Gottesliebe

Worte der Liebe
aus der christlichen Welt
 

Christus - 7. Jh., Koptisches Museum, Alt-Kairo




Franz von Sales
(1567-1622)



Aus: Theotimus oder von der Liebe Gottes



Band I.

Erstes Buch
Vorbereitung zu diesem ganzen Werke



Siebentes Capitel
Unterschied der Liebe überhaupt.

 

Doch, mein Theotimus! nur das Wohlgefallen und die Hinneigung oder das Überströmen des Willens in den geliebten Gegenstand ist eigentlich das, was man Liebe nennt; und zwar ist das Wohlgefallen eigentlich nur der Anfang der Liebe, die Hinneigung aber, oder das Überströmen, das daraus erfolgt, ist wirkliche, wesentliche Liebe; und ob man auch beydes Liebe nennt, so ist dennoch der Unterschied bedeutend. Denn wie man des Tages Anbruch Tag nennen kann, so kann dieß erste Wohlgefallen des Herzens an dem geliebten Gegenstande Liebe genannt werden, weil es die erste Empfindung der Liebe ist. Wie aber der eigentliche wahre Tag erst am Ende der Morgendämmerung beginnt und bis zum Untergang der Sonne dauert, so besteht auch die eigentliche wahre Liebe in der Hinneigung und dem Ergusse des Herzens, der unmittelbar auf das Wohlgefallen folgt und durch die Vereinigung vollendet wird. Kurz, das Wohlgefallen ist die erste Anregung oder erste Wirkung, die das Gute im Willen hervorbringt, und dieser Anregung folgt dann die Hinneigung oder das Überströmen, wodurch der Wille vorwärts schreitet und dem geliebten Gegenstande sich nähert, worin die eigentliche und wahre Liebe besteht.
Sagen wir also: das Gute bemächtigt sich des Herzens; es ergreift und fesselt dasselbe mittels des Wohlgefallens; mittels der Liebe aber zieht es dasselbe an und leitet und reißt es zu sich. Durch das Wohlgefallen wirkt es dahin, daß das Herz aus sich selbst herausgehe, durch die Liebe aber, daß es den Weg wandle und die Reise vollbringe. Das Wohlgefallen ist das Erwachen des Herzens, die Liebe ist die Handlung desselben, das Wohlgefallen wirkt, das es aufsteht, die Liebe, das es wandelt. Das Herz breitet die Flügel aus Wohlgefallen aus; aber sein Flug ist die Liebe. Die Liebe also ist, deutlicher und bestimmter zu reden, nichts anderes als die Hinneigung, das Ergießen und die Näherung des Herzens gegen das Gute.
(S. 72-74)

 

Zehntes Capitel
Daß die Vereinigung, nach welcher die Liebe zielt,
eine geistige Vereinigung ist.
 

Wenn man Basilienkraut, Rosmarin, Majoran, Isop, Gewürznelken, Zimmt, Muskatnüsse, Citronen und Bisam unter einander mengt und sie ganz läßt, verbreiten sie allerdings durch die Mischung ihrer Düfte einen überaus angenehmen Geruch; allein bey weitem angenehmer riecht das Wasser, das daraus gebrannt wird, weil die Wohlgerüche dieser sämmtlichen Gewürze, von ihren Körpern getrennt, sich weit lieblicher mischen, und zu Einem vollkommenen Wohlgeruch sich vereinigen, der den Geruchssinn weit stärker durchdringt, als sie je zu durchdringen vermöchten, wenn mit diesem Wohlgeruche und dem abgezogenen Wasser, die Körper ihrer Stoffe vereint wären. Eben so kann in der Vereinigung der sinnlichen, mit den geistigen vermischten Kräften Liebe statt finden; doch nimmermehr wird diese so vortrefflich seyn als wo Geist und Gemüth, getrennt von allen körperlichen Neigungen, eine reine und geistige Liebe wirken: denn der, aus solchen Regungen gemischte geistige Wohlgeruch ist nicht nur weit lieblicher und besser, sondern auch lebendiger, thätiger und kräftiger.
Freylich gibt es Menschen von so rohem, irdischem und niedrigem Gemüthe, daß sie den Werth der Liebe wie jenen der Goldstücke achten, die je größer und schwerer, desto besser und annehmbarer sind. Denn es däucht sie, daß die roh-sinnliche Liebe stärker seyn müsse, weil sie heftiger und stürmischer; fester, weil sie grob und irdisch; größer, weil sie fühlbarer und wilder ist; umgekehrt aber ist die Liebe gleich dem Feuer, dessen Flammen um so heller und schöner sind, je zarter der Stoff derselben ist, und die man nicht schneller löschen kann, als wenn man sie mit Erde bedeckt und niederdrückt. Denn je erhabener und geistiger der Gegenstand der Liebe ist, je einiger, selbstständiger und bleibender sind ihre Regungen; und nicht sicherer kann man die Liebe tilgen, als wenn man sie zu irdischen und verächtlichen Vereinigungen erniedrigt. (...)
Da hingegen die geistige Liebe in der Vereinigung mit ihrem Gegenstande weit höhere Freude findet, als sie gehofft hatte, und in der Vollendung ihres Wohlgefallens, dasselbe mächtig erhöht und durch innigere Vereinigung fortsetzt, so wie sie auch durch diese Fortsetzung immer inniger mit ihrem geliebten Gegenstande sich vereiniget.
(S. 102-105)

 

Dreyzehntes Capitel
Von der Verschiedenheit der Liebe.

Man theilt die Liebe in zwey Gattungen ein, von welchen die eine: Liebe aus Wohlwollen, die andere: Liebe aus Begierlichkeit genannt wird. Durch die Liebe aus Begierlichkeit lieben wir etwas des Nutzens wegen, den wir daraus beabsichtigen; durch die Liebe aus Wohlwollen lieben wir eine Sache um des Guten willen, das daran ist; denn was anders heißt es: jemand aus Wohlwollen lieben, als ihm Gutes gönnen?
Zweytens: Wenn der, dem wir Gutes gönnen, dieß Gute besitzt, so gönnen wir ihm dasselbe mittels des Vergnügens und der Zufriedenheit, die wir darob empfinden, daß er bereits im Besitz desselben ist; und also entsteht die Liebe aus Wohlgefallen, die nichts anders ist, als ein Act des Willens, wodurch dieser sich mit dem Vergnügen, der Lust und dem Guten des geliebten Gegenstandes vereinigt. Hat aber derjenige dem wir Gutes wollen, dieß Gute noch nicht, so wünschen wir es ihm, weßhalb diese Liebe: Liebe aus Verlangen genannt wird.
Drittens: Wird die Liebe aus Wohlwollen bloß einseitig und ohne gegenseitiges Wohlwollen von Seiten des geliebten Gegenstandes gehegt, so heißt sie Liebe aus bloßem Wohlwollen; ist das Wohlwollen gegenseitig, so erhält es den Namen Freundschaft. Dieß gegenseitige Verhältniß aber besteht in drey Dingen. Denn Freunde müssen einander lieben; sie müssen ferner wissen, daß sie einander lieben; und es muß überdieß Mittheilung, Vertrautheit und freundschaftlicher Umgang unter ihnen Statt haben.
Viertens: Lieben wir den Freund bloß einfach, ohne ihn andern vorzuziehen: so ist die Freundschaft einfach; ziehen wir ihn andern vor, so nennen wir diese Liebe besondere Liebe, weil wir aus mehreren Gegenständen, die wir lieben, ihn zum Gegenstande unserer besonderen Liebe erwählen.
Fünftens: Ziehen wir kraft dieser besonderen Liebe einen Freund den übrigen nicht um vieles vor, so heißt sie: Liebe aus bloßem Vorzuge; ziehen wir ihn aber auf ganz vorzügliche Weise vor, so heißt diese Freundschaft: ganz vorzügliche Liebe.
Sechstens: Ist die Achtung und der Vorzug, mit welchen wir den Freund lieben, ob auch groß und ohne Gleichen, dennoch von der Art, daß sie mit andern in Vergleichung kommen, und ein Verhältniß dazu haben kann, so wird diese Freundschaft erhabene Liebe genannt. Ist aber die Erhabenheit dieser Freundschaft außer allem Verhältniß und Vergleich, und über jede andere erhoben, so heißt sie unvergleichliche, unumschränkte, hocherhabene Liebe, jene Liebe nämlich, welche der lateinische Schrifttext: Charitas (Theuer-seyn) nennt, und die nur Gott allein gebührt. Wirklich wird durch das Wort theuer eine ganz besondere Werthschätzung, ein hoher Preis, ein ungemeiner Werth ausgedrückt. Und wie das gemeine Volk den Ausdruck: der Mensch, vorzüglich von dem männlichen als dem vorzüglichern Geschlechte versteht, und der Ausdruck: Anbethung gewöhnlich auch nur von Gott, als dem höchsten Gegenstande derselben in Anwendung blieb, so blieb auf gleiche Weise auch jener Ausdruck: Charitas, nur der Liebe Gottes, als der höchsten und unbeschränkten Liebe.
(S. 120-123)



Fünfzehntes Capitel
Von dem Verhältnisse zwischen Gott und dem Menschen.
 

