da pflagen sie der süssen lieb,
Die nacht in hoher freud vertrieb.
Vor der morgenröt urlaub numb.
Leander wider uber schwumb.
Nach dem er fast all nachte kam,
Zu seiner liebhaberin schwam
Von Seste, seinem vaterland,
Still, das es innen ward niemandt,
Biß ihn das untrew wanckel glück
Kürtzlich beweist sein neydisch dück.
Als sich begab nun winter-zeit,
Das meer mit ungestümigkeit
Durch kalte wind sich hoch aufbließ,
Leander doch nit underließ,
Zu schwimmen zu der liebsten sein,
Wagt sich fast alle nacht darein
Und schlug gantz alle forcht zu rück.
Doch kam endlich das falsch gelück.
Eins nachts ergriff ihn ein sturmwind.
Das liecht im thuren lasch geschwind.
Das meer war wütig alles sander.
Die wellen schlugen gen einander,
Hoch wie die berg mit lautem schal,
Mit schröcklich brausendem abfal.
Leander nicht meer schwimmen kund.
Erstarrt und müd sanck er zu grund
Und ertranck da elendigklich.
Ero wart sein gar hertzigklich.
Als ir lieb nit kam, wie ander zeit,
Umbgab sie grosses hertzenleyd.
Endlich warff ihn das meer zu land
Unden an thuren obgenandt.
Als nun die morgen-röt auff-prach,
Ero under dem thuren sach
Ihren liebhaber bleich ertruncken
An dem gestat tödlich versuncken.
Zu hand sie auß dem thuren sprung,
Umbfing ihren liebhaber jung,
Sprach: Hast du dein leib umb mich geben,
Mag ich an dich auch nit mehr leben.
Mit ihm sie auch zu grunde sanck
Und frey-willig mit ihm ertranck.

Beschluß.

Wo noch so fleischlich liebe brend,
Leßt sie nach ir ein trawrig end,
Wann sie wagt sich in groß gefar.
Drumb saget das alt sprichwort war,
Lieb sey ein anfang vil ungmachs
An leib und seel; so spricht Hans Sachs

1541, am 3 tag Junii.



Aus: Hans Sachs. Hrsg. von Adelbert von Keller. Band 1-24. Georg Olms Verlagsbuchhandlung Hildesheim 1964. Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Stuttgart (1870) (Bibliothek des Literarischen Vereins: Band 105) (entnommen dem Band 2 der Ausgabe)

 


 

zurück zur Übersicht

zurück zur Startseite