Gottesliebe

Worte der Liebe
aus der christlichen Welt
 

Christus - 7. Jh., Koptisches Museum, Alt-Kairo




Katharina von Genua
(1447-1510)



Aus: Schriften der heiligen Katharina von Genua

Dritter Theil

Einige Fragen über die Liebe Gottes zu dem Menschen,
welche die Seele ihrem Herrn vorlegte,
und dessen liebreiche Antworten darauf.
Die ganze Wahrheit derselben erweiset sich
in der Seligen selbst.




Erstes Hauptstück:

Die Seele fragt Gott um die Ursache
seiner so großen Liebe zu den Menschen,
der sich ihm doch so sehr widersetzt.
Ferner, was denn eigentlich der Mensch ist,
für den er so große Sorge trägt.
 

Der Herr: (...) Wer den Glauben nicht verloren hätte und die Wirkungen sehen wollte, die Gott in den Menschen vermöge jenes Funkens der Liebe, den er in verborgener Weise in ihr Herz gießt, hervorbringt, der würde ganz gewiß so sehr von Liebe entflammt, daß er nicht länger leben könnte. Die Heftigkeit der Liebe würde ihn in das Nichts auflösen. Allein obwohl das der Mensch niemals begreift, so siehst du dennoch, wie in Folge dieser unbegriffenen Liebe die Menschen verlassen die Welt, die Habschaft, die Freude, die Verwandten, und alles Übrige, was ihnen theuer ist, und wie ihnen alle Freudengenüsse zuwider sind. Vermöge dieser Liebe verkauft sich der Mensch als Sklaven und bleibt Andern unterworfen bis zum Tode. Und so sehr nimmt diese Liebe zu, daß er tausend Martern zu übernehmen bereitet ist, wie dieß die Erfahrung zu allen Zeiten gezeigt und noch immer zeigt.
Du siehst, daß diese Liebe aus Thieren Menschen, aus Menschen Engel, aus Engeln gleichsam Gott vermöge Mittheilung macht. Du siehst die Menschen in Allem sich ändern, aus irdischen Wesen himmlische werden und mit Seele und Leib in geistlichen Dingen sich üben. Du siehst sie ändern ihre Reden und ihr Leben, und das Gegentheil von dem reden und thun, was sie vorher zu reden und zu thun pflegten. Jedermann wundert sich darob und däucht ihm eine vortreffliche Sache. Man beneidet sie, obwohl das Werk selber Niemand versteht, als der es in sich selbst erfährt. Diese innige, eindringende und süße Liebe, die der Mensch in seinem Herzen fühlt, läßt sich nicht erkennen, schildern und verstehen, als aus der Einsicht, die der Gemüthsaffect gewährt, in welchem der Mensch sich eingenommen, gebunden, umgestaltet, zufrieden, ruhig und in den leiblichen Empfindungen wohlgeordnet und ohne Widersetzlichkeit fühlt, so daß er Nichts besitzt, Nichts will und Nichts verlangt. Er bleibt ruhig und befriedigt im Innersten seines Herzens, und kennt nichts Anderes mehr. Er bleibt durch einen sehr feinen Faden auf's Engste verbunden (mit Gott) und wird in verborgener Weise von der Hand Gottes festgehalten, während er mit der Welt, mit den Teufeln und mit sich selber kämpft und streitet. Er erkennt sich zwar als sehr schwach, und fürchtet, weil er sich von keiner Seite helfen kann, überall zu unterliegen; allein Gott läßt ihn nicht fallen.
Dieses ist jedoch noch nicht jene wahre (vollkommene) Liebe, welche du, o Seele, zu kennen wünschest; sie ist es noch nicht. Dieselbe ist erst dann vorhanden, wenn ich die Unvollkommenheiten des Menschen durch jene Mittel und Wege, die sich mit der menschlichen Armseligkeit vertragen, sowohl im Äußern als Innern weggeräumt und vertilgt habe. Das Übrige alsdann, was man nicht sieht, betreffend, so verfahre ich in folgender Weise: Ich steige nämlich mit einem sehr feinen Goldfaden, welches meine verborgene Liebe ist, hernieder. An diesen Faden ist eine Angel gebunden, welche das Herz des Menschen häckelt. Er fühlt sich dann verwundet, ohne zu wissen, von wem er gefangen und gebunden sei. Er kann sich nicht bewegen; denn sein Herz wird von mir, dem Gegenstande und Endziel (all seines Strebens) gezogen, ohne daß er es begreift. Ich halte den Faden in der Hand und ziehe den Menschen immer an mich durch eine so zarte und eindringende Liebe, daß er sich überwunden gibt und ganz außer sich kömmt.
Gleichwie ein Aufgehängter, der mit den Füßen die Erde nicht berührt, in der Luft an dem Seile hängt, durch welches er dem Tode anheimgefallen, so hängt der Geist an jenem feinen Liebesfaden, durch welchen alle verborgenen, feinen und unerkannten Unvollkommenheiten des Menschen sterben; und Alles, was er dann liebt, liebt er mit der Liebe jenes Fadens, von dem er sich gebunden fühlt. So wird auch alles Übrige, was er thut und wirkt, mit jener Liebe gethan, gethan durch die Gnade, die man gratum faciens heißt; denn Gott ist es, der mit seiner reinen Liebe wirkt, ohne daß der Mensch sich einmenge. Nachdem Gott die Sorge für diesen Menschen auf sich genommen und ihn ganz an sich gezogen hat, so wirkt dieses Mittel (in ihm) und bereichert ihn mit seinen Gütern in solcher Zunahme, daß er bei seinem Tode durch diesen Liebesfaden in den Abgrund der Gottheit gezogen und in sich vernichtet wird, ohne es zu wissen. Und obwohl der Mensch in diesem Zustande als eine todte, verlorne und verächtliche Sache erscheint, so findet er doch sein Leben als ein in Gott verborgenes, in welchem alle Schätze und alle Reichthümer des ewigen Lebens sind. Niemand vermag es auszusprechen, ja nur zu denken, was Gott dieser seiner geliebten Seele zubereitet hat.
(S. 327-329)
 