Sobald der Mensch mit einiger Aufmerksamkeit der Gottheit gedenkt, fühlt er sein Herz von einer gewissen süßen Rührung angeregt, welche Zeugniß gibt, daß Gott der Gott des menschlichen Herzens ist; und nirgend fühlt unser Erkenntnißvermögen so große Freude, als in diesem Gedanken an die Gottheit, von welcher, wie Aristoteles, der Fürst der Philosophen spricht, die geringste Kenntniß mehr werth ist, als die größte Kenntniß aller übrigen Dinge; so wie der geringste Sonnenstrahl den hellsten Strahl des Mondes und der Sterne übertrifft, da sie allein uns mehr Licht zustrahlt, als der Mond und die Sterne zusammen genommen. Erschrickt unser Herz über irgend einen Vorfall, so nimmt es alsbald seine Zuflucht zur Gottheit, und bekennt dadurch, daß wenn auch alles ihm widerwärtig ist, sie allein gut gegen dasselbe sey, und es, als sein höchstes Gut, aus aller Gefahr retten, und schützen könne.
Diese Freude, die das menschliche Herz an der Gottheit empfindet, und das Vertrauen, das es zu derselben hegt, kann durchaus nichts anderm, als dem einigen Verhältnisse entspringen, das zwischen dieser göttlichen Güte und unserer Seele besteht. Groß ist dieß Verhältniß, aber geheim; jeder erkennt, aber wenige verstehen dasselbe; nicht läugnen, doch auch nicht wohl ergründen läßt es sich. Erschaffen sind wir nach Gottes Ebenbild und Ähnlichkeit; und was anders heißt dieß, als daß wir ein inniges Verhältniß zu der göttlichen Majestät haben?
Geistig ist unsere Seele, untheilbar, unsterblich; sie versteht, sieht, und will frey; sie ist fähig zu urtheilen, zu überzeugen, zu wissen und tugendhaft zu seyn; und hierin hat sie Ähnlichkeit mit Gott. Ganz wohnt sie in ihrem ganzen Körper, und ganz in jedem einzelnen Theile desselben; wie die Gottheit ganz im ganzen Weltall und ganz in jedem einzelnen Theile. (...)
Allein außer diesem Verhältnisse der Ähnlichkeit findet sich noch ein anderes wunderbares Verhältniß zwischen Gott und dem Menschen, gegründet auf ihre gegenseitige Vollkommenheit. Nicht als ob Gott irgend eine Vollkommenheit von dem Menschen empfangen könnte, sondern weil, so wie der Mensch nur durch die göttliche Güte vervollkommnet werden kann, auf gleiche Weise auch die göttliche Güte ihre Vollkommenheit außer sich, gleichsam nirgend so gut, als an unserer Menschheit üben kann; denn groß ist das Bedürfniß und die Empfänglichkeit des Menschen für das Gute, und groß der Überfluß und die Neigung der Gottheit, dieß Gute zu spenden.

(S. 126-129)



Zweites Buch
Geschichte des himmlischen Ursprungs
und der Geburt der göttlichen Liebe


Erstes Capitel
Daß die göttlichen Vollkommenheiten
nur eine einzige, aber unendliche Vollkommenheit sind.

 

O Abgrund göttlicher Vollkommenheiten, wie wunderbar bist du! In Einer Vollkommenheit besitzest du die Erhabenheit aller Vollkommenheiten auf eine so überaus erhabene Weise, daß niemand dieß erfaßt, außer du selbst! "Viel werden wir von ihm sagen, spricht die Schrift, und es wird uns an Worten mangeln; aber kurz zu reden: Er ist Alles in allem! Wenn wir uns rühmen, wie weit wird das führen? Denn der Allmächtige ist über alle seine Werke. Lobet den Herrn und erhöhet ihn nach euerm besten Vermögen, denn er ist größer als alles Lob. Sammlet euere Kräfte, wenn ihr ihn preiset, doch werdet nicht müde, denn nimmermehr werdet ihr ihn begreifen!" Nein, mein Theotimus! nimmermehr werden wir es vermögen, Ihn zu begreifen, weil Er, den Worten des heiligen Johannes zufolge, größer ist als unser Herz. Preisen soll indeß jeder Geist den Herrn, und mit den erhabensten Nahmen ihn nennen, die je können ersonnen werden, und statt des größten Lobes, das wir ihm zu geben vermöchten, bekennen wir: daß er nimmermehr zur Genüge gelobt werden kann; und statt des erhabensten Nahmens, den wir ihm eignen könnten: daß sein Nahme über jeden Nahmen erhaben ist, und daß wir unfähig sind, mit einem würdigen Nahmen ihn zu nennen. (S. 154-155)



Zwölftes Capitel
Daß die Gnade, womit Gott uns an sich zieht,
uns vollkommne Freyheit läßt, ihr zu folgen,
oder sie abzuweisen.


(...) Welches sind indeß die gewöhnlichen Bande, womit die göttliche Vorsehung unser Herzen zu ihrer Liebe zu ziehen pflegt? (...) Allerdings, mein Theotimus! zieht uns Gott nicht an eisernen Banden, gleich wilden Thieren, sondern durch süße und liebliche Anlockungen und heilige Einflößungen, die eigentlichen Bande der Adamskinder; denn nur diese haben ein Verhältniß zu dem menschlichen Herzen und sind ihm angemessen, da es von Natur frey ist.
Das eigene Band des menschlichen Willens ist die Freude und die Lust. Nüsse zeigt man einem Kinde, spricht der heilige Augustinus, und angezogen wird es durch Liebe und Lust; angezogen durch Bande, nicht des Körpers jedoch, sondern des Herzens. Sieh also, wie der ewige Vater uns anzieht. Uns belehrend, erfreut er uns, und legt uns keinen Zwang auf: geistige Freude und Trost legt er gleich einer heiligen Lockspeise in unsere Herzen; und zieht dadurch auf liebliche Weise uns an, die Süßigkeit seiner Lehre anzunehmen und zu kosten.
Diesem zu Folge also, mein Theotimus! wird unser freyer Wille durchaus nicht von der Gnade gezwungen oder genöthigt; sondern, wie allmächtig auch die Kraft der barmherzigen Hand Gottes ist, welche die Seele mit so vielen Einflößungen, Ermahnungen und Lockungen rührt, umringt und bindet: dennoch bleibt der menschliche Wille vollkommen frey, und unterliegt durchaus keinem Zwang und keiner Nothwendigkeit. So anmuthig ist die Gnade, und so liebreich erfaßt sie unsere Herzen, dieselben anzuziehen, daß sie die Freyheit unseres Willens durchaus nicht stört; und so mächtig, aber zugleich so zart rührt sie die Triebfedern unseres Geistes, daß unserer Freyheit nicht der mindeste Zwang geschieht. Große Kraft hat die Gnade, doch nicht: das Herz zu zwingen, sondern es anzulocken; heilige Gewalt hat sie, doch nicht: unserer Freyheit Gewalt anzuthun, sondern sie zur Liebe anzuregen; sie wirkt mächtig, aber zugleich so lieblich, daß unser Wille unter ihrer mächtigen Wirkung nimmermehr aufgehoben wird; sie drängt, aber sie zwingt nicht; und ungeachtet ihrer ganzen Kraft haben wir das Vermögen, ihren Regungen nach unserem Belieben einzuwilligen oder sie abzuweisen.
Aber nicht minder wahr als wunderbar ist es, daß unser Wille, wenn er dem freundlichen Rufe der Gnade folgt und in die göttliche Anregung willigt, ihrer Stimme so frey folgt als er derselben frey widersteht, falls er ihr widersteht; obwohl die Einwilligung in die Gnade weit mehr von der Gnade selbst als vom Willen, der Widerstand gegen die Gnade aber nur von dem Willen allein abhängt. So wunderbar wirkt die Hand Gottes bey der Anregung unserer Herzen, und so groß ist ihre heilige Gewandtheit, uns ihre Kraft mitzutheilen, ohne unsere Freyheit aufzuheben, und mit ihrer Macht auf uns zu wirken, ohne die Macht unseres Wollens zu hindern: daß, wie ihre Kraft uns auf liebliche Weise das Vermögen ertheilt, das Gute zu wirken, auch ihre Lieblichkeit die Freyheit unseres Willens mächtig in seiner ganzen Kraft erhält.
(S. 221-224)

 


Fünfzehntes Capitel
Von dem Hochgefühl der Liebe,
das wir durch die heilige Hoffnung empfangen.


(...) Der Glaube zeigt uns durch untrügliche Gewißheit, daß Gott - Gott ist, und daß er unendlich an Güte ist; daß er sich uns mittheilen kann; ja nicht nur daß er kann, sondern auch daß er es will, und zwar so sehr will, daß er in unaussprechlicher Milde uns alle nöthigen Mittel bereitet hat, zur unsterblichen Glorie zu gelangen.
Nun haben wir alle eine natürliche Neigung zum höchsten Gute, in Folge welcher unser Herz einen innerlichen Drang und eine unaufhörliche Unruhe fühlt, nimmermehr zur rasten vermag, und beständig kund gibt, daß seine vollkommne Zufriedenheit, seine feste Freude ihm mangelt. Hat aber der heilige Glaube unserem Geiste einmahl die Schönheit des Gegenstandes entfaltet, nach welchem seine natürliche Neigung zielt, o mein Theotimus! wie groß ist dann seine Freude, sein Jubel. Wie erbebt vor freudiger Bewunderung unsere ganze Seele bey dem Anblick einer so hoch erhabnen Schönheit! "Wie schön bist du, ruft sie aus, o wie schön bist du, mein Vielgeliebter!"
Eliezer suchte eine Braut für den Sohn Abrahams, seines Herrn, und sehr besorgt und unruhig war sein Herz, da er in Ungewißheit schwebte, ob er eine solche finden würde, wie er sie suchte, schön nähmlich und liebreich. Als er aber Rebecca beym Brunnen erschaute, und sah wie überaus schön und freundlich sie war, zumahl aber - als man sie ihm bewilligt hatte, bethete er Gott an, und pries ihn unter freudevollen Danksagungen. So zielt das menschliche Herz, kraft seiner natürlichen Neigung nach Gott, ohne eigentlich recht zu wissen, wie Er ist; findet es ihn aber beym Borne des Glaubens, und sieht es, wie gütig, wie schön, wie freundlich und huldreich er gegen alle Menschen, und wie sehr er als höchstes Gut geneigt ist, allen jenen sich mitzutheilen, die ihn suchen: o wie überaus groß ist dann die Freude des Geistes, wie heilig das Frohlocken in seinem Innern, und das Streben, dieser unendlich liebenswürdigen Güte sich auf immerdar zu vereinigen!
(...) Ob wir wollen oder nicht wollen, auf alle Fälle strebt unser Geist nach dem höchsten Gute. Was ist aber dieß höchste Gut? - Wir gleichen jenen Athenern, die dem wahren Gotte Opfer darbrachten, ob sie ihn auch nicht kannten, bis endlich der große Weltapostel ihnen Kunde davon ertheilte. Denn auf ähnliche Weise strebt unser Herz, aufgeregt durch einen tief innerlichen und geheimen Antrieb, in allen seinen Handlungen nach der Glückseligkeit, und sucht dieselbe, gleichsam im Finstern tappend, hin und wieder, ohne eigentlich zu wissen, wo sie sich aufhält, noch worin sie besteht, bis der Glaube sie ihm zeigt, und ihre unendlichen Wunder ihm beschreibt. Und hat es endlich diesen so sehr gesuchten Schatz gefunden, unbeschreiblich ist dann seine Freude, und das Gefühl der Liebe, worin es sein Wohlgefallen findet. Ich fand ihn, ruft es dann freudig aus, den meine Seele suchte, ohne ihn zu kennen! Warum, ach! wußte ich nicht, wohin mein Verlangen zielte, als nichts von allem was ich verlangte, mir Zufriedenheit gewährte, weil ich fürwahr nicht wußte, was ich verlangte. Lieben wollte ich, und ich erkannte nicht was ich lieben sollte; und weil mein Verlangen seine wahre Liebe nicht fand, so strebte und seufzte mein Herz immerdar nach dem wahrhaftigen, aber unbekannten Gegenstande seiner Liebe. Kräftig war das Vorgefühl meiner Liebe, um mein Verlangen rege zu erhalten; doch nicht tief genug war mein Gefühl von der Güte durchdrungen, die ich lieben mußte, um wirklich zu lieben.
(S. 240-245)

 

Zwey und zwanzigstes Capitel
Kurze Beschreibung der heiligen Liebe.


(...) Ist die Seele die königliche Braut des großen himmlischen Königs, so ist die Liebe die Krone, die ihr königliches Haupt schmückt. Wird aber die Seele mit ihrem Körper vereint, als eine kleine Welt betrachtet, so ist die Liebe die Sonne, die alles schmückt, alles erwärmt und alles belebt.
Die heilige Liebe ist also eine Liebe aus Freundschaft, eine Freundschaft aus Vorliebe, eine Liebe aus Vorzug, aus unvergleichbarem, allerhöchstem und übernatürlichem Vorzuge jedoch, der gleich einer Sonne, in der ganzen Seele waltet, sie mit ihren Strahlen zu verschönern; in allem geistigen Fähigkeiten dieselben zu vervollkommnen; in allen Kräften dieselben zu ordnen; im Willen aber, wie auf seinem Throne, um daselbst zu herrschen und zu wirken, daß er Gott über alle Dinge liebe. O glückselig und abermahl glückselig die Seele, in welche diese heilige Liebe ergossen wird! denn alles Gute erhält sie mit derselben zugleich.

(S. 287-288)

 

Drittes Buch
Von dem Wachsthum und
der Vollkommenheit der Liebe


Erstes Capitel
Daß die heilige Liebe in uns immer mehr
und mehr wachsen und zunehmen muß.
 

(...) Die wahre Tugend kennt keine Gränzen; immer schreitet sie weiter; zumahl die heilige Liebe, die Tugend der Tugenden, die bis ins unendliche wachsen könnte, fände sie anders ein Herz, das der Unendlichkeit fähig wäre, da nichts die Liebe hindert unendlich zu seyn, als die Beschränktheit des Willens, der sie auffaßt und mit ihr wirkt; und da wegen der Beschränktheit des Geistes niemand vermögend ist, Gott in seiner ganzen Unendlichkeit zu schauen, so vermag es auch niemand, ihn nach seiner ganzen Liebenswürdigkeit zu lieben. Denn das Herz, das Gott mit einer Liebe zu lieben vermöchte, die seiner göttlichen Güte gleich käme, hätte einen unendlich guten Willen; diesen aber kann nur Gott allein haben.
(S. 294-295)

 

Zehntes Capitel
Daß die vorhergehende Sehnsucht der Seligen
ihre Vereinigung mit Gott vervollkommnet
und die Wonne der selben erhöht.

 

Die Sehnsucht, die dem Genusse vorangeht schärft und verfeinert die Empfindung desselben, und je dringender und mächtiger diese Sehnsucht war, je wonniger erfreut der Besitz des ersehnten Gegenstandes. (...)
O wunderbare, aber liebenswürdige Unruhe des menschlichen Herzens! O meine Seele! sey immerdar ohne Ruhe, und Rast auf dieser Erde, bis du die frischen Gewässer des unsterblichen Lebens und die allerheiligste Gottheit findest, die allein es vermag, deinen Durst zu löschen und deine ganze Sehnsucht zu stillen. (...)
O wie innig wird die Vereinigung unseres Herzens mit Gott dort oben im Himmel seyn, wenn wir, nach der glühenden Sehnsucht nach dem wahren Gute, die in diesem Leben nie gestillt ward, den lebendigen und unversieglichen Quell desselben finden werden.
Mein Theotimus! sahst du je ein Kindlein, das vom Hunger gequält ward? - Sieh wie innig es sich an den Busen seiner Mutter schmiegt, wie gierig es sich an ihre Brust hängt, und sie drückt, den süßen und ersehnten Labetrank derselben zu entpressen? Glauben möchte man bey dem Anblick seines gierigen Verlangens, es wolle sich ganz in diese mütterliche Brust versenken, oder diesen süßen Quell ganz in sich saugen. Dieß ist ein Bild unserer Seele, wenn sie nach der glühendsten Sehnsucht nach dem wahren Gute, die sie in der Entfernung von ihm empfand, - die unerschöpfliche Quelle desselben im Schooße der Gottheit finden wird. O Gott, mit welcher Innigkeit, in weichem Wonnegefühl eilen wir dann, mit der unversieglichen Quelle der göttlichen Güte uns zu vereinigen, uns ganz in dieselbe zu versenken, oder sie ganz in uns zu saugen!
(S. 349; 352)

 

Fünfzehntes Capitel
Daß in der Vereinigung der seligen Geister mit Gott
verschiedene Stufen Statt finden.


(...) Ganz, mein Theotimus! werden wir oben im Himmel die Gottheit schauen und genießen; aber keiner der Seligen wird sie je gänzlich schauen und genießen. Immer und ewiglich wird diese allerhöchste Güte unendlich mehr Lieblichkeit und Vortrefflichkeiten haben, als alle Heiligen je Erkenntnißvermögen und Fassungskraft haben werden, und unaussprechlich wird unsere Wonne seyn, wenn wir erkennen, daß, nachdem wir die ganze Sehnsucht unseres Herzens reichlich gestillt und seine ganze Fassungskraft im Genusse des unendlichen Gutes, der Gottheit, ersättiget haben, dennoch in dieser Unendlichkeit noch unendliche Vollkommenheiten zu schauen, zu genießen und zu besitzen übrig sind, welche die göttliche Majestät allein ganz zu erkennen und zu lieben vermag, die allein sich selbst vollkommen begreift.
Also schwimmen die Fische in dem ungeheuern Raume des Weltmeeres; dennoch sah nie einer der Fische noch ihre gesammte Menge alle Gegenden, noch netzten sie auch ihre Floßfedern je in allen Gewässern desselben. Und eben so schweben nach ihrer Lust die Vögel in dem unermeßlichen Luftraume, ohne daß je ein einzelner Vogel, noch alle Vögel, die je waren, sind und seyn werden, mit ihrem Gefieder alle Gegenden der ganzen Luft durchschweben und die höchste Region derselben erreichen. O mein Theotimus! nach ihrem Belieben und nach der ganzen Ausdehnung ihrer Wünsche, werden unsere Seelen in dem unermeßlichen Ocean schwimmen und in der Luft der Gottheit schweben; und ewiglich werden sie sich erfreuen, zu schauen, daß diese Luft so unendlich, dieser Ocean so unermeßlich ist, daß ihre Flügel nie und nimmer ihn ermessen können; und daß, ob auch diesen unendlichen Abgrund der Gottheit ohne alle Einschränkung und Ausnahme genießend, sie es dennoch nimmermehr vermögen, ihrem Genusse eine so unendliche Ausdehnung zu geben, daß sie alle Vollkommenheiten dieser Unendlichkeit zu genießen vermöchten, die immerdar auf unendliche Weise unendlich über alles erhaben bleibt, was sie zu erfassen vermögen.
Zwiefach ist deßhalb das Erstaunen der seligen Geister darob. Das erste ergreift sie ob der unendlichen Schönheit, in deren Anschauung sie vertieft sind; das andere ob dem Abgrunde der Unendlichkeit, der von dieser nähmlichen Schönheit noch übrig ist. O Gott, wie wunderbar ist was sie schauen! und, o Gott, wie weit wunderbarer ist, was sie nicht schauen! Und dennoch, mein Theotimus! da die hochheilige Schönheit, die sie schauen, unendlich ist, ersättigt dieselbe sie vollkommen und beglückt sie über allen Ausdruck; und da sie sich begnügen, dieselbe je nach ihrem verschiedenen Range im Himmel, zu genießen, weil die höchst freundliche Vorsehung der göttlichen Güte es also angeordnet hat, wandelt die ihnen innewohnende Erkenntniß, ihren Gegenstand nicht ganz zu besitzen, noch ganz besitzen zu können, sich in ein einfaches Wohlgefallen der Bewunderung um, woraus eine höchste Freude entspringt, da sie sehen, daß die Schönheit, die sie so innig lieben, dergestalt unendlich ist, daß nur sie allein sich vollkommen erkennen kann. Denn darin besteht die Göttlichkeit dieser unendlichen Schönheit, oder die Schönheit dieser unendlichen Gottheit.
(S. 373-376)

 

Viertes Buch
Von dem Verfall und dem Untergang
der heiligen Liebe



Achtes Capitel
Ermahnung zu einer liebevollen Untergebung,
die wir den Rathschlüssen der göttlichen
Vorsehung schuldig sind.


 

(...) Man erzählt von den einfachen und ungebildeten Indiern, daß sie ganze Tage lang bey einer Uhr stehen blieben, um zu hören, wie zur bestimmten Zeit die Stunden schlugen. Nicht möglich war es ihnen, zu errathen, auf welche Weise dieß zuging; doch sagten sie darum nicht, es geschehe ohne Kunst und Ursache; im Gegentheil geriethen sie in höchliches Erstaunen und hegten Liebe und Ehrfurcht gegen diejenigen, welche die Uhren richteten, und bewunderten sie für mehr als menschliche Wesen. Also, mein Theotimus! erscheint uns dieß Weltall, zumahl die menschliche Natur, gleich einem Uhrwerk, von so mancherley Bewegungen und Handlungen zusammengesetzt, daß wir des Erstaunens uns nicht erwehren können. Auch ist es uns überhaupt wohl bewußt, daß diese, auf so mannichfaltige Weise verschiedenen Stücke, alle mehr oder minder dazu dienen, die heilige Gerechtigkeit Gottes anzuzeigen, oder die siegreiche Barmherzigkeit seiner Güte durch oft wiederholtes Lob zu offenbaren. Doch wozu jedes einzelne Stück dient, oder auf welche Weise es zum allgemeinen Ziele geordnet, oder warum es so gemacht ist, das vermögen wir nicht zu begreifen, es sey denn der allerhöchste Werkmeister zeige es uns. Nimmer aber offenbart er uns seine Kunst, damit wir ihn mit um so größerer Ehrfurcht verehren, bis er uns - wann wir in den Himmel kommen, - durch die Lieblichkeit seiner Weisheit entzückt, wenn er in der Fülle seiner Liebe die Gründe, Mittel und Ursachen von allem uns enthüllen wird, was in dieser Welt vorging und zu unserem Heile wirkte.
Wir gleichen, sagt abermahl der große heilige Gregor von Nazianz, Leuten die am Schwindel leiden. Diesen nähmlich kommt es vor, als drehe sich alles um sie herum, wiewohl eigentlich nur ihr Gehirn und ihre Einbildungskraft, nicht aber die Dinge selbst sich drehen. Denn eben so scheint es uns, falls wir Ereignisse schauen, deren Ursachen wir nicht einsehen, daß die Angelegenheiten dieser Welt ohne vernünftigen Grund geordnet werden, weil derselbe uns nicht kund ist. Glauben wir also, daß Gott als Urheben und Vater aller Dinge, durch seine Vorsehung, die alle Geschöpfe, gleich eben so vielen Rädern ordnet und verkettet, auch für die ganze Schöpfung Sorge trägt; besonders aber glauben wir, daß er die Angelegenheiten derjenigen lenkt, die ihn erkennen, ob auch unser Leben mit so manchen und manchen widrigen Ereignissen durchflochten ist, deren Gründe uns vielleicht darum unbekannt bleiben, daß wir, ob dieser Unkunde, die allerhöchste Vernunft Gottes bewundern, die alles Erdenkliche übertrifft. Denn leicht erscheint eine Sache uns geringfügig, die wir leicht durchschauen. Was aber unsern höchsten Scharfsinn übertrifft, das erweckt unsere Bewunderung um so mehr, je schwieriger es für unsere Fassungskraft ist. Gewiß wären die Gründe der himmlischen Vorsehung sehr unbedeutend, wenn unser schwacher Geist es vermöchte, sie zu durchschauen; minder lieblich wäre ihre Freundlichkeit, minder erhaben ihre Majestät, wofern sie von unserer Fassungskraft minder entfernt wäre. (...)
Nimmermehr sollen wir unserem Geiste gestatten, vorwitzig um das höchste Licht der göttlichen Gerichte zu flattern; denn gleich schwachen Schmetterlingen würden wir unsere Fittige versengen und in diesem heiligen Feuer zu Grund gehen.
(S. 426-432)

 

 

Fünftes Buch
Von zwey vorzüglichen Übungen
in der heiligen Liebe durch Wohlgefallen
und Wohlwollen


Erstes Capitel
Von dem heiligen Wohlgefallen der Liebe,
und worin dasselbe besteht.


Die Liebe ist, wie wir bereits erinnerten, eine Regung und gleichsam eine Ergießung des Herzens, das mittels des Wohlgefallens an dem geliebten Gegenstande nach der Vereinigung mit demselben zielt. Das Wohlgefallen also ist der Hauptgrund der Liebe, so wie umgekehrt die Liebe der Hauptgrund des Wohlgefallens ist. (...)
O mein Theotimus! wie groß wird einst unsere Freude im Himmel seyn, wenn wir den Hochgeliebten unserer Herzen schleyerlos erschauen, und gleich einem endlosen Meere sehen werden, dessen Fluthen bloße Vollkommenheiten und Güte sind! Gleich dem Hirsche, der, schwer verfolgt und außer Athem, sich einem klaren und frischen Brunnquell naht, und die erquickende Kühle dieses süßen Gewässers gierig in sich saugt, werden unsere Herzen, nach so großen Mühsalen und einer so heißen Sehnsucht, endlich bey diesem mächtigen und lebendigen Quell der Gottheit durch ihr Wohlgefallen alle Vollkommenheiten dieses göttlichen Geliebten in sich aufnehmen, und in vollkommenem Genusse sich erfreuend, mit seinen unsterblichen Wonne sich ersättigen. Eingehen wird dieser hochgeliebte Bräutigam in unsere Seele wie in sein Brautgemach, daß er seine ewigliche Freude ihr mittheile, wie er selbst spricht, daß er, wofern wir das heilige Gesetz seiner Liebe bewahren, kommen, und seine Wohnung in uns machen werde.
Ein süßer und edler Raub der Liebe ist dieß Wohlgefallen. Wer seine Freude und seine Lust an den Vollkommenheiten Gottes fand, der schmückt sich mit der Schöne seines Hochgeliebten ohne seine Schöne ihm zu entwenden; er kleidet sich mit seinem Gewande, ohne ihn dessen zu berauben; alles eignet er sich an, was immer er besitzt, und nichts nimmt er ihm hinweg; und bereichert sich mit seinen Gütern, ohne in Armuth zu stürzen. So durchdringt sich die Luft mit Lichtglanz, ohne darum die Sonne ihrer ursprünglichen Helle zu berauben; so schmückt sich der Spiegel mit aller Schöne eines freundlichen Angesichtes, ohne sie dem darin sich anschauenden zu nehmen.
(S. 451; 454-456)

 

Zweytes Capitel
Daß wir durch das heilige Wohlgefallen,
gleich kleinen Kindlein, an den Brüsten
des Herrn werden.



Wie überaus glückselig ist die Seele, die ihre Freude daran findet, zu wissen und zu erkennen, daß Gott Gott ist, und daß seine Güte eine unendliche Güte ist! Durch dieses Thor des Wohlgefallens geht der göttliche Bräutigam in unsere Seele ein, und hält das Abendmahl mit uns, so wie wir mit ihm. Wir weiden uns an seiner Freundlichkeit, durch die Freude, die wir darob empfinden; und ersättigen unser Herz mit den göttlichen Vollkommenheiten, durch die Lust, die wir daran haben. Ein Abendmahl wird dieß Gastmahl genannt, weil große Ruhe darauf erfolgt; denn sanfte Ruhe gewährt uns dieß Wohlgefallen an der Lieblichkeit des Guten, das uns erfreut, und woran wir unser Herz weiden. Denn gewiß ist es dir bewußt, mein Theotimus! daß das Herz an jenen Dingen sich weidet, woran es sich erfreut; weßhalb man auch sprichwörtlich sagt, der Eine weidet sich an Ehre, der Andere an Reichthum; so wie auch der Weise spricht: "Der Mund der Thoren weidet sich an Unwissenheit." Und die Weisheit in Menschengestalt spricht: seine Speise, seine Freude nähmlich, sey: den Willen seines Vaters zu thun. Nicht minder stimmen auch Ärzte und Philosophen in dem Grundsatze überein: Was dem Gaumen behagt, nährt, und was uns wohlgefällt, weidet uns. (...)
Betrachtet also die Seele die unendlichen Schätze der göttlichen Vollkommenheiten in ihrem Geliebten, überaus glückselig und reich fühlt sie sich dann, weil die Liebe alle Güte und Freude dieses göttlichen Bräutigams kraft des Wohlgefallens in ihr Eigenthum verwandelt. Und wie das Kindlein in freudiger Bewegung nach den Brüsten strebt, und sich vor Freude nicht faßt, wenn die Mutter dieselben ihm enthüllt zeigt, - wie denn die Mutter selbst sie ihm immer mit eifriger Liebe zeigt, - so wallt auch die Seele vor Entzücken und nahmenloser Freude auf, wenn sie die Schätze der unendlichen Vollkommenheiten des Königes ihrer Liebe schaut, zumahl wenn sie ersieht, daß er sich ihr aus Liebe zeigt, und daß unter allen seinen Vollkommenheiten seine Liebe so glänzend hervorragt. (...)
Die Milch also, wie erinnert ward, eine dem Herzen entsprossene Speise der Liebe, ist ein Bild der mystischen Wissenschaft und Gottesgelehrtheit, der genußreichen Erkenntniß Gottes nähmlich, die dem liebevollen Wohlgefallen entspringt, das der Geist hegt, wenn er die Vollkommenheiten der göttlichen Güte betrachtet. Der Wein dagegen stellt die gewöhnliche und erworbene Wissenschaft dar, die durch öfteres Nachdenken unter der Presse vielfältiger Schlüsse und Erörterungen gewonnen wird. Nun ist aber die Milch, die wir an den Brüsten der Liebe unseres göttlichen Herrn saugen, ohne allen Vergleich besser als der Wein menschlicher Erörterungen. Denn diese Milch entquillt der himmlischen Liebe, die ihren Kindern sie bereitet, noch ehe diese daran denken können. Lieblich und süß ist ihr Geschmack; ihr Geruch übertrifft alle Wohlgerüche, und die sie trinken, bekommen einen frischen und wohlriechenden  Athem, wie Säuglinge; sie berauscht, ohne den Verstand zu rauben, denn nimmer benimmt sie den Sinn, wohl aber erhebt sie ihn.
(S. 458-459; 461-462; 464-465)

 


Drittes Capitel
Daß wir durch das heilige Wohlgefallen
Gott unser Herz weihen und seiner genießen,
ohne daß wir darum aufhören,
uns nach ihm zu sehnen.

 

(...) Unsere Liebe zu Gott hat ihren Ursprung in dem ersten Wohlgefallen, das unser Herz empfindet, sobald es die göttliche Güte wahrnimmt, und nach derselben zu streben beginnt. Geben wir nun mittels der Liebe diesem Wohlgefallen Wachsthum und bekräftigen dasselbe, wie in den vorhergehenden Capiteln erinnert ward; dann ziehen wir die göttlichen Vollkommenheiten in unser Herz und genießen der göttlichen Güte durch unsere Freude daran.
Und dieß ist die erste Frucht liebender Befriedigung, welche die Braut im hohen Liede durch die Worte ausdrückt: "Mein Geliebter ist mein!" Da aber dieß liebevolle Wohlgefallen, ob auch in uns, da unser Wille es bewirkt, dennoch zugleich auch in Gott ist, an dem wir es hegen, so gibt es uns auch gegenseitig der göttlichen Güte hin. Wir genießen demnach durch diese heilige Liebe des Wohlgefallens der Güter, die in Gott sind, gleich als wären es die unsrigen; da aber die göttlichen Vollkommenheiten alle Fassungskraft und alles Vermögen unseres Verstandes unendlich übersteigen, so können wir dieselben, wenn sie in unsern Geist eingehen, nicht besitzen, ohne daß auch sie uns gegenseitig besitzen; weßhalb wir auch nicht bloß sagen, daß kraft dieses Wohlgefallens Gott unser ist, sondern daß auch wir sein sind.
Die Naturforscher erwähnen, wie wir anderswo erinnerten, eine gewisse Pflanze, Aproxis genannt, die ein so inniges Verhältniß zu dem Feuer hat, daß sie auch fern von demselben, sobald man es ihr nur hinhält, sogleich die Flamme anzieht und zu brennen beginnt, und nicht erst nöthig hat, die ganze Hitze des Feuers zu empfinden, sondern schon von seinem Lichte entzündet wird. Könnte diese dem Feuer durch bloße Anziehungskraft vereinte Pflanze reden, sehr füglich würde sie dann sagen können: Mein geliebtes Feuer ist mein, da ich es angezogen habe, und seiner Flamme genieße; allein auch ich bin sein; denn habe ich es angezogen, so wandelt es, als stärker und edler, mich dagegen in sich um. Es ist mein Feuer, und ich bin seine Pflanze; ich ziehe es an, und es entflammt mich. Auf gleiche Weise kann auch unser Herz, wenn es bey dem Anblick der göttlichen Güte, ihre unendlichen Vollkommenheiten, durch Wohlgefallen und Freude daran, anzieht, mit Wahrheit sagen: die Güte Gottes ist ganz mein, da ich ihrer Vorzüge genieße, und ganz eigne auch ich dieser göttlichen Güte, da dieß liebreiche und wonnige Wohlgefallen, kraft dessen ich sie besitze, auch mich besitzt.
Durch dieß Wohlgefallen wird unsere Seele, gleich dem Vließe Gedeons, ganz von himmlischen Thau erfüllt; und dieser Thau gehört dem Vließe an, weil er sich darauf nieder senkte; gegenseitig aber gehört auch das Vließ dem Thau, weil es durch ihn befeuchtet ward, und alles Gute desselben empfing. Wer aus beyden eignet dem andern: die Perle der Auster, oder die Auster der Perle? - Beydes; denn die Perle gehört der Auster, da sie dieselbe in sich aufgenommen hat; aber nicht minder gehört auch die Auster der Perle, da sie ihren Werth und Preis ihr verleiht. Das Wohlgefallen wirkt, daß wir Gott besitzen; da es dessen Vollkommenheiten in unser Inneres zieht; es wirkt aber auch, daß Gott uns besitzt, da es uns an seine Vollkommenheiten heftet.
Durch dieß Wohlgefallen ersättigen wir unsere Seele mit Freude; doch dergestalt, daß wir darum nicht minder wünschen, sie noch mehr zu ersättigen; und je mehr die Seele die Güte Gottes kostet, je inniger wünscht sie, dieselbe zu kosten. Sie gleicht hierin einem Hungrigen, der essend sich sättigt, und dessen Hunger immer mehr wächst, je mehr er sich sättigt. Der Fürst der Apostel sagt in seinem ersten Sendschreiben, die Propheten hätten die Gnaden geweissagt, die an den Christen in Erfüllung gehen sollten, zumahl aber hätten sie die Leiden unseres Herrn verkündet, so wie auch seine Glorie, die sowohl durch die Auferstehung seines Leibes als durch die Erhöhung seines Nahmens darauf erfolgen sollte; und schließt dann, daß es die Engel selbst gelüstet, die Geheimnisse der Erlösung in diesem göttlichen Erlöser zu schauen; ganz ins besondere aber spricht er von dem Heilande, daß es sie gelüste, ihn zu schauen.
Wie können wohl die Engel, die den Erlöser, und in ihm alle Geheimnisse unseres Heiles schauen, sich sehnen, ihn zu schauen! - Mein Theotimus! Allerdings sehen sie ihn immerdar; aber so wonniglich entzückend ist diese Anschauung, daß ihr Wohlgefallen daran sie sättigt, ohne ihre Sehnsucht zu benehmen. Nicht vermindert wird ihr Genuß durch die Sehnsucht, wohl aber wird er dadurch vervollkommnet, so wie ihre Sehnsucht durch den Genuß nicht aufgehoben, sondern inniger wird.
Der Genuß eines Gutes, das immerdar Freude gewährt, gleicht einer Blume, die nimmermehr welkt, sondern ohne Unterlaß sich erneuert und immer blüht; immerdar ist sie lieblich, immerdar ersehnlich. Die immerwährende Freude der glückseligen Geister im Himmel erweckt eine immerwährende glückselige Sehnsucht in ihnen, so wie ihre immerwährende Sehnsucht eine immerwährende glückselige Freude in ihnen erweckt. Ein Gut, das endlich ist, hebt die Sehnsucht in dem Augenblicke auf, als es Genuß gewährt, und benimmt den Genuß, sobald es Sehnsucht erweckt, da es nicht möglich ist, sich darnach zu sehnen und es zugleich zu besitzen. Das unendliche Gut aber wirkt, daß die Sehnsucht selbst im Besitze, und der Besitz in der Sehnsucht herrsche, da es mächtig ist, die Sehnsucht durch seine heilige Gegenwart zu ersättigen, und ihr, durch die Größe seiner unendlichen Erhabenheit eine beständige Dauer zu geben, die in Allen, welche sie besitzen, eine ewig glückliche Sehnsucht und eine ewig sehnsüchtige Glückseligkeit unterhält.
Denke dir, mein Theotimus! jene, welche das scytische Kraut im Munde haben. Denn man erzählt, daß diese nie, weder hungrig noch durstig werden, weil dieß Kraut sie vollkommen ersättigen soll; und daß sie gleichwohl nie die Eßlust verlieren, weil es sie auf eine ganz eigene liebliche Weise ernährt. Wenn unser Wille Gott gefunden hat, so ruhet er in Ihm und hegt das allerhöchste Wohlgefallen an Ihm; nichts desto minder jedoch regt sich seine Sehnsucht; denn wie er zu lieben wünscht, so wünscht er auch, sich zu sehnen; da er das Verlangen der Liebe und die Liebe des Verlangens hat.
Die Ruhe des Herzens besteht nicht darin, daß es ohne Bewegung sey, sondern darin, daß es kein Bedürfniß fühle; es kann sich bewegen, ohne seine Ruhe zu unterbrechen, wenn es anders durch kein Bedürfniß zur Bewegung angetrieben wird. Die Geister der Verdammten sind in ewiger Bewegung, ohne den mindesten Zwischenraum von Ruhe. Wir Sterbliche, die wir noch auf dieser Erde pilgern, sind in unseren Gemüthsregungen bald ruhig, bald unruhig; die glückseligen Geister im Himmel aber haben immerdar Ruhe in ihren Regungen und nicht ohne Regung ist ihre Ruhe. Nur Gottes Ruhe allein ist ohne Bewegung, weil er ein auf allerhöchste Weise reiner und substancieller Act ist. Allein ob auch, kraft des gewöhnlichen Standes dieses sterblichen Lebens, keine Ruhe in unserer Bewegung ist, so finden wir dennoch, wenn wir Übungen des unsterblichen Lebens versuchen, das heißt, wenn wir die Tugend der heiligen Liebe üben, Ruhe in der Bewegung unserer Gefühle, und Bewegung in der Ruhe des Wohlgefallens, das wir an unserem Geliebten hegen, und bekommen sonach einen Vorgeschmack von der künftigen Seligkeit, nach welcher wir streben.
Wenn es wahr ist, was man von dem Chamäleon erzählt, daß es von der Luft lebt, so findet es, wo immer es hingeht, überall Weide. Bewegt es sich also von einem Orte zum andern, so geschieht dieß nicht darum, daß es sich sättige, sondern, daß es in dem Elemente sich ergötze, das ihm Nahrung gewährt, wie die Fische im Meere.
Wer Gott besitzt und nach ihm sich sehnt, der sehnt sich nicht nach ihm, um ihn zu suchen, sondern diese Sehnsucht selbst in dem Gute zu üben, dessen er genießt. Denn nicht darum hegt das Herz diese Neigung des Verlangens, als wollte es dadurch nach dem Genusse zielen, denselben zu erlangen, da es ihn bereits hat; sondern in diesem Genuss, dessen es sich erfreut, sich zu erweitern; es sehnt sich, nicht, daß es sein Gut erlange, sondern daß es darin sich erfreue und beschäftige; nicht, daß es dessen genieße, sondern, daß es diesen Genuß durch Freude erhöhe; so wie wir gehen und uns in Bewegung setzen, irgend einen schönen Garten zu sehen; und dennoch, wenn wir daselbst angekommen sind, darum nicht aufhören, uns darin zu ergötzen und uns abermahl zu bewegen; nicht mehr, um dahin zu gelangen, sondern um zu lustwandeln und die Zeit darin zuzubringen. Wir wandelten also und gingen, der Lieblichkeit des Gartens zu genießen; sind wir aber darin, so gehen wir, an dem Genusse desselben uns zu erfreuen. Dahin deutete auch der Seher, als er sprach:
Sucht den Herrn und zaget nicht;
Suchet stäts sein Angesicht!
Stäts sucht man, wen man stäts liebt, spricht der große heilige Augustinus. Die Liebe sucht, was sie gefunden hat, nicht, um es zu besitzen, sondern um es immer zu besitzen.
Überhaupt, mein Theotimus! ruft die Seele, die in der Übung dieser Liebe des Wohlgefallens lebt, in ihrer heiligen Stille ohne Unterlaß: Es genügt zu meiner Glückseligkeit, daß Gott Gott ist, daß seine Güte unendlich, seine Vollkommenheit unermeßlich ist. Mag ich leben, oder sterben, gleich gilt mir beydes, da mein innig Geliebter ewiglich ein glorreiches Leben lebt. Nimmermehr vermag es selbst der Tod, die Seele zu betrüben, die da weiß, daß ihre höchste Liebe lebt. Es genügt der liebenden Seele, zu wissen, daß der, den sie mehr als sich selbst liebt, überreich an ewiger Glorie sey, da sie mehr in demjenigen lebt, den sie liebt, als im Körper, den sie belebt. Ja, sie lebt nicht selbst, sondern ihr Geliebter lebt in ihr.
(S. 466-475)

 


Sechstes Capitel
Von der Liebe aus Wohlwollen, die wir auf
sehnsüchtige Weise gegen unseren Heiland hegen.
 

Immer beginnt die Liebe Gottes gegen uns mit seinem heiligen Wohlwollen; denn Er will und wirkt das Gute, das in uns ist, und findet dann sein Wohlgefallen daran. Aus Wohlwollen machte er David zu einem Manne nach seinem Herzen; und nach seinem Herzen fand er ihn dann aus Wohlgefallen. Er schuf zuerst das Weltall für den Menschen, und spendete jedem Dinge den Grad von Güte, die ihm eigen ist; dann würdigte er alles was er gemacht hatte, fand, daß alles sehr gut war, und ruhete aus Wohlgefallen in seinem Werke.
Unsere Liebe zu Gott dagegen beginnt bey dem Wohlgefallen, das wir an der höchsten Güte und an der unendlichen Vollkommenheit hegen, die wir in der Gottheit erkennen, und dann erst gehen wir zur Übung des Wohlwollens über; und wie das Wohlgefallen Gottes an seinen Geschöpfen nur eine Fortsetzung seines Wohlwollens gegen sie ist, so ist auch unser Wohlwollen gegen Gott nur eine Genehmigung und Fortdauer unseres Wohlgefallens an ihm.
(S. 488-489)

 

Achtes Capitel
Wie das heilige Wohlwollen gegen Gott
das Verlangen erzeugt, ihn durch unser Lob
zu verherrlichen.


(...) Dieß Verlangen, Gott zu loben, das das heilige Wohlwollen in unseren Herzen erweckt, mein Theotimus! ist unersättlich; denn unendliches Lob, dürstet die davon durchdrungene Seele, ihrem Geliebten darzubringen; da sie deutlich sieht, wie seine unendlichen Vollkommenheiten ohne alle Gränzen sind. Da sie aber auch erkennt, wie unmöglich es ist, ihre Sehnsucht je befriedigen zu können, erhebt sie ihr ganzes Gefühl mit aller Macht, diese ganz lobwürdige Güte einiger Maßen zu loben; und wunderbar vergrößern diese Anstrengungen des Wohlwollens sich durch das Wohlgefallen. Denn in je höherem Grade die Seele Gottes unendliche Güte erschaut und seine Lieblichkeit kostet, um so mächtiger erglüht sie auch, durch immer größeres Lob ihn zu preisen. Je größere Schwungkraft nun die Seele ihrem Eifer gibt, diese unerfaßliche Lieblichkeit ihres Gottes zu loben, je mehr vergrößert und erweitert sie auch ihr Wohlgefallen darin; und durch diese Vergrößerung wird sie abermahl ermuthiget, ihn aufs neue um so thätiger zu loben. Die Liebe aus Wohlgefallen also und die Sehnsucht Gott zu loben, helfen und stützen einander nicht bloß, sondern sie dienen einander auch gegenseitig zu Beweggründen und wirken wechselweise zu ihrem gegenseitigen Wachsthum.
Auf ähnliche Weise empfinden die Nachtigallen ein so großes Wohlgefallen an ihrem Gesange, daß sie, wie Plinius erzählt, vierzehn Tage und Nächte unaufhörlich singen, und sich immer aufs neue anstrengen, einander an Lieblichkeit zu übertreffen. Und je größern Umfang sie dann ihrer Stimme geben, je größer wird auch ihr Wohlgefallen; und je größer ihr Wohlgefallen wird, je mehr verdoppeln sie ihre Anstrengung, noch lieblicher zu singen. Dieser Wetteifer und Wettstreit nun, - worin ihr Wohlgefallen nach eben dem Maße wächst, als sie sich zum Gesange anstrengen, und umgekehrt ihre Anstrengung nach der Größe ihres Wohlgefallens zunimmt, - wird manchmal so groß, daß ob der Gewalt, mit welcher sie ihre Kehle spannen, dieselbe zerplatzt, und sie aus Übermaß ihrer Anstrengung todt zu Boden fallen. Würdig fürwahr sind diese Sängerinnen des schönen Nahmens Philomele, da sie in der Liebe und aus Liebe zur Melodie sterben.
O Gott, mein Theotimus! wie groß ist die wonnige Lieblichkeit und wie schmerzlich die liebliche Wonne des Herzens, das von glühender Liebe gedrängt, seinen Gott zu loben, nach den größten Anstrengungen in seinem Lobe, das Unvermögen einsieht, ihn würdig loben zu können! Immer höher möchte diese arme Philomele ihre Töne erheben, und ihre Melodieen vervollkommnen, das Lob ihres Geliebten um so trefflicher zu singen. Je mehr sie ihn lobt, je größer wird ihr Wohlgefallen ihn zu loben; und schmerzlich fällt es ihr, ihn nicht noch mehr loben zu können. Keine Anstrengung läßt sie unversucht, diese heiße Sehnsucht zu stillen, und nicht selten sinkt sie darunter ohnmächtig nieder.
(S. 501-503)

 

Sechstes Buch
Von den Übungen der heiligen Liebe
im Gebethe


Erstes Capitel
Beschreibung der mystischen Theologie,
die nichts anderes ist,
als das innerliche Gebeth.

 

(...) Drittens strebt die Theologie der Schule nach der Erkenntniß Gottes; die mystische Theologie aber nach der Liebe Gottes; jene also bildet ihre Jünger zu gelehrten Schülern und zu unterrichteten Theologen; diese dagegen macht die ihrigen zu eifrigen und sehnsüchtigen Liebhabern Gottes, zu Philotheen oder Theophilen.
Diese Theologie nun wird deßhalb mystisch genannt, weil die Unterredung in derselben geheim ist, und alles Gespräch zwischen Gott und der Seele von Herzen zu Herzen geht; und zwar durch eine Mittheilung, die für niemand als jene mittheilbar ist, die sich besprechen. So verborgen ist die Sprache der Liebenden, daß niemand außer ihnen selbst sie versteht. "Ich schlafe, spricht die Braut im hohen Liede, aber mein Herz wacht! Sieh da die Stimme meines Geliebten!" Wer geriethe je auf den Gedanken, daß sie schliefe und dennoch zu ihrem Geliebten spräche? Allein wo die Liebe herrscht, da bedarf es keines äußerlichen Wortgeräusches, noch ist auch die Vermittlung der Sinne nothwendig um einander zu hören.
(S. 538-539)
Die Liebe liebt die Verborgenheit; und haben auch Liebende einander nicht Geheimes zu sagen, so finden sie dennoch Gefallen daran, mit einander in Geheim zu reden; und dieß, wo ich nicht irre, zum Theil darum, weil sie nur wegen ihrer selbst reden wollen, und ihnen, wenn sie laut reden, zu Muthe ist, als redeten sie nicht mehr bloß für einander; zum Theil aber auch darum, weil sie Gewöhnliches nicht auf gewöhnliche Weise, sondern mit eigenen Ausdrücken sprechen, die die ganz besondere Liebe entfalten, mit der sie einander lieben. Allgemein ist die Sprache der Liebe in Hinsicht der Worte, aber ihre Weise und ihr Ton ist so besonders, daß niemand, der nicht liebt, sie verstehen kann. Der Nahme: Freund, im allgemeinen ausgesprochen, hat eben keine besondere Bedeutung; aber bey Seite, geheim und ins Ohr gesagt, gilt er ungemein viel; und je geheimer er ausgesprochen wird, um so lieblicher ist seine Bedeutung. Welch ein Unterschied zwischen der Sprache jener Liebhaber der Gottheit aus alten Zeiten, eines Ignatius, eines Cyprian, eines Chrysostomus, Augustinus, Hilarius, Ephrem, Gregorius, Bernhardus und der minder liebenden Gottesgelehrten der Schule! Der nähmlichen Worte bedienen wir uns; bey ihnen jedoch waren diese Worte voll der Gluth und Süßigkeit liebeduftender Wohlgerüche; bey uns aber sind sie kalt und ohne allen Geschmack.
Die Liebe spricht nicht nur mit der Zunge, sondern auch mit den Augen; sie spricht durch Seufzer und Geberden; ja sogar Schweigen und Stille sind ihre Sprache. "Mein Herz hat zu dir gesprochen, o Herr! mein Antlitz hat dich gesucht!" - "Dein Antlitz, o Herr, will ich suchen!" - "Meine Augen verschmachteten und sprachen: Wann wirst du mich trösten? Erhöre mein Gebeth und mein Flehen, o Herr! Höre mit deinen Ohren meine Thränen!" - "Nimmer sollen deine Augäpfel schweigen", sprach das trostlose Herz der Inwohner Jerusalems zu ihrer eigenen Stadt. Sieh also, mein Theotimus! wie sehr das Stillschweigen betrübter Liebender durch Augen und Thränen spricht!
In der mystischen Theologie ist allerdings die vorzügliche Übung: mit Gott zu sprechen, und Gott im Grunde des Herzens sprechen zu hören; und weil dieß Gespräch durch sehr geheime Sehnsucht und Einflößungen geschieht, nenne wir es ein stilles Zweygespräch. Die Augen sprechen zu den Augen und das Herz zum Herzen; und niemand versteht was gesprochen wird, außer die Liebenden, die zu einander sprechen.
(S. 540-542)

 

Drittes Capitel
Beschreibung des beschaulichen Gebethes
und von dem ersten Unterschiede
zwischen demselben und der Betrachtung

 

(...) Die Liebe wirkt, daß wir an dem Anblick des Geliebten uns erfreuen, der Anblick des Geliebten dagegen wirkt, daß wir in seiner göttlichen Liebe größere Freude empfinden. Es ist dieß eine gegenseitige Regung der Liebe die zur Anschauung und der Anschauung die zu größeren Liebe führt. Durch die Wirkung der Liebe erhält der geliebte Gegenstand größere Schönheit in den Augen des Erkenntnisvermögens, das ihn schaut; durch die Anschauung dagegen wird die Liebe mächtiger und wonniger in dem Willen, der ihn liebt. Durch eine geheime Kraft wirkt die Liebe, daß die geliebte Schönheit schöner erscheint; die Anschauung dagegen schärft die Liebe, daß die Schönheit ihr lieblicher scheine. Die Liebe regt die Augen mächtig an, die Schönheit des Geliebten immer aufmerksamer zu schauen; die Anschauung dagegen zwingt das Herz, ihn immer glühender zu lieben. (S. 556)

 

Viertes Capitel
Daß in diesem sterblichen Leben die Liebe
ihren Ursprung, doch nicht eben so auch
ihre Vollkommenheit aus der Erkenntniß Gottes erhält.

 

(...) Mein Theotimus! Erkenntniß ist allerdings nothwendig, wo Liebe erweckt werden soll; denn nimmermehr können wir lieben, was wir nicht kennen. (...)
Wer, mein Theotimus! liebt deiner Ansicht nach das Licht inniger, ein Blindgeborner, der alle Abhandlungen kennt, welche die Gelehrten darüber verfaßten, und alles Lob das man demselben ertheilt, oder ein Bauer, der mit ungetrübtem Auge den freundlichen Glanz der aufgehenden Sonne sieht und empfindet? Größer ist die Kenntniß des Blinden, größer der Genuß des Sehenden; und eine weit lebendigere und innigere Liebe bringt dieser Genuß hervor, als die einfache Erkenntniß durch Reden; denn durch die Erfahrung eines Gutes, wird dasselbe uns weit liebenswürdiger als durch alle Kenntnisse, die wir sonst davon haben können.
(S. 561)

 

Achtes Capitel
Von der Ruhe der Seele, die in ihrem Geliebten
gesammelt ist.

 

(...) Liebende, die einander auf menschliche Weise lieben, sind zuweilen bloß dadurch vergnügt, daß sie mit ihrem geliebten Gegenstande  zusammen sind, wenn sie auch nicht mit ihm reden, noch über seine Vorzüge sich besprechen. Es genügt ihnen, wie es scheint, und sie ersättigen sich daran, in dieser geliebten Gegenwart zu verweilen. Und zwar werden sie nicht durch Nachdenken oder durch die Betrachtung der geliebten Person ersättigt, sondern es ersättigt sie eine gewisse Freude, die ihr Herz einnimmt, und eine Art Ruhe, welche die Seele in dem Gegenstande ihrer Liebe findet. Ungefähr auf dieselbe Weise wirkt die heilige Liebe. "Mein Geliebter ist mir ein Myrrhenbüschlein, spricht die Braut im hohen Liede, und er wird zwischen meinen Brüsten weilen. Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein, der unter den Lilien weidet, bis der Tag anbricht und die Schatten sich neigen! Zeige mir, o Geliebter meiner Seele! wo du weidest, wo du im Mittage ruhest!" Du siehst hier, mein Theotimus! wie die heilige Sunamitin sich mit dem Bewußtseyn begnügt: ihr Geliebter sey bey ihr, er ruhe auf ihrer Brust, oder er sey in ihrem Garten, oder wo immer sonst, wenn es ihr nur kund ist, wo er ist. Deßhalb heißt sie auch Sunamitin, ruhig nähmlich und friedlich in süßer Ruhe.
Diese Ruhe geht zuweilen in ihrer Stille so weit, daß die ganze Seele und alle ihre Kräfte gleichsam schlummern, ohne irgend sich zu regen oder etwas zu wirken; den einzigen Willen ausgenommen, der jedoch auch sein Wirken darauf beschränkt: die Lust und Freudigkeit aufzunehmen, die er durch die Gegenwart des Geliebten empfängt. Noch wunderbarer ist's, daß der Wille diese Lust und Freudigkeit, die er empfängt, nicht einmahl wahr nimmt, und sie ohne sein Bewußtseyn genießt, da die Seele durchaus nicht an sich, sondern an denjenigen denkt, dessen Gegenwart sie mit Freude erfüllt; wie es uns zuweilen begegnet, daß wir von leisem Schlummer überfallen, nur obenhin hören: was Freunde reden, und ihre freundschaftliche Begegnung beynahe unbemerklich wahrnehmen, ohne wahrzunehmen, daß wir wahrnehmen.
Nichts desto minder bezeugt die Seele, welche dieß wonnige Gefühl der göttlichen Gegenwart genießt, - ob sie auch dieses Genusses sich nicht bewußt ist, - dennoch deutlich, wie überaus köstlich und lieblich diese Glückseligkeit sey, wenn man derselben sie berauben will, oder wann irgend etwas sie daran stört. Dann nähmlich bricht die betrübte Seele in Klagen aus und so groß ist oft ihr Schmerz, daß sie gleich einem Kindlein bitterlich weint, das man aufweckte, noch ehe es sich satt schlief, und das durch seinen Schmerz deutlich das Vergnügen kund gibt, das es in seinem Schlafe genoß. Deßhalb beschwört auch der göttliche Hirt im hohen Liede, die Töchter Sion bey den Rehen und Hirschen des Waldes, seine Geliebte nicht zu wecken, bis sie selbst es will, das heißt, bis sie selbst erwacht. Wahrlich, mein Theotimus! um keine Schätze der Erde würde die Seele, die also in ihrem Gotte ruht, diese Ruhe verlassen.
(S. 586-588)

 

Band II.

Zehntes Buch
Von dem Gebothe: Gott über alles zu lieben


Erstes Capitel
Von der Lieblichkeit des Gebothes,
das Gott gab, Ihn über alle Dinge zu lieben.

 

Der Mensch ist die Vollendung des Weltalls; der Geist die Vollendung des Menschen; die Liebe die Vollendung des Geistes; die heilige Liebe die Vollendung der Liebe. Folglich ist die Liebe Gottes das Ziel, die Vollendung und die höchste Schönheit des Weltalls. Hierin also, mein Theotimus! besteht die Größe und der Vorrang des göttlichen Liebegebothes, das der Heiland das erste und größte Geboth nennt. Gleich einer Sonne, bestrahlt dieß Geboth alle heiligen Gesetze und ertheilt allen göttlichen Anordnungen, allen heiligen Büchern Glanz und Würde. Alles ward dieser himmlischen Liebe wegen erschaffen; alles bezieht sich auf sie. Alle Rathschläge, Ermahnungen, Einflößungen, so wie alle übrigen Gebothe sind wie Blüthen dieses paradiesischen Baumes zu betrachten; die Frucht aber ist das ewige Leben. Alles was nicht nach der ewigen Liebe zielt, zielt nach dem ewigen Tode. Groß fürwahr ist dieß Geboth, da die Ausübung desselben im ewigen Leben ohne Unterlaß fortdauert, ja selbst das ewige Leben darin besteht. (S. 291-292)

 

Drittes Capitel
Wie man, ob auch das ganze Herz zur heiligen Liebe
verwendet wird, Gott dennoch auf mannichfaltige
Weise lieben, und noch andere
Dinge mit Gott lieben kann.

 

Wer ganz sagt, schließt nichts aus; gleichwohl kann ein Mensch, ohne darum aufzuhören Gott ganz anzugehören: ganz seinem Vater, ganz seiner Mutter, ganz seinem Fürsten, ganz dem Staate, ganz seinen Kindern, ganz seinen Freunden angehören. Ganz also kann er jedem Einzelnen, ganz Allen angehören; und dieß zwar darum, weil die Pflicht wodurch man den Einen ganz angehört, der Pflicht nicht entgegen ist wodurch man den Andern ganz angehört.
Ganz gibt der Mensch sich durch die Liebe, und genau in dem Grade als er liebt. Er gibt sich also Gott auf die höchste Weise, wenn er die göttliche Güte auf die höchste Weise liebt. Allerdings aber darf, wer Gott also sich gegeben hat, auch andere Dinge lieben, nur keine solche die sein Herz von Gott abwenden könnten. Nie aber raubt irgend eine Liebe Gott unsern Herzen, außer eine Liebe, die der Liebe Gottes entgegen strebt.
Sara zürnt nicht, daß Ismael in Gesellschaft ihres geliebten Isaak ist, so lange er ihn nicht schlägt und stößt; eben so wird auch die göttliche Liebe nicht beleidigt, wenn noch andere Arten der Liebe neben der ihrigen uns innewohnen, wenn anders diese die schuldige Ehrfurcht und Unterwürfigkeit gegen sie beobachten.
(S. 300-301)

 

Eilftes Buch
Von der höchsten Gewalt und Herrschaft
der heiligen Liebe über alle
übrigen Tugenden, Handlungen
und Vollkommenheiten der Seele


Zwanzigstes Capitel
Wie die heilige Liebe alle Leidenschaften
und Begierden der Seele verwendet
und sie unter ihren Gehorsam bringt.

 

Die Liebe ist das Leben unseres Herzens, und wie die Unruhe einer Uhr allen beweglichen Theilen derselben Bewegung ertheilt, so empfängt auch die Seele alle ihre Regungen von der Liebe. Alle unsere Neigungen folgen unserer Liebe; und je nachdem unsere Liebe ist, ist unser Verlangen, unsere Freude, unsere Hoffnung, Verzweiflung, Furcht, unser Muth, Haß, unsere Flucht, Traurigkeit, unser Zorn und unser Sieg. (S. 549)

O heilige und wunderbare Alchemie, o göttliches Verwandlungspulver, das das Metall unserer Leidenschaften, Triebe und Regungen in das reinste Gold der göttlichen Liebe umwandelt!
(S. 558)


Aus: Theotimus oder von der Liebe Gottes
Aus dem Französischen
des heiligen Franciscus von Sales
Übersetzt von J. P Silbert [Johann Peter Silbert 1778-1844]
Erster und zweiter Band
München 1822 Bei Jakob Giel


 


 

 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite