Deutsche Liebeslyrik - Gedicht der Woche Archiv

für das Jahr 2016

(die neuesten Gedichte oben)




Mit dir

Im ersten Frühling, ringsum Blumendüfte -
Weisst, Liebster, du den vierten Nissan (April) noch?
Den hellen, schönen Tag voll Freud' und Wonne,
Wo lustdurchglüht wir Seit' an Seit' gewandelt?

An jenem Tage keimte unsre Liebe.
Erwacht' in unsern Herzen Freud' und Lust.
Der süsse, reine, flücht'ge Frühlingswind
Rief mahnend: Liebet, liebet! uns entgegen.

Wie glücklich sind wir damals nicht gewesen
Auf den smaragdnen Fluren Seit' an Seit'!
Steh still! rief ich dem Zeitenrade zu,
Als ich mit dir dort Seit' an Seite schritt.

Schön sprossten Baum und Frucht in jungen Trieben,
Wie lieblich war doch anzuschaun die Welt!
Zu knospen hatte alles frisch begonnen,
Und die Natur hub sich zu schmücken an.

Von jungem Gras vergoldet lacht' die Erde,
Gleich Wellen wogt' der Wind darüber hin,
Wie Dichtermund rief alles mir entgegen,
Wie gross die Lust, mit dir vereint zu sein.

Der Frühling schwand, die Berge sind vergilbt,
Und wieder gingen beide wir selband'.
Und neue Lust entspross der Zeiten Wechsel,
Der Frühling schwand, doch unsre Liebe blieb.

Wie schön, ach! war der Rosenhain der Welt!
Und das smaragdne Gras mit dir zu schaun!
Der Vögelein Gesang, der Murmelbach -
Mir war's, als wenn im Paradies ich schritt.

Ist heut' im Winter unsre Liebe kalt?
Komm, komm, mein Herz, des Frühlings lass uns denken,
Die Herzen stärken uns in Hoffnungslust -
Zur Rosenzeit gehn wieder wir zusammen.

Nigâr Hanim (1856-1918)
(Aus dem Türkischen übersetzt von Paul Horn (1863-1908))

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Du

Noch zarter, als die ich dir sang, die Lieder,
Noch süsser als ein Kuss, von dir gegeben,
Ist jenes holde Du, mein süsses Leben!
Das traulich zwischen uns geht hin und wieder.

Ein Vöglein scheint es mir im Glanzgefieder,
Dess gold'ne Schwingen leise zu mir streben:
Mein Ohr berührt's in wunderholdem Schweben,
Und lässt zuletzt sich mir im Herzen nieder.

Zu künden das Geheimnis ganz, das süsse,
Versuchten wir mit Worten leeren Schalles:
Nun fanden wir den sprechendsten der Grüsse.

Was braucht es noch des Reims und Silbenfalles?
Was selbst der Liebesblicke, Thränen, Küsse?
Mit einem Wörtchen sagen wir uns Alles.

Robert Hamerling (1830-1889)
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An den Prinzen Benjamin

Wenn du sprichst,
Wacht mein buntes Herz auf.

Alle Vögel üben sich
Auf deinen Lippen.

Immerblau streut deine Stimme
Über den Weg;

Wo du erzählst, wird Himmel.

Deine Worte sind aus Lied geformt,
Ich traure, wenn du schweigst.

Singen hängt überall an dir -
Wie du wohl träumen magst?

Else Lasker-Schüler (1869-1945)
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Gasel

Du weißt es, wie mein ganzes Herz
allein durch deine Milde lebt,
Du weißt es, wie mein ganzes Herz
allein in deinem Bilde lebt;
Denn wie die Schönheit nimmer schön,
die nicht der Seele Atem kennt,
Wie durch des Lichtes Kraft
allein der Zauber der Gefilde lebt,
So ist das Leben nicht belebt
als durch der Liebe Sakrament;
Das fühlet, wer die Liebe fühlt,
wer unter ihrem Schilde lebt.
Ich aber, der die liebste Frau
sein unverlierbar Eigen nennt,
Ich fühle, wie die ganze Welt
allein in ihrem Bilde lebt.

Theodor Storm (1817-1888)
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Sonett

Und jeden Tag geb ich in Deine Hände
Dir meine Seele dankesfroher hin
und weiß: mich zu verlieren, ist Gewinn,
weil ich mich nur in Deinem Licht vollende.

Daß ich so ganz mich täglich zu Dir wende,
ist, weil ich sonst nur eine Summe bin
von Taten und Gedanken ohne Sinn
und überall ein Anfang, nirgends Ende.

Ein Gott steht hinter diesen schlechten Dingen,
die sich in tollem Wechsel wirbelnd reihn,
und hält in einer Hand die vielen Sinne,

und Deine Fülle gießt auch den geringen
Gefäßen meines Lebens Inhalt ein,
und selig werd ich meiner Einheit inne.

Siegfried Kawerau (1886-1936)
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Aus: Sonette einer Liebenden

Ich liebe dich! Der Weltenraum ist leer
Und faßt doch alles Leben: dich und mich.
Das ist die Ewigkeit: Ich liebe dich.
Nur noch der Tod wiegt wie dies Wort so schwer.

Es kommt aus nie erkannten Tiefen her,
Als nichts noch war, eh Licht vom Dunkel wich.
Es nimmt die Zeit hinweg; es ruht in sich.
Nicht mehr ist Nacht noch Tages Wiederkehr.

Nicht Bergesgipfel ist noch Talesgrund.
Nicht Kalt noch Warm. Und Anfang nicht noch Ende.
Kein Fern, kein Nah. Kein Dort und auch kein Hier.

Es ist nur deine Stirn, dein Herz, dein Mund.
Nur deine Augen sind, nur deine Hände.
Nur du bist. Du bist, und ich bin bei dir.

Alma Heismann (1885-1943)
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Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht - wir schlafen engverschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
Und färben sich mit deiner Augen Immortellen . . .

Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

Else Lasker-Schüler (1869-1945)
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Tristan

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode schon anheimgegeben,
Wird für keinen Dienst auf Erden taugen,
Und doch wird er vor dem Tode beben,
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen!

Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe,
Denn ein Tor nur kann auf Erden hoffen,
Zu genügen einem solchen Triebe:
Wen der Pfeil des Schönen je getroffen,
Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!

Ach, er möchte wie ein Quell versiechen,
Jedem Hauch der Luft ein Gift entsaugen,
Und den Tod aus jeder Blume riechen:
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ach, er möchte wie ein Quell versiechen!

August Graf von Platen (1796-1835)
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Wir

Und eine stille Stunde trug
Den Abendschein als wie ein Kleid
Und wiegt ein weiches Klingen weit,
Wie einer fernen Wolke Zug,
Wie eines Vogels müden Flug,
Der über Wälder, tief verschneit,
Die schweren Flügel angstvoll schlug
In bitterweher Einsamkeit.

Und in mir sang — und in dir sang
Das gleiche Lied in leisem Moll,
Und meine Brust war sehnsuchtsvoll
Und wie ein Kind so abendbang,
Wenn es das Weinen niederzwang,
War wie der Tag, der scheiden soll.
Im roten Sonnenuntergang.

Und du warst still und in dir lebt
Ein zartes Ahnen, ein Verstehn,
Wie eine Frau beim Schlafengehn
Die sacht den Schleier, feingewebt,
Von ihrer hohen Stirne hebt,
Um ihre Schönheit zu besehn,
Vor ihrem bleichen Spiegel bebt
Und fühlt ein seliges Geschehn.

Und uns geschah so wundersam,
Wie's nur in alten Märchen steht,
So wie ein flüsterndes Gebet,
Wie Rauschen durch den Eichenstamm,
Wie am Altare eine Flamm',
Von selbst entfacht, ihr Glühn verrät.
Uns hat der Sturmwind hingeweht
Und keiner wußte, wie es kam.

Hugo Zuckermann (1881-1914)
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Erde, hältst du noch zusammen?

Erde, hältst du noch zusammen?
Mond, bist du es, der mich grüsst?
Weltall, stehst du nicht in Flammen?
Er hat mich geküsst — geküsst!

Menschen kommen, sprechen, gehen,
Alltag zimmert sein Gerüst,
Als ob gar nichts sei geschehen,
Da er mich geküsst — geküsst!

Mir nur wie mit Flammenscheine
Eine Welt gewandelt ist,
Und ich weiss nur noch das Eine:
Er hat mich geküsst — geküsst!

Felicitas Leo (gest. 1916)

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Aufseufzen

Allüberall ist Fremde
Und nirgends ist es gut . . .
Nur wenn dein Blick
In meinem ruht,
Dann bin ich ganz zu Haus.
Wenn deine kühle Hand
Die meine hält,
Bin ich die Reichste der ganzen Welt . . .!
Und bis in tiefe Himmel hinein
Ist alles mein Vaterland . . .!

Elsa Asenijeff (1867-1941)
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Flamme

Was sträubst du dich der süßen Glut,
die züngelnd schon dein Haupt versengt,
die liebeheißen Atems dich
mit Flammenarmen eng umdrängt?!

Die Glut bin ich – und du bist mein!
wirf ab, wirf ab das Alltagskleid:
gib deine ganze Seele hin
in ihrer nackten Herrlichkeit!

Umschlingen will ich glühend dich
und pressen dich ans heiße Herz,
die Kette schmelzen, die dich band,
in meinem Kuß wie tropfend Erz!

Und flüstern will ich dir ins Ohr
ein Wörtlein, zaub'risch wunderfein,
daß du nichts andres denken sollst,
als mich allein, als mich allein ...

Clara Müller (1861-1905)
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Das Wunder
Nach Reimar dem Alten

Ich stand entzückt, bezaubert, liebeselig,
Als ich zuerst die Minnigliche sah.
Dess bin ich heut', und immer besser fröhlich.
Hört, welch ein Minnewunder mir geschah!
Sie thät so sanft durch meine Augen schlüpfen,
Dass sie sich nirgend in der Enge stiess,
Und ganz in meinem Herzen niederliess.
Wohl magst du, Herz! vor Wonne hüpfen!
Du trägst in dir dein Paradies!

Johann Christoph Friedrich Haug (1761-1829)
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An die Geliebte

Laß, mein süßestes Licht, an Küssen mich stehlen so viele,
Als einst Sänger Catull Lesbias Munde geraubt.
Nein! Ich verlange zu wenig. O gib an Küssen so viele,
Als wohl Bienen des Wald's Honig bereiten und Wachs;
Ja, so viel, als Stern' am Himmel und Sand am Gestade,
Laub an den Bäumen und Gras auf den gesegnetsten Au'n,
Ja, so viel als Fisch' im Meer und Vögel in Lüften,
Noch unzähliger, als meine Gedanken an dich.
Wenn du mir solches vergönnst, o Geliebte,
so will ich der Götter
Gastmahl und Ganymed's Nektar mit Freude verschmäh'n.

Johann Christoph Friedrich Haug (1761-1829)
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Hundert wilde Rosen sind gesprossen . . .

Hundert wilde Rosen sind gesprossen
Aus den Ritzen meiner Herzenswunden,
Und ich band sie ihr zum Liederkranze
In des Wundenfiebers heißen Stunden.

Jede dieser hundert wilden Rosen
Treibt an seinem zarten Stengel wieder
Hundert and're kleine Rosenknospen,
Hundert and're Knospen kleiner Lieder.

Denn so tief sind diese Herzenswunden,
Daß ihr Boden bleibet unergründlich,
Und so heiß das Blut in diesen Wunden,
Daß es wilde Rosen treibet stündlich.

Doch die Liebe zählt nicht ihre Thränen,
Ihre Küsse nicht, nicht ihre Lieder,
Und ich sollte diese Rosen zählen,
Die aus Wunden sprossen zehnfach wieder?!

Ungezählt, wie süßes Liebeswünschen,
Ungezählt, wie süßes Liebesträumen,
Pflück' ich ihr zum Kranze wilde Rosen
Aus des Herzens blumenvollen Räumen!

Moritz Saphir (1795-1858)
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Leise Lieder...

Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,
Lieder, die kein sterblich Ohr vernimmt,
noch ein Stern, der etwa spähend wacht,
noch der Mond, der still im Äther schwimmt;

denen niemand als das eigne Herz,
das sie träumt, in tiefer Wehmut lauscht,
und an denen niemand als der Schmerz,
der sie zeugt, sich kummervoll berauscht.

Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,
dir, in deren Aug mein Sinn versank,
und aus dessen tiefem, dunklen Schacht
meine Seele ewige Sehnsucht trank.

Christian Morgenstern (1871-1914)
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Therese

Du leuchtendes, himmlische Augenpaar,
Du Stirne, ernst und doch mild und klar,
Du Purpurmund, wonnevoll anzuseh'n,
Im Lächeln so himmlisch, im Schmollen selbst schön:
Wie lieb' in Euch glühend und lieb' Euch lang,
Und werde Euch lieben mein Leben lang! -

Du reizende, wonnige, holde Gestalt,
Du Wesen voll zaubrischer Allgewalt,
Du süßer, du lieblicher Stimmenklang,
Der tief in die schmachtende Seele mir drang:
Du göttliche Frau, wie lieb' ich Dich lang,
Und werde Dich lieben mein Leben lang!

Karl Herloßsohn (1804-1849)
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Dem Angebeteten

Versprühe Küsse auf meinen Leib!

Ich bin ein klarer Teich,
Auf den die Sonne scheint
Eine Blume, die blätterdehnend
In lauen Lüften träumt.
Ein Stern, der selbstvergessend
Auf dunkler Erde hellend scheint.

Versprühe Küsse auf meinen Leib –:
Nur wenn ich dich denke,
Werd ich Weib . . .!

Elsa Asenijeff (1867-1941)
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Der Kuss

O du liebes, schönes Mädchen! Freude meinem jungen Leben!
Lass mich an der sanften Wange mit dem wärmsten Kusse kleben! -
Warum blickst du so beleidigt auf mich Liebenden herab?
Warum treiben deine Hände mich so strenge von dir ab?

Bin ich keines Kusses würdig? - Willst du alles mir versagen?
Meinen Kummer noch vergrössern durch dein quälendes Betragen?
Mädchen, Mädchen, jedes Mäulchen, das ich deiner Lippen drück',
Ist mir gränzenlose Wollust - ist mir gränzenloses Glück.

Geberinn so hoher Freuden, sollst du dieses Glück mir rauben?
Nein, das kann ich, liebes Mädchen, deinem Munde nimmer glauben!
Nein, dein Herz ist nimmer, nimmer, wie dein Antlitz, hoch ergrimmt;
Nein, es ist mit meinen Wünschen nach demselben Ton gestimmt.

O du liebst mich! - Und mein Küssen wäre widrig dir gewesen?
Selbst in diesem schönen Weigern kann ich deine Liebe lesen.
Aber nun genug geweigert! - reich' ihn nun, den warmen Mund,
Und in tausend, tausend Küssen thu' ich meine Liebe kund!

O du lächelst! - Ja, du Liebe, nimmer konntest du so bleiben;
Liebe musste diese Kälte von der rothen Wange treiben!
Komm! - Das sind sie, deine Lippen! - Engel, welche Himmelslust!
O, nur deine Küsse ströhmen Leben in die junge Brust!

Jacobus Bellamy (1757-1786)
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Aus: Hyperion

Was ist alles, was in Jahrtausenden
die Menschen taten und dachten,
gegen Einen Augenblick der Liebe?
Es ist aber auch das Gelungenste,
Göttlichschönste in der Natur!
dahin führen alle Stufen
auf der Schwelle des Lebens.
Daher kommen wir,
dahin gehn wir.

Friedrich Hölderlin (1770-1843)
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Welch eine Nacht! ihr Götter und Göttinnen!

Welch eine Nacht! ihr Götter und Göttinnen!
Wie Rosen war das Bett! da hiengen wir
Zusammen im Feuer und wollten in Wonne zerrinnen!
Und aus den Lippen flossen dort und hier,
Verirrend sich, unsre Seelen in unsre Seelen! -
Lebt wohl ihr Sorgen! wollt ihr mich noch quälen?
Ich hab' in diesen entzückenden Secunden,
Wie man mit Wonne sterben kann, empfunden!

Petronius Arbiter (um 10-66 n. Chr.)

Übersetzt von Wilhelm Heinse (1746-1803)
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Vorschmack

Der echte Moslem spricht vom Paradiese,
Als wenn er selbst allda gewesen wäre,
Er glaubt dem Koran, wie es der verhieße,
Hierauf begründet sich die reine Lehre.

Doch der Prophet, Verfasser jenes Buches,
Weiß unsre Mängel droben auszuwittern
Und sieht, daß trotz dem Donner seines Fluches
Die Zweifel oft den Glauben uns verbittern.

Deshalb entsendet er den ewgen Räumen
Ein Jugendmuster, alles zu verjüngen;
Sie schwebt heran und fesselt ohne Säumen
Um meinen Hals die allerliebsten Schlingen.

Auf meinen Schoß, an meinem Herzen halt ich
Das Himmelswesen, mag nichts weiter wissen;
Und glaube nun ans Paradies gewaltig,
Denn ewig möcht ich sie so treulich küssen.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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An den Prinzen Benjamin

Wenn du sprichst,
Wacht mein buntes Herz auf.

Alle Vögel üben sich
Auf deinen Lippen.

Immerblau streut deine Stimme
Über den Weg;

Wo du erzählst, wird Himmel.

Deine Worte sind aus Lied geformt,
Ich traure, wenn du schweigst.

Singen hängt überall an dir -
Wie du wohl träumen magst?

Else Lasker-Schüler (1869-1945)
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Die Liebe hat die Welt geboren

Die Liebe hat die Welt geboren,
Und sie gebiert sie täglich neu;
Sie hat aus Nichts das All' beschworen
Und hält's in Armen stet und treu.

Sie spendet Licht und spendet Leben,
Sie hat die Nacht zu Tag erhellt;
Sie lohnet jedes edle Streben
Und segnet die beglückte Welt. -

Jungfräulich reine Himmelsblüte,
Des Weltalls holde Schöpferin!
Barmherzig, mild und voller Güte,
Bist Mutter du und Königin!

