Gottesliebe

Worte der Liebe
aus der christlichen Welt
 

Christus - 7. Jh., Koptisches Museum, Alt-Kairo




Heinrich Seuse
(1295-1366)



Aus den Schriften

Das Leben Heinrich Suso's


V. Kapitel
Wie er den gnadenreichen Namen Jesus
auf sein Herz zeichnete

 

In denselben Zeiten ward etwas unmäßigen Feuers in seine Seele gesendet, das sein Herz in göttlicher Minne gar inbrünstig machte. Eines Tages, da er dessen in sich empfand und gar sehr gequält ward in göttlicher Minne, da ging er in seine Zelle an seine heimliche Statt und kam in eine minnigliche Betrachtung und sprach also: Ach zarter Gott, könnte ich etwas Minnezeichens erdenken, das ein ewig Zeichen der Liebe wäre zwischen mir und dir, zu einer Urkunde, daß ich dein und du meines Herzens einiges Lieb bist, das kein Vergessen nimmer vertilgen möchte. In diesem inbrünstigen Ernst warf er vorn sein Skapulier auf und ließ seinen Busen offen und nahm einen Griffel in die Hand und sah sein Herz an und sprach:
Ach gewaltiger Gott, nun gieb mir heute Kraft und Macht zu vollbringen meine Begierde; denn du mußt heute in den Grund meines Herzens geschmelzt werden. Und er fing an und stach da mit dem Griffel in das Fleisch ob dem Herzen, und stach also hin und her, auf und ab, bis er den Namen Jesus eben auf sein Herz gezeichnet hatte. Von den scharfen Stichen fiel das Blut stark aus dem Fleisch und rann über den Leib ab in den Busen. Das war ihm so wonnesam anzusehen, von der feurigen Minne, daß er des Schmerzens nicht viel achtete. Da er dies gethan, da ging er also versehrt und blutig aus der Zelle auf die Kanzel unter das Krucifix, und kniete nieder und sprach:
Eya Herr, meine Seele und meines Herzens einiges Lieb, nun sieh an meines Herzens große Begierde; Herr, ich kann noch mag dich nicht fürbaß in mich drücken; o Herr, ich bitte dich, daß du es vollbringest und daß du dich nun fürbaß in den Grund meines Herzens drückest, und deinen heiligen Namen in mich also zeichnest, daß du aus meinem Herzen nimmermehr scheidest.
Also ging er minnewund viele Zeit, bis überlang da genas er, und blieb der Name Jesus eben auf dem Herzen stehen, als er begehrt hatte, und waren die Buchstaben um sich wohl so breit als die Breite eines geschlichteten Halmes, und so lang als ein Glied des mindesten Fingers. Er trug den Namen also auf seinem Herzen bis an seinen Tod; und so oft sich das Herz bewegte, so oft wurde der Name bewegt.
(S.9)


 

X. Kapitel
Wie er beging das eingehende Jahr


Als zu Schwaben, in seinem Land, an etlichen Stätten gewöhnlich ist an dem eingehenden Jahr, so gehen die Jünglinge des Nachts aus der Unweisheit und bitten des Gemayten, das ist, sie singen Lieder und sprechen schöne Gedichte und bringen es zu, wie sie mögen mit höflicher Weise, daß ihnen ihre Liebsten Kränze geben. Das fiel seinem jungen minnereichen Herzen sogleich ein, als er das hörte, daß er auch zu derselben Nacht vor sein ewiges Lieb ging und bat auch des Gemayten. Er ging vor Tag vor das Bild, da die reine Mutter ihr zartes Kind, die schöne ewige Weisheit, auf ihrem Schooße an ihr Herz drückt, und kniete nieder und fing an zu singen in stillem süßem Getöne seiner Seele eine Sequenz der Mutter voran, daß sie ihm erlaubte, einen Kranz zu erwerben von ihrem Kinde, und so er es nicht wohl könnte, daß sie ihm da hülfe; und ward ihm oft so Ernst und so Noth zu weinen, daß ihm die heißen Zähren über die Wangen abwalleten. Da er das ausgesungen, da kehrte er sich gen der herzlieben Weisheit und neigte sich nieder auf die Füße und grüßte sie von dem tiefen Abgrunde seines Herzens, und rühmte sie mit Lob an Schöne, an Adel, an Tugenden, an Zartheit, an Freiheit mit immerwährender Würdigkeit über alle schöne Jungfrauen dieser Welt, und that das mit Singen, mit Sagen, mit Gedenken und mit Begierde so er immer bestens konnte, und wünschte dann, daß er in geistlicher Weise aller Liebhaber und minniglichen Herzen ein Vorläufer, und aller lieblichen Gedanken, Worte und Sinne ein Orthaber (Erfinder) wäre, darum daß die Würdigkeit von ihrem unwürdigen Diener minniglich genug könnte gelobt werden, und sprach dann zujüngst also:
Ach du bist doch, Lieb, mein fröhlicher Ostertag (höchste Freude), meines Herzens Sommerwonne, meine liebe Stunde, du bist das Lieb, das mein junges Herz allein minnet und meinet, das alle zeitliche Minne um dich verschmähet hat; deß laß, Herzentraut, mich genießen, und laß mich heute einen Kranz von dir erwerben. Ach mildes Herz, thu es durch deine göttliche Tugend, durch deine natürliche Güte, und laß mich heute an diesem eingehenden Jahre nicht leer von dir gehen. Eya, wie geziemte es dir, süße Süßigkeit; gedenke, daß deiner lieben Knechte einer uns von dir sagt: daß in dir nicht sey Nein und Ja, in dir sey nur Ja und Ja; darum meines Herzens Lieb, beut mir heute ein liebliches Ja deiner himmlischen Gabe, und wie den tauben (thörichten) Minnern ein Kranz wird gegeben, also muß meiner Seele heute zu einem guten Jahr etwas sonderlicher Gnaden oder etwas neuen Lichtes von deiner schönen Hand geboten werden, zarte Traute mein, göttliche Weisheit! Dieß und deßgleichen begann er da zu bitten, und ging nimmer ungewährt von dannen.
(S. 16-17)

 

XI. Kapitel
Von den Worten: Sursum corda! (Empor die Herzen!)


Er ward gefragt, was sein Gegenentwurf (der Gegenstand seiner Betrachtung) wäre, so er Messe sänge und vor der Stillmesse die Präfation anhöbe. (Denn die Worte nach gemeiner Hällung sprechen zu deutsch: Sursum corda! Seufzet auf in die Höhe alle Herzen zu Gott! Diese Worte gingen ihm so recht begierlich aus seinem Munde, daß die Menschen, die sie hörten, eine sonderliche Andacht darob möchten genommen haben). Dieser Frage antwortete er mit einem innerlichen Seufzen, und sprach also: Wenn ich dieselben löblichen Worte, die da heißen: Sursum corda! sang in der heiligen Messe, so geschah gemeinlich, daß mein Herz und Seele zerfloßen von göttlichen Jammer und Begierde, die mein Herz aus sich selber an der Stunde nahm; denn es erhoben sich dann gewöhnlich dreierlei hochauftragende Meinungen; etwann kam eine, etwann zwei, etwann alle drei, in denen ich aufgeschwenkt ward in Gott, und durch mich alle Kreatur. Die erste einleuchtende Meinung war also: Ich nahm vor meine inneren Augen mich selber, nach allem, das ich bin, mit Leib, Seele und allen meinen Kräften, und stellte um mich alle Kreatur, die Gott je schuf im Himmelreich, im Erdreich und in allen Elementen, ein jegliches sonderlich mit Namen, es wären Vögel der Luft, Thiere des Waldes, Fische des Wassers, Laub und Gras des Erdreichs und das unzählige Gries in dem Meer, und dazu all das kleine Gestäube, das in der Sonne Glanz scheinet, und alle die Wassertröpflein, die von Thau, von Schnee, oder Regen je fielen oder immer fallen, und wünschte, daß deren ein jegliches hätte ein süßaufdringendes Saitenspiel, wohlgeraiset (wohlbereitet) aus meines Herzens innersten Safte, und also aufklingend ein neues hochgemuthes Lob brächte dem geminnten zarten Gott von Ende zu Ende. Und dann in einer begierlichen Weise zerdehnten und zerbreiteten sich die minnenden Arme der Seele gen der unsäglichen Zahl aller Kreaturen, und war meine Meinung, sie alle fruchtbar darin zu machen, recht so wie ein freier wohlgemuther Vorsänger die singenden Gesellen reizet, fröhlich zu singen und ihre Herzen zu Gott aufzubieten: Sursum corda!
Die andere Meinung war also, sprach er: Ich nahm hervor in meinen Gedanken mein Herz und aller Menschen Herz, und hinterdachte (erwog), was Freude und Lust, was Liebe und Frieden die genießen, die ihr Herz Gott allein geben, und aber was Schaden und Leiden, was Leid und Unruhe zergängliche Minne einträgt ihren Unterthanen; und rief dann mit großer Begierde zu meinem und denselben Herzen, wo sie immer seyen über alle Ende dieser Welt: Wohlauf, ihr gefangenen Herzen, aus den engen Banden zergänglicher Minne! wohlauf ihr schlafenden Herzen, aus dem Tode der Sünden! wohlauf ihr üppigen Herzen, aus der Lauigkeit eures trägen hinlässigen Lebens! hebet euch auf mit einem ganzen ledigen Kehr hin zu dem minniglichen Gott! Sursum corda!
Die dritte Meinung war ein freundlicher Ruf allen gutwilligen ungelassenen Menschen, die verirrt gehen in sich selber, so daß sie weder an Gott noch an der Kreatur hangen, weil ihr Herz mit der Zeit hin und her zerstreut ist; denen rief ich, und mir selbst, auf ein getürftiges Wagen (kühnes Daranwagen) unser selbst, mit einem ganzen Abkehr von uns und von allen Kreaturen.
Und dieß war sein Gegenwurf bei den Worten: Sursum corda.
(S. 17-19)

 

