Irene Forbes-Mosse (1864-1946) - Liebesgedichte




Irene Forbes-Mosse
(1864-1946)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Am Fenster

Halt' ich die Kerze
In schirmender Hand,
Stell' sie ans Fenster,
Strahlt sie ins Land.
Du, Du, wo Du auch bist,
Auf Wegen und Wogen,
Hinschreitend, gezogen,
Mein Licht soll Dir glänzen
Dein Eigen es ist.

Halt' ich die Rose
In bittender Hand,
Streu ihre Blätter
Hinunter ins Land
Du, Du, wo Du auch bist,
In Müssen und Mühen
Soll Anmuth Dir blühen,
Mein Röslein entblättert
Dein Eigen doch ist.

Halt' ich den Becher
In bebender Hand,
Gieße den Wein aus
Ins dürstende Land.
Du, Du, wo Du auch bist,
Dein Wein meiner Freude
Erquicke uns beide,
Dein Herz will ich tränken
Mein Eigen es ist.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 2-3)

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Lied

Die Liebe ist das Licht,
Der lichtbetäubte Falter
Das ist die arme Seele:
O Lieb' verbrenn ihn nicht!

Die Liebe ist der Bach,
Die grüngelockte Weide
Das ist die arme Seele . . .
Die sieht ihm traurig nach.

Und Liebe ist die Glut,
Der Wandersmann am Herde,
Das ist die arme Seele
Die dankbar sinnt und ruht.

Und Liebe ist das Schwert . . .
Knie nieder, arme Seele,
Den Schwertschlag zu empfangen,
Der dich erhöht und ehrt.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 4)

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Das Tigerkätzchen

Lange spielt' ich, lange, mit der Liebe mein,
War ein kleines, gelbes, weiches Tigerkätzchen,
Knurrte, schnurrte, zog die Krallen ein,
Hatte gute, dumme, runde Kindertätzchen.

Weh! wie schaut's mich an, und wächst und schwillt,
Ist ein großes, schönes Tigertier geworden,
Schmalgestreiftes Auge, starr und wild,
Heißer Wüstenbrand, träumst Du von Morden?

Weh! Du kleines, weiches Tigerkind,
Das ich oft - wie oft - auf meinen Schoß genommen,
Wie Dein großes Auge glüht und sinnt . . .
Werd' ich lebend noch aus Deinem Zwinger kommen?


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 5)

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Bei Kerzenlicht da lachte sie

Bei Kerzenlicht da lachte sie,
In silbernen Septembernächten,
Wenn lanzenscharf der Schatten liegt,
Wo um der Göttin weißes Knie
Sich feingezackt die Rosen flechten.

Nicht Kerzenlicht, nicht Mondenlicht,
Zwei Augen nur war all ihr Denken,
Ihr schien der Zauber dieser Welt
Das Amen, das die Gottheit spricht,
Wenn Menschenherzen sich verschenken.

Im Morgenschein erwachte sie,
Auf einem Stern von Rosenbeeten,
Von Dornenarmen ganz umzweigt,
Stand sinnend die Melancholie . . .
Der weiche Rasen war zertreten,
Im Morgenschein . . . da lachte sie!

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 6)

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Königskerzen

Mein König wandelt durch den Blumengarten,
Auf meine Schulter stützt er seine Hand . . .
Am Wege blühn die Stolzen und die Zarten,
Und leise rauschend schleppt sein Goldgewand.

Da bat er mich, daß ich ihm Blumen wähle,
Da pflückte ich den seidenroten Mohn . . .
O heiße Glut, Du arme Feuerseele,
Aus meiner Hand trug Dich der Wind davon.

Mein Herr blieb stehn, wo Königskerzen ragen,
Und brach sie ab und sah mich lange an . . .
"Mein Liebchen, sollst mein goldenes Zepter tragen,
Weil mir Dein Herz viel Liebes angetan."