Drittes Hauptstück

Die Seele erkennt, daß dasjenige, was sie unter dem
Scheine für Gottes Ehre that, aus der Eigenliebe hervorging.
Sie fühlt sich entsetzt bei der Anschauung der reinen Liebe,
und fragt, was es denn um diese Liebe sei.
Unser Herr antwortet ihr, daß sie dieses nicht
Begreifen könnte, und daß er, der die Liebe sei,
aus den Wirkungen erkannt werden könne.

Seele: (...) O göttliche Liebe! Was kann ich noch mehr von dir sagen? Ich bin von dir besiegt und überwunden. Ich fühle, daß ich sterbe vor Liebe, und fühle doch die Liebe nicht; ich finde mich verloren in die Liebe, und kenne doch die Liebe nicht; ich fühle, daß diese Liebe wirkt in mir, das Werk aber verstehe ich nicht; ich fühle, daß mein Herz brennt von Liebe, das Feuer der Liebe aber sehe ich nicht.
O mein Herr! Ich kann nicht aufhören, zu suchen nach einem Anzeichen dieser Liebe, und obwohl ich durch das neue Licht, das du mir gezeigt hast, völlig überwunden worden bin, so gebe ich doch die Hoffnung nicht auf, fürder noch mehr inne zu werden von dieser Liebe, in welcher alles Wünschenswerte des Himmels und der Erde enthalten ist, was den Menschen erfreut, ohne ihn zu sättigen, und was in ihm den Hunger immer zunehmen macht. Diese einfache und reine Liebe ist so süß und angenehm und dem Herzen des Menschen so entsprechend, daß, wer nur einen Funken davon gekostet hätte, nicht aufhören würde, ihm nachzugehen, sollte er auch tausend Leben dafür lassen müssen.
Was ist doch diese Liebe, die Alles überwindet? Du, o Herr, hast mir Vieles davon gesagt; aber es scheint mir allzuwenig zu sein. Da du mir den flammenden Trieb verliehen, fürder noch mehr davon zu erforschen, so glaube ich nicht, daß es vergeblich sei. Du hast mir befriedigenden Aufschluß versprochen; bisher habe ich ihn noch nicht bekommen. Du hast mir von dieser deiner einfachen und reinen Liebe einen Funken gezeigt, und er entzündete in mir ein so großes Feuer, daß es mich verzehrt. Ich finde keinen Ort der Ruhe auf Erden, und kann nichts Anderes mehr sehen und empfinden. Vor Verwirrung bin ich außer mir. Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich bin so eingenommen, ergriffen und verwundet, daß ich sterben möchte, und warte nur auf deine Fürsorge, die jedes auf das Heil zielende Verlangen befriedigt.
Der Herr: O meine theure Seele! Du verlangst zu wissen, was du nicht zu begreifen vermagst. Dein Trieb und dein Verlangen sind, insoferne der Mensch noch im Fleische lebt, übernatürlich, in Hinsicht auf den geistigen Theil aber und auf den Zweck, zu dem du erschaffen bist, sind sie natürlich, weil ja die Liebe dein Anfang gewesen und deine Mitte ist und dein Ziel sein muß, und du ohne Liebe nicht leben kannst, da sie dein Leben in dieser Welt und in der andern ist. Deßhalb möchtest du, von heftigem Verlangen entzündet, wissen, was es denn um diese Liebe sei; allein du kannst es nicht verstehen mit dem Verstande, auch nicht mit dem Geiste, auch nicht mit dem Maßstabe irgend welcher Liebe, die du haben magst. Auch jene, die im Vaterlande sind, verstehen sie nur nach dem Maße der Gnade und Liebe, die sie in diesem Leben gehabt haben, (aber nicht weiter, und nicht in der Wesenheit).