LIII. Kapitel
Ein vernünftiges Einleiten des äußern Menschen
zu seiner Innerkeit


Hab' einen eingethanen Wandel, und sey nicht ausbrüchig weder in Worten, noch im Wandel.
Thue der Wahrheit genug einfältiglich, und was da zufällt, darin sey dir selbst unbehülflich; denn wer sich selbst zu viel hilft, dem wird von der Wahrheit nicht geholfen.
So du bei den Menschen bist, so laß fallen alle Dinge, die du siehst oder hörst, und halte dich allein zu dem, das sich dir erzeigt hat, (zu Gott, der sich dir inwendig kund gethan).
Befleiße dich, daß in deinen Worten deine Vernunft des ersten ihren Vorbruch habe (die Vernunft vorangehe); denn wo der sinnliche Vorschuß zu schnell ist, dannen kommt alles Übel.
Man soll die Lust nicht nehmen nach dem Sinnen, man soll sie nehmen nach der Wahrheit.
Gott will uns nicht berauben der Lust; er will uns nach Allheit Lust geben, das ist, er will uns alle Lust geben.
In dem kräftigsten Unterwurf ist die höchste Erstandung.
Wer in dem Innigsten will seyn, der muß sich aller Mannigfaltigkeit entschütten. Man muß sich setzen in ein Verruchen alles dessen, das das Eine nicht ist.
Wo die Natur wirket aus der Sinnlichkeit, da ist Arbeit, Leiden und Bedeckung (Verfinsterung der Vernunft).
Wenn ich mich finde das Eine, das ich seyn soll, und das All, das ich seyn soll, was ist größere Lust?
Ein Mensch soll in seiner Unbildlichkeit und in seiner Enthaltlichkeit stehn, darin liegt die größte Lust.
Was ist eines wohlgelassenen Menschen Übung? Das ist ein Entwerden.
Wo man minnet in Bild oder Person, da minnet Zufall Zufall, und dem ist Unrecht; doch so leide ich mich darin, bis es abfällt. Es ist aber etwas von innen Einfältiges, da der Mensch nicht minnet Gegenwärtigkeit des Bildes, sondern da der Mensch alle Dinge Eins sind, und das ist Gott.
Wo einer sich selbst ließe ohne begierlichen Ausbruch der Sinne, das wäre ein Untergang seiner selbst; sonst ist es ein Behelfen der Sinne (eine eigenwillige Selbsthülfe vermittelst der Sinne.)
Hab ein Inleiden (Gelassenheit) in Lieb und Leid; denn ein inleidender Mensch minnet mehr in einem Jahre, denn ein ausbrechender in dreien.
Willst du allen Kreaturen nütz seyn, so kehre dich von allen Kreaturen.
Mag ein Mensch die Sache nicht begreifen: er sey müßig, so begreifet ihn die Sache.
Fleiße dich, daß kein Ausbruch geschehe, der dem (innern göttlichen) Bilde ungleich sey.
Ein Mensch soll wahrnehmen der Neigung, die sich zu allen Dingen bietend ist in Behelfsweise wider die einfältige Wahrheit, (die nach allen Dingen hascht, um sich gegen die Forderungen der einfältigen Wahrheit zu helfen). Willst du dich nicht leiden in Einfältigkeit, du wirst dich leiden in Mannigfaltigkeit.
Lebe so, als ob keine Kreatur auf Erdreich sey, denn du.
Sprich (zu der Kreatur): Als du mir bist, also mag ich dir nicht seyn. (Res tibi, te Deo).
Natur minnet Natur und meinet sich selbst. Etlicher Menschen Natur ist zu ungebrochen, und der äußere Mensch hier außen geblieben.
Ein Vermögen sich zu enthalten gibt dem Menschen mehr Vermögen, denn die Dinge haben. (Entbehren kräftigt mehr, denn Besitzen).
Eine Unordnung bringt die andere.
Lug, daß die Natur ungeladen und der äußere Mensch einförmig mit dem innern sey.
Nimm des innern Menschen wahr; daran liegt äußeres und inneres Leben.
Der nächsten Gelassenheit gehört zu, daß man allzeit die Natur an einem Zaum habe.
Ein Mensch soll sich allzeit gegenwärtig halten, daß sich die Natur nicht verlaufe.
Du klagst, daß du noch zu wirklich (selbstthätig) und ungelassen und unleidig seyest; doch verzweifle nicht: je näher (du dies fühlest), je besser.
Eine Wurzel aller Untugend und ein Bedecken aller Wahrheit ist zergängliche Minne.
Der Sinne Untergang ist der Wahrheit Aufgang. Wenn die Kräfte entwirket, und die Elemente geläutert werden, dann stehen die Kräfte in ihrem ewigen Sinne (Zwecke), wenn sie sich darauf mit ihrem Vermögen gerichtet haben.
Alle Kräfte haben einen Sinn und ein Werk, das ist: der ewigen Wahrheit genug seyn.
Es ist nichts lustlich, denn das da einförmig ist dem innersten Grunde göttlicher Natur.
Man findet etliche Menschen, die haben ein Nachrühren (eine innere Rührung und Mahnung von Gott) gehabt, und sind dem nicht gefolgt; ihr Innerstes und ihr Äußerstes sind fern von einander; und darin gebricht es vielen Menschen.
Die Natur steht jetzt in reichlicher Weise, (die menschliche Natur in ihrer jetzigen Beschaffenheit hat das Vermögen, sich nach außen oder nach innen zu wenden); je mehr ausgegangen, je ferner, und je mehr eingegangen, je näher (sind wir Gott).
Wer zu (göttlicher) Sinnreichheit kommen ist, der wirket alle sinnliche Dinge desto baß.
Wer die Natur, dieweil sie in Lauterkeit steht, inbegreifet (unterwürfig macht) der Wahrheit, so wird sie gerichtet, daß sie desto bessere Ausrichtung gibt in Außerkeit; sonst vergeht sie in die Zeit und kann keinem Dinge rechte Ausrichtung geben.
Lauterkeit und Verständniß und Tugend machen reich in der Natur; und in der Unterzuckung geschieht etwann, daß die Menschen entwerden vor allen Kreaturen; und denen es wohl gerathet, die werden näher eingewiesen. (Ein Mensch von reinem Wandel, von Tugend und Verständniß ist versucht, sich reich zu fühlen in der Natur. Da entzieht ihm nun Gott dieses Selbstgefühl, daß er gänzlich entwerde. Geräth es, gibt er sich willig in die Geistesarmuth, so wird er Gott um so näher gebracht).
Was ist das, das den Menschen jaget, arge Weise zu suchen?
Das ist Gesuch einer Genügde. Die findet man aber allein in dem Lassen, nicht in den argen Weisen.
Daß etliche Menschen so oft in gebrechliche Betrübde fallen, das kommt davon, daß sie ihrer selbst in nächster Weise nicht allzeit wahrnehmen, auf einem jeglichen Punkte sich zu hüten vor sträflichen Dingen.
Sieglos werden, ist Gottes Freunden Gewonnenhaben (Matth. 5.39).
Bleib' in dir selbst. Ursache anderer Dinge (der Vorwand, andere Dinge auswärts zu suchen) zeigt sich als eine Nothdurft; es ist aber ein Behelfen (eine Selbsthülfe der ungeordneten Begierlichkeit).
Es ist böse, viele Sachen anfahen, und keine beenden.
Man soll festhaben (feststehen), bis man merke, ob Gott oder Natur wirke.
Fleiße dich, daß die Natur aus ihrem eigenen (lauteren) Grunde wirke ihre Werke ohne (fremde) Ursache.
Ein recht gelassener Mensch soll sich vier Dinge fleißen; zum ersten: er soll seyn gar sittig in dem Wandel, daß die Dinge ohne ihn aus ihm fließen; zum andern: er soll auch sittig und ruhig seyn und ruhig seyn in den Sinnen; nicht hin und her Mähre tragen, (denn das ist gar einzügig der Bilden), so wird den innern Sinnen ein müßiges Spazieren; zum dritten: nicht anheftig (anklebend) soll er seyn; er soll wahrnehmen, daß nichts Vermischtes (Fremdartiges in ihm) da sey; zum vierten: er soll nicht wortwäge (streitsüchtig) seyn, sondern sich lieblich haben zu denen, durch die ihn Gott abwirken (läutern) will.
Hab' ein festes Bleiben in dir selbst, bis daß du aus dir selbst ohne dich selbst gewirket werdest.
Nimm wahr, ob guter Leute Heimlichkeit (vertrauliche Annäherung) aus Gunst (sinnlicher Neigung) oder aus (lauterer) Einfältigkeit hervorgehe. Des ersten ist zuviel.
Erbeut dich niemand zuviel: wo allermeist Erbietens ist, da ist oft allermindest Gefallens.
Dir geziemt ein eingethaner demüthiger Wandel. Wenn eines wider sein Wesen thut, das ziemt ihm nimmer wohl.
Selig ist der Mensch, der nicht viele Weisen und Worte führt. Je mehr Weisen und Worte, desto mehr Zufälle. Habe dich inne, und erzeige dich dem nicht gleich; anders so wirst du leiden.
Etliche Menschen wirken aus Empfinden in Wohl und in Weh; aber man soll sich darin nicht ansehen.
In dem Untergang (der geistigen Vernichtung) werden alle Dinge vollbracht. Da Christus sprach: In manus tuas commendo spiritum meum, zuhand da war (hieß) es: Consummatum est.
Gott und der Teufel sind in dem Menschen. Wer sich selbst will führen, oder sich selbst will lassen, der findet den Unterschied; (der Eigenwillige findet in sich die Hölle, der Gottgelassene den Himmel).
Welcher Mensch allzeit Ruhe haben wollte, der behüte sich selbst darin sowohl als in andern Dingen. (Das Verlangen nach später Ruhe ist auch Selbstsucht).
Wem Innerkeit wird in Außerkeit, dem wird Innerkeit innerlicher, denn dem Innerkeit wird in Innerkeit. (Der ist ein wahrhaft inniger Mensch, der auch in äußern Dingen innerlich gesammelt bleibt).
Das ist gut, daß sich der Mensch in keiner Sache führe: und dem ist recht, dem die Dinge der Bilden antworten in den obern; (der in den abbildlichen Dingen die höheren wesentlichen Dinge anschaut).
Es gibt viel mehr vernünftige Menschen denn einfältige. Die heißen vernünftig, in denen die Vernunft regiert; aber dem Einfältigen entfällt, wegen seiner Müssigkeit, die Mannigfaltigkeit der Dinge, nach der Sinnlichkeit genommen, und er hat dann nicht solches Schauen; denn Einfältigkeit ist sein Wesen worden, und er ist worden als ein Gezeug (Gefäß Gottes) und als ein Kind.
Wer will, daß ihm alle Dinge seyen, der soll sich selbst und allen Dingen nichts werden.
Eya, wie selig ist der Mensch, der stät bleibet vor Mannigfaltigkeit; was empfindet der heimlichen himmlischen Einganges!
Gute Meinung vermittelt (verhindert) oft wahre Einung.
Das Auge soll kein Aussehen haben, es habe denn ein Austragen der Bilden, (es sey denn, um sich vor störenden inneren Bildern los zu machen).
Den Theil, der von Adam ist, (die Folgen des Sündenfalles) soll man also gern leiden, als den, mit dem wir selig sind.
Ein gelassener Mensch bildet keine Ungleichheit in sich.
Daß der Mensch noch klaget und unleidlich ist, das kommt alles von Gebrechen; man muß es austreiben.
Alle, die unrechte Freiheit führen, die zielen auf ihrer selbst Bild.
Ein gelassener Mensch muß entbildet werden von der Kreatur, gebildet werden mit Christo, und überbildet in die Gottheit.
Wer sich selbst in Christo nehmend ist, der läßt allen Dingen ihre Ordnung.
Wenn ein Mensch ein Mensch ist worden in Christo und entworden sich selbst, dem ist recht.
So sich ein Mensch in einem Einkehr zu der Wahrheit fügen will, so leuchtet ihm ein die Entgangenheit seiner selbst, und er merket, daß Kreatur noch in ihm ist, die den Vonzug empfing. Hierin leidet er sich selbst, und merket, daß er noch nicht entwirket ist. Sich nun also leiden, ist einfältig werden. Die Entgangung gebiert eine Müde (Müdigkeit); in dem Vonkehr fällt es ab.
Was ist eines recht gelassenen Menschen Gegenwurf in allen Dingen? Das ist ein Entsinken sich selbst, und mit ihm entsinken ihm alle Dinge.
Was ist das mindeste Mittel (Hinderniß)? Das ist ein Gedanke. Was ist das meiste Mittel? Das ist, da die Seele in der Mannhafte (Hartnäckigkeit) ihres eigenen Willens bleibet.
Einem gelassenen Menschen soll kein Stündlein vergehen unangesehen.
Ein gelassener Mensch soll nicht allzeit lugend seyn, weß er bedürfe; er soll lugend seyn, weß er entbehren möge.
So sich ein gelassener Mensch fügen will zu der Wahrheit, so soll er sich fleißen, daß er nehme einen Inbruch der Sinne; denn Gott ist ein Geist. Zum andern soll er wahrnehmen, ob er sich irgend vermittelt (bei einem Zwischendinge aufgehalten) habe. Zum dritten, ob er irgend sich selbst führe in einem Fürgriff (Vorgreifen) der Sinnlichkeit. Zum vierten, soll er dann in dem Lichte merken die Gegenwärtigkeit des alligen (alldurchdringenden) göttlichen Wesens in ihm, und daß er desselben ein Gezeug (Gefäß) ist.
Wieviel sich der Mensch kehret von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen, also viel wird er geeiniget und geseliget.
Willst du ein gelassener Mensch seyn, so fleiß dich, wie dir Gott ist mit sich selbst oder mit seinen Kreaturen, daß du allzeit gleich stehest in einem Ausgehen des Deinen.
Hab' ein Beschließen der Sinne vor allen gegenwärtigen Formen.
Sey ledig alles dessen, das die auslugende Bescheidenheit (Vernunft) auserwählt, das den Willen beheftet, und die Hugniß (Freude) oder Wollust einträgt.
Bleib' auf nichts, das nicht Gott ist.
Wenn du bist, da jemand Gebrechen übet oder Ungleichheit, so gib des Deinen nicht dazu, und halte auch nicht dazu.
Der allzeit bei sich selber wohnet, der gewinnet ein gar reiches Vermögen.
Eines gelassenen Menschen Ergötzung in der Natur soll seyn eine beschnittene Nothdurft in unvermischten Werke, die einen ledigen Vonkehr eintragen.
So viel der Mensch minder und mehr gelassen ist, so viel mehr und minder wird er betrübet von den hinziehenden (vergänglichen) Dingen.
Also geschah einem halbgelassenen Menschen: da er in der Empfindung sich selbst zu nahe lag, da ward zu ihm gesprochen also: Du solltest meiner also fleißig (beflissen) seyn, und deiner also unachtig (unachtsam), wenn du weißt, daß mir wohl ist, daß dich dann nicht ruchte (kümmerte), wie es dir ginge.
Ein gelassener Mensch, so sich der in Inburgheit setzet (sich in der inneren Burg seiner Seele sammelt) mit eingeführten Sinnen, so der je minder Aufenthaltes von innen findet, so ihm je wirser( weher) von innen geschieht, und je geschwinder er stirbt, je schneller er hindurchkommt.
Ein weites Ausschweifen der Sinne entsetzet den Menschen seiner Innerkeit.
Lug, daß du keine austragende Sachen führest; so dich die Sachen suchen, so laß dich nicht finden.
Hab' einen schnellen Einkehr in dich selbst.
Natürliches Leben beweiset sich in Beweglichkeit und in Sinnlichkeit; der sich selbst darin läßt, und entwird in der Stillheit, der beginnt übernatürliches Leben.
Etliche Menschen haben einen Ausgang ohne Hinderniß; sie haben aber nicht ein stätes Bleiben.
Setze dich in eine bloße Gelassenheit; denn unmäßige Begehrung (auch des Göttlichen), so der zuviel würde, möchte ein verborgenes Mittel (Hinderniß) werden.
Ein gelassener Mensch sollte seiner Seele Kräfte also zähmen, wenn er in sich sähe, daß sich das allda erzeigte.
Ein gelassener Mensch bleibet seiner selbst müssig, als ob er um sich selbst nichts wüßte; denn in dem, das Gott ist, sind alle Dinge in ihm ehrlich berichtet.
Habe Fleiß auch zu deinem äußern Menschen, daß der geeiniget werde mit dem innern in Unterzogenheit (Unterwerfung) aller viehlichen Gelüste.
Ein gelassener Wiederkehr ist Gott oft lieber, denn eine behagliche Stäte (Stätigkeit).
Sammle deine Seele zusammen von den äußern Sinnen, darin sie sich zerstreut hat auf die Mannigfaltigkeit der äußern Dinge.
Geh wieder ein, kehre aber und aber wieder ein in die Einmuth, und gebrauche (genieße) Gottes.
Härte (beharre) fest, und laß dir nimmer genügen, bis daß du erkriegest in der Zeit das gegenwärtige Nun der Ewigkeit, also fern es möglich ist menschlicher Krankheit.
(S.129-136)