Was krank, das machest du genesen,
Was todt, das machst du auferstehn.
Wer dich erwählt, wen du erlesen,
Wird nicht in Ewigkeit vergehn.

Der Sehnsucht Weh ergreift die Herzen,
Die fühlend du erschaffen hast;
Zur Rettung werden herbe Schmerzen,
Zu lauter Lust wird Kummers Last.

Vom Auge fällt der Täuschung Binde,
Der Wahn des Todes und der Zeit,
Und um sich schaut geheilt der Blinde,
Im lautern Licht der Ewigkeit.

Da steht ringsum vor seinen Blicken
Die Welt in voller Blütenpracht -
Er ist - o seliges Entzücken -
In ew'ger Liebe Lenz erwacht!

Oswald Marbach (1810-1890)
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Meiner Seele Morgenlicht, sei nicht fern, o sei nicht fern!

Meiner Seele Morgenlicht, sei nicht fern, o sei nicht fern!
Meiner Liebe Traumgesicht, sei nicht fern, o sei nicht fern!

Leben ist, wohin du blickst, Tod, wo du dich wendest ab;
Hier, wo Tod mit Leben ficht, sei nicht fern, o sei nicht fern!

Ich bin Ost, in dem du auf-, West, in dem du untergehst,
Licht, das meine Farben bricht, sei nicht fern, o sei nicht fern!

Ich, dein Bettler, bin der Fürst, dein Gefangner, ich bin frei,
Meine Lust ist meine Pflicht; sei nicht fern, o sei nicht fern!

Sieh' wie mich der Turban schmückt, mich der Parsengürtel ziert,
Wie mich Kutt' und Strick umflicht, sei nicht fern, o sei nicht fern!

Feuerdiener und Brahman, Christ und Muselman bin ich,
Du bist meine Zuversicht, sei nicht fern, o sei nicht fern!

In Pagoden, in Moscheen, und in Kirchen, mein Altar
Ist allein dein Angesicht; sei nicht fern, o sei nicht fern!

Ew'ger Mittelpunkt der Welt, mit Gebet umkreis' ich dich,
Weich' aus deinem Kreise nicht, sei nicht fern, o sei nicht fern!

Weltgericht und Seligkeit, Seligkeit ist, wo du nahst,
Wo du weggehst, Weltgericht; sei nicht fern, o sei nicht fern!

O Weltrose, dich hervor bringen wollend, sieh, wie rings
Aus Herzknospen Sehnsucht bricht; sei nicht fern, o sei nicht fern!

Hör, wie gellend in der Nacht, Rose, jede Nachtigall
Laut aus meiner Seele spricht: sei nicht fern, o sei nicht fern!

Die Beschwörung, der du nie widerstehn, o Liebe, kannst,
Ist Dschelaleddin's Gedicht: sei nicht fern, o sei nicht fern!

Maulana Dschelaleddin Rumi (1207-1273)

(übersetzt von Friedrich Rückert 1788-1866)
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Allegorisch Sonett

Amanda, liebstes Kind, du Brustlatz kalter Herzen,
Der Liebe Feuerzeug, Goldschachtel edler Zier,
Der Seufzer Blasebalg, des Traurens Lösch-Papier,
Sandbüchse meiner Pein und Baumöl meiner Schmerzen,

Du Speise meiner Lust, du Flamme meiner Kerzen,
Nachtstühlchen meiner Ruh, der Poesie Klistier,
Des Mundes Alicant, der Augen Lust-Revier,
Der Komplimenten Sitz, du Meisterin zu scherzen,

Der Tugend Quodlibet, Kalender meiner Zeit,
Du Andachts-Fackelchen, du Quell der Fröhlichkeit,
Du tiefer Abgrund du voll tausend guter Morgen,

Der Zungen Honigseim, des Herzens Marzipan,
Und wie man sonsten dich, mein Kind, beschreiben kann.
Lichtputze meiner Not und Flederwisch der Sorgen.

Constantin Christian Dedekind (1628-1715)
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Erinnerung an Selma

Heil dir zum Morgengruße, verfallner Trümmerbau!
Doch wo ist Heil für einen, der ward vom Alter grau?

Heil ist nur für den frohen, den jung gebliebnen Greis,
Der keine Sorgen kennet und nichts von Kummer weiß.

Doch wo ist Heil für einen, der an genossnes Glück
Denkt über manche Monde und manches Jahr zurück!

Die Spur von Selma's Wohnung ist in Dhu Chal nicht mehr,
Denn jede schwarze Wolke goß sich darüber leer.

Und meinest du, daß Selma noch jetzt zu schauen sei
Ein Antilopenkälbchen oder ein Straußenei?

Und meinest du, daß Selma noch jetzt sei allzumal,
Wie dort am Gemsenbrunnen oder im Veilchental?

In Nächten, wo dir Selma wies einen blanken Zahn,
Und eines Rehes Nacken, mit Perlenschnüren dran.

Imru' al-Qais (6. Jh.)
arabischer Dichter

Übersetzt von Friedrich Rückert (1788-1866)
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Erstes Liebeslied eines Mädchens

Was im Netze? Schau einmal!
Aber ich bin bange;
Greif ich einen süßen Aal?
Greif ich eine Schlange?

Lieb ist blinde
Fischerin;
Sagt dem Kinde,
Wo greifts hin?

Schon schnellt mirs in Händen!
Ach Jammer! o Lust!
Mit Schmiegen und Wenden
Mir schlüpfts an die Brust.

Es beißt sich, o Wunder!
Mir keck durch die Haut,
Schießt 's Herze hinunter!
O Liebe, mir graut!

Was tun, was beginnen?
Das schaurige Ding,
Es schnalzet da drinnen,
Es legt sich im Ring.

Gift muß ich haben!
Hier schleicht es herum,
Tut wonniglich graben
Und bringt mich noch um!

Eduard Mörike (1804-1875)
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O süsses Nichtstun

O süßes Nichtstun, an der Liebsten Seite
Zu ruhen auf des Bergs besonnter Kuppe;
Bald abwärts zu des Städtchens Häusergruppe
Den Blick zu senden, bald in ferne Weite!

O süßes Nichtstun, lieblich so gebannt
Zu atmen in den neubefreiten Düften;
Sich locken lassen von den Frühlingslüften,
Hinabzuziehn in das beglänzte Land;
Rückkehren dann aus aller Wunderferne
In deiner Augen heimatliche Sterne.

Theodor Storm (1817-1888)
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Der Kuß

Wenn noch der Kuß auf deinen Lippen brennt,
Wenn sie von dir sich düstern Auges trennt,
Mit Hand und Wort dich drohend treibt zurück
Und doch dir folgt mit liebebangem Blick,
Der in der Sehnsucht heißem Hauche bricht,
Und doch dabei "Verlaß mich, Falscher" spricht:
Dann schlürfst du den Trank des ew'gen Lebens,
Den aus dem Meer die Götter ziehen vergebens.
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Seitdem ich von ihren Lippen getrunken,
Vor Liebe schmachtend, den himmlischen Saft,
Seitdem bin ich doppelt in Liebe versunken,
Und wühlet der Durst mit verdoppelter Kraft.
Ein Wunder ist's nicht, wie bei jedem Genuß,
So reizt auch zum Durste die Würze im Kuß.

Amaru (6. - 8. Jh.)
indischer Dichter

(übersetzt von Anton Eduard Wollheim da Fonseca 1810-1884)
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Mailied

Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch,

Und Freud und Wonne
Aus jeder Brust.
O Erd, o Sonne!
O Glück, o Lust!

O Lieb, o Liebe!
So golden schön,
Wie Morgenwolken
Auf jenen Höhn!

Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im Blütendampfe
Die volle Welt.

O Mädchen, Mädchen,
Wie lieb ich dich!
Wie blickt dein Auge!
Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft,

Wie ich dich liebe
Mit warmen Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud und Mut

Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst.
Sei ewig glücklich,
Wie du mich liebst!

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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Frühling

Wir wollen wie der Mondenschein
Die stille Frühlingsnacht durchwachen,
Wir wollen wie zwei Kinder sein,
Du hüllst mich in Dein Leben ein
Und lehrst mich so, wie Du, zu lachen.

Ich sehnte mich nach Mutterlieb'
Und Vaterwort und Frühlingsspielen,
Den Fluch, der mich durch's Leben trieb,
Begann ich, da er bei mir blieb,
Wie einen treuen Feind zu lieben.

Nun blühn die Bäume seidenfein
Und Liebe duftet von den Zweigen.
Du musst mir Mutter und Vater sein
Und Frühlingsspiel und Schätzelein!
- - Und ganz mein Eigen . . .

Else Lasker-Schüler (1869-1945)
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Wer liebt, ist im Geliebten ganz verschwunden

Wer liebt, ist im Geliebten ganz verschwunden,
Weil er in diesem völlig aufgegangen:
Ich hege keinen Wunsch mehr, kein Verlangen,
Weil das Ersehnte meinem Ich verbunden.

Und hab' ich dich in meinem Geist empfunden,
Was kann der Körper weiter noch erlangen?
Ihn hält ein Frieden wunderbar umfangen,
Weil er die liebe Seele fest umwunden.

Doch jene Göttin, rein und ohne Fehle,
Verwuchs untrennbar fest mit meiner Seele,
Wie Geist und Körper innig sich verweben;

Sie lebt in mir, ein reiner Lichtgedanke.
Und jene Liebe, die mir gab das Leben,
Strebt nach Gestaltung in bestimmter Schranke.

Luis de Camoes (1524-1579)

(In der Übersetzung von Ludwig von Arentsschildt 1807-1883)
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Bergsee

Wie ist der See zur Mittagstund
Glasklar und wasserrein.
Komm, wirf den kleinsten Kieselstein
Ihm in das grüne Herz hinein,
Du siehst ihn bis zum Grund.

So ist mein Herz für dich bereit
Glasklar und wasserrein.
Komm, schau getrost und tief hinein,
Und was du siehst ist dein, ist dein,
In alle Ewigkeit.
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Freudeschrei!

Du bist ja meines Lebens Brot!
Du tust mir not, du tust mir not,
Du wohnst in meinen Armen!
Du tust mir not zu jeder Stund,
Gib deinen Mund, gib deinen Mund,
Den großen Mund, den warmen.
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Du

Du bist mein Himmel voller Wolkenbilde,
Der grünen Welt Gefilde,
Der Wald bist du voll tiefer Ruh,
Die Erde du!

Du bist mein Tag voll Schauen und voll Pracht,
Bist meine stille Nacht!
Schlag ich die Augen auf, schließ ich sie zu,
Da bist nur du.

Grete Gulbransson (1882-1934)
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Komm, komm, den Frühling bringt der Wind!

Komm, komm, den Frühling bringt der Wind!
Dein Angesicht beschämt die Rosen!
Komm, es ist Frühling, Freudenzeit!
O säume nicht, es kreis't die Welt.

Schwank' einen Augenblick auf's Feld,
Ich will im Lenz die Lust erneu'n.
Es bringt mir einen Hauch der Wind
Von deiner Huld, die ernst mich macht.

Ich trank noch nicht vom reinen Wein,
Nein, nur vom Hefen des Genusses.
Des Morgens als du mich betrübtest,
Beklagte sich mein Herz beym Auge.

Dieß sah viel Tausende Verliebter,
Die sich beklagten über dich.
Es drang zum Seelenohr Iraki's
Das Flehn und Weinen deines Gaus.
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Des Leibes Lebenskraft und Macht bist du;
Die Seel' und Herz, o Seel' und Herz bist du.
Du bist mein Wesen, du bist immer Ich,
In dir verschwind' ich, deßhalb bin ich du.

Iraki aus Hamadan (1213-1289)

Aus dem Persischen von Joseph von Hammer-Purgstall (1774-1856)
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Wie hat mein Herz gejubelt . . .

Wie hat mein Herz gejubelt,
Wie flog mein Herz Dir zu,
als leise Du hereintratst,
Mein Alles, Alles Du!

Wie hab' ich Dich umschlungen,
Mit Küssen zugedeckt,
Als hätt' ich meine Liebe
Grad' eben erst entdeckt!

Und dann - hab' ich geschwiegen
Dann schloss mein Herz sich zu,
Als leise Du hinaustratst,
Mein Alles, Alles Du!
Am 16. April 1943
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Ich sehne mich nach Deinen Händen . . .

Ich sehne mich nach Deinen Händen,
Nach Deinen Lippen, Deinem Blick,
Doch sorge nicht - Gott wird dies Leiden enden,
Und was der Mensch getrennt, gibt gnädig Er zurück.

Ich möchte meine Arme breiten,
Um Dich, die Kinder, Heim und Herd,
Doch sorge nicht - Gott wird uns freundlich leiten.
Und was Dein Herz erfleht, bleibt nimmer Dir verwehrt!
25. Mai 1943

Hans von Dohnanyi (1902-1945)

Aus: Hans von Dohnanyi Verschwörer gegen Hitler
"Mir hat Gott keinen Panzer ums Herz gegeben"
Briefe aus Militärgefängnis und Gestapohaft 1943-1945
DVA München 2015
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Ostergruß
(Mit frischen Veilchen)

's ist Osterzeit! Wenn Du's nicht wissen solltest,
So kündeten Dir's Fink und Amsel an,
Und wenn Du diese nicht vernehmen wolltest,
So hätte es der Veilchenduft gethan,
Der süß berauschend – als ein Frühlingsbote
Aus einer lieblicheren Welt entschwebt –
Mit holden Wohlgerüchen die noch tote
Natur zum Auferstehungsfest belebt.

's ist Osterzeit! Wie Dich im Lenzgetriebe
Die Blumen grüßen und der Vöglein Schlag,
So grüßt Dich aus der Ferne heut' in Liebe
Ein treues Herz zum frohen Ostertag;
Es wünscht dir ein beglückendes Versenken
In die an Wundern reiche Frühlingszeit
Und ein noch mehr gesegnetes Gedenken
Der uns geoffenbarten Herrlichkeit.

's ist Osterzeit! Nun wirf sie ab, die Sorgen,
Dem neuen Morgen hoffend zugewandt,
Und fühle Dich in dessen Hand geborgen,
Der die Erlösung für sein Volk erfand!
Gewiß, wie er ein tausendfaches Leben
In Wald und Flur jetzt wundermächtig schafft,
Wird er auch Deinem Herzen wieder geben
Der Osterhoffnung neue Lebenskraft.

Elisabeth Kolbe (1864-1936)
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Kreuz-Gedicht

Ach!   Diese Stätt
das  Sterbe - Bett
von Jesu war / der
Creutz-Altar.   Hier
er  das Opfer ward für  unsre Sünden.
Sein   heiligs  Haupt die  Dornen mußt
empfinden.  Die treue Händ' und Arme
voll Erbarmen Er breitet aus / uns  Ar-
me zu umarmen.  Es
schreibt uns ein den
Händen  sein  /  der
Nägel   Stich.   Hier
öffnet sich das Herz
/ die  Seit: ist  groß
und  weit zur    Zu-
flucht-Höl  /für dei-
ne Seel.  Hier  briet
das    Lamm      am
Creutzes-Stamm in
Liebes-Glut  /  be-
triefst  mit  Blut: er
lädt uns ein zu Brod
und  Wein.       Die
schwache Knie sich
beugen  hie:    weil
sein Gebet für dich
abgeht. Umfang die
Füß /die gehn gewiß
den Weg dir     vor /
zum  Himmels-Thor:
durch Creutz u. Leid
zur Himmels  Freud.

Sigmund von Birken (1626-1681)
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Ecce Homo!

Seht den Menschen, der menschlicher ist
als die Menschlichsten alle.

Seht den einzigen Menschen, der frei von Sünd'
und von Schuld ist.

Seht den Einzigen an, der, frei von der
Sterblichkeit, gern stirbt.

Seht die Unschuld, die schweigt, im Getümmel
der rufenden Mordsucht!

Seht den Weltensprecher verstummen
in göttlicher Langmut!

Seht den Heiligsten, ach, als wär'
er verruchter Verbrecher!

Seht den Erquicker der Seelen
in heißen Ermattungen schmachten!

Seht den Liebendsten an, der geliebt
und gehaßt ist wie keiner!

Seht den Fürsten der Fürsten
des Himmels in Sklavengestalt an!

Seht das Opfer der Liebe für alle
Sünden der Welt an!

Seht in dem Menschen Jesus
des Menschen Kleinheit und Größe!

Seht in Ihm, wie in keinem,
des Lasters Macht und der Tugend!

Seht in Ihm die Verwüstung
des göttlichen Bilds durch die Sünde!

Seht die verhöhnte Tugend
durch Glauben und Liebe vergöttlicht!

Seht den Einzigen an,
in allem erhaben und einzig!

Seht den Entsündiger an, der der Welt
Verschuldungen still trägt!

Seht in dem Blutenden, Blassen
die kaum noch erkennbare Gottheit!

Seht in den bebenden Schatten gehüllt
die Sonne der Sonnen!

Johann Caspar Lavater (1741-1801)
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Mila

Sie trat so still, so sacht heran, die Gute,
Akazienblüthen tragend auf dem Hute,
Im Gürtel, in der Hand - schien Duft und Blüthe.
Und wie der Traum das Aug', das übermühte,
Verschließt, so schloß sie mir mit einem langen
Innigen Kuß den Mund und blieb so hangen.
Und jener weißen Blüthen Duft und Leben
Hat so ihr Haupt und Haar und mich umgeben
Und drang zu mir von diesem kleinen Wesen,
Das jetzt so zärtlich und so lieb gewesen:
Daß es mir scheinen wollt', die Düfte seien
Von ihr geschenkt den Blumen und dem Maien.
Und heute noch, wo ich die Zeilen schreibe,
Umschwebt mich noch im einsamen Verbleibe
Derselbe Duft, mit ihm das Kind - ob Plagen
Der Stunde Los, ob Träume sanft mich tragen.

Jaroslav Vrchlicky (1853-1912)

Aus dem Tschechischen von Eduard Albert (1841-1900)
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Genie in Schönheit

Schönheit wie deine ist Genie. Ich fand
Durchklungen von Mysterien nicht so sehr
Den Herzensruf von Dante und Homer,
Nicht Buonarrotis nie vergessne Hand.

Der holden Lenzesflur, dem Sommerland
Spendet mehr Segen nicht das volle LEBEN,
Als dein Gesicht; ja, Liebeszauber weben
Sogar um seinen Schatten an der Wand.

Wie viele in der Jugend Dichter sind,
Doch für ein holdgestimmtes Herz ihr Lied
Durch allen Wechsel unbesiegt sich zieht,

So thut die mitleidlose, rauhe Zeit,
Deren Vernichtung nichts, was schön, entrinnt,
Doch deiner Schönheit Wundermacht kein Leid.

Dante Gabriel Rossetti (1828-1882)

übersetzt von Otto Hauser (1876-1944)
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O mein Geliebter, du mein einziges Verlangen . . .

O mein Geliebter, du mein einziges Verlangen
meine einzige Sehnsucht,
in deiner Nähe nur ist ewige Seligkeit,
fern von dir ist die brennende Hölle.
Alle meine Gedanken und Gefühle
sind dir zugewandt.
Es ist gewiß kein Verbrechen, dich zu lieben;
der Gram hat mit dem Gewande
der Abzehrung mich umhüllt,
darum ist auch meine Schuld
kein Geheimnis geblieben.
Mein Herz hat dich vor allen auserkoren,
und nun fließen Tränen
über meine Wangen,
und diese verräterischen Tränen
haben mein Geheimnis enthüllt.
O heile doch meine
gefährliche Krankheit,
du bist zugleich Gift und Gegengift.
Wie lange muß der leiden,
der von dir seine
Genesung erwartet!
Das Licht deiner Augen
hat mich aufgezehrt,
durch die Rosen deiner Wangen
bin ich gebleicht.
Die Nacht deiner Haare
hat mein Leben verdüstert,
meine Pein macht mich zum Märtyrer.
Nun gibt's kein Ende mehr
für meinen Gram,
mir bleibt nichts mehr zu wählen übrig;
ich suche keinen Trost mehr,
denn der Liebe will ich
mein ganzes Leben opfern.

Aus: Tausend und Eine Nacht
Arabische Erzählungen
übersetzt von Gustav Weil (1808-1889)
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Wie süß klang uns die kleinste Vogelweise . . .

Wie süß klang uns die kleinste Vogelweise,
Wenn wir in großem Glücke schweigend standen.
Kein Platz, an dem wir nicht den Himmel fanden,
War eins nur in des andern Zauberkreise.

Die Brombeerranken streichelten uns leise
Und nickten, wenn wir ihnen uns entwanden.
Der Wald lag in des Frühlings goldnen Banden.
Er koste uns mit jedem grünen Reise.

Uns summten Freundschaft Wespen selbst und Immen,
Und Schlänglein ringelten die flinken Glieder,
Kaninchen lugten freundlich, ohne Scheu.

Wir kannten aller Wesen Herzensstimmen,
Mit unsrer Liebe stieg die Schönheit nieder
Und schuf die alte Erde wieder neu.

Alma Heismann (1885-1943)
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Drei Gedichte von Georg Trakl

Im Frühling

Leise sank von dunklen Schritten der Schnee,
Im Schatten des Baums
Heben die rosigen Lider Liebende.

Immer folgt den dunklen Rufen der Schiffer
Stern und Nacht;
Und die Ruder schlagen leise im Takt.

Balde an verfallener Mauer blühen
Die Veilchen,
Ergrünt so stille die Schläfe des Einsamen.
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Das tiefe Lied

Aus tiefer Nacht ward ich befreit.
Meine Seele staunt in Unsterblichkeit,
Meine Seele lauscht über Raum und Zeit
Der Melodie der Ewigkeit!
Nicht Tag und Lust, nicht Nacht und Leid
Ist Melodie der Ewigkeit,
Und seit ich erlauscht die Ewigkeit,
Fühl nimmermehr ich Lust und Leid!
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An Mauern hin

Es geht ein alter Weg entlang
An wilden Gärten und einsamen Mauern.
Tausendjährige Eiben schauern
Im steigenden fallenden Windgesang.

Die Falter tanzen, als stürben sie bald,
Mein Blick trinkt weinend die Schatten und Lichter,
Ferne schweben Frauengesichter
Geisterhaft ins Blau gemalt.

Ein Lächeln zittert im Sonnenschein,
Indes ich langsam weiterschreite;
Unendliche Liebe gibt das Geleite.
Leise ergrünt das harte Gestein.

Georg Trakl (1887-1914)
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Die Liebe

Weißt du, was Liebe ist?!?
Wenn man vor innerer Zärtlichkeit vergeht - -;
wenn man ein Späher, Lauscher wird nach dem,
was sich flüchtig, launisch nur,
ersehnt im Übermute ihrer Kindlichkeiten - - -;
wenn man sie krank wünscht,
um die Sorgfalt der Minute zu verhundertfachen - - -;
wenn man den Atem eintrinkt,
der bei ihrem Sprechen unwillkürlich dich berührt - - -;
wenn man bereit ist, stets zu weinen,
wie ein gekränktes Kindchen, wegen nichts - - -;
ein Herzgefäß, das überquillt von süßen Leiden;
die Zärtlichkeit tropft aus, tropft über - - -;
wenn der Geruch von ihrem Wäschenkasten dich belebt,
wie andre noch nicht einmal Semmering-Wälder - - -
und wenn du ihr gebrauchtes feuchtes Handtuch
inbrünstig an die Lippen drückst - - -;
wenn du die Haarnadel aus ihrem Haar
sorgfältig aufbewahrst und deren Duft verspürst,
der nicht mehr ist - - -;
wenn dich ihr Blick erschüttert wie Musik - - -;
wenn du dich als Selbstlosen, los vom Selbst,
jetzt ganz lebendig fühlst - - -
Dann liebst du!
Früher nicht!
Sei sparsam mit dem Wort "Ich liebe dich",
und achte es,
wie nichts auf Erden!

Peter Altenberg (1859-1919)
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Du bist mir nah; wie gut ist dieses Wissen . . .

Du bist mir nah; wie gut ist dieses Wissen,
Da zukunftlos die Horizonte grauen
Und ahnungsreich aus fahlen Finsternissen
Des nahen Schicksals dunkle Augen schauen.

In Dir, in deines Herzens schlichter Treue
Weiss ich mich tief verwurzelt mit dem Leben:
Ein jeder Tag beweist es mir aufs neue,
Wie innig hold ich dir anheimgegeben.

Wenn meine Lippen an die deinen drängen
Und unsre Seelen ineinanderschweben,
Erspüren wir, wie ganz wir uns gehören.

Entzückte, lauschen wir den Liebesklängen,
Die unsre Herzen zauberhaft verweben
Und nichts kann uns den süssen Einklang stören.

David Goldfeld (1904-1942)
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Liebesgedicht

Ich sah dich den Amseln zärtlich Futter streuen -
Ich sah dich deinen alten Vater sanft betreuen -
Ich sah dich in einem Buche heilige Stellen anstreichen,
Ich sah dich in Gesellschaft untadeliger
Menschen erbleichen.
Ich sah dich deine idealen Füße ungeniert
nackt zu zeigen,
Ich sah dich wie eine Fürstin dich edel-stolz verneigen.
Ich sah dich mit deinem geliebten
Papagei wie mit einem Freunde sprechen,
Ich sah dich mit einem Manne
wegen seines geringen Taktfehlers für ewig brechen - -.
Ich sah dich an Himbeerduft dich berauschen,
Ich sah dich der Stille eines
Sommerabends lauschen.
Ich sah dich an dem Alltag wachsen, lernen,
Ich sah dich traurig stehn
vor trüben Gaslaternen.
Ich sah dich dein Leben spinnen
wie die Spinne ihr mysteriöses Gewebe - - -
Ich schlich mich abseits,
um dich nicht zu stören.
Ich werde dich aber lieben, solang ich lebe!

Peter Altenberg (1859-1919)
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Drei Ghaselen

Duft der Nacht

Ich hab mich von der Erde losgeatmet;
die Traumnacht hab ich tief und groß geatmet.

Geliebte! Deinen Duft hab ich wie Blüten,
erschüttert von des Windes Stoß, geatmet

und Deines Hauptes braun enthüllte Haare
und Deine Brüste, bleich und bloß, geatmet.

Ich habe Deines Mundes klare Quelle
und Deinen keusch geschaffnen Schoß geatmet.
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An die Geliebte!

Du meines Geistes gotterfüllte Kraft!
Du Schöpferhauch, der mir die Glieder strafft!
Du goldnes Gut, aus Träumen reich errafft!
Du Harfe meiner höchsten Leidenschaft!
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Hingabe

Es müßte, was ich sang, bei Dir wie Duft
in den Gemächern liegen,
und meine Briefe müßten tief
in Deiner Truhe Fächern liegen;
und über Deinem leisen Schlaf müßt' all
mein Sehnen und mein Sorgen
wie lauter silbernes Geleucht des Mondes
auf den Dächern liegen.

Max Bruns (1876-1945)
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An Emma

V.
Müd' ist dein Aug' und will sich schließen,
Gut' Nacht, ihr Sterne, ihr dunklen, süßen.
Ich möcht' euch schauen in tiefem Traume;
Schlaf! wie so stille, kein Laut im Raume.
Horch, nur zuweilen hergetragen
Kommt eines Herzens gesänftigt Schlagen;
Nicht zwei, nur eines! Ist's dein's, ist's meines?
Gestimmt im Gleichklang sind längst sie eines.

O zu vergehen, so Herz an Herzen!
Nie mehr erwachen zu Freuden und Schmerzen.
Den Strom des Lebens so sacht verrinnen,
So ebben fühlen mit wachen Sinnen;
Und jede Welle, wie sie entgleite
Mit leisem Kusse senden ins Weite;
Und endlich alles umher vergessen,
Noch einmal leise dich an mich pressen,
Und an dem Herzen, das mir beschieden,
Hinüberdämmern in ewigen Frieden.


VII.
Wir haben Hand in Hand gelegt und wußten gleich:
so war es gut;
Nie ward die Hand des Druckes müd', sie ruhte fest,
so war es gut;
Uns lehrte jeder Tag aufs neu: ihr fandet euch,
und das war gut.
Nicht jeder Tag war Sonnenschein, dich schaut' ich an,
und es war gut.
Und hast du selbst einmal gestürmt, - ich sah dein Aug',
und es war gut.
Und haben Andre dich verkannt, - ich kannte dich,
und es war gut.
Und hab' ich achtlos dich gekränkt, - nie meint' ich's bös',
ich meint' es gut,
O bleib' bei mir, geliebtes Herz, treu wie bisher,
und es ist gut;
Denn schwach und arm bin ich allein, hilf du mir weiter,
stark und gut.
Und wie mein Leben auch verläuft, froh will ich sagen:
es war gut,
Und halt' im Tod ich deine Hand, - ich fürcht' ihn nicht,
auch er ist gut.

Ilse Frapan (1849-1908)
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Werbung

Laß mich deine Beine küssen,
Ach, ich zittre vor Verlangen -
Wenn wir heute sterben müssen,
Bin ich selig heimgegangen.

Deiner Kniee ranke Rundung
Ist Gebot, Heil und Enthüllung,
Spendet Labsal und Gesundung,
Eines heißen Traums Erfüllung.

Wenn sie nicht ein Wunder täte,
Wär es Liebe, Namenlose -?
Zürnst du, Mädchen aus Papeete,
Wenn ich deine Knie liebkose?

Ohne jemals zu ermüden,
Schlank und schmal sind sie beim Schreiten,
Schönes Mädchen aus dem Süden,
Willst du mir ein Fest bereiten?

Feste feiern, stolze, stete,
Möchte ich mit dir alltäglich, -
Braunes Mädchen aus Papeete,
Sieh, ich liebe dich unsäglich!

Paul Leppin (1878-1945)
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Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht - wir schlafen engverschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
Und färben sich mit deiner Augen Immortellen . . .

Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

Else Lasker-Schüler (1869-1945) 
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