Denn die Liebe bin ich ja Gott selber, der ich nicht anders als nur aus den wunderbaren Wirkungen dieser großen Liebe, die ich beständig gezeigt habe und fortwährend zeige, und die nicht nach Gebühr geschätzt und gedacht werden können, begriffen werden kann. Und wenn ich der Seele einen Funken meiner einfachen und reinen Liebe zeige, so fühlt sie sich gezwungen, diese Liebe auf mich zu richten. Sie hat eine solche Kraft, daß sie die Seele zwingt, für mich zu thun, was immer sie vermag, selbst den Tod, ja tausend Tode, wenn sie könnte, mit endlosen Martern zu leiden. Aus den Wirkungen, die meine Liebe in den Menschen hervorbringt, läßt sich erkennen das Maß dieser Liebe, das ihren Herzen ist eingegossen worden. Allein ich sehe, theure Seele, daß du nicht diese wirksame Liebe aus ihren Erfolgen zu erforschen suchst, sondern daß du fragest nach jenem lieblichen Tropfen, den ich in die Herzen meiner Auserwählten ausgieße, und der die Seele sammt Geist und leiblichen Empfindungen schmelzen macht, daß sie sich nicht mehr regen können. Die Seele bleibt durch diesen Tropfen versenkt in jene Süßigkeit der Liebe; sie kann und weiß Nichts mehr zu wirken; sie fühlt sich in sich vernichtet und jedem Geschöpfe entfremdet, bleibt aber dabei zufrieden im Innersten ihres Herzens, friedlich mit Jedermann. Sie hat Nichts mehr zu wirken, und ist ganz von diesem Liebestropfen eingenommen, der sie befriedigt ohne Nahrung. Entflammt ruft sie daher aus:
Seele: O Nahrung ohne Geschmack, o Geschmack ohne Lust, o Lust ohne Speise, o Speise der Liebe, durch welche sich nähren die Engel, die Heiligen, die Menschen! O selige Speise, wer dich kostet, er weiß es nicht, welch kostbares Ding es um dich sei. O wahre Speise, die unser Verlangen vollkommen befriedigt! Du löschest jedes andere Verlangen in uns aus. Wer diese Speise kostet, schätzt sich glücklich, ob er auch in diesem Leben sich befindet, wo uns Gott nur einen kleinen Tropfen zeigt. Würde er uns ein wenig mehr zeigen, der Mensch würde sterben durch diese so zarte und eindringende Liebe; der Geist würde so davon entflammen, daß der schwache Leib sich auflösen müßte. O himmlische Liebe! O göttliche Liebe! Du hast mir den Mund geschlossen. Ich vermag und weiß nicht mehr zu reden; ich will nicht mehr suchen nach dem, was ich nicht finden kann, und bleibe besiegt und überwunden.
(S. 330-333)

 

Viertes Hauptstück

Daß nur derjenige Gott findet, der ein reines Herz hat.
Daß diese Liebe in verborgener und geistiger Weise
und ohne äußere Bethätigung wirkt.
Von einigen Wirkungen dieser Liebe.
Ausruf der Seele über diese Liebe.
Von ihren Eigenheiten.


Seele: O Liebe! Das Herz, das dich kostet, hat den Anfang des ewiges Lebens schon in dieser Welt; allein du, o Herr, hältst diese Wirkung ihrem Besitzer verborgen, damit er nicht durch Eigenliebe dein Werk verderbe. O Liebe! wer dich fühlt, begreift dich nicht; und wer dich begreifen will, der kann dich nicht erkennen. O Liebe, du unser Leben, unsre Seligkeit, unsre Ruhe. Die göttliche Liebe bringt alles Gute mit sich und entfernet alles Schlimme von sich. O Herz, von göttlicher Liebe verwundet, du bleibst unheilbar und von dieser lieblichen Wunde bis zum Tode geführt, beginnst du ein endloses Leben zu leben. O Liebesfeuer, was thust du in diesem Menschen? Du läuterst ihn, wie das Feuer das Gold, und dann führst du ihn mit dir in das Vaterland zu jenem Ziele, zu dem du ihn erschaffen hast.
Die Liebe ist ein göttliches Feuer; und gleichwie das materielle Feuer immer hitzt und seiner Natur gemäß wirkt, so wirkt auch im Menschen die Liebe Gottes immer ihrer Natur gemäß. Sie schwingt sich auf nach ihrem Ziele und hört von ihrer Seite aus niemals auf, zum Besten des Menschen, von dem sie eingenommen ist, zu wirken. Und wer ihr Werk nicht fühlt, ist selbst daran Schuld; denn Gott ändert sich niemals, dem Menschen Gutes zu thun, so lange er lebt, und ist immer von Liebe zu ihm eingenommen.
O Liebe! Ich kann nimmer schweigen und kann nicht, wie ich wünschte, reden von deinen lieblichen und süßen Wirkungen; denn ich bin von allen Seiten voll deiner Liebe, die mir einen gewissen Trieb einflößt zu reden, aber dann kann ich doch nicht. Für mich alleine rede ich wohl mit dem Herzen und mit dem Innern; allein wenn ich das Wort vorbringen und was ich empfinde, sagen will, dann fühle ich mich gebunden und die schwache Zunge versagt mir. Ich möchte dann schweigen; aber ich kann wieder nicht, denn der Trieb zu reden, treibt mich fort. Wenn ich von dieser Liebe sagen könnte, was ich in meinem Herzen fühle, ich glaube, jedes andere Herz würde entflammt werden, so entfernt es auch von der Liebe wäre. Ehe ich aus diesem Leben scheide, wünsche ich einmal von dieser Liebe reden zu können, wie ich sie nämlich in mir fühle, und wie sie in mir wirkt, und was sie verlangt von dem Menschen, in den sie sich ergießt und den sie so ganz erfüllt, daß kein Theil übrig bleibt, der nicht voll dieser Süßigkeit über alle Süßigkeit und voll unbeschreiblicher Freude ist, so daß sich der Mensch um dieser Liebe willen lebendig verbrennen ließe. Denn Gott vereinigt einen gewissen Eifer mit seiner Liebe, vermöge dessen er keine Widerwärtigkeit achtet, wie groß sie auch sei.
O mächtige und süße Liebe! Selig der, welcher von dir in Besitz genommen wird! Denn du stärkest ihn, schützest und wahrest ihn vor jeder Widerwärtigkeit der Seele und des Leibes. Du leitest Alles gar lieblich zum Ziele, und verlassest niemals den Menschen. Du bleibst ihm treu, du gibst ihm Licht wider die teuflischen Kunstgriffe, wider die Bosheit der Welt und wider uns selbst, die wir so voll der Eigensucht und Verschlagenheit sind. Diese Liebe ist so wirksam und erleuchtend, daß sie alle Unvollkommenheiten aus unsern verborgenen und geheimen Höhlen hervorzieht und sie uns vor Augen legt, damit wir Mittel dagegen brauchen und sie von uns abwaschen.
Diese Liebe, die unsern Willen leitet und regiert, damit er im Kampfe gegen die Versuchungen tapfer und beharrlich sei, nimmt den Affect und Verstand ein, daß sie nichts Anderes mehr suchen. Auch das Gedächtniß ist davon erfreut. Nur mehr die Liebe ist jetzt Bewohner und Besitzer der Seele, und gewährt niemand Andern mehr den Eingang. Die Liebe führt beständig einen lieblichen Geschmack mit sich, von dem sich der Mensch leiten läßt, und dieser Geschmack ist so stark, daß es keine Marter gibt, die der Mensch nicht gerne auf dem peinvollsten Wege zum Heile auf sich nimmt.
O Liebe! Wenn ich auch mit Worten von dir spreche, ich kann die Süßigkeit und Lieblichkeit, die das Herz fühlt, nicht ausdrücken; sie bleibt im Herzen verschlossen und entzündet sich durch das Reden auf das Neue. Wer diese Worte ohne Gefühl der Liebe hört oder liest, der schätzt sie freilich nicht hoch, und sie streichen wie ein Wind ohne Geschmack und Lust an ihm vorbei; allein wenn ich die Freude, die Lust und die Wonne, welche diese Lust ihren geliebten Herzen verleiht, ausdrücken könnte, dann würde Jedermann, der diese Worte hört oder liest, davon unwiderstehlich ergriffen werden. Denn sie ist ja dem menschlichen Herzen so angemessen, daß es, sobald es deren Nähe fühlt, sich aufthut, um damit erfüllt zu werden. Indessen kann Niemand mit dieser göttlichen Liebe erfüllt werden, der sich nicht vorher jeder andern Liebe entleert hat. Allein wenn das Herz nur einen kleinen Tropfen davon fühlt, so wünscht es so sehr, ihn zu vermehren, daß es für Nichts achtet Alles, was es Wünschenswerthes gibt in dieser Welt. Für diese Liebe bekämpft der Mensch seine bösen Gewohnheiten, die ihn hindern, sie zu erlangen und ist immer bereit, alles noch so Große für diese heilige Liebe zu thun.

(S. 334-336)

 

Fünftes Hauptstück

Andere Wirkungen der Liebe. Wie sie wirkt,
wann sie will, und wie das Werk ganz das ihrige ist.
Von den Werken, die für die Liebe, in der Liebe
und von der Liebe vollbracht werden.
Erklärung derselben.

 

O Liebe! Durch deine Anmuth und Holdseligkeit brichst du die Herzen, die härter als Diamant sind, und machst, daß sie schmelzen wie Wachs am Feuer. O Liebe! Du machst, daß die Größten sich für die Kleinsten auf Erden und die Reichsten für die Ärmsten in der Welt ansehen. O Liebe! Du machst, daß die Weisesten als Thoren erscheinen, und nimmst den Gelehrten die Wissenschaft, um ihnen dafür eine Erkenntniß zu geben, die jede andere Erkenntniß übertrifft. O Liebe! Du verscheuchest aus dem Herzen jeden Trübsinn, jede Härte, jede Selbstsucht, jede weltliche Lust. O Liebe! Du machst aus den Bösen Gute, aus den Arglistigen Einfältige. Durch deine sinnreichen Kunstgriffe stiehlst du dem Menschen seinen freien Willen, so daß er sich  zufrieden gibt, von dir allein geleitet zu werden, weil ja du unsre Führerin bist.
O Liebe! Deine Wirkungen sind der Erde fremd, und deßhalb machst du den Menschen aus einem irdischen Geschöpfe zu einem himmlischen, zu einem, der für menschliches Wirken untauglich ist und nimmst ihm alle Weisen irdischer Bethätigung. O Liebe! Du thust alles zu unserm Heile Gehörige, was wir ohne dich zu thun nicht vermögen und verstehen.
O Liebe! Dein Name ist so lieblich, daß er Alles versüßt. Süß ist der Mund desjenigen, der dich nennt, besonders wenn die Worte aus einem Herzen kommen, das voll deines lieblichen Saftes ist, der den Menschen wohlwollend, sanft, liebenswürdig, freundlich, großmüthig und dienstfertig macht.
O Liebe! Wenn du mit deinem lieblichen und reizvollen Pfeile auf was immer für eine Weise in das Herz des Menschen einzudringen vermagst, und dieses von keiner Liebe eingenommen und erfüllt ist, so hat dein Funke, wie er klein sein mag, eine solche Gewalt, daß das Herz Alles für dich fahren läßt.
Diese Liebe macht, daß jede Bitterkeit und Widerlichkeit süß und lieblich erscheint. O Liebe! Welch süße Lieblichkeit und welch liebliche Süßigkeit führst du mit dir! Du bist das Gemeingut Aller, und in je mehr Geschöpfe du dich ergießest, desto mehr wird dein Wille vollbracht. Und je mehr der Mensch diese deine liebliche Glut erkennt und spürt, desto mehr wird er davon entflammt und desto mehr verlangt er darnach. Er begehrt keine andere Probe davon, als die er (bereits) fühlt, ohne eine Vernunfteinsicht darüber vorlegen zu können. Die Liebe entreißt die Vernunft und auch den Willen, und bleibt Herr vom ganzen Menschen, und thut ganz nach ihrem Belieben mit ihm, wie und wann sie will, und das Werk bleibt ganz ihr Werk; denn alsdann geschehen alle Werke entweder für die Liebe oder in der Liebe, oder durch die Liebe. (...)
O Liebe! Du erfüllst das Herz des Menschen, aber bist so groß, daß er dich nicht fassen kann. Er gibt sich zwar ruhig, fühlt sich aber nicht befriedigt. Mittels des Herzens ergreifst und besitzest du den Menschen und lassest nichts Anders, als dich dahin eingehen. Mit einem festen Bande bindest du alle Empfindungen der Seele und des Leibes. O liebliche Knechtschaft der Liebe, die den Menschen in dieser Welt frei und zufrieden in der andern ohne Ende selig macht!
O Liebe! Dein Band ist so lieblich und stark, daß es die Engel und Heiligen miteinander verknüpft. Es bleibt fest und knapp und bricht niemals. Die mit dieser Kette gebundenen Menschen sind so innig vereinigt, daß sie nur Einen Willen und Ein Absehen haben. Alles scheint unter ihnen gemein zu sein, Zeitliches wie Geistliches. In dieser Verbindung macht man keinen Unterschied zwischen Reichen und Armen, zwischen Nation und Nation. Aller Gegensatz bleibt ausgeschlossen; die Liebe macht alles Krumme gerade und macht Eins, was entzweit ist.
(S. 336-339)

 

Siebentes Hauptstück

Unser Herr fragt die Seele um die Liebe, die sie fühlt.
Von den Worten, die er zu ihr spricht.
Die Seele antwortet, so gut sie es vermag,
kann aber das Gefühl und die Liebesentflammung
nicht aussprechen. Sie fragt unsern Herrn,
wie denn eine von Liebe eingenommene Seele
noch auf Erden leben könne.
Von den Eigenschaften derselben.



Seele: Ich vernehme wohl gewisse Worte, aber nur im Innersten meines Herzens, welches sich vom Liebesfeuer entzündet fühlt. Diese Worte und dieses Gefühl der Liebe vermag ich nicht auszusprechen, da es nicht Worte gleich andern Worten sind. Sie öffnet mir das Herz und gießt da so gnadenreiche Erkenntnisse ein, daß es ganz von Liebe entflammt und sich verzehrt; es weiß aber in Sonderheit weder Worte, noch Feuer, noch Liebe zu unterscheiden. Das Herz ist nur von einer liebeseligen Freude ergriffen, eingenommen und festgehalten.
Die Seele sieht nicht, wie dieses Werk vor sich geht, obschon sie bei solcher Heimsuchung wohl begreift, daß die Liebe ihr alle erdenkliche Zärtlichkeit erweiset, welche nur immer ein wahrer Freund seinem Freunde erweiset, wenn die Liebe so groß ist, als man sich nur immer denken kann. Bei diesem Werke schmilzt die Seele, wird der Erde enthoben, geläutert, vereinfacht, getröstet, gestärkt, immer von der Liebe angezogen, immer noch mehr entflammt vom Feuer der Liebe.  Doch wird sie nicht lange in diesem so eindringenden und starken Brande belassen, da die menschliche Natur diese Heftigkeit der Liebe nicht ertragen könnte. Es bleibt ihr nur ein beständiger Eindruck davon im Herzen, so daß sie gleichsam immer in Gott lebt mit dieser Liebe.
O Liebe! Du verschlingst in dir dieses Herz und lassest die menschliche Natur einsam auf Erden, wo sie keinen Ort und keine Ruhe findet. Sie erscheint als eine Verbannte, weil sie jeden Gegenstand (des Genußes) verloren, sei er vom Himmel, sei er von der Erde.
O Liebe, so entzündet und eingenommen für diese Seele, in welcher du so große Liebeswerke vollbringst! Ich möchte wissen, wie denn diese Kreatur auf Erden der Seele und dem Leibe nach lebe, welches denn die Eigenschaften (dieses ihres Lebens) seien, und wie sie denn (zu gleicher Zeit) im Himmel und mit den Geschöpfen auf Erden im Verkehre sei. Denn ich sehe sie ein Leben führen, das sehr verschieden vom Leben der Übrigen ist und mehr zur Bewunderung als zur Erbauung gereicht. Sie achtet Nichts mehr hoch und scheint Herrin des Himmels und der Erde zu sein, so arm sie ist. Von Wenigen vermag sie verstanden zu werden. Sie hat eine große Freiheit und ist ohne Furcht, daß ihr Etwas abgehen möchte. Sie hat Nichts und scheint doch Alles ihr zu gehören.
(S. 342-343)

 

Achtes Hauptstück

Zustand der von Liebe eingenommenen Seele.
Wie Gott es verschiebt, ihr die Erkenntniß
ihrer Fehler zu verleihen, weil sie es
nicht ertragen könnte. Sie hat keine Ruhe,
wenn sie Verdacht hat, es möchte ein Fehler
vorhanden sein, über welchen der Geist
noch keine Genugthuung erhalten hätte.



(...) O wer die süßen Vertraulichkeiten sehen und die Flammenworte hören und diese freudige Begeisterung fühlen könnte, in welcher man Gott und Mensch nicht mehr unterscheidet und das Herz in einem solchen Sein sich bethätigt fühlt, daß es ihm vorkommt, Gott habe seinen geliebten Seelen ein kleines Paradies als Vorspiel des wahren und großen Paradieses gesendet, mit großen Zeichen der Liebe, die nur jenen Liebenden bekannt sind, die sich in das Meer der göttlichen Liebe verabgründet und darin ertränkt haben.
O Liebe! Dieses Herz, das du besitzest, ist so hocherhaben und so groß durch den inneren Frieden, daß es lieber eine große Marter dafür übernehmen, als ohne ihn bleiben wollte, was immer für ein Gut des Himmels oder der Erde sie hätte. Gleichwohl wird dieser Friede von Niemand geschätzt, als der ihn erfährt und kostet. Ein Herz, das sich in Gott befindet, sieht alles Geschaffene unter seinen Füßen, nicht aus Stolz oder Hochmuth, sondern vermöge der Einigung, in die es mit Gott getreten ist. Denn kraft dieser betrachtet es Alles, was von Gott ist, als Eigenthum, ja es sieht, kennt und weiß Nichts mehr, als Gott. Ein Herz, das von Gottesliebe eingenommen ist, kann nicht überwunden werden, da Gott seine Stärke ist. Du kannst es nicht schrecken mit Hölle, nicht erfreuen mit dem Paradiese. Denn es ist so geordnet, daß es Alles, was ihm gefällt, von Gottes Hand annimmt, und dadurch mit der ganzen Welt und mit dem Nächsten gleichsam in unzerstörlichem Frieden bleibt. So ist es von Gott in sich geordnet und gefestigt.
Seele: O Liebe! Wie nennst du jene deine geliebten Seelen?
Der Herr: Ego dixi: Dii estis et filii Excelsis omnes. Ps. 91 (Ich sagte: Götter seid ihr und Kinder des Allerhöchsten Alle.)
Seele: O Liebe! Du vernichtest deine Liebenden in sich selbst, und hernach stellest du sie dir selbst wieder her als wahrhaft und vollkommen freie Leute, die da Herren ihrer selbst sind. Sie wollen nur, was Gott will. Alles Andere ist für sie ein lästiges Hinderniß.
O Liebe! Ich finde keine geeigneten Worte, um deine gütige und liebliche Herrschaft, deine starke und sichere Freiheit, deine so süße und anmuthige Holdseligkeit auszudrücken. Was immer der wahrhaft Liebende sagt von der Liebe, es reicht niemals an das was er sagen möchte. Er sucht Liebesausdrücke, die dieser Liebe entsprechen, aber er findet sie niemals. Denn die Liebe mit ihrem Wirken ist unendlich, und unsere Sprache ist nicht nur endlicher Art, sondern auch sehr schwach und kann sich niemals genügen und fühlt sich beschämt, da sie nicht aussprechen kann, was sie möchte. Aber obgleich Alles, was der Mensch spricht, wie Nichts ist, so richtet er sich doch durch dieses Sprechen von dem, was das Herz fühlt, gewissermaßen auf das Neue empor, um nicht zu sterben vor Liebe.
Was sagst du, o mein Herr, von dieser deiner geliebten Seele, die so sehr von Liebe zu dir eingenommen ist?
Der Herr: Ich sage, sie ist ganz mein. Und du, o Seele, was sagst du von diesem deinem Herzen?
Seele: Ich sage, mein Gott ist von Liebe verwundet, und ich lebe in ihm freudig und zufrieden.
(S. 344-346)

 

Dreizehntes Hauptstück

Daß sich die Liebe nicht begreifen läßt,
und das Herz, welches davon erfüllt ist,
freudig und zufrieden lebt.
Von der großen Barmherzigkeit, welche Gott
dem Menschen in diesem Leben erzeigt.
Daß seine Gerechtigkeit in dem Augenblick erscheint,
in welchem die Seele vom Leibe getrennt wird
und hingeht an den Ort, der für sie bestimmt ist.
Daß die Seele ihre Ruhe nur in Gott haben kann.

 


O mein Herz! Was wirst du sagen von dieser Liebe? Was fühlst und empfindest du davon? Ich sage: Meine Worte sind innere Jubilirungen, für die es keine geeigneten Ausdrücke gibt. Nicht aus äußeren Zeichen, selbst nicht aus Martern, (wenn sie gleich aus Liebe zu Gott erduldet werden,) wird man diese Liebe begreifen können; nur der, welcher sie fühlt und empfindet, kann Etwas davon begreifen. Alles, was man von der Liebe sagen kann, ist Nichts, denn je weiter man darin geht, desto weniger man davon versteht; allein das Herz ist voll und zufrieden, und sucht nichts Anderes und möchte nichts Anderes finden, als was es wirklich fühlt. Alle ihre Worte sind innig, wonnereich, lieblich und so zartgeistig, geheimnißvoll und geeinigt mit dem, der sie eingibt, daß nur das Herz in seinem Innersten, weil es mit Gott vereinigt ist, sie versteht. Allein nur Gott ist es, der sie begreift; das Herz empfindet wohl, begreift aber nicht. Und so bleibt das Werk in Gott und der Nutzen im Menschen; allein dieser innige Liebesverkehr, welchen Gott mit dem Herzen des Menschen hat, bleibt verborgen zwischen ihnen, zwischen Gott nämlich und dem Herzen.
(S. 356-357)



aus: Leben und Schriften der heiligen Katharina von Genua
Deutsch bearbeitet von Peter Lechner [1805-1874]
Regensburg Druck und Verlag von Joseph Manz 1859



 

 


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