 

LIV. Kapitel
Von den hohen Fragen, die die wohlgeübte Tochter
ihren geistlichen Vater fragte


Nach dem vernünftigen Einleiten des äußern Menschen in den innern erhoben sich in der Tochter Geist hohe Sinne, und sie meinte, ob sie noch getörfte fragen von denselben hohen Sinnen. Er sprach: Ja, wenn du ordentlich durch die rechten Mittel (Zwischenstufen) gezogen bist, so ist nun deiner geistreichen Vernünftigkeit wohl erlaubt, von hohen Dingen zu fragen. Frag was du willst. Die Tochter sprach: Saget mir, was ist Gott? oder wo ist Gott? oder wie ist Gott? Ich meine, wie er sey einfältig und doch dreifältig?
Er sprach: Weiß Gott! das sind hohe Fragen. Von der ersten Frage: was Gott sey? sollst du wissen, daß alle Meister, die je wurden, das nicht ausrichten können; denn er ist über alle Sinne und Vernunft. Und doch so gewinnet ein fleißiger Mensch mit emsigem Suchen etwas Kundschaft von Gott, aber in gar ferner Weise, daran des Menschen oberste Seligkeit liegt. Nach dieser Weise suchten ihn hiervor etliche tugendhafte heidnische Meister, und sonderlich der vernünftige Aristoteles. Der grübelte nach in dem Laufe der Natur, wer der wäre, der da ist ein Herr der Natur. Er suchte ihn mit Fleiß, und fand ihn. Er bewährte aus dem wohlgeordneten Naturlauf, daß da von Noth (nothwendig) seyn müsse ein einiger Fürst und Herr aller Kreaturen, und das heißen wir Gott.
Von diesem Gott und Herrn haben wir wohl so viel Kundschaft, daß er ein substanzlich Wesen ist; daß er ewig ist, ohne vor und ohne nach; einfältig und unwandelbar; ein unleiblicher wesentlicher Geist; deß Wesen sein Leben und Wirken ist; deß istige Vernünftigkeit alle Dinge erkennet in sich selbst und mit mit sich selbst; deß Wesen grundlose Lust und Freude in ihm selbst ist; der seiner selbst und aller derer, die dasselbe in schaulicher Weise nießen sollen, eine übernatürliche unaussprechliche wonnegebärende Seligkeit ist.
Die Tochter sah auf und sprach: Das ist gut zu hören, weil es das Herz rühret, den Geist auflüpfet Sursum! hoch über sich selbst. Darum, lieber Vater, saget mir mehr davon.
Er sprach: Lug, das göttliche Wesen, von dem gesagt ist, das ist eine solche vernünftige Substanz, die das tödtliche Auge nicht schauen mag in ihm selbst; man sieht ihn aber wohl in seiner Gethat, wie man einen guten Meister spüret an seinen Werken. Denn, wie Paulus sagt, die Kreaturen sind wie ein Spiegel, in dem Gott wiederleuchtet. Und dieß Erkennen heißen wir darum ein Speculiren, (ein Erspiegeln).
Nun laß uns eine Weile allhier bleiben und laß uns speculiren den hohen würdigen Meister in seiner Gethat. Lug über dich und um dich in die vier Enden der Welt, wie weit, wie hoch der schöne Himmel ist in seinem schnellen Lauf, und wie adelig ihn sein Meister gezieret hat mit den sieben Planeten, deren ein jeglicher, ohne allein den Mond, viel größer ist, denn alles Erdreich; und er gepreiset (geschmückt) ist mit der unzähligen Menge des lichtesn Gestirns. Ach, so die schöne Sonne ungewölket heiterlich aufbricht in der sommerlichen Zeit, was sie dann emsiglich Frucht und Gutes dem Erdreich gibt; wie Laub und Gras aufdringen, die schönen Blumen lachen; Wald und Haide und Auen von der Nachtigal und der kleinen Vöglein süßen Gesang wiederhallen; alle Thierlein, die von dem argen Winter verschlossen waren, sich hervor machen, und sich freuen, und sich zweien (paaren); wie in der Menschheit Jung und Alt von wonnegebärender Freude sich fröhlich geberden! Ach, zarter Gott, bist du in deiner Kreatur also minniglich, wie bist du dann in dir selbst so gar schön und wonniglich! Lug fürbaß, ich bitte dich, und schaue die vier Elemente, Erdreich, Wasser, Luft und Feuer, und alles das Wunder, das darin ist von mancherlei Ungleichheit, von Menschen, von Thieren, von Vögeln und Fischen und Meerwundern; das rufet und schreiet allesammt: Lob und Ehre der grundlosen Ungemessenheit, die in dir ist! Herr! wer erhält dieß Alles? Wer speiset es? Du berathest es Alles, ein jegliches in seiner Weise, groß und klein, reich und arm; du, Gott, du thust es! du Gott, wahrlich Gott bist!

Nun dar, Frau Tochter, nun hast du deinen Gott gefunden, den dein Herz lange gesucht hat. Nun sieh aufwärts, mit spielenden Augen, mit lichtlichem Antlitz, mit aufspringendem Herzen, und sieh ihn an und umfahe ihn mit den endlos ausgestreckten Armen deiner Seele und deines Gemüthes, und sage ihm Dank und Lob, dem edlen Fürsten aller Kreatur! Siehe, von diesem Speculiren dringet bald auf in einem empfänglichen Menschen ein herzliches Jubiliren; denn Jubiliren ist eine Freude, die die Zunge nicht gesagen kann, und die doch Herz und Seele kräftiglich durchgeußt. Ach, lug, ich merke jetzt an mir selbst, es sey mir lieb oder leid, daß mir der beschlossene Mund meiner Seele gen dir aufgebrochen ist, und muß dir aber, Gott zu Lob, etwas meiner verborgenen Heimlichkeiten sagen, das ich nie einem Menschen gesagt habe. Lug, ich wußte einen Prediger, der war an seinem Anfang wohl auf zehn Jahre, daß ihm solche einschwebende Gnade alle Tag gemeinlich zwirent (zweimal) von Gott gegeben ward, des Morgens und des Abends, und die währte wohl so lange, als zwo Vigilien. Er versank dieweil also gar in Gott, die ewige Weisheit, daß er nicht davon sprechen konnte. Unterweilen hatte er ein minnigliches Einreden mit Gott, dann ein jämmeriges Seufzen, dann ein sehnliches Weinen, etwann ein stillschweigendes Lachen. Ihm war oft, als ob er in den Lüften schwebte, und zwischen Zeit und Ewigkeit in dem tiefen Wag (Meere) Gottes grundloser Wunder schwämme. Davon ward sein Herz so voll, daß er unterweilen seine Hand auf das wüthende Herz legte und sprach: O weh, Herz meines, wie will es dir heute ergehn! Eines Tages war ihm vor, wie das väterliche Herz in geistlicher Weise etwa unsäglich ohne alles Mittel an sein Herz zärtlich geneiget wäre, und daß sein Herz eben gen dem väterlichen Herzen begierlich aufgethan wäre, und däuchte ihn, wie das väterliche Herz die ewige Weisheit minniglich und formloslich in sein Herz spreche. Er hob an und sprach fröhlich in dem geistlichen Jubiliren: Nun dar, mein liebliches Lieb, so entblöse ich mein Herz, und in der einfältigen Bloßheit (von) aller Geschaffenheit umfahe ich deine bildlose Gottheit. O weh, du übertreffendes Lieb alles Liebes! die größte Liebe zeitlichen Liebes leidet mit ihrem Lieb dennoch Liebes und Liebes und zertheilte Unterschiedenheit; o du aber, aller Liebe grundlose Vollheit, du zerfleußest in Liebes Herzen, du zergeußest dich in der Seele Wesen, du bloß All in All, deß Liebes ein einiges Theil nicht ausbleibt, denn daß es lieblich mit Lieb vereinet wird.
Die Tochter sprach: Ach Gott, was großer Gnaden ist das, da der Mensch also in jubilirender Weise in Gott verzücket wird! Nun wüßte ich gern, ob dasselbe das Nächste sey oder nicht? Er sprach: Nein; es ist allein ein raislicher (bereitender) Vorlauf, zu kommen in eine wesentliche Eingenommenheit. Sie sprach: Was heißet ihr wesentlich, oder nicht wesentlich? Er antwortete und sprach: Ich heiße den einen wesentlichen Menschen, der mit guter stäter Übung die Tugenden erstritten hat, daß sie ihm nach dem höchsten Adel lustlich und bleiblich (innerwohnend) geworden sind, wie der Schein der Sonne in ihr bleiblich ist. So heiß ich den unwesentlich, dem das Licht der Tugend in entlehnter unstäter unvollkommener Weise leuchtet, wie der Schein in dem Monde thut. Die vordere gnadenreiche Lust verleckert eines unwesentlichen Menschen Geist, daß er das allezeit gern hätte: und wie ihm der Gegenwurf Freude gebiert, also gebiert ihm der Unterzug (die Beraubung) ungeordnete Traurigkeit, und er wird unwillig, sich anderen Sachen zu geben; als ich dich beweisen will. Es geschah nämlich eines Mals, da der Diener in dem Kapitelhause ging, und sein Herz voll göttlicher jubilirender Freude war, da kam der Pförtner und hieß ihn an die Pforte gehen zu einer Frau, die beichten wollte. Er brach sich ungern von der innerlichen Lust, und empfing den Pförtner härtiglich und sprach: daß sie nach einem andern senden sollte, er wolle sie jetzt nicht Beicht hören. Sie hatte ein geladenes sündiges Herz, und sprach, sie hätte besondere Gnade zu ihm, daß er sie tröste, und wollte keinem andern beichten. Und da er nicht kommen wollte, da fing sie an mit einem betrübten Herzen zu weinen und ging elendiglich hinweg in einen Winkel sitzen, und erweinte sich da viel wohl. Unterdem zuckte ihm Gott behändiglich die fröhliche Gnade, und ward ihm sein Herz so hart, als ein Kiesling (Kiesel); und da er gern gewußt hätte, was das meinte, da ward in ihm von Gott also gesprochen: Siehe, wie du die arme Frau mit einem geladenen Herzen ungetröstet von dir getrieben hast, also hab ich meinen göttlichen Trost von dir gezuckt. Er erseufzte inniglich, und schlug an sein Herz, und lief bald hin an die Pforte, und da er die Frau nicht fand, da gehub er sich übel. Der Pförtner lief um und um suchend; da er sie dort weinend sitzen fand, und sie wieder an die Pforte kam, da empfing er sie gütlich, und tröstete ihr reuiges Herz gnädiglich, und ging von ihr wieder ein in das Kapitel, und zuhand in einem Augenblick da kam der milde Herr herwieder mit seinem göttlichen Troste, als je von erst.
Darnach sprach die Tochter: Der Mensch möchte Leiden wohl erleiden, dem Gott solche jubilirende Freude gäbe. Er sprach: O, es mußte darnach alles mit großem Leiden erarnet werden, (als davor gesagt ist); aber zujüngst etwa, da es sich alles verlaufen hatte, und es Gott Zeit däuchte, da kam dieselbe jubilirende Gnade herwieder, und ward ihm etwa in bleibender Weise, er wäre daheim, oder führe aus, bei den Leuten, oder ohne die Leute; oft in dem Bade, oder ob Tische, ward ihm dieselbe Gnade; aber das geschah in einbrüchiger Weise, nicht in ausbrüchiger Weise.
(S. 136-140)

 

Heinrich Suso's
Büchlein von der ewigen Weisheit

I. Kapitel
Wie etliche Menschen von Gott unwissentlich
gezogen werden


(...)
Der Diener: Zarte minnigliche Weisheit! und bist du das, das ich so lange gesucht habe? bist du das, nach dem mein Muth je und je rang? O weh, Gott, warum zeigtest du dich mir nicht vorlang? Wie hast du es so lange gesparet? Wie bin ich so manchen mühlichen Weg gewatet!
Antwort der ewigen Weisheit: Hätte ich das gethan, so erkenntest du nicht so empfindlich meine Güte, als du sie nun erkennest.
Der Diener: O grundlose Güte, wie hast du dich nun so süßiglich in mir gegütet! Da ich nicht war, da gabst du mir Wesen; da ich mich von dir geschieden hatte, da wolltest du nicht von mir scheiden; da ich dir entrinnen wollte, da hieltest du mich so süßiglich gefangen. Eya, ewige Weisheit, möchte dich mein Herz umfahen, und mit steter Minne und ganzem Lobe alle meine Tage mit dir verzehren, das wäre meines Herzens Gierde; denn wahrlich der Mensch ist selig, dem du also minniglich zuvorkommst, daß du ihn recht ruhen lässest, bis daß er seine Ruhe in dir allein suche. Ach auserwählte Weisheit, so ich nun an dir gefunden habe, den meine Seele minnet, so verschmähe nicht deine arme Kreatur! Sieh an, wie mein Herz erstummet ist gen aller Welt in Lieb und in Leid. Herr, soll mein Herz auch gen dir immer stumm seyn! Gib Urlaub, geminnter Herr, meiner elenden Seele, ein Wort mit dir zu sprechen, denn mein volles Herz mag es nicht mehr allein tragen; so hat es auch in dieser weiten Welt niemand, gen dem es sich erkühle, denn gen dir, auserwählter Herr, Vater und Bruder! Herr, du siehst und weißt allein die Natur eines minnereichen Herzens, und weißt, daß niemand minnen mag, was er in keiner Weise erkennen kann. Darum, seit ich dich nun allein minnen soll, so gib dich mir doch fürbaß zu erkennen, daß ich dich auch gänzlich minnen könne.
(S. 161-162)