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 8)

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Amor Animae Dux

Es geht in Gold und Seide,
In Blumen, Glanz und Freude
Ein König durch das Land;
Und meine arme Seele
Ich zitternd ihm vermähle,
Doch auch im Bettlerkleide
Hätt' ich sein Licht erkannt.

Auf honigreicher Heide
Geh' ich auf seiner Weide
In himmlischem Gewand;
In zauberischen Kränzen
Seh' ich die Zinnen glänzen,
Und meine Hände beide
Hält seine rechte Hand.

Er schrieb mit dunkeln Kreiden
Die unvergessnen Leiden
Auf eine lichte Wand . . .
Dann sah er lächelnd nieder,
Und löschte alles wieder,
Nun mag ich niemand neiden
Da ich den Führer fand!

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 9)

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Ohne Ruhe

Ich legte mich auf weißgebleichtes Linnen,
Und über meinem Bett am düstern Balken
Da woben alte, böse Zauberspinnen.

Ich lag und träumte in der blauen Heide,
Wo honigschwer die Bienen mich umsummten,
Und ward doch keine Ruhe meinem Leide.

Ich lag auf hochgetürmten Erntegarben
Aus Mohn, der bald verweht, wand ich Euch Kränze,
Ach, rot und gelb sind heiße Liebesfarben.

Ich legte mich in braune Buchenblätter,
Und sah die Blitze durch die Kronen fahren,
Mein einsam Herz bangt nicht vor wildem Wetter.

Ich leg' mich an den Weg auf Moos und Steine,
Bald kommst Du ja, dann nennst Du meinen Namen
Und sagst: Steh' auf, Du bist nicht mehr alleine!


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 12)

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Spielende Flammen

Sie saß am Herd, das Feuer stieg und sank,
In allen Ecken kauerten die Schatten,
Gedanken kehrten, die am Tag geruht,
Gleich wunden Reh'n, die sich verborgen hatten . . .
Sie hielt die Hände vor die rote Glut,
Die Flamme streichelte ihr einsam Blut,
Das folgte ihrem Flackern und Ermatten.

Ach, Lieben ist wie Herzschlag in der Nacht,
Es ist ein Warten mit zerrungnen Händen,
Des Kranken Blick, der ohne Antwort blieb,
Ein Wandern zwischen dunkeln Zauberwänden,
Und fern lockt eine Stimme - ach, wie lieb -
Die taumelnd uns das Blut zum Herzen trieb . . .
O Labyrinth! Wo wird Dein Wirrsal enden?

Und Lieben ist wie Dürsten in der Nacht,
Des Fensterkreuzes Schatten, der sich breitet
Auf eine junge, schmerzbereite Brust,
Die ihrem Wundmal sich verschmachtend weitet,
Wie einer Geige letzte, tiefste Lust,
Von der die kühle Unschuld nichts gewußt,
Die schauernd von der nackten Seele gleitet.

Und Lieben ist wie Sinken in der Nacht,
Wenn sie den Traumkahn zauberisch umschmeichelt,
Wie eines Bettlerkindes schmale Hand,
Das scheu, am Weg, ein seidnes Kleid gestreichelt,
In heller Christnacht, wo es frierend stand . . .
Mein Lieben ist Dein ärmstes Kronenland,
Ach, tief verarmt, das keinen Reichtum heuchelt.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 16-17)

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Heimliches

Trink tief, mein Herz, wenn ich Dir heimlich nicke,
Mit starren Augen und verschwiegnem Mund,
Im Goldpokale spiegle ich die Blicke,
Sie leuchten Dir Versprechen auf dem Grund.

Nun Leib und Seele nach Vereinen streben
Rinnt wie ein Strom Dir zu mein freies Haar,
Noch kann ich Dir die kalte Hand nicht geben,
Aus allen Augen funkelt uns Gefahr.

Das dunkle Schicksal spielt mit unsern Seelen
Wie dort der Mohr mit meinem Hündchen spielt,
Wie Kinder arme Schmetterlinge quälen
Als hätten nie sie Schmerzensangst gefühlt.

Der Silbermond, der über Waffen gleitet,
Winkt uns hinaus mit seiner weißen Hand,
Sieh wie sein Füßchen über Meere schreitet,
So wandelt Liebe wie auf festem Land.

Du fremder Sänger, sing uns Glück zur Reise,
Durch weite Hallen tön' es stark und klar!
Ach, spiele nicht die alte, trübe Weise
Von heißer Liebe, die nicht glücklich war.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 18)

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Versäumt

Auf ihrem weißen Lager, hart und schmal,
In ihrer weißen, sonndurchglühten Zelle,
Liegt eine Nonne, still, in letzter Qual,
Und horcht auf ihres Lebens letzte Welle.

Auf ihrer Stirne flammt das Abendrot,
In ihrem Herzen flackert eine Reue . . .
Ein kühler, tiefer Brunnen ist der Tod,
Ein starker Freund - denn so nur hält sie Treue.

Und wie sich fiebernd ihre Kraft verzehrt,
Hört sie tief innen ihre Jugend klagen:
O Kelch der Liebe, den ich nicht geleert,
O Last der Liebe, die ich nicht getragen!

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 19)

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Zugvögel

So laß mich mit Dir ziehn
Im stillen Sternenscheine,
O nur wir zwei alleine
Im menschenleeren Raum.

In fremden Städten gehn
Wir abends durch die Gassen,
Die Brunnen sind verlassen,
Wir gehen wie im Traum.

An dunkler Kirchentür,
Auf grauen Treppensteinen,
An Deiner Brust zu weinen . . .
Was gibst Du, Welt, dafür?

Wenn rings der Abend quillt
Hört man die Wasser rauschen,
Ich will dem Brunnen lauschen,
Der all mein Dürsten stillt.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 22)

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Auf der Düne

Als Deine Linke
Unter dem Haupt mir lag,
Und Deine Rechte
Mich wiegte und herzte,
War es wohl sonnige Zeit . . .
Als ich, die Augen voll Tränen,
Immer ins Blaue starrte,
In die schüchtern grünenden Wipfel,
Sang mir's im Herzen:
Gesegnet, gesegnet
Seien die länger werdenden Tage!


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 23)

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Liebeslied

Ich will Dich kränzen
Mit Rosen rot!
Herrlich in Waffenzier,
Offen Dein Helmvisier,
Seh' ich Dich glänzen,
Lachst Du dem Tod;

Ich will Dich ehren
Mit Lindengrün!
Linde, Du schöne Braut,
Honigschwer, duftbetaut,
Willst Dich nicht wehren,
Blühest für ihn!

Ich will Dir singen
Mit frohem Blut!
Rauhreif im grünen Tann,
Wo ich frei singen kann,
Fühl' ich es schwingen:
Leben ist gut!

Will Liebe tragen
Wie ein Juwel!
Ob mich gleich Sturm umfloß,
Strahlst mir im Gürtelschloß,
Hell wie in Sagen,
Ohn' Furcht, ohn' Fehl!


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 24-25)

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Herzensruhe

Laß Dir meinen Frieden schenken,
Sieh mich nicht so traurig an,
Ach was soll mir alles Denken,
Hast nur Liebes mir getan.

Alles Schwere ist vergessen,
Nur das Liebe bleibt zurück,
Was ich vorher nie besessen
Schenktest Du mit einem Blick.

Frieden gleitet durch die Räume
Still, im Abendschein dahin,
Und ich schlafe ohne Träume
Weil ich ohne Sehnsucht bin.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 26)

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Die Braut

Wo der Turm in Lüfte schaut,
Den die Falken jäh umziehen,
Sitzt im Abendglanz die Braut,
Singt hinaus ins Abendglühen:

"Fingst Du mich mit Listen ein,
Hieltest mich in Nacht gefangen,
Meiner Liebe Feuerschein
Sollte durch die Dornen prangen

Aber nein, im Sonnenglanz
Hast Du mich ins Blau getragen,
Freude war mein Myrthenkranz,
Wahrheit wurden alle Sagen.

Sonnenlicht und Liebeslicht!
Liebe hält mich ganz umsponnen,
Ist kein eitel Schaugericht,
Das wie Traumgebild zerronnen.

Wie einst Kana's Wunderwein,
Zum Erstaunen aller Gäste,
Werden unsre Tage sein:
Scheint der Letzte stets der Beste.

Schenkst mir Perlen und Demant,
Feierkleid aus Gold und Seiden,
Alles kommt aus Deiner Hand,
Und ich geh auf Deinen Weiden.

Sieh, wie königlich gerafft
Gleiten die brokatnen Falten,
Die in ihrer weichen Haft
Meiner Glieder Sanftmut halten.

Wo Dein heißer Mund geruht
Liegen kühle Perlenketten,
Doch es brennt mein junges Blut
Deine liebe Stirn zu betten."
. . . . . . . . . . . . .  .

Wandrer, der vorüberzieht,
Hört den fremden Vogel singen:
"Liebe! Dir nur tönt mein Lied,
Seidenweich sind Deine Schlingen!"

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 27-28)

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In die Luft gesungen

Wie eine Rose, Blüte um Blüte,
Hin in den sterbenden Sommer verschenkt,
Blüht meine Seele, denn zaubernde Güte
Hat ihr auf's neue die Wurzeln getränkt.

Was ich auch wurde, ist alles Dein eigen,
Was mich beseligt und was mich betrübt,
Sehnen und Wähnen und schmerzliches Neigen . . .
Segen um Segen . . . wir haben geliebt!

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 29)

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An . . .

Wie eine Mutter bei der Wiege sinnt
Und fühlt ihr Glück, auch ohn' es zu begreifen,
Und hört den Mann, der ihnen Brot gewinnt,
Im nahen Felde seine Sense schleifen,

So nähm' ich gern mein Los aus Deiner Hand
Und wollte nie mehr in die Zukunft schauen,
Vertrauensvoll, wie dort im nord'schen Land
Die Schwalben alle Jahr ihr Häuschen bauen.

Wir baten oft um unser täglich Brot,
Um nichts bät' ich, wenn mir Dein Sorgen bliebe,
Ich ginge tiefbeglückt im Abendrot
Durchs reife Kornfeld Deiner treuen Liebe.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 31)

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Aphrodite

Die Hände wie ein Taubenpaar verschränkt,
Kann Phyllis nicht die sanften Vögel töten,
Hat Freiheit den Gefangenen geschenkt,
Blickt ihnen nach mit Seufzen und Erröten.

In grünem Efeuschatten tief verhüllt
Steht dort die Göttin, sinnend, traumverloren,
Sie fliegen auf zu ihrem Marmorbild
Und girren leise in die kleinen Ohren.

Sie sagen ihr so manche Heimlichkeit,
Von erster Liebe Ahnen und Verstecken,
Und von der langen, bangen Brütezeit,
Des Lebens erstem, zaubernden Erwecken.

Die Wiesen dehnen sich dem goldnen Tag,
Die Mutterschafe gehn mit ihren Lämmern,
Und von der Tenne tönt es Schlag um Schlag,
Und Bienen summen schläfrig bis zum Dämmern.

O Aphrodite! Leben ist Dein Ziel,
Den Rätselmund will alle Sehnsucht stillen,
Und immer wieder spielen wir Dein Spiel
Und sind in Deinen Händen ohne Willen.

Kein Blut befleckt Dein gleitendes Gewand,
Und bringst doch Wunden allen Erdenwesen,
Und stumm und lächelnd schreitest Du durch Land,
Und kommst zu binden oder kommst zu lösen.

Diana spannt den Bogen wie ein Held,
Athenes Helmbusch weht im Feuerscheine,
Dir aber tönt durch allen Streit der Welt
Der Sang der Nachtigall im Myrtenhaine.


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 32-33)

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Widmung

Der Rose gleich, im Abendduft erblüht
Ist meine Liebe,
Der Kohle gleich, die Winternacht durchglüht
Ist meine Liebe!

O nimm' sie hin, eh' sie in Asche fällt,
Kurz ist das Leben!
Was meine Hand Dir bang entgegenhält,
Laß es Dir geben . . .

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 34)

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Geborgenheit

Wo zwischen Erlen kühles Düster lockt,
Und aus der Schlucht verborgnes Rieseln grüßt,
Huflattich mit den breiten Blättern sprießt
Und auf dem feuchten Stein die Unke hockt,

Da weiß ich eine Stelle, wie gemacht
Für Dich und mich wenn wir beisammen sind,
Unaufgespürt von Menschen oder Wind,
Von den Spiräen schimmernd überdacht.

Die Sonne spielt ins blättrige Gemach,
Hörst Du mein Herz, wie's in der Stille schlägt?
Wie Sonnenfleckchen, hin und her bewegt,
Wird mir im Innern Sommerfreude wach.


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 35)

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Die graue Farbe

In Grau will ich mich kleiden,
Wie zarte Silberweiden,
Mein Schatz hat's Grau so gern!
Wie an den Hecken rankt im Tau
Clematisstöckchen seidengrau . . .
Mein Schatz hat's Grau so gern.

In Träume ganz versunken
Starr' ich in Feuerfunken -
- Mein Schatz, und Du bist fern -
Die weiche graue Asche fällt,
Der Rauch weht durch die stille Welt,
Ich hab' das Grau so gern.

Ich denk' an graue Perlen,
An Nebel unter Erlen,
- Mein Schatz, und Du bist fern -
An kühner Helden graues Haar,
Das einst wie braune Haseln war,
Das Grau, das hab' ich gern.

Graumöttchen fliegt ins Zimmer,
Verlockt durch Lampenschimmer,
- Mein Schatz hat's Grau so gern -
Graumöttchen, ich verdenk' Dir's nicht,
Wir fliegen alle um ein Licht,
Sei's Irrwisch oder Stern.


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 36-37)

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Das Liedchen im Walde

Hier sangen zwei Liebchen ein altes Lied,
Keiner hört es . . .
Nur der Wind, der durch die Blätter zieht,
Der hört es.

Der Wind sagt es weiter an seinen Sohn,
Legt' sich nieder . . .
Nun geht durch die Wipfel der leise Ton
Immer wieder.

Die Liebchen sind lange tot und stumm,
- Alte Zeiten -
Doch geht noch ihr Lied im Walde um,
Wer kann's deuten?


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 42)

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An die Nachtigall

O liebeswunde Nachtigall,
Warum bist Du so still?
Es schweigt der wilde Wasserfall
Weil er Dich hören will.

Der Wald hält seinen Atem an,
Das Reh hemmt seinen Lauf,
Aus weißem Flügel hebt der Schwan
Den Kopf still horchend auf.

Der Heckenrose Kelch erbebt
Von Tränenglanz erfüllt,
Den schüchtern sie ins Dunkel hebt
Woher Dein Schluchzen quillt

Schmerz ist der Bruder Deiner Lust,
Wenn uns Dein Ton durchdringt,
Wir greifen seufzend nach der Brust,
Die uns vor Glück zerspringt.


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 43)

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Zur halben Nacht

Ich hört' ein Käuzchen schreien, war noch halbe Nacht,
Der Tag rieb sich die Augen, war nicht ganz erwacht,
Rief das Käuzchen lang und laut,
O wie traurig liegt die Braut.

Ich hört' ein Täubchen, war schon halbe Nacht,
Die Sterne waren all im düstern Blau erwacht:
Rief das Täubchen leis und traut,
O wie linde schläft die Braut,
Der die Lieb' im grünen Wald das Bettlein macht.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 44)

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Widmung

Mein Herz so ganz in Dir beglückt,
Mit Waldesblumen ausgeschmückt,
Ein Dir geweihter Schrein . . .
Wenn auch die Früchte nicht gereift
Weil sie der Frost zu früh gestreift,
Die Blüten waren Dein, mein Herz,
Die Blüten waren Dein.


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 48)

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Regenliedchen
Il pleure dans mon coeur

Regenfluten schauern nieder,
Und ich hör sie in der Nacht,
Und ich habe immer wieder
An ein totes Glück gedacht.

Regen fiel in langen Strähnen
Durch die Nacht und durch den Tag,
Doch wir lachten seiner Tränen
Als ich Dir am Herzen lag.

Wie in grauen Seidenwänden
Hielt er uns in seiner Haft,
Sonne hat mit güldnen Händen
Endlich sie emporgerafft.
. . . . . . . . . . .

Goldne Helle, goldne Helle,
Laß die Traurigen allein,
Ihres Kummers ew'ge Welle
Schließt die schönste Insel ein.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 51)

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***

Wenn ich auf meinem Bette wär,
Von letzter, schwerer Qual bedroht,
Und alles schwände um mich her
In Finsternis und Schmerz und Tod.

Und hörte Deine Stimme dann,
Die sagte, "singe mir ein Lied",
Ich finge leis zu singen an,
Damit Dein lieber Wunsch geschieht.

Ich sagt' Dir nie und nimmer nein,
Was Du auch je von mir begehrt,
So durft' es bis zum Ende sein
Und alle Liebe ward beschert.


Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 67)

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An ****

Strong are alone the dead,
They need not bow the head,
Nor lift one hand in ineffectual prayer.
Safe in their iron sleep,
Waht wrong shall make them weep,
Waht sting of human anguish reach them there? . . .

Der Tage Längerwerden,
Die Flucht von düstern Herden
Hin an die Brust der Erden
In glückbeschwerter Pein,
Der blinde Drang der Jungen,
Wie Ströme eisbezwungen,
Die sich der Haft entrungen,
Ins fremde All hinein;

Der Äcker feuchtes Gären,
Das Keimen grüner Ähren,
Wie es mit spitzen Speeren
Nun durch die Scholle bricht;
Die Sonne auf der Schwelle,
Der Atem warmer Ställe,
Der Schwalben Flügelschnelle,
Du siehst - Du fühlst es nicht.

O Leben, liebe Hülle,
O Liebe, höchster Wille,
Schläfst nun bei Tag so stille
Als wär es tiefe Nacht . . .
Der Jahre endlos Schreiten,
Der Ring der Jahreszeiten,
Zersprüht wie Wellengleiten
An Deiner stummen Macht.

Ich will mich niederlegen
Ins Gras an stillen Wegen,
Ob Sonnenschein, ob Regen,
Nur Dunkel tut mir Not . . .
Ich will die Augen schließen
Vor all dem frohen Sprießen,
Still in die Nacht zerfließen
Wie dort das letzte Rot.

Dann schwinden alle Siegel,
Dann sinken alle Riegel,
Ich schau im klaren Spiegel,
Der unsre Füße netzt:
Dein Lieben ganz besessen,
Dein Lieben unvergessen,
Dein Leiden unermessen,
Dein Lächeln bis zuletzt.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 68-69)

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Von strahlenden Dingen

Es strahlt in ihrer Krone Pracht
Die Kais'rin von Byzanz,
Die Meerfrau glitzert in der Nacht
In schönerm Perlenglanz.

Wie Pfauenaugen schimmert fern
Des Bischofs goldnes Kleid,
Und über ihm - der Hirten Stern
In größrer Herrlichkeit.

Die Liebe geht im Zauberschein
Durch unser dunkles Land,
Hält doch den höchsten Edelstein
Verborgen in der Hand.

Aus: Das Rosenthor Gedichte von
Irene Forbes Mosse
Insel Verlag Leipzig 1905 (S. 74)

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Des Herzens Wiegenlied

Tot bist du, still und weinst nicht mehr,
Du meine tote Liebe!
Oft hast du mir den Schlaf verscheucht,
Bis ich dir matt die Brust gereicht,
Du traurig Kindlein . . .
Nun bist du still und weinst nicht mehr,
O meine tote Liebe!

Heiß ging dein Flämmchen hin und her,
Du meine tote Liebe!
Hab' dich gehütet und gehegt,
Wie Armut ihre Blumen pflegt,
Vor jedem Winde . . .
Wie ging dein Flämmchen hin und her,
Du meine tote Liebe!

Nun bist du still - mein Herz so leer,
Du meine tote Liebe!
Kann mich nun ruhen ungestört,
Hab' dich so lange nicht gehört,
Still - still im Herzen . . .
Oh! wenn es doch wie damals wär,
Du meine tote Liebe . . .

Aus: Ausgewählte alte und neue Gedichte
von Irene Forbes-Mosse
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Berlin Leipzig 1926 (S. 34)

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Drei Rispetti

I
Du hörst die Worte, die ich lächelnd sage,
Hörst du die ungesprochnen Worte nicht?
In jedem Lustschrei wimmert eine Klage,
Schwarz kohlt der Docht im hellen Kerzenlicht.

Dir sag' ich's leis, kein andrer kann's verstehen,
Daß schattenreiche Flügel mich umwehen,
Dir sag' ich's wohl, doch nicht den fremden Leuten,
Daß Todesglocken mir zur Hochzeit läuten.


II
Der Hirt hat eine grüne Weidenflöte,
Vor seiner Herde geht er blasend her,
Der Berghang schwimmt und dampft in Morgenröte,
Von Tau ist jeder Grashalm silberschwer.

O junger Hirt, einst konnt' ich dich begleiten
Auf meiner Seele straffgespannten Saiten,
O lieber Hirt, nun hör' ich deine Lieder,
Und blicke stumm auf meine Hände nieder!


III
Die schönen Jungfraun sind so müd zum Sinken,
Sie gehn und gehn im Labyrinth der Liebe,
Die schönen Jungfraun möchten Wasser trinken,
Zum Schöpfen gab man ihnen goldne Siebe.

Herr, laß uns frei aus diesem Irregarten,
Wo tausend Spiegel uns Verwirrte narrten;
Herr, laß uns heim zu unsern Freunden gehen,
Die unsre Sprache reden und verstehen!


Aus: Ausgewählte alte und neue Gedichte
von Irene Forbes-Mosse
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Berlin Leipzig 1926 (S. 35)

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Drei Sprüche

Kummer pflügt, Liebe sät,
Hoffnung durch die Furchen geht.

Leid zerdrückt das Blumenblatt,
Bis es seinen letzten Tropfen
Wohlgeruch gegeben hat.

Schmerz der Klöppel,
Der im Herzen
Einer Glocke schwingt und singt,
Bis die Wände dünn geworden
Und sie endlich doch zerspringt.

Aus: Ausgewählte alte und neue Gedichte
von Irene Forbes-Mosse
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Berlin Leipzig 1926 (S. 52)

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Der Page

Küsse die Lippen, die noch ungeküßt.
Gleich einer Türe, ganz umwachsen
Von süßer Rosenwildnis,
Mit leisem Seufzen geht sie auf,
Und vor der Hand des Herrn
Beugen sich meine Knie.

Wie Fanfaren im Morgenrot
Über der schlafenden Stadt,
Tönte der Liebe Weckruf meinem Leben!
Aber nun senkt sich die Nacht,
Und wie die zerrissene Fahne
Von Sternen durchleuchtet,
So leuchtet deine Schönheit
Durch mein zerrissenes Herz.
- - - - - - - - - - - -

Ach, bohrtest du die Lanze
Hart, ohn' Erbarmen in mein Herz . . .
Ich fühlte nicht die Wunde, nein,
Des wirren Rätsels Lösung nur,
Endlich!


Aus: Ausgewählte alte und neue Gedichte
von Irene Forbes-Mosse
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Berlin Leipzig 1926 (S. 92)

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Als nachts ich von dir ging . . .

Als nachts ich von dir ging, mein armes Liebchen,
Wie rangst du deine weißen Hände wund!
Ach, weine nicht, ach, laß dich nicht gereuen,
Was wir getan in Liebe und in Treuen,
Nur eins, es war zu kurz die süße Stund'.

Die kurze Stunde muß ich lang bezahlen
Mit tiefem Schlaf in kalter Grabesnacht,
Und soll mich doch der hohe Preis nicht grämen:
Mein jung' heiß' Blut! Ach, mögen sie es nehmen,
Mein jung' heiß' Blut, das mich so froh gemacht . . .


Aus: Ausgewählte alte und neue Gedichte
von Irene Forbes-Mosse
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Berlin Leipzig 1926 (S. 110)

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Ferne von dir, ferne und fremd,
Weiße unfaßliche Wolken,
Wolkenwände zwischen dir und mir;
Schmerz, o erwachender Schmerz,
Narben, brennend im Frühjahr!

Sahst mich nicht auf der Brücke stehn,
Ängstlichen Blicks? Mit zager,
Mittender Hand,
Hinter der flutenden Menge,
Die vorüberdrängt endlos?

Hättest du mir in die Augen gesehn,
Fraglos, ohne wundern
Wäre ich dir gefolgt,
Fort aus der lastenden Stadt,
In der flüsternden Wälder
Glückselige Dämmerung;
Und unsere Stirnen
Hätten gestrahlt im Frieden der Lichtung.

Weiter noch, weiter, zum verborgenen Felstor:
Sesam! Sesam! Das solltest du sagen . . .
Dort aber wachsen die Blumen,
Aus denen dir meine Andacht
Kränze wand . . . und sie bewahrte;
Kränze wie die Schönen, die Ganzerlösten
Auf dem Haupte tragen, wenn sie sich spiegeln
In Strömen unversiegbarer Liebe,
Wo die Gerechtigkeit lächelt
Und die dürren Felder in Gärten wandelt.

Aus: Ausgewählte alte und neue Gedichte
von Irene Forbes-Mosse
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Berlin Leipzig 1926 (S. 114)

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Wie wandelt Liebe
Den Sinn der Tage,
Wie neu gedeutet
Sind Glück und Plage;

In Traum und Denken
Dir ganz zu eigen,
Im Wort dich findend
Und auch im Schweigen.

So allverlangend
Und nichts begehrend,
An einem Worte
Versonnen zehrend;

Das Grün der Nähe,
Das Blau der Weiten
Im Blick umfangen
Und weitergleiten,

Und wiederkehren,
Mit sichren Trieben,
Ach, zitternd schwellen
Und süß zerstieben.


Aus: Ausgewählte alte und neue Gedichte
von Irene Forbes-Mosse
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Berlin Leipzig 1926 (S. 120)

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Brauchst mich nicht mit Händen zu berühren,
Brauchst mir auch kein lautes Wort zu sagen,
Ungehört soll mich dein Herzschlag führen,
Unerkannt wird deine Kraft mich tragen.

Ja, du läßt mich nicht alleine gehen,
Nicht allein aus diesen Quellen trinken,
Und dann werd' ich endlich stille stehen,
Eins mit dir, in Frieden hinzusinken;

Wie ein Schiff, zu langer Fahrt bereitet,
Mit der stolzen Demut eines Schwanes,
Wenn das Wort ertönt, aufrauscht und gleitet
In die tiefe Lust des Ozeanes.


Aus: Ausgewählte alte und neue Gedichte
von Irene Forbes-Mosse
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Berlin Leipzig 1926 (S. 121)

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Wir liebten uns - das war wohl schöne Zeit,
Mein Herz trug schwer an seinem großen Glück,
Du gabst mir Freuden - und du gabst mir Leid,
Und nichts als Liebe gab ich dir zurück.

Nun scheint die lichte Erde mir ein Wahn,
Die goldnen Wiesen, Schwalben hin und her
In blauer Luft . . . du siehst mich fragend an . . .
Es war einmal; und nun ist es nicht mehr.

Aus: Ausgewählte alte und neue Gedichte
von Irene Forbes-Mosse
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart Berlin Leipzig 1926 (S. 126)

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Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Irene_Forbes-Mosse


 

 


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