Gottesliebe

Worte der Liebe
aus der jüdischen  Welt
 

 



Die Lyrik der Kabbalah


Zwei Hymnen aus dem Buch Rasiel

Und seine Diener singen Weisen, künden Wunder
Des Herrn, der kreist mit seines Reiches Kronen,
Umkreist von den Herrschern der Sphären.
Mit seines Glanzes Flug umhüllt er Himmel,
Vor seiner Pracht erglänzt der Himmel,
Abgrund entflackert seinem Mund. -
Er zertrümmert Urwelten, verzerrt Herrlichkeit,
Stolze Himmel entfunken seiner Gestalt.
Alle Pflanzen freuen sich seiner Worte,
Singen freudig - seine Worte duften aus ihnen.
Steigen auf, kreisen herrlich in freudigen Flämmchen,
Freudig preisen sie den Friedlichen,
Den lieben König, der sich über Urwelten erhebt,
Furchtbar, erhaben ...

*

Gelobt sein Name, gepriesen in Schönheit seine Macht.
Gelobt durch Schätze voll Schnee,
Gepriesen in Flammenflüssen,
In glänzenden Nebeln, sprühenden Palästen.
Gelobt, der über Himmeln reitet, gepriesen durch Heerscharen,
Gelobt von der Flamme Geheimnis -
Gepriesen durch Donnerstimme, durch eilende Blitze.
Die Erde preist, der Abgrund preist,
Des Meeres Wellen preisen.
Gepriesen des Einzigen Name auf dem Thron
Durch jede Seele und jedes Geschöpf, ewig für und für.
(S. 57)
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Eleasar Askari (16. Jh.)

Gebet

Seelenfreund, feßle den Knecht an deinen Willen.
Es eile dein Knecht wie ein Reh
Und sinke nieder vor deiner Herrlichkeit.
Süßer als alle Genüsse munde ihm deine Gunst.

Herrlicher Freund, Glanz der Welt,
Meine Seele ist siech vor Liebe zu dir.
Hilf ihr, Gott, zeig ihr deinen süßen Glanz
Und sie wird erstarken und genesen ewiglich.

Ewiger, laß brausen dein Erbarmen.
Verschone den geliebten Sohn,
Denn schon lang sehn' ich mich,
Zu schaun die Pracht deiner Macht.

Erscheine doch, breite, süßer Freund, über mich
Dein Friedenszelt, es erglänze deine Ehre,
Und wir werden jauchzen, deiner uns erfreun. -
Eile Freund; begnadige, fürwahr, längst ist's Zeit.
(S. 66)
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Eleasar Askari (16. Jh.)

Gebet

Freude meines Herzens, dein Licht ist süß. Du Seelengeliebter,
Du Hoffnung meines Sinnens, Tag und Nacht:
Vor meinem Bräutigam Gefallen zu finden.

Bitte, Herr, laß dein Gesicht dem Knechte strahlen,
Wie aufgehende Sonne, nicht zögernd, nicht schwankend.
Stärke deines Knechtes Herz im Feuer deiner Liebesglut.
Über all mein Sinnen schwebe der Schechinah Glanz.

Daß all mein Sinnen sich dir zuwende,
Und die Seele meide harte Verleitung,
Daß alle Geschöpfe dir dienen -
Dann wird Jissrael gemeinsam singen mit allen Geschöpfen.
(S. 67)
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Eleasar Askari (16. Jh.)

Gebet

Bangend sing ich meinem Herrn Lieder, bebend, zitternd,
In meinem Herzen bau ich einen Tempel,
Seinem Glanz ein Ruhegelaß.
Meine einzige Seele bring ich ihm zum Opfer dar.

Meiner Seele Stolz will ich demütigen vor seinem Licht.
Ich schaue Himmel, mit Beben preise ich.
Erdrückt, geknickten Geistes stehe ich vor ihm.
Zittern faßt mich, ob der Sünden.

Dienend bring ich dar mein Mark und Blut auf dem Altar.
Wie ein Lewite will ich singen auf der Erhöhung.
Will ihm danken in der Mitte der Gerechten,
Vor ihm kauernd, Hilfe erflehen.

Seinen Garten will ich pflegen, mich bemühn.
Rosen ziehen, Nelken, Lorbeer, Zimmt, Gewürz,
Meinen Korb mit allerlei Früchten füllen,
Und es dem Herrn bieten: Riech' nur an die Gabe Judas.

Herr, laß mich deiner Schechinah Licht erstrahlen,
Und meine Seele wird sich ewig an dich klammern.
(S. 68)
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Jissrael Nagara (gest. nach 1587)

Wanderleid

Wanderleid ergreift mich, Freunde, erbarmet euch;
Mein Geliebter ging von mir und ich blieb allein.
Zwischen Fremden ging ich um, statt seiner Liebe war ihr Haß.
Ich schrie, weinte, schaute mir nach ihm die Augen aus,
Zu erfragen meine Herzenslust. Fortgeschlichen! ward mir Antwort.
Damals rannte ich durch die Stadt, sein liebend Herz zu suchen.
Vielleicht erhört er mein Flehen, beruhigt mein Leid.
Ach, ich suchte und fand ihn nicht; doch vergessen kann ich nicht,
Ich gebe es nicht auf, tröste mich nicht, harre seinem Wort,
Der Tage überhäufter Gnade gewiß, wie ich jetzt gehetzt.

*

Mein Freund wird kommen in seinen Lustgarten. -
Warum floh er mich wie ein verscheuchtes Reh?
Wem überließ er seine Schafe und ging in seine Burg?
Vergaß der Freund sein Landhaus, den Tag, da er mir erschien?
O sende bald den schnellen Boten, den Verkünder.
Das Reh vergaß den Lieblingsort.
Ich schreie, locke, flehe, es antwortet nicht.
O komm in mein duftendes Bett wie zu meiner Jugendzeit,
Dort wird dich berauschen meines Zwitscherns Lied, süßes Flüstern.

*

Flammen entbrannte er in mir -
Dann überließ er mich dem hörigen Mann.
Der sprach: - dem Erwachsenen muß der Jüngere dienen.
Bitter lästig ist sein Joch, ich weine verbittert über seine Bosheit.
Säumt auch der Freund bis nun, hoffe ich doch bis ans Ende,
Daß er sich erbarmt, umkehrt, sich zu versöhnen,
Zu bekriegen seine Widersacher, Verbannte zu sammeln.
In das Lieblingsversteck des Palastes kehrt er zurück wie einst,
Sammelt die Herde, kommt, um ewig zu herrschen.
Um die demantene Burg wird das Reis neue Blüten treiben.
(S. 71)
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Jissrael Nagara (gest. nach 1587)

Gott spricht

"Ich schlafe, mein Herz ist wach,
Meines Freundes Stimme pocht:
Öffne, Freundin, Schwester,
Einfältige Taube,
Denn mein Haupt ist voll Tau,
Meine Locken voll Funken der Nacht ..."

Liebliche, Einfältige, Reizende, Zarte, komm mit mir
In das Gemach, wie es der Prinzessin geziemt, mit Preis und Sang.
Urbestimmte, Geliebte, Schwester, ich liebe dich.
Sonnverbrannte, von jedermann Gehetzte, Verbannte,
Sieh, deines Feindes Zusammenbruch beginnt im Sturm.
Ich erlöse dich mit entblößtem Arm. Warum weinst du?
Ihr Zertretenen, Beraubten, Beladenen, bald erlös' ich euch
Von geduckten Feinde zur ehmaligen Ruhe.
Ich führe euch in meinen Palast,
Ersteige Zijon, das oberste Himmelbett, mit Klang und Tanz. -
Winde Gedichte, Lieder laß ertönen!
Denn es kam des elenden Volkes Erlösung.
(S. 72)
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Menachem di Lonsano (1540/45 - nach 1608)

Jissrael wirbt

Lebendigem Gott bringe ich Geschenke dar,
Streue Weihrauch, der Gebete Duft,
Aller Flüsse Fluß um Gottes Stadt schwillt an.
Freue dich mit allen Brüdern. –
Wie einst begnadige deine geliebte Taube.
Ich bereitete dir Bett, Stuhl und Leuchter,
Nun setz' dich zu mir, rieche an meiner Blumen Duft.

*

König, deiner Macht freut sich so dein Freund,
Legt dir dar Brot und Wein.
Deines Gartens Bach schwillt an.
Stärke mich, Herr, ich sehne mich so nach dir.
Ich bringe dich in mein Haus, in das Gemach meiner Mutter.
Reiche dir Most, sättige dich mit Würzwein der Granate.
Auf meinem Lager wirst du Licht entströmen,
Mein Herz wird sich erfreun.

Gott spricht:
Was hast du, Heidelilie, umschmeichelte Rose der Ebene,
Zarte, Schöne, ohne Tadel, daß du zögerst, zu kommen in unser Haus?
Eile, Gazelle, in deine hohe Burg, Jungfrau, kehre zurück.
Lug aus dem Fensterlein, sieh, nun bin ich aufgeblüht,
Deine Hilfe kam, deine Erlösung, der Winter ist vorbei.
Ich löse deine Fesseln um den Hals, Zijonstochter, fasse Mut!
Steig auf zu Gott, zu deinem Meister, bücke dich vor dem Palast!
Friedlich wollen wir spielen im Brautgemach.

*

Jissrael spricht:
Vor vielem Leid über Gottes Zorn, weil ich Sünde auf Sünde häufte,
Ist mein Herz erstarrt. – Schlaflos bin ich verwirrt.
Kälte schüttelt mich, doch glühe ich im Fieber.
In meines Geistes bittrem Unmut schwindet meine Kraft.
Ich mühe mich und komme nicht zum Lauf.
O Gott! kehre zurück, tröste, belebe mich,
Daß der Krater deines Zornes nicht mehr düsternd rauche.
(S. 86)
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Nehoraj ben Saadjah Esobib (2. Hälfte des 18. Jh.s)

Hymne

Ich komme, dich mit Liedern zu preisen.
Siegreiche Zuflucht, wer ermißt deine Macht,
die vorausliest der Geschlechter Geschick
und niedersenkt unermeßlichen Tau des Lichts?
Keine Zeit reicht! Beteuert ein Menschenkind,
es kenne den Umfang deiner Macht,
so glaub ich nicht.
Unzählbar sind die Geschöpfe,
wenn auch in gleicher Prägung geschaffen,
sie gleichen und gleichen nicht einander,
so geschaffen in Weisheit des Allmächtigen,
unfaßbar den Propheten. –
Wer erfaßt im Gedanken des Lebens Bewegung,
wie es steht und unbeweglich harrt,
oder das Vermögen, die Hand hoch zu heben,
auf den Füßen zu stehen, durch lebendigen Gottes
Kraft, der auf Himmeln reitet?
Sie aber mühten sich auf den Flügeln ihres Geistes,
die großen Weisen, und fanden keinen Grund.
Ihm, dem höchsten Gott, ziemt Preis, Verherrlichung.
Wer sonst verbindet feindliche Elemente,
die ewig miteinander streiten und zanken,
zu einigen den Geliebten in großer Inbrunst –
als der Herr, der unter Cherubim weilt?
Denn aus Wasser und Feuer schuf er den weiten Himmel,
knüpfte groben Körper an feinen Geist –
nicht auszustaunen!
Sahst du sonst dergleichen?
Wer erfaßt lebendigen Gottes unaufhörliches Wunder?
(S. 100)
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Elieser ben Gerschon Chefez (1. Hälfte des 18. Jh.s)

Hymne

Wie groß ist dein Wirken, Schaddaj!
Herzen der Weisen ermüden in Forschung,
Zu erfassen die Wunder der kleinen Mücke,
Wie erst, wenn sie die Augen erheben
Zu Höhensternen, Sonnensphären,
Vernunft einzubohren in Grundfesten der Welt,
Zu prüfen Schaddajs Glanz, bis in jeden Wurm hinein,
Bis zur Schnecke, die da schleicht und verschwindet. –
An des Abgrunds Rand erglänzen
Herrlichkeiten dort an Weltenpolen –
Und so ermüdet der schwache Mensch, ohne sie zu erreichen.
Er forscht Tag und Nacht nach der Breite der Meeresflächen,
Nach des Meeres Tiefen; es wandert hin und her,
Kreist herum ohn Ende –
Wohin ziehen die Gewässer des großen Meeres?
Wahrlich, dem Volk und den Weisen unbekannt.
Einfältig ist der Menschen kurzer Umkreis,
Wie kann er es wagen aufzusteigen
In die Höhen zu den Stegen des Glanzes?
Wirft er seinen Blick auf ein Blatt der Eiche,
Sieht er Wunder Gottes in größter Reinheit;
All die feinen Gewebe zu zählen, die einander
nicht gleichen. –
Daher muß er krumm irren,
Wenn er mit Vernunft die Höhen überfliegt,
In die Schaddaj machtvoll seine Gnade prägte,
Sichtbar allen Geschöpfen. –
Dies bewegt meine Seele, bis Augen überfließen
Und Zunge erwacht, singt Lieder.
Darum rechtfertige ich seine Befehle, durch sie geehrt –
Tragen und leiden! durch sie erlöst.
(S. 136)
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Elieser ben Gerschon Chefez (1. Hälfte des 18. Jh.s)

An die Seele

Du goldene Seele, du Gazelle des Himmels,
Lebst hienieden im engen Gefängnis der Erde.
Wie kannst du vergessen Hoheit deines Himmels,
Wie kannst du zujubeln den Freuden der Erde?

Du hast verlassen den Pfad des Himmels,
Zu schauen in Nebel, in Scham der Erde.
Kleide dich in Reichsgeschmeide, du Glanz des Himmels,
Und du wirst funkeln im Dunkel der Erde.

Weilend im gequälten Körper blicke auf zum Himmel,
Pflücke köstliche Blumen am Rand der Erde
Und trage, Seele, den Strauß zum Himmel;

Verlaß den Körper in Tiefen der Erde,
Dann kannst du sagen dem Herrn des Himmels:
Danach allein ging meine Mühsal auf der Erde!
(S. 137)
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Aus: Meir Wiener [1893-1941]
Die Lyrik der Kabbalah
Eine Anthologie
R. Löwit Verlag Wien Leipzig 1920

siehe auch:
http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/408317


 

 


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