 

VI. Kapitel
Wie betrogen der Welt Minne,
und wie minniglich Gott ist


Der Diener: Minnigliches Gut, wie kleinen Kehr ich aus dir thue, so geschieht mir als einem Rehlein, das von seiner Mutter mißtreten hat, und in einem starken Gejäge ist, und sich mit flüchtigen Werken aufhält, bis daß es wieder hin in seine Statt entrinnet. Herr, ich fliehe, ich jage zu dir mit hitzigem inbrünstigen Ernst, wie der Hirsch zu dem lebendigen Brunnen. Herr, ein einiges Stündlein ohne dich ist ein ganzes Jahr; ein Tag dir fremd seyn, das sind tausend Jahre einem minnenden Herzen. Eya, darum, du Seldenzweig (Zweig des Heils) du Mayenthau, (Mayenreis) du rothblühende Rosenstaude, schleuß auf deine Arme, zerthue und zerbreite die blühenden Äste deiner göttlichen Natur! Herr, dein Antlitz ist so voll Gnaden, dein Mund so voll der lebenden Worte, aller dein Wandel so gar ein lauterer Spiegel aller Zucht und Sanftmüthigkeit! O du holdseliger Anblick aller Heiligen, wie recht selig ist der, der deiner süßen Gemahlschaft würdig ist! (S. 172-173)

 

VII. Kapitel
Wie minniglich Gott ist


Der Diener
: Herr, ich hinterdenke den göttlichen Zug, als du sprachest von dir in der Weisheit Buch (Jes. Sir. 24. 25-27 und 40.20): Kommet her zu mir Alle, die mein begehren, von meinen Geburten werdet ihr erfüllet. Ich bin eine Mutter der schönen Minne; mein Geist ist süßer denn Honig, und mein Erbe über Honig und Honigseim. Edler Wein und süßes Getön erfreuet das Herz, aber ihnen beiden der Weisheit Minne. Ach Herr, du kannst dich selber so minniglich und so zärtlich erbieten, daß alle Herzen möchten gelüsten und einen sehnenden Jammer nach dir haben; es fließen die Minneworte so lieblich aus deinem süßen Munde, daß sie manche Herzen so kräftiglich verwunden in ihren blühenden Tagen, daß ihnen alle zergängliche Minne gänzlich erlischt. Eya, lieber Herr, darnach jammert mein Herz, darnach elendet mein Gemüth, davon hörte ich dich gern sprechen. Nun sprich, mein einiger auserwählter Trost, ein einiges Wörtlein zu meiner Seele, zu deiner armen Dirne; denn unter deinem Schatten bin ich süßiglich entschlafen, und mein Herz wachet.
Antwort der ewigen Weisheit: Nun höre, Tochter, und siehe neige zu mir deine Ohren, thu einen kräftigen Einkehr, und vergiß dein selbst und aller Dinge. Ich bin in mir selbst das unbegriffene Gut, das je war und immer ist, das nie gesprochen ward, noch nimmermehr gesprochen wird. Ich mag mich wohl den Herzen innerlich zu empfinden geben, aber keine Zunge mag mich eigentlich geworten; und doch, wenn ich, das übernatürliche unwandelbare Gut, mich einer jeglichen Kreatur gebe, nach ihrer Vermögenheit, als sie mein empfänglich ist, so binde ich der Sonne Glast in ein Tuch, und gebe dir geistliche Sinne in leiblichen Worten von mir und meiner süßen Minne, also: Ich stelle mich zärtlich vor deines Herzens Augen; nun ziere und kleide du mich in geistlichen Sinnen, und mache mich feinlich und hübsch auf, nach Wunsches Gewalt, und gieb mir alles das, das zu sonderlicher Minne und ganzer Herzenslust dein Herz bewegen kann. Siehe, da ist Alles und Alles, das du und alle Menschen erdenken können von Gestalt, von Gezierde oder von Gnaden, in mir noch unendlich wonniglicher, denn es jemand gesprechen möge, und dieserlei sind die Worte, in denen ich mich mag zu erkennen geben. Nun höre mehr: Ich bin von hoher Geburt, von edlem Geschlecht; ich bin das ewige Wort des väterlichen Herzens, in dem ich, nach dem minnereichen Abgrund meiner natürlichen Sohnlichkeit, in seiner bloßen Väterlichkeit ein Wohlgefallen habe seiner lieblichen Augen, in der süßen ausflammenden Minne des heiligen Geistes. Ich bin der Wonnethron, ich bin die Seldenkrone (Heilskrone); meine Augen sind so klar, mein Mund so zart, meine Wangen so lichtfarb und so rosenroth, und alle meine Gestalt so schön und wonniglich, und so gar wohlgebildet; und sollte ein Mensch bis an den jüngsten Tag in einem glühenden Ofen seyn, daß ihm nur ein Anblick (meiner Schönheit) würde, der wäre dennoch unverdient. Sieh, ich bin so wonniglich geziert mit lichtem Gewand, ich bin so feinlich umgeben mit allen blühenden Farben der lebenden Blumen, der rothen Rosen, weißen Lilien, schönen Violen und allerlei Blumen, daß aller Mayen schöne Blüthe, aller lichten Auen schöne Reiser, aller sonnigen Haiden zarte Blümlein gen meiner Gezierde sind alle eine rauhe Distel.
Ich spiel in der Gottheit der Freuden Spiel,
Das gibt der Engelschaar Freuden als viel,
Daß ihnen tausend Jahre seyn
Als ein viel kleines Stündelein.
Alles himmlische Heer geht mir von neuen Wundern togentlich nach, und nimmt meiner wahr, ihre Augen sind in die meinen gesenket, ihre Herzen gen mir geneiget, ihr Gemüth ohne Unterlaß in mich gefüget. Wohl ihm, der das Spiel, den Freudentanz in Himmelreichs Wonne an meiner Seite, an meiner schönen Hand in fröhlicher Sicherheit immer ewiglich treten soll. Ein einiges Wörtlein, das da so leblich aufklinget von meinem süßen Munde, übertrifft aller Engel Gesang, aller Harfen Klang, alles süße Saitenspiel. Eya, lug, ich bin also treulich zu minnen, ich bin also lieblich zu umfahen und also zärtlich der reinen minnenden Seele zu küssen, daß alle Herzen nach mir sollten brechen. Ich bin kleinfüg (herablassend) und zuthätig, und der lauteren Seele zu allen Zeiten gegenwärtig; ich wohne ihr togentlich bei, zu Tisch, zu Bett', zu Weg, zu Steg. Ich kehre mich hin, ich kehre mich her, in mir ist nichts, das mißfalle; in mir ist Alles, das wohlgefällt nach Herzenswunsch, nach Seelenbegierde. Sieh, ich bin ein so lauteres Gut, dem meiner dennoch in der Zeit ein einiges Tröpflein wird, dem wird alle Freude und Wollust dieser Welt eine Bitterkeit, alles Gut und Ehre ein Hinwerfen und ein Unwerth; sie werden, die Lieben, von meiner süßen Minne umgeben,
und verschwimmen in das einige Ein, ohne gebilderte Minne und gesprochene Worte, und werden geführet und geflößet in das Gut, dannen sie geflossen sind. Meine Minne kann auch anfahende Herzen entladen von der schweren Last der Sünde, und ein freies wohlgemuthes lauteres Herz geben, und ein reines unstrafbares Gewissen machen. Sage mir, was ist in aller dieser Welt, das dies allein widerwägen (aufwiegen) möge? Alle diese Welt mag ein sogethanes Herz nicht widerwägen; denn der Mensch, der mir allein sein Herz giebt, der lebt wonniglich, und stirbt sicherlich, und hat hier Himmelreich und dort ewiglich.
Nun lug: ich habe dir wohl viele Worte gegeben, und stehe doch von denen allen in meiner Schönheit so unberührt, als das Firmament von deinem mindesten Fingerlein, weil es Auge nie sah, noch Ohr je hörte, und in kein Herz nie kommen mochte. Doch so sey dir dies entworfen zu einem Unterschied meiner süßen Minne und der falschen zergänglichen Minne.
Der Diener: Ach, du zarte wonnigliche Feldblume, du geliebtes Herzentraut in den umfangenden Armen der reinen minnenden Seele, wie ist das so kundlich dem, der dein je recht empfand; wie ist es aber so seltsam zu hören dem Menschen, dem du unkund bist, deß Herz und Muth noch leiblich ist! Ach, herzliches unbegreifliches Gut, dies ist eine liebe Stunde, dies ist ein süßes Nun, in dem muß ich dir aufthun eine verborgene Wunde, die mein Herz noch trägt von deiner süßen Minne. Herr, Gemeinsame (Mehrheit) in Minne ist wie Wasser im Feuer; Herr, du weißt, daß rechte inbrünstige Minne nicht Zweiheit mag erleiden. Ach, du einiger Herr meines Herzens und meiner Seele, darum begehret mein Herz, daß du eine sonderliche Minne zu mir hättest, und daß deine göttlichen Augen ein sonderlich lustliches Wohlgefallen hätten an mir. O Herr, du hast so viele Herzen, die dich herziglich minnen, und die viel mit dir können (viel bei dir gelten), o weh, zarter trauter Herr, wie bin ich denn daran?
Antwort der ewigen Weisheit: Ich bin ein solcher Minner, der in Einigkeit nicht verkleinert, noch in der Menge vermengt wird; ich bin mit dir allein zu allen Zeiten so gar bekümmert und beflissen, wie ich mich dir allein geliebe und vollbringe Alles, das zu dir gehört, als ob ich aller andern Dinge ledig stünde.
Der Diener: Anima mea liguefacta est (Hohelied 5.6), Waffen Waffen! wo bin ich hingeführt, wie bin ich so gar verweiset (verirret), wie ist meine Seele so gar zerflossen von des Geminnten freundlichen süßen Worten! Eya, kehre deine lichten Augen von mir, denn sie haben mich gar verflöget (verscheuchet) (Hohelied 6.4) Wo ward je ein Herz so hart, wo ward je eine Seele so lau, so kalt, die deine süßen lebenden Worte hörte, die da so übermäßig feurig sind, sie müßten sich erweichen und erhitzen in deiner süßen Minne! O Wunder und Wunder ob allen Wundern, der dich also mit den Augen seiner Seele schauet, daß sein Herz nicht alles von Minne zerfleußt! O selig ist der, der dein Gemahl heißt und ist; was mag er ewiglich süßen Trostes und verborgenen Liebes von dir empfahen! Eya, süße Jungfrau sankt Agnes, der ewigen Weisheit Minnerin, wie mochtest du dich deines lieben Gemahles so wohl getrösten, da du sprachest: Sein Blut hat meine Wangen rosenfärbiglich gezieret! - O zarter Herr, wäre ich würdig, daß meine Seele auch hieße deine Minnerin! Und wäre es denn möglich, daß alle Wollust, alle Freude und Minne, die diese Welt geleisten mag, an einem Menschen läge, den wollte ich fröhlich darum aufgeben. Gesahe ihn Gott, daß er je geboren ward an diese Welt, der dein Freund heißt und ist! Hätte doch ein Mensch tausend Leben, die sollte er daran wagen, daß er erwerben könnte deine Minne. O ihr alle Gottes Freunde, alles himmlische Heer, und du liebe Jungfrau sankt Agnes, helfet mir ihn bitten, denn ich wußte nie recht, was seine Minne war! Ach Herze meines, leg ab, thu hin alle Trägheit, und lug, ob du vor deinem Tode dahin mögest kommen, daß du seiner süßen Minne empfindest. O zarte schöne auserwählte Weisheit, wie kannst du so recht wohl ein freundliches Lieb seyn ob allem Lieb dieser Welt! Was ist deine und der Kreatur Minne so ungleich! Wie ist es so ein betrüglich Ding Alles, das in dieser Welt lieblich scheinet und etwas wähnet zu seyn, so man es recht beginnt zu erkennen. Herr, wo ich meine Augen je hinkehrte, da fand ich immer ein Mißfallen; denn, war da ein schönes Bild, so war es gnadlos; war es schön und minniglich, so gebrach ihm Weise; oder hatte es das auch, so fand ich doch immer etwas, entweder von innen oder von außen, dem der ganze Kehr meines Herzens heimlich widersprach, und in Kundschaft (Erfahrung) fand ich, daß es sein selbst ein Verdrießen auf sich trug. Aber du bist die Schönheit mit grundloser Leutseligkeit, Gnade mit Gestalt, Wort mit Weise, Adel mit Tugend, Reichthum mit Gewalt, inwendige Freyheit und auswendige Klarheit; und ein Ding, das ich in der Zeit nie fand, das ist ein rechtes Widerlegen (Sättigen) nach Genügde, an Können und Vermögen, den begierlichen Willen (die Sehnsucht) eines recht minnenden Herzens. So man dich je baß erkennet, so man dich je lieber gewinnt; so man dir je heimlicher ist, so man dich je freundlicher findet. Waffen Waffen! wie bist du so ein grundloses ganzes lauteres Gut! Schauet alle Herzen, wie betrogen die sind, die ihre Minne an icht anderes legen. Ach, ihr falschen Minner, fliehet fern von mir, nahet mir nimmermehr, denn das einige Lieb hab' ich meinem Herzen auserkohren, da Herz, Seele, Begierde und alle meine Kräfte allein gesattet werden von Minne, die da nimmer zergeht. O Herr, könnte ich dich auf mein Herz zeichnen, könnte ich dich in das Innerste meines Herzens und meiner Seele mit güldenen Buchstaben schmelzen, daß du nimmer in mir vertilgt würdest. O weh, Jammer und Noth, daß ich mein Herz je und je damit bekümmert habe! Was hab' ich von allen meinen Minnern, denn verlorne Zeit, verfahrne Worte, eine leere Hand, wenig guter Werke, und ein geladen Gewissen mit Gebrechen? Zarter Herr, tödte mich eher in deiner Minne; denn von deinen wonniglichen Füßen will ich immermehr scheiden.
Antwort der ewigen Weisheit: Ich vorkomme sie, die mich suchen, und empfahe sie mit lieblicher Freude, die meiner Minne begehren. Alles, das du auch in der Zeit empfinden magst meiner süßen Minne, ist als ein Tröpflein gen dem Meere, gen der Minne in der Ewigkeit.
(S. 178-183)

 

XXIII. Kapitel
Wie man Gott minniglich empfahen soll


Der Diener
: Ewige Weisheit! könnte meine Seele nun über den himmlischen Schrein deiner göttlichen Togenheit kommen, so wollte ich noch mehr von Minne fragen. Und ist meine Frage also: Herr, du hast den Abgrund deiner göttlichen Minne also gar ausgegossen in deinem Leiden, daß mich Wunder nimmt, ob du icht mehr von Minnezeichen geleisten mögest.
Antwort der ewigen Weisheit: Ja, wie das Gestirn am Himmel unzählig ist, also sind die Minnezeichen meiner grundlosen Minne ungezählet.
Der Diener: Ach, süße Minne meine, ach zarter auserwählter Herr, siehe, wie meine Seele nach deiner Minne kallet (girret). Kehre dein mildes Antlitz gegen mich verworfene Kreatur, lug, wie alle Dinge in mir verschwinden und vergehen, bis an den einigen Hort deiner inbrünstigen Minne; und sage mir etwas mehr von dem edlen verborgenen Hort. Herr, du weißt wohl, daß das der Minne Recht ist, daß ihr von ihrem Geminnten nichts genüget: so sie je mehr hat, so sie mehr begehrt, wie unwürdig sie sich auch darin bekennet; denn das wirket die Überkraft der Minne. O schöne Weisheit, nun sag mir, welches ist das größte und das lieblichste Minnezeichen, daß du in deiner angenommenen Menschheit erzeigest, ohne das grundlose Minnezeichen deines bittern Todes?
Antwort der ewigen Weisheit: Nun antworte du mir eine Frage. Was ist, das unter allen minniglichen Dingen einem minnenden Herzen das allerangenehmste ist!
Der Diener: Herr, nach meinem Verstehen, so ist nichts Behülflicheres (Erfreulicheres) einem minnenden Herzen denn sein Geminnter selbselber, und seine freundliche Gegenwärtigkeit.
Antwort der ewigen Weisheit: Das ist also. Siehe, und darum daß meinen Geminnten nichts abgienge, das zur rechter Minne gehört, so zwang mich meine grundlose Minne dazu, da ich von dieser Welt scheiden wollte durch den bittern Tod zu meinem Vater, daß ich da mich selbselber und meine minnigliche Gegenwärtigkeit ob dem Tische des jüngsten Nachtmals meinen lieben Jüngern gab, und noch alle Tage meinen Auserwählten gebe, weil ich vorhin wußte den Jammer, den manch minnendes Herz nach mir haben würde.
Der Diener: O lieber Herr, und bist du aber selbselber eigentlich da?
Antwort der ewigen Weisheit: Du hast mich in dem Sakrament vor dir und bei dir so wahrlich und eigentlich, Gott und Mensch, nach Seel und Leib, mit Fleisch und Blut, als wahrlich mich meine reine Mutter trug in ihren Armen, und als wahrlich ich bin in dem Himmel in meiner vollkommenen Klarheit.
Der Diener: Ach zarte Weisheit! nun ist ein Ding in meinem Herzen, getörft ich das mit Urlaub zu dir sprechen? Herr, es kommt nicht von Unglauben; ich glaube, was du willst, das du das vermagst: aber, zarter Herr meiner, mich wundert, (ob ich's gesprechen getar), wie der schöne wonnigliche glorificirte Leib meines Herrn in aller seiner Größe und Gottheit sich also togentlich verbergen möge unter der kleinen Form des Brodes, das gegen dem Maße so gar ungemessen ist. Zarter Herr, nun zürne deß nicht; weil du meine auserwählte Weisheit bist, so wollte ich gern von deinen Gnaden etwas davon aus deinem süßen Munde hören.
Antwort der ewigen Weisheit: Wie mein glorificirter Leib und meine Seele nach ganzer Wahrheit in dem Sakramente sey, das kann keine Zunge sprechen, und mag es kein Sinn begreifen; denn es ist ein Werk meiner Allmächtigkeit. Darum so sollst du es einfältiglich glauben, und sollst ihm nicht nachgehn (grübeln). Und doch so muß ich dir ein wenig davon sagen. Ich will dir dies Wunder mit einem andern Wunder ausstoßen. Sage mir, wie mag das seyn in der Natur, da ein großes Haus sich erbildet  in einem kleinen Spiegel, oder in jedem Stück, so er getheilt würde? oder wie mag das seyn, daß sich der große Himmel so kleinfüglich drückt in das kleine Auge, so sie doch an der Größe einander so ungleich sind?
Der Diener: Herr, wahrlich, das kann ich nicht finden; das ist ein wunderlich Ding, denn das Auge ist als ein Pünktlein gen dem Himmel.
Antwort der ewigen Weisheit: Siehe, wiewohl nun weder dies noch kein ander Ding in der Natur dem gleich sey, und mag doch das die Natur thun, warum möchte denn ich, der Herr der Natur, nicht noch viel mehr Dinge übernatürlich thun? Nun sage mir mehr: ist das nicht ein eben so großes Wunderding, Himmelreich und Erdreich und alle Kreatur aus Nichte schaffen, als das Brod unsichtiglich in meinen Leib verwandeln?
Der Diener: Herr, es ist dir eben so möglich, nach meinem Verstehen, Ichts in Ichts zu wandeln, als Ichts aus Nichts zu schaffen.
Die Weisheit: Wundert dich denn das, und dieses nicht? Sage mir noch mehr: du glaubest, daß ich fünftausend Menschen mit fünf Broden speiste; wo war die verborgene Materie, die meinen Worten da diente?
Der Diener: Herr, ich weiß es nicht.
Die Weisheit: Oder, glaubest du, daß du eine Seele habest?
Der Diener: Herr, das glaube ich nicht, denn das weiß ich: denn anders lebte ich nicht.
Antwort der ewigen Weisheit: Nun magst du doch die Seele mit keinen leiblichen Augen sehen.
Der Diener: Herr, ich weiß, daß der Wesen viel mehr sind, die unsichtig sind vor allen leiblichen Augen, denn die man sehen mag.
Die Weisheit: Nun lug, so ist mancher Mensch so grober Sinne, daß er dennoch kaum glauben will, daß ichts sey, denn das er mit seinen Sinnen mag begreifen, darüber die Gelehrten ein Wissen haben, daß das nicht also ist. In gleicher Weise ist es hier mit dem menschlichen Verstehen gegen das göttliche Wissen.
Hätte ich dich nun gefragt: Wie sind beschaffen die Eingänge des Abgrundes? oder wie sind gestellet die Wasser ob den Himmeln? du sprächest vielleicht also: Es ist mir zu tief, ich geh ihm nicht nach; ich kam in den Abgrund nie, noch auf den Himmel nie. - Nun hab' ich dich gefragt irdischer Dinge, die du siehst und hörest, und begreifest sie nicht. Wie wolltest du denn das begreifen, das alles Erdreich und alle Himmel und alle Sinne übertrifft? oder wie willst du dem nachfragen?
Siehe, sogethane Wunderung und einschießende Gedanken kommen allein von Grobheit der Sinne, da die göttliche übernatürliche Dinge nehmen nach Gleichniß irdischer und natürlicher Dinge; und also ist es nicht. Gebäre eine Frau ein Kind in einem finstern Thurme, und so es darin erzogen würde, und ihm die Mutter sagte von der Sonne, von den Sternen, es nähme das Kind groß Wunder, und däuchte es unbillig und unglaublich, das doch der Mutter gar kund ist.
Der Diener: Herr, wahrlich, ich kann recht nichts mehr sprechen, denn du hast mir meinen Glauben erleuchtet, daß ich kein Wunder (Verwundern) in meinem Herzen nimmermehr gewinnen darf; oder wie will ich dem Höchsten nachgehn, so ich das Niederste nicht begreifen kann? Du bist die Wahrheit, die nicht lügen mag; du bist die oberste Weisheit, die alle Dinge kann; du bist der Allmächtige, der alle Dinge vermag.
Eya, minniglicher edler Herr, nun habe ich oft von Herzen begehret, daß ich dich mit dem gerechten Simeon in dem Tempel möchte leiblich empfangen haben auf meine Arme, und dich mit meinen Armen in meine Seele und in mein Herz möchte gedrückt haben, also daß mir der geistliche Kuß deiner Gegenwärtigkeit so wahrlich worden wäre, als ihm. Herr, nun sehe ich, daß ich dich so wahrlich empfahe, als er, und so viel adeliger, so viel dein zarter Leib nun glorificirt und unleidlich (Leidens unfähig) ist, der da leidlich war. Ach minniglicher Herr, darum, hätte mein Herz aller Herzen Minne, mein Gewissen aller Engel Klarheit, und meine Seele aller Seelen Schönheit, daß ich deß von deinen Gnaden würdig wäre, Herr, so wollte ich dich heute so minniglich empfahen und in den Grund meines Herzens und meiner Seele versenken, daß mich von dir weder Lieb noch Leid, weder Leben noch Tod nimmer scheiden möchte.
Ach süßer Herr, hättest du, mein auserwähltes Lieb, mir nur deinen Boten gesandt, ich wüßte in aller dieser Welt nicht, wie ich es ihm freundlich genug sollte erboten haben. Wie soll ich mich denn geberden gegen den, den meine Seele da minnet! Du bist doch das einige Ein, in dem beschlossen ist Alles, das mein Herz in Zeit und Ewigkeit begehren mag. Oder ist noch ichts, das meine Seele mit dir begehre, das du nicht bist? ich will geschweigen deß, das wider dich oder ohne dich ist, denn das wäre mir eine Unlust. Du bist doch den Augen der Allerschönste, dem Munde der Allersüßeste, der Berührde der Allerzarteste, dem Herzen der Allerminniglichste. Herr, es sieht, noch höret, noch empfindet meine Seele nichts in Allem dem, das da ist, sie findet ein jegliches tausend Mal minniglicher in dir, meinem auserwählten Lieb. Ach, ewiger Herr, wie soll ich mich gegen dich halten von Wunder und von Freuden? Deine Gegenwärtigkeit entzündet mich; aber deine Großheit erschrecket mich. Meine Bescheidenheit will ihren Herrn ehren; aber mein Herz will sein einiges Lieb minnen und inniglich umfahen. Du bist mein Herr und mein Gott: so bist du auch mein Bruder, und, ob ich es getar sprechen, mein geminnter Gemahl.
O was Liebes, was Wonne, und was großer Freuden, was Würdigkeit hab' ich an dir allein! Ach süßer Herr, mich däucht, wäre mir nur die Gnade widerfahren, daß ich aus deinen offnen Wunden von deinem Herzen ein einiges Blutströpflein sollte empfangen haben in meinen Mund, wenn ich Wunschesgewalt hätte gehabt, so wäre ich deß ganz erfreut worden. Ach herzliches unbegreifliches Wunder, nun hab' ich nicht allein von deinem Herzen, noch von Händen, Füßen oder von allen deinen zarten Wunden empfangen, ich habe nicht allein eines oder zwei Tröpflein, ich habe all dein rosenfarbnes hitziges Blut durch meinen Mund zu meinem Herzen und zu meiner Seele empfangen. Ist das nicht ein groß Ding! Soll ich das nicht wägen, das allen hohen Engeln theuer ist! Herr, ich wollte, daß alle meine Glieder und alles, das ich bin, verkehret würde in eine grundlose Minne um dieses Minnezeichen. Herr, was ist noch in aller dieser Welt, das mein Herz erfreuen und begehren möge, so du dich mir also inniglich zu nießen und zu minnen gibst! Es heißt wohl recht ein Sakrament der Minne. Wo ward je Minnigliches gehört oder gesehen, denn die Minne selbselber empfahen, die Minne selbselber in Gnaden werden (von Gnaden in sie verwandelt werden)? Herr, ich sehe keinen Unterschied, denn daß dich Herr Simeon sichtiglich empfing, und ich unsichtiglich. Aber so wenig nun mein leibliches Auge deine wahre Menschheit da mag sehen, so wenig mochte sein leibliches Auge da seine Gottheit schauen, denn nur in dem Glauben, als auch ich nun. Herr, was liegt neuer Kraft an diesem leiblichen Gesicht? Wem des Geistes Augen aufgethan sind, der hat nicht viel Sehens auf leibliches Gesicht, denn die Augen des Geistes sehen gar eigentlicher und wahrlicher. Herr, ich weiß in dem Glauben, so fern man es wissen mag, daß ich dich da habe; was will ich mehr? - Herr, mir ist tausend Mal nützer, daß ich dich nicht sehen mag; wie möchte ich immer das Herz haben, dich also sichtiglich zu nießen? Aber so bleibet das, das da minniglich und wonniglich ist, und fällt ab, das da unmenschlich ist.
Herr, so ich recht bedenke, wie grundlos wohl, wie minniglich und wie ordentlich du alle Dinge geordnet hast, so ruft mein Herz mit lauter Stimme: O hohe Reichheit des Abgrundes der göttlichen Weisheit! was bist du in dir selber, so du so recht viel bist in deinen schönen Ausflüssen! Nun mein edler Herr, sieh an die große innigliche Begierde meines Herzens. Herr, es ward nie kein König, noch kein Kaiser so würdiglich empfangen, nie kein fremder lieber Gast so freundlich umfangen, nie kein Gemahl so schön noch so zärtlich zu Haus geführt, noch so ehrlich gehalten, als meine Seele begehret, dich, meinen allerwürdigsten Kaiser, meines Herzens allersüßesten Gast, meiner Seele allerminniglichsten Gemahl, heute zu empfahen und einzuführen in das Inwendigste und in das Beste, das meine Seele und mein Herz geleisten mag; und dir es zu entbieten also würdiglich, als es dir je von keiner Kreatur entboten ward. Herr, darum so lehre mich, wie ich mich gegen dich halten, wie ich dich schön und minniglich genug empfahen solle.
Antwort der ewigen Weisheit: Du sollst mich empfahen würdiglich und sollst mich nießen demüthiglich, und sollst mich behalten ernstlich, sollst mich in gemahlischer Minne umschließen, in göttlicher Würdigkeit vor Augen haben; geistlicher Hunger und gegenwärtige Andacht soll dich zu mir treiben, mehr denn Gewohnheit. Die Seele, die mich in der heimlichen Klause eines abgeschiedenen Lebens innerlich empfinden und süßiglich nießen will, die muß vorhin von Untugenden gereinigt, mit Tugenden gezieret, mit Ledigkeit umfangen, mit rothen Rosen inbrünstiger Minne bestecket, mit schönen Violen demüthiger Verworfenheit (Unterwürfigkeit) und weißen Lilien rechter Reinigkeit bezettet (bestreut) seyn; sie soll mir betten mit Herzensfrieden, denn im Frieden ist meine Stätte; sie soll mich mit ihren Armen umschließen, mit Ausgeschlossenheit aller fremden Minne, denn die scheue und fliehe ich, wie der wilde Vogel den Käfig; sie soll mir singen des Gesanges von Sion, das ist ein inbrünstigers Minnen mit einem grundlosen Loben, so will ich sie umfahen, und sie soll sich auf mein Herz neigen. Wird ihr da ein stilles Ruhen, ein bloßes Schauen, ein ungewöhnliches Nießen, ein Vorgeschmack ewiger Seligkeit und ein Empfinden himmlischer Süßigkeit, das behabe sie, behab' es ihr selber (behalte es für sich), und spreche also mit einem herzlichen Seufzen: Wahrlich, du bist der verborgene Gott, du bist das heimliche Gut, das niemand wissen kann, der sein nicht empfunden hat.
Der Diener: O weh meiner großen Blindheit, in der ich bisher gestanden bin! Ich brach die rothen Rosen und schmeckte (roch) sie nicht; ich ging unter den schönen Blumen, und sah sie nicht; ich war als ein dürrer Zweig in dem süßen Mayenthau. O weh, mich kann nimmer vollreuen (genug reuen), daß du mir so manchen Tag so nahe gewesen, und ich dir so fern war. O du süßer Gast der reinen Seele, wie hab ich es dir bisher entboten; wie hab ich es dir so oft mißboten! wie unbegierlich hab ich mich ob der süßen Engelspeise geberdet! Ich hatte den edlen Balsam in dem Munde, und empfand sein nicht. Ach, du freudenreiche Augenweide aller Engel, ich freute mich dein noch nie so recht; und sollte mir ein leiblicher Freund des Morgens kommen seyn, ich hätte mich alle die Nacht darauf gefreut. Ich bereitete mich doch nie, als ich billig sollte, gegen dich werthen Gast, den Himmelreich und Erdreich ehret. Ach, wie kehrte ich mich so bald von dir, wie vertrieb ich dich aus deinem Eignen! O ewiger Gott, bist du selbselber hier so gegenwärtig, und ist der Engel Schaar hier, und ich habe so scheulich und träglich dazu gethan! Ich will dein geschweigen; aber wahrlich, Herr, ich weiß keine Statt über viele Meilen, da ich fürwahr gewußt hätte der heiligen Engel Gegenwärtigkeit, der edlen hohen Gäste, die dich schauen zu allen Zeiten, ich wäre mit Willen dar gegangen, und möchte ich sie auch nicht gesehen haben, so hätte sich doch mein Herz in meinem Leibe ob ihnen gefreuet. O süßer Herr Gott! daß du selber aller Engel Herr hier gegenwärtig warest und so viel der englischen Schaaren bei dir hattest, daß ich der Statt nicht mehr wahrnahm, das muß mir immer leid seyn. Ich sollte mich doch der Statt genahet haben, da ich dich also gegenwärtig wußte, möchte mir auch anders nicht geworden seyn. O Gott, wie bin ich so oft an der Statt, da du vor mir und bei mir warest in dem Sakrament, so recht unbesonnen und unandächtiglich gestanden; der Leib stand da, aber das Herz war anderswo. Wie hab ich oft so manchen Kehr vor dich, werthen Herrn, so unbedächtiglich gethan, daß dir mein Herz nicht einen minniglichen Gruß bot mit einem andächtigen Neigen. Zarter Herr, meine Augen sollten dich angesehen haben mit spielender Freude; mein Herz sollte dich geminnet haben mit ganzer Begierde; mein Mund sollte dich gelobt haben mit inbrünstigem herzlichem Jubiliren; alle meine Kräfte sollten zerflossen seyn in deinem fröhlichen Dienst. Was that dein Knecht David, der vor der Arche, da allein leibliches Himmelsbrod und leibliche Dinge inne waren, so fröhlich aus allen seinen Kräften sprang! Herr, nun steh ich hier vor allen deinen Engeln, und falle dir zu Füssen mit bitterlichen Zähren; gedenke, gedenke, zarter Herr, daß du hier vor mir bist mein Fleisch und mein Bruder, und laß fahren und vergib mir alle Unehre, die ich dir je erbot; denn es ist mir leid und muß mir immer leid seyn; denn das Licht der Weisheit beginnt mir erst zu leuchten; und die Statt, da du bist, nicht allein nach der Gottheit, auch nach der schönen Menschheit, soll immermehr von mir geehret werden.
Ach minnigliches Gut, würdiger Herr und süßer Gast meiner Seele, ich fragte gar gern noch eine Frage. Zarter Herr, sage mir: was bringest du deiner Geminnten mit deiner wahren Gegenwärtigkeit in dem Sakrament, so sie dich minniglich und begierlich empfahet?
Antwort der ewigen Weisheit: Ist das einem Minner eine ziemliche Frage? Was hab ich Besseres, denn mich selbselber? Der sein Lieb selbselber hat, wem hat der nachzufragen? Der sich selber gibt, was hat der versagt? Ich gebe mich dir, und nehme dich dir, und vereine dich mit mir; du verlierest dich, und wirst verwandelt in mich. Was bringet die Sonne in ihrem allerschönsten glänzenden Wiederglast der ungewölkten Luft? Eya, was bringet der aufbrechende lichte Morgenstern der finstern Nacht? Oder, was bringet die schöne Sommerwonne wonniglicher Zierde nach der kalten winterlichen traurigen Zeit?
Der Diener: O Herr, sie bringen reichliche Gabe.
Antwort der ewigen Weisheit: Sie dünken dich reichlich, weil sie dir sichtlich sind. Siehe, die mindeste Gabe, die von mir fließend ist in dem Sakrament, die ist in Ewigkeit wiederglänzender, denn kein leiblicher Sonnenglast; sie ist leuchtender, denn kein Morgenstern; sie ist in ewiger Schönheit dich wonniglicher zierend, denn keine sommerliche Zierde das Erdreich je zierte. Oder ist meine lichte Gottheit nicht glänzender, denn keine Sonne? meine edle Seele leuchtender, denn kein Stern? mein verklärter Leib wonniglicher, denn keine Sommerwonne? die du noch wahrlich hier empfangen hast.
Der Diener: O Herr, warum sind sie denn nicht empfindlicher? Ich gehe oft hinzu in so gethane Härtigkeit, daß mir also theuer (selten) ist alles Licht, Gnade und Süßigkeit, nach meinem Verstehen als einem Menschen, der blind geboren ist und das Licht nie sah. Herr, getörft ich es sprechen, so gönnte ich deiner wahren Gegenwärtigkeit wohl, daß du dein selbst mehr Urkund gegeben hättest.
Antwort der ewigen Weisheit: So der Urkund je minder ist, so dein Glaube je lauterer, und dein Lohn je größer ist. Es wirket der Herr der Natur so togentlich in manchem schönen Baum ein wonnigliches Zunehmen, das doch kein Auge noch kein Sinn dieweil empfinden mag, eh daß es vollbracht ist. Ich bin da nicht ein auswirkendes Gut, ich bin ein einleuchtendes Licht, ein einwirkendes Gut, und das ist so viel edler, als viel es geistlicher ist.
Der Diener: Ach, wie sind so wenig Menschen, die das wahrnehmen, die das wägen von Grund, was sie da empfahen; sie gehen hinzu als die anderen gemeinlich in einer schlechten unbedachten Weise, und darum, als sie leer dar gehen, so gehen sie gnadlos dannen. Sie zertreiben (wiederkäuen) die Speise nicht, daß sie wägen, was sie da empfahen.
Antwort der ewigen Weisheit: Ich bin den Wohlbereiten das lebendige Brod, den Kleinbereiten das trockne Brod, aber den Unbereiten ein zeitlicher Schlag, ein tödtlicher Fall und ein ewiger Fluch.
Der Diener: O Herr, wie ist das so ein erschrecklicher Ding! Herr, welche heißest du die Wohlbereiten, die Kleinbereiten und die Unbereiten?
Antwort der ewigen Weisheit: Die Wohlbereiten sind die Geläuterten, die Kleinbereiten die Vermittelten, (die noch an andern Dingen kleben), aber die Unbereiten sind die Sündigen, die mit Willen oder Werk in Todsünden stehen.
Der Diener: Zarter Herr, ob dann zu der Stunde dem Menschen seine Sünden von Herzen leid sind, und er sein Vermögen dazuthut, daß er ihrer nach der Christenheit (christlicher Vorschrift) recht ledig werde, wie ist ihm dann?
Antwort der ewigen Weisheit: So ist der Mensch jetzund nicht mehr in Sünden.
Der Diener: Herr, nach meinem Bedünken, so ist es der größten Dinge eins, das alle Welt geleisten mag, daß, wer in der Zeit lebet, sich würdiglich genug zu dir bereiten möge.
Antwort der ewigen Weisheit: Der Mensch ward nie geboren; und hätte ein Mensch aller Engel natürliche Lauterkeit, aller Heiligen Heiligkeit und aller Menschen gute Werke, er wäre dennoch unwürdig.
Der Diener: Ach minniglicher Herr, mit was zitterndem Herzen sollen dann wir unverfängliche (unwürdige) gnadlose Menschen zu dir gehen!
Antwort der ewigen Weisheit: Wenn der Mensch sein Vermögen thut, so wird nicht mehr von ihm gefordert; denn Gott vollbringt das Unvollbrachte. Ein Siecher soll alle Blödigkeit hinwerfen, und soll dem Arzte nahen, deß Beiseyn sein Genesen ist.
Der Diener: Minniglicher Herr, weder ist aber besser oft oder selten dich in dem würdigen Sakramente empfahen?
Antwort der ewigen Weisheit: Welchem Menschen Gnade und Andacht empfindlich (spürbar) davon wachsen, dem ist die Emsigkeit (öftere Nießung) nütze.
Der Diener: Herr, so aber ein Mensch, nach seinem Verstehen, gleich steht und nicht prüfen mag, daß er davon merklich zu- oder abnehme, oder oft in großer Härtigkeit ist, wie soll er sich dann halten?
Antwort der ewigen Weisheit: Der Mensch soll sich von Härtigkeit, so er nur das Seine thut, nicht merklich entziehen; denn das Heil der Seele, die von Gottes Gelaß in Härtigkeit steht, wird oft allein in dem Lichte des lauteren Glaubens adelig vollbracht, als in großer Süßigkeit. Ich bin ein Gut, das da gebrauchet wächst, und gesparet schwindet. Es ist besser, von Minne zugehn, denn von Furcht vonstehn. Es ist besser, alle Wochen einest zugehn mit einem tiefen Grunde rechter Demüthigkeit, denn einest im Jahre mit einem Urheben in seiner selbst Billigung.
Der Diener: Herr, zu welcher Zeit geschieht der Einfluß der Gnaden von dem Sakramente?
Antwort der ewigen Weisheit: In dem Nun des gegenwärtigen Nießens.
Der Diener: Herr, so ein Mensch nun in grundlosem Jammer nach deiner leiblichen Gegenwart des Sakraments steht, und er doch dein entbehren muß?
Antwort der ewigen Weisheit: Mancher Mensch wird mein nüchtern voll, und mancher Mensch gewinnt mein ob dem Tische Mangel; jene kauen mich allein leiblich, aber diese nießen mich geistlich.
Der Diener: Herr, hat aber der Mensch icht voraus, der dich leiblich und geistlich empfahet, denn der dich allein geistlich neußet?
Antwort der ewigen Weisheit: Sage mir, weder hat der Mensch mehr, der mich und meine Gnade hat, oder der meine Gnade allein hat?
Der Diener: Herr, wie lange bleibest du in deiner leiblichen Gegenwart bei dem Menschen, so er dich empfahet?
Antwort der ewigen Weisheit: Alldieweil das Bild und Gleichniß des Sakraments bleibet.
(S. 231-240)


 

XXIV. Kapitel
Gebet, zu sprechen,
so du zu unseres Herrn Fronleichnam gehest


Eya, du lebendige Frucht, du süße Gimme (Knospe), du wonniglicher Paradiesapfel des geblümten (blühenden) väterlichen Herzens, du süße Traube von Cypern in dem Weingarten Engaddi, wer gibt mir, daß ich dich heute so würdiglich empfahe, daß dich gelüste zu mir zu kommen, bei mir zu bleiben und von mir nimmer zu scheiden! Eya, grundloses Gut, das da Himmelreich und Erdreich erfüllet, neige dich heute gnädiglich zu mir, und verschmähe nicht deine arme Kreatur. Herr, bin ich dein nicht würdig, so bin ich doch dein nothdürftig. Ach, zarter Herr, bist du nicht der, der Himmelreich und Erdreich mit einem Worte geschaffen hat? Herr, mit einem Worte magst du meine sieche Seele gesund machen. O Herr, thu mir nach deiner Gnade, nach deiner grundlosen Erbärmde, und nicht nach meinem Verdienen. Du bist doch das unschuldige Osterlämmlein, das noch heute für aller Menschen Sünde geopfert wird. Ach süßes wohlschmeckendes Himmelbrod, das da allen süßen Geschmack in sich hat nach jeglichen Herzens Begierde, mach heute lustig in dir den dürren Mund meiner Seele; speise und tränke, stärke und ziere und vereine mich inniglich mit dir. Ach ewige Weisheit, nun komm heute so kräftiglich in meine Seele, daß du alle meine Feinde vertreibest, alle meine Gebrechen zerschmelzest, und alle meine Sünden vergebest. Erleuchte mein Verständniß mit dem Lichte des wahren Glaubens. Entzünde meinen Willen mit deiner süßen Minne. Erkläre mein Gemüth mit deiner fröhlichen Gegenwart, und gib allen meinen Kräften Tugend und Vollkommenheit. Bewahre mich an meinem Tode, daß ich dich offenbarlich nießend werde in ewiger Seligkeit, Amen.
(S. 241)

 

XXV. Kapitel
Wie man Gott zu aller Stunde gründlich loben soll


Der Diener
: Lauda anima mea Dominum, laudabo Dominum in vita mea, psallam Deo meo quamdiu fuero (Psalm 145,1). O Gott, wer gibt meinem vollen Herzen, daß es vor meinem Tode seine Begierde erfülle in deinem Lobe! Wer gibt mir, daß ich in meinen Tagen würdiglich lobe den geminnten Herrn, den meine Seele da minnet! Ach zarter Herr, ginge doch so manch schönes Getön von meinem Herzen, als manch fremdes süßes Saitenspiel je ward, und als manch Laub und Gras ist, und die alle aufgerichtet wären hin vor dich in den himmlischen Hof, daß von meinem Herzen aufdringe ein so wonnigliches unerhörtes Lob, daß es den Augen meines Herrn gefällig wäre und allem himmlischen Heere freudenreich! Ach, minniglicher Herr, bin ich gleich deines Lobes nicht würdig, so begehret doch meine Seele, daß der Himmel dich lobe, so er in seiner wonniglichen Schönheit mit der Sonne Glast und mit der lichten Sterne unzählige Menge in seiner hohen Klarheit wiederleuchtet; und die schöne lustbarliche Haide, so sie in sommerlicher Wonne, in mannigfaltiger geblümter Zierde nach ihrem natürlichen Adel in lustlicher Schönheit wiederglänzet; und alle die süßen Gedanken und inbrünstigen Begierden, die je ein reines minnendes Herz nach dir gewann, so es in heiterlicher Sommerwonne deines einleuchtenden Geistes umgeben war.
Herr, so ich allein an dein hohes Lob gedenke, so möchte mein Herz in meinem Leibe zerfließen; mir vergehen die Gedanken, mir gebricht das Wort, und alle Weise entgehet mir. Es leuchtet etwas in dem Herzen, das niemand geworten kann, so ich dich, das weislose Gut loben will: denn, gehe ich in die allerschönsten Kreaturen, in die höchsten Geister, in die lautersten Wesen, - das übergehest du alles unsäglich; gehe ich in den tiefen Abgrund deines eigenen Gutes, Herr, da verschwindet alles Lob von Kleinheit. Herr, so ich hübsche lebende Bilde, holde und leutselige Kreaturen anblicke, so sprechen sie zu meinem Herzen: Eya, lug, wie recht holdselig der ist, von dem wir geflossen sind, von dem alle Schönheit kommen ist! - Ich durchgehe Himmelreich und Erdreich, die Welt und den Abgrund, Wald und Haide, Berg und Thal; die schreien allesammt in meine Ohren ein reichlich Getön deines grundlosen Lobes. So ich dann sehe, wie grundlos schön und ordentlich du alle Dinge ordnest, beide, Übel und Gut, so werde ich stumm und wortlos. Herr, wenn ich aber gedenke, daß du das löbliche Gut bist, den meine Seele auserwählt und ihr selber allein auserkoren hat zu einem einigen geminnten Lieb, so möchte mein Herz von Lob in mir selber zerspringen und kraftlos werden. Eya, zarter Herr, nun siehe an die große innige Begierde meines Herzens und meiner Seele, und lehre mich dich loben; lehre mich, wie ich dich würdiglich lobe und dir angenehm diene, ehe denn ich von hinnen scheide! denn darnach dürstet meine Seele in meinem Leibe.
Antwort der ewigen Weisheit: Lobtest du mich gern?
Der Diener: O weh Herr, was reizest du mich? du erkennest doch alle Herzen, du weißt, daß mein Herz in meinem Leibe sich verwandeln möchte von rechter Begierde, die ich darnach gehabt habe von meinen kindlichen Tagen an.
Antwort der ewigen Weisheit: Rectos decet collaudatio (Psalm 32.1), den Gerechten ziemet, mich zu loben.
Der Diener: O weh Herr,  alle meine Gerechtigkeit liegt an deiner grundlosen Barmherzigkeit. Minniglicher Herr, loben dich doch die Frösche in den Graben, und mögen sie nicht singen, so quacken sie aber. O Herr, ich weiß und erkenne wohl, wer ich bin, Herr, ich erkenne wohl, daß ich billiger um meine Sünden sollte trauern und flehen, denn dich loben; aber doch, du grundloses Gut, verschmähe nicht von mir ungenehmen Wurm meine Begierde deines Lobes. Herr, so dich Cherubim und Seraphim und die große Zahl aller hohen Geister alle loben nach ihrem allergrößten Vermögen, was mögen sie denn fürbaß (mehr) thun gegen deine loblose (allem Lobe unerreichbare) ungemessene Würdigkeit, denn die allermindeste Kreatur? Herr, du stehest aller Kreatur unnothdürftig; aber deine grundlose Güte keuset (prüfet) man so viel mehr, so viel du dich Unverdienten zu loben gibst.
Antwort der ewigen Weisheit: Wer mich wähnet nach Würdigkeit zu vollloben, der thut als der, so dem Winde nachjaget und den Schatten ergreifen will. Und doch, so ist dir und allen Kreaturen erlaubt, mich zu loben nach all ihrem Vermögen: denn es ward nie eine Kreatur so klein, noch so groß, noch so gut, noch so bös, noch wird nimmer eine, entweder sie lobet mich, oder sie zeiget mir mich löblich; und so sie mir je mehr vereinet ist, so ich ihr je löblicher bin; und so dein Lob je gleicher ist dem Lobe der ewigen Glorie, so es mir je löblicher ist; und das Lob ist so viel gleicher, so viel es mehr von allen Kreaturen, nach Einbildung gelediget, und mit mir in rechter Andacht vereinet ist. Es tönet baß in meinen Ohren ein innigliches Betrachten, denn ein Lob allein von Worten; und ein herzliches Seufzen erklinget baß denn ein hohes Rufen. Eine demüthige Verworfenheit sein selber in rechter Verschmähde unter Gott und alle Menschen in einem Nichts-seyn-wollen, tönet vor mir ob allem süßen Klang. Ich selber erschien vor meinem Vater auf Erdreich nie so löblich, als da ich stand an dem Kreuze allertödtlichst. Etliche Leute loben mich mit schönen Worten, aber ihr Herz ist fern von mir; und des Lobes achte ich wenig. So loben mich auch etliche wohl, wenn es ihnen nach Wunsch gehet; wenn es ihnen aber übel beginnt zu gehen, so vergeht das Lob; und solch Lob ist mir ungenehm. Aber das ist ein gutes werthes Lob vor meinen göttlichen Augen, daß du mich mit Herzen, mit Worten und mit Werken so inniglich lobest in Leid als in Lieb, in aller Widerwärtigkeit, als so es dir allerbest geht; denn dann meinest du mich, und nicht dich.
Der Diener: Herr, ich begehre nicht Leidens von dir, will auch keine Ursache diesen Dingen geben, aber ich lasse mich selbst zu Grunde, nach Begierde meines Herzens, deinem ewigen Lobe, da ich mich selbst von mir selber nie recht gelassen konnte. Herr, verhängtest du über mich, daß ich der allerverschmähteste Mensch würde, den dies Erdreich geleisten mag, Herr, das wollte ich von Minne dir zu Lob leiden. Herr, ich ergebe mich heute in deine Gnade; und ob man mich des größten Mordes ziehe, den je ein Mensch beging, daß wer mich ansähe, mir in das Antlitz spiee, Herr, das wollte ich gern dir zu Lob leiden, wenn ich nur vor deinen Augen unschuldig stände. Wäre ich aber schuldig, so wollte ich es aber leiden, deiner würdigen Gerechtigkeit zu Lob, deren Ehre mir tausend Mal lieber ist, denn meine eigene Ehre, und wollte zu einer jeglichen Verschmähde dir ein sonderliches Lob geben, und wollte mit dem Schächer am Kreuze sprechen: Herr, ich leide billig, aber was hast Du gethan? Herr, gedenke an mich in deinem Reiche! - Und wolltest du mich jetzt von hinnen nehmen, so es dein Lob wäre, ich wollte nicht hinter mich sehen um keinen Aufschub, aber ich begehrte deß, sollte ich auch so alt worden seyn, als Mathusalem, daß ein jeglich Jahr der langen Zeit, und eine jegliche Woche der Jahre, und ein jeglicher Tag der Wochen, und eine jegliche Stunde der Tage, und ein jeglicher Augenblick der Stunden dich von mir lobten in so wonniglichem Lobe, als dich je kein Heiliger lobte in dem wahren Wiederglanz der Heiligen, und so viel mehr, als unzählig das Gestübe ist dem Sonnenschein, und daß sie meine gute Begierde vollbrächten, als ob ich es selbst in der Zeit alles vollbracht hätte. Herr, deßhalb nimm mich zu dir, über kurz oder über lang; denn das ist meines Herzens Begierde.
Herr, ich spreche noch mehr; und ob ich jetzo von hinnen sollte scheiden, und es dein Lob wäre, daß ich fünfzig Jahre in dem Fegfeuer sollte brennen, so neige ich mich jetzo zu deinem Lobe unter deine Füße und empfah es williglich dir zu einem ewigen Lobe; gesegnet sey das Fegfeuer, in dem dein Lob an mir vollbracht wird. Herr, du, und nicht ich, bist das selbselber, das ich da minne, das ich da suche, und nicht ich. Herr, du weißt alle Dinge, und erkennest alle Herzen, du weißt, daß mir das festiglich zu Sinne ist; und wüßte ich dennoch, daß ich in dem Grunde der Hölle immer seyn sollte, wie weh auch meinem Herzen die Beraubung deiner wonniglichen Beschauung thäte, so wollte ich dir darum nicht abbrechen, und möchte ich aller Menschen verlorne Zeit wiederbringen, ihre Missethat bessern, und alle die Unehre, die dir je wiederfuhr, völliglich mit Lob und Ehre ersetzen, das wollte ich williglich thun; und wäre es dennoch möglich, so müßte von dem innersten Grunde der Hölle ein schönes Lob aufbrechen von mir, das da durchdränge Hölle, Erdreich, Luft und alle Himmel, bis es käme vor dein göttliches Angesicht. Aber wenn das unmöglich wäre, so wollte ich dich hier desto mehr loben, daß ich mich dein doch hier desto mehr genietete (erfreuete). Herr, thu mit deiner armen Kreatur was deines Lobes ist; denn es gehe mir wie es wolle: dein Lob das will ich sprechen, so lang ein Äthemlein in meinem Munde ist; und so ich die Sprache gelege (verliere), so begehre ich, daß ein Aufbieten meines Fingers ein Bestäten und ein Beschließen sey all des Lobes, das ich je sprach; und dennoch so mein Leib verpulvert wird, so begehre ich, daß von einem jeden Pülverlein ein grundloses Lob aufdringe durch die harten Steine, durch alle Himmel hin vor dein göttliches Angesicht bis an den jüngsten Tag, da sich Leib und Seele wieder gesammeln in deinem Lobe.
Antwort der ewigen Weisheit: In dieser Begierde und gutem Vornehmen sollst du stät bleiben bis in den Tod; das ist mir ein liebliches Lob.
Der Diener: Ach minniglicher Herr, seit du nun geruhest und begehrest, Lob von mir armen sündigen Menschen zu empfahen, so begehre ich, daß du mich beweisest dieser Dinge: Wie, womit und zu welcher Zeit ich dich loben solle. Ich frage dich, geminnter Herr, ist das äußere Lob, das man mit Worten und Gesang thut, icht förderlich?
Antwort der ewigen Weisheit: Es ist wohl förderlich, und sonderlich so viel es den innern Menschen reizen mag, der gar oft davon gereizt wird, sonderlich bei anfahenden Menschen.
Der Diener: Herr, so habe ich auch ein Heischen in mir, (seit man gern in der Zeit anfahet, das man in Ewigkeit treiben soll), daß ich ein emsiges Loben in mir gewänne, und daß das nimmer so viel als ein Augenblick unterzogen (unterbrochen) würde. Herr,  ich habe oft gesprochen von derselben Begierde: O Himmel, was eilest du, und laufest so bald! ich begehre, steh in diesem Pünktlein stille, bis daß ich meinen auserwählten Herrn durchloben möge nach meines Herzens Begierde! - Herr, so ich etwann ein kleines Weilen gewesen bin, daß ich nicht in gegenwärtigem Einkehr deines Lobes war, und so zu mir selbst kam, so sprach ich in mir selbst: O Herr, es sind tausend Jahre, daß ich an meinen geminnten Herrn nicht dachte! - Eya, lieber Herr, nun lehre mich, so viel es möglich ist, dieweil die Seele noch bei dem Leibe ist, daß ich ein stätes ungewanktes Loben gewinne.
Antwort der ewigen Weisheit: Wer mich in allen Dingen meinet, sich vor Sünden hütet und sich der Tugend fleißet, der lobet mich zu aller Zeit; aber doch, wenn du dem höchsten Lobe nachgehest, so höre noch mehr. Die Seele gleichet einer leichten Pfauenfeder, so die keinen Anhang hat, so wird sie gar leicht von ihrer natürlichen Beweglichkeit in die Höhe gen Himmel hochauf geführt; wenn sie aber icht geladen ist, so sinket sie nieder. Zu gleicher Weise ein von gebrechlicher Schwerheit geläuterter Muth wird also, wegen seinem natürlichen Adel, durch Hülfe leichter Betrachtung in himmlische Dinge aufgehoben: und darum, wenn das geschieht, daß ein Gemüth von aller leiblichen Begierde erledigt, und in Stillheit gesetzt wird, so daß alle seine Meinung dem unwandelbaren Gut ungeschiedentlich zu allen Zeiten anklebt, der vollbringet mein Lob zu allen Zeiten denn in der Lauterkeit, so viel man es geworten mag, so wird menschlicher Sinn sogar versäuset und von Irdischheit zu einer geistlichen englischen Gleichheit überbildet, was der Mensch von außen empfahet, was er thut, was er wirket, er esse, er trinke, er schlafe, er wache, - daß das nichts anderes ist, denn das allerlauteste Lob.
Der Diener: Ach Herr, wie eine recht süße Lehre dies ist! Minnigliche Weisheit, so würde ich noch gern vierer Dinge von dir bewiesen. Das Eine ist: Herr, wo finde ich die meiste Ursache, dich zu loben?
Antwort der ewigen Weisheit: In dem ersten Ursprunge alles Gutes, und darnach in den ausfließenden Runsen [Quellen].
Der Diener: Herr, der Ursprung ist mir zu hoch und zu unbekannt; da sollen dich loben die hohen Zederbäume auf dem Libanon, die himmlischen Geister und englischen Gemüther. Und doch, so will ich als eine raue Distel, auch hinvordringen mit Lob, darum, daß sie von dem Anschauen meiner begierdevollen Unmögenheit ermahnet werden ihrer hohen Würdigkeit, daß sie in ihrer lauteren Klarheit gereizt werden, dich zu loben, also, daß der Gauch (Kuckuck) der Nachtigall Ursache gebe eines wonniglichen Gesanges. Aber der Auswall (Ausfluß) deiner Güte der ist mir zu frommen (nützlich, angemessen) zu loben. Herr, so ich mich recht hinterdenke, wer ich war hievor, und wie oft du mich behütet hast, aus welchem Übeln, von welchen Stricken und Banden du mich gelediget hast, ach ewiges Gut, so ist Wunder, daß mein Herz nicht allesammt zerfleußt in deinem Lobe. Herr, wie lange hast du mir gebaitet [Geduld mit mir gehabt], wie freundlich hast du mich empfangen, wie süßiglich bist du mir oft verborgentlich vorkommen, hast mich innerlich ermahnet? Wie undankbar ich auch darin je ward, so ließest du doch nie ab, bis daß du mich zu dir gezogen. Soll ich dich darum nicht loben, mein zarter Herr? Ja wahrlich, ich begehre, daß darum ein reichliches Lob vor deinen Augen aufdringe, nach dem großen freudenreichen Lobe, als die Engel hatten in dem ersten Anblick, da sie schauten ihre Bestandenheit und der andern (gefallenen Geister) Verworfenheit; und in der Freude, die die elenden Seelen haben, so sie aus dem Kerker des grimmes Fegfeuer hinkommen vor dich, und dein fröhliches minnigliches Antlitz des ersten anblicken, und in dem grundlosen Lobe, das in den himmlischen Gassen aufbrechen wird nach dem jüngsten Urtheile, so die Auserwählten von den Bösen in immerwährender Sicherheit geschieden werden.
Herr, Eines, das ich auch von dir zu wissen begehre von deinem Lobe, das ist: Wie all mein natürliches Gut von mir in dein ewiges Lob gezogen werde?
Antwort der ewigen Weisheit: So niemand in der Zeit einen eigentlichen Unterschied, nach kundlichem Wissen, haben mag zwischen Natur und Gnade, darum, so icht Holdseliges, oder Fröhliches, oder es sey von Gnaden, so habe einem schnellen und behenden Einkehr mit einem Auftragen in Gott, daß es in meinem Lobe verzehrt werde, weil ich ein Herr der Natur und der Gnade bin, und also wird dir jetzo Natur Übernatur.
Der Diener: Herr, wie ziehe ich denn auch der bösen Geister Einbildungen in dein ewiges Lob?
Antwort der ewigen Weisheit: Da sprich in des bösen Geistes Eingelaß oder Einsprechung also: Herr, so oft dieser böse Geist, oder ein anderer sogethane ungenehme Gedanken in mich sendet wider meinen Willen, so oft sey dir mit verdachtem Willen das allerschönste Lob an seiner Statt von mir aufgesendet, mit dem dich derselbe böse Geist in immerwährender Ewigkeit sollte gelobt haben, so er bestanden wäre, daß ich seiner Vertriebenheit ein Verweser sey in deinem Lobe; und so oft er mir dies ungeschaffene (häßliche) böse Geraume (Einflüstern) einsendet, so oft sey dir das gute ausgesandt.
Der Diener: O Herr, ich sehe nun wohl, daß den guten Menschen alle Dinge zu gut kommen, so ihnen das Allerböseste des bösen Geistes also mag zu gut gekehret werden.
Nun sage mir noch Eines: Ach minniglicher Herr, wie kehre ich das alles in dein Lob, das ich sehe oder höre?
Antwort der ewigen Weisheit: So oft du eine große Zahl siehest, so oft du eine ausnehmend schöne Menge anblickest, so oft sprich von ganzem Grunde deines Herzens: Herr, so oft und schön müssen heute die tausend Mal Tausend der englischen Geister, die vor dir stehen, dich minniglich an meiner Statt grüßen, und die zehn tausendmal Tausend der Geister, die dir dienen, dich heute für mich loben, und alle heilige Begierden aller Heiligen für mich begehren, und aller Kreaturen wonnigliche Schönheit dich heute für mich ehren.
Der Diener: Waffen! minniglicher Gott, wie hast Du meinen Muth ergrünet und ergrößet in deinem Lobe! Herr, aber dies zeitliche Lob hat mein Herz ermahnet, es hat meine Seele versehnet (sehnsüchtig gemacht), eya! nach dem immerwährenden ewigen Lobe! O weh, meine auserwählte Weisheit, wann soll der lichte Tag aufgehn, wann soll die fröhliche Stunde kommen eines vollkommen bereiten Hinscheidens von diesem Elende hin zu meinem Geminnten, daß ich dich lieblich schaue und lobe? Herr, wahrlich, mich beginnet so sehr zu elenden, so minniglich zu belangen nach meines Herzens einiger Wonne; o weh, wann soll ich immer dahin kommen? wie länget, wie spätet es sich, daß ich meiner Seele Augenweide von Antlitz zu Antlitz ansehe, und mich dein nach aller Herzenslust geniete (erfreue)! Ach Elend (Verbannung), wie bist du so elend einem Menschen, der sich in der Wahrheit elend (verbannt) hält! Herr, lug, es ist selten jemand auf Erdreich, er habe etwen (irgend wen), den er suche, er habe Niederlasses, da sein Fuß eine Weile ruhe; o weh mein einiges Ein, das meine Seele da suchet und begehrt, so weißt Du, daß ich der bin, der dir allein gelassen ist. Herr, was ich sehe und höre, da ich dich nicht finde, das ist mir eine Marter; aller Menschen Beiseyn, denn durch dich, ist mir eine Bitterkeit. Herr, was soll mich erfreuen, oder was soll mich aufenthalten!
Antwort der ewigen Weisheit: Da sollst du dich oft ergehen in dem wonniglichen Baumgarten meines blühenden Lobes. Es ist in der Zeit kein eigentliches Vorspiel der himmlischen Wohnungen, denn bei denen, die Gott in wohlgemuther Freude loben. Es ist nichts, das einem Menschen also seinen Muth erluste [erhöbe], und sein Leiden erleichtere, das die bösen Geister vertreibe, das Schwermüthigkeit verschwende (verschwinden mache), als fröhliches Gotteslob. Gott ist denen, die ihn loben, nahe bei; die Engel sind ihnen heimlich; sie sind sich selber nütze; es bessert den Nächsten, und erfreuet die Seele; alles himmlische Heer wird von dem wohlgemuthen Lobe geehret.
Der Diener: Minniglicher Herr, meine zarte ewige Weisheit! ich begehre, wenn meine Augen des Morgens erst aufgehen, daß auch mein Herz aufgehe, und von ihm aufbreche eine aufflammende feurige Minnefackel deines Lobes, mit der inniglichsten Minne des minnendsten Herzens, das in der Zeit ist, nach der hitzigsten Minne des höchsten Geistes der Seraphim in Ewigkeit, in der grundlosen Minne, als du, himmlischer Vater, deinen einigen Sohn minnest in der ausblickenden Minne euer beiden Geistes; und daß das Lob also süssiglich tönete und erklänge in dem väterlichen Herzen, als in der Zeit in seine Acht (Art) kein süsses Getön aller Saitenspiele in einem freien Gemüthe je ertönte, und daß von der Minnefackel aufdringe ein so süsser Schmack des Lobes, als ob es ausgenommentlich von allen edlen Kräutern und Wurzen aller Tugenden in ihrer höchsten Lauterkeit zusammen pulverlich geräuchert wäre; und daß sein Anblick so schön in Gnaden geblümet sey, daß nie kein May in seiner wonniglichen Blüthe so schön geblümt ward; daß es deinen göttlichen Augen und allem himmlischen Heere ein lustliches Ansehn werde; und begehre ich, daß die Minnefackel zu allen Zeiten inbrünstiglich aufschlage in allem meinem Gebete, aus dem Munde, in dem Gesang, in Gedanken, Worten und Werken, und sie alle meine Feinde verjage, alle meine Gebrechen schwende (verzehre), Gnade erbitte, und ein heiliges Ende erlange, daß das Ende dieses zeitlichen Lobes ein Anfang sey des immerwährenden ewigen Lobes, Amen!
(S. 241-250)


Aus: Heinrich Suso's genannt Amandus, Leben und Schriften
Nach den ältesten Handschriften und Drucken mit unverändertem Texte
in jetziger Schriftsprache herausgegeben
von Melchior Diepenbrock [1798-1853]
Mit einer Einleitung von J. Görres
Dritte Auflage Augsburg 1854
Verlag der Karl Kollmann'schen Buchhandlung

 

 

 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite