Gottesliebe

Worte der Liebe
aus der christlichen Welt
 

Christus - 7. Jh., Koptisches Museum, Alt-Kairo




Angelus Silesius
(1624-1677)


Aus: Heilige Seelenlust oder Geistliche Hirten-Lieder



I.
Die Psyche seufzt nach ihrem Jesu
wie ein einsames Turteltäublein nach seinem Gemahl


1
Wie ein Turteltäubelein
In der Wüsten seufzt und girrt,
Wann es sich befindt allein
Und von seinem Lieb verirrt,
Also ächzet für und für,
Jesu, meine Seel nach dir.

2
Keine Stunde geht fürbei,
Daß ich nicht gedenk an dich
Oder ja ganz innig schrei,
Jesu, Jesu, denk an mich!
Ach wie lange soll ich doch
Dieses Elend bauen noch!

3
Eine Seele, die dich liebt,
Will sonst nichts als deinen Kuß,
Und drum bin ich so betrübt,
Daß ich den entbehren muß.
Ach, wie lange muß ich sein
Ein so armes Täubelein!

4
Meine Seel ist ja die Braut,
Die du dir hast selbst erkorn,
Die dein Vater dir vertraut
Und dein Geist hat neugeborn.
Ach, wie muß sie so allein
Und ohn ihren Bräutgam sein!

5
Ofte nennst du mich dein Kind,
Das dein Geist so zärtlich liebt
Und sich gerne bei ihm findt,
Wanns aus Liebe wird betrübt.
Und ich muß doch jetzo sein
Ein verlassnes Waiselein.

6
O, erscheine doch, mein Licht,
Deinem armen Käuchelein,
Weil ihm nichts als du gebricht
In dem finstern Leibeshain.
Ach Herr, laß es doch geschehn,
Daß ich dich mag bei mir sehn!
_____

 

II.
Die Psyche ruft aus Verlangen ihrem Geliebten
 

1
Ach, wann kommt die Zeit heran,
Daß ich werde schauen an
Meinen liebsten Jesum Christ,
Der mein Lieb und Leben ist?

2
Ach, wo bleibst du doch, mein Licht!
Komm doch fort und säum dich nicht,
Komm doch, weil mit großem Schmerz
Auf dich wart mein krankes Herz.

3
Kommst du nicht jetzt alsobald,
Meines Lebens Aufenthalt,
So vergeht vor Liebsbegier
Mein betrübter Geist in mir.

4
Allzeit weißt du, daß ich mich
Nicht erhalten kann ohn dich,
Weil du, liebster Jesu Christ,
Meines Lebens Leben bist.

5
Drum so komm doch bald zu mir
Und erfreue mich mit dir,
Schließ mich in die Arme ein,
Die für mich verwundet sein.

6
Reich mir deinen süßen Mund,
Tu mir deine Liebe kund,
Drück mich an die zarte Brust,
Die mir ewig schaffet Lust.

7
Also werd ich dort und hier
Fröhlich singen für und für,
Daß du, liebster Jesu Christ,
Meines Lebens Leben bist.
_____
 

III.
Die Psyche sehnt sich nach Jesu alleine
 

1
Jesu, komm doch selbst zu mir
Und verbleibe für und für.
Komm doch, werter Seelenfreund,
Liebster, den mein Herze meint.

2
Tausendmal begehr ich dich,
Weil sonst nichts vergnüget mich.
Tausendmal schrei ich zu dir:
Jesu, Jesu, komm zu mir.

3
Keine Lust ist auf der Welt,
Die mein Herz zufrieden stellt.
Dein, o Jesu, bei mir sein
Nenn ich meine Lust allein.

4
Aller Engel Glanz und Pracht
Und was ihnen Freude macht,
Ist mir, süßer Seelenkuß,
Ohne dich nichts als Verdruß.

5
Nimm nur alles von mir hin,
Ich verändre nicht den Sinn.
Du, o Jesu, mußt allein
Ewig meine Freude sein.

6
Keinem andren sag ich zu,
Daß ich ihm mein Herz auftu.
Dich alleine laß ich ein,
Dich alleine nenn ich mein.

7
Dich alleine, Gottes Sohn,
Heiß ich meine Kron und Lohn.
Du für mich verwundtes Lamm,
Bist allein mein Bräutigam.

8
O so komm denn, süßes Herz,
Und vermindre meinen Schmerz,
Denn ich schrei doch für und für,
Jesu, Jesu, komm zu mir.

9
Nun ich warte mit Geduld,
Bitte nur um diese Huld,
Daß du mir in Todespein
Wollst ein süßer Jesus sein.
_____
 


IV.
Sie sucht den Lieben ihrer Seelen
 

1
O, wo bist du mein Leben,
Dem ich mich ergeben,
Deß ich will ganz leibeigen sein?
Wo soll ich mich wenden,
Mein Suchen zu enden?
Wo soll ich dich finden,
Erleuchter der Blinden,
Und spüren deinen Glanz und Schein?

2
Sag mir an, wo du weidest,
Die Mittagbrunst leidest,
Auf daß ich eilends zu dir geh,
Daß ich mit dir weide,
Mein einzige Freude,
Daß ich dich umfasse
Und nimmermehr lasse,
In Lieb und Leid steif bei dir steh.

3
Soll ich unter der Linden,
Mein Herze, dich finden,
Soll ich zum Apfelbaume gehn?
Die Büsch und die Wälder,
Die Wiesen und Felder
Mit sehnlichem Schnaufen
Durchsuchen, durchlaufen?
Soll ich mich geben auf die Höhn?

4
Sag mir, ob ich bei'n Flüssen
Soll deiner genießen,
Weil du der starke Liebstrom bist?
Sag, ob wir bei'n Flammen
Solln kommen zusammen,
Daß du mich durchglühest,
Mein Herze besiehest,
Obs lauter in dich schmelzt und fließt.

5
Nun ich will mich ausrüsten,
Durchwandern die Wüsten
Um dich, mein Turteltäubelein.
Ich will mich bemühen,
Sehr ferne zu ziehen,
Kein Ungemach achten,
Nur emsiglich trachten,
Wie daß ich möge bei dir sein.

6
Ja, ich will mich begeben,
Dir nach zu streben,
So lang ich Atem schöpfen kann.
Durch Dornen und Hecken,
Durch Stauden und Stecken,
In Höhlen und Grüften,
In Tälern und Klüften
Will ich mir machen eine Bahn.

7
O, begegne mir, Leben,
Dem ich mich ergeben,
Deß ich nunmehr ganz eigen bin!
Ach, ach, ich verschmachte,
Kein Labsal mehr achte,
Bis daß ich dich habe,
Du himmlischer Knabe,
Wo nicht, so nimm mein Leben hin.

8
O, du bist ja bei'n Schafen
Nicht etwan entschlafen
Und liegst in süßer Rast und Ruh.
O soll mirs gelingen,
Dich da zu umringen,
So will ich wohl wissen,
Inbrünstig zu küssen
Den Mund, dem ich jetzt rufe zu.

9
Wart, ich will auf die Höhen
Des Myrrhenbergs gehen,
Daß ich dich, Myrrhenbüschlein, find.
Und wenn ich dich funden,
Verwundt und gebunden,
So will ich dich legen,
Um deiner zu pflegen,
Wo meine beiden Brüste sind.

10
Oder liegst du im Grabe,
weil ich noch nicht habe
Ein einzigs Wort gehört von dir?
Oder bist in der Krippen,
So rühre die Lippen,
Des Schalls mich gewähre,
Den ich so begehre,
O Jesu mein, gezweig es mir.

11
Ach mir Armen, Elenden,
An aller Welt Enden
Hab ich gesucht und find dich nicht!
Doch will ich zugehen
Auch noch nicht abstehen,
Jerusalem sehen,
Da wirds wohl geschehen,
Daß ich erblick dein Angesicht.

12
Ich will sprechen: Jungfrauen,
Sagt mir im Vertrauen,
Wo mein Geliebter sich aufhält?
Sagt mir doch geschwinde,
Wo ich ihn nun finde?
So werden sie eben
Die Antwort mir geben:
Auf Zion hat er sein Gezelt.

13
Alsdann will ich, mein Leben,
Dich hurtig umgeben
Und in meins Herzens Kammer führn.
Da will ich dich küssen
Und deiner genießen,
In seligen Freuden
Mich laben und weiden,
Bis du mich krönen wirst und ziern.
_____

 

V.
Sie beklagt sich gegen ihren Geliebten
wegen seines langen Außenbleibens
 

1
O Jesu, du verliebter Gott,
Wie läßt du mich so lang im Tod!
Ich seufz und sehne mich nach dir,
Wann kommst du denn einmal zu mir!

2
Die Kräfte alle nehmen ab,
Ich bin verschmacht und eil ins Grab,
Ich geh herum fast wie ein Schein
Vor übergroßer Liebespein.

3
Die ganze Welt wird sonst bespreit
Mit Phöbus Strahlen und erfreut.
Der Himmel träufelt seinen Tau
Auf manchen Acker, Feld und Au.

4
Der Regen tränkt das dürre Land
Und fället auch auf Staub und Sand,
Die kühlen Lüftlein sind gemein,
Wenn heiße Sommertage sein.

5
Nur ich muß ohne Labsal sein
In meiner großen Liebespein.
Ich lieb und werde nicht gewährt,
Was mein verliebtes Herz begehrt.

6
Wie manchen Tag und manche Nacht
Hab ich mit Seufzen zugebracht!
Wie lange wart ich schon, mein Licht,
Auf dich, du aber kommst noch nicht.


7
Ach, bleib doch nicht so lang und fern,
Mein Phöbus und mein Morgenstern.
Komm, strahl in meine Seel hinein,
Daß ich kann wieder fröhlich sein.

8
Du meines Herzens Silbertau,
Komm, fall herab auf dessen Au.
Du güldner Regen, meine Lust,
Komm, überschwemme diese Brust.

9
Ach, komm doch eilends und geschwind,
Mein Lüftlein und mein kühler Wind.
Komm und erquicke mich mit dir,
Denn ich bin matt und sterbe schier.

10
Nu, nu, du läßt mich noch allein!
Und muß es ja gestorben sein,
So wisse, daß ich dich, gleich viel,
Ob ich schon tot bin, lieben will.
_____
 


VI.
Sie ruft ihm mit vielen süßen Namen
 

1
Jesu, meine Freud und Lust,
Jesu, meine Speis und Kost,
Jesu, meine Süßigkeit,
Jesu, Trost in allem Leid,
Jesu, meiner Seelen Sonne,
Jesu, meines Geistes Wonne.

2
Jesu, meine Kron und Lohn,
Jesu, mein Genadenthron,
Jesu, meine Zuversicht,
Jesu, meiner Augen Licht,
Jesu, Leitstern meiner Sinnen,
Den sie müssen liebgewinnen.

3
Jesu, süßer Nektarfluß,
Jesu, trauter Liebeskuß,
Meine Hoffnung und mein Teil,
Mein Erretter und mein Heil,
Jesu, meine Himmelspforte,
Meine Hilf an allem Orte.

4
Mein Beschützer vor dem Feind,
Meine Zuflucht und mein Freund,
Meine Burg und mein Palast,
Mein geliebter Wirt und Gast,
Meine kühle Sommerhöhle,
Meine Liebe, meine Seele.

5
Jesu, meine Seligkeit
Und mein Glück in dieser Zeit,
Mein gewünschtes Paradeis,
Meines Sieges Ruhm und Preis,
Mein Triumph, mein Freudenleben,
Meine Krönung, mein Erheben.

6
Jesu, meiner Werke Glanz
Und mein güldner Lorbeerkranz,
Jesu, meine Herrlichkeit
Und mein ewges Hochzeitskleid,
Jesu, Brunnquell aller Freuden,
Jesu, Arznei meiner Leiden.

7
Jesu, meines Todes Tod,
Mein Erlöser und mein Gott,
Mein erfreulich Auferstehn
Und frohlockend Himmelgehn,
Jesu, ungeschaffne Güte,
Jesu, komm in mein Gemüte.
_____
 

 

VII.
Sie ruft ihm abermals sehr begierlich

1
Komm mein Herze, komm mein Schatz,
Komm mein grüner Freudenplatz.
Komm mein Leitstern, komm mein Licht,
Komm mein liebstes Angesicht,
Komm mein Leben, meine Seele,
Komm mein wahres Balsamöle.

2
Komm mein Manna, komm mein Trank,
Komm mein lieblichster Geklang.
Komm mein Arznei für den Fluch,
Komm mein edeler Geruch,
Komm mein Röslein, meine Blume,
Komm mein Garten voller Ruhme.

3
Komm mein König, komm mein Held,
Komm mein Himmel, meine Welt.
Komm mein Bräutgam, komm mein Kuß,
Komm mein Heil und güldner Fluß,
Komm mein Hirte, meine Weide,
Komm mein Jesus, meine Freude.
_____
 


VIII.
Sie hält ihn für ihr Kleinod

1
O du Kleinod meiner Sinnen,
Schönste Perle, feinstes Gold.
Jesu, dem ich herzlich hold,
Den ich suche zu gewinnen,
Soll es denn noch lange währen,
Daß ich deiner muß entbehren?

2
Tausendmal hab ich mit Tränen
Laut geschrieen und geruft.
Tausendmal wird in der Luft
Noch gehört mein kläglich Sehnen.
Jesu, Kleinod meiner Sinnen,
Wanne werd ich dich gewinnen!

3
Liegst du denn so tief vergraben,
Schönste Perle, feinstes Gold,
Daß mein Herz, dem du doch hold,
Dich so lange nicht kann haben?
O du Kleinod meiner Sinnen,
Laß dich doch einmal gewinnen!

4
Alle Schätze dieser Erden
Und was köstlich wird geacht,
Ja auch gar des Himmels Pracht
Laß ich andren gerne werden,
Wenn ich dich nur kann gewinnen,
Jesu, Kleinod meiner Sinnen.

5
Ei, so gib mir doch die Kräfte,
Schönste Perle, feinstes Gold,
Daß ich, wie ich längst gewollt,
Meinem Herzen dich einhefte,
Daß du ewig seist darinnen
Und verzückest meine Sinnen.
_____
 

X.
Sie verspricht sich, ihn bis in den Tod zu lieben
 

1
Ich will dich lieben, meine Stärke,
Ich will dich lieben, meine Zier,
Ich will dich lieben mit dem Werke
Und immerwährender Begier.
Ich will dich lieben, schönstes Licht,
Bis mir das Herze bricht.

2
Ich will dich lieben, o mein Leben,
Als meinen allerbesten Freund,
Ich will dich lieben und erheben,
Solange mich dein Glanz bescheint,
Ich will dich lieben, Gottes Lamm,
Als meinen Bräutigam.

3
Ach, daß ich dich so spät erkennet,
Du hochgelobte Schönheit du!
Und dich nicht eher mein genennet,
Du höchstes Gut und wahre Ruh!
Es ist mir leid und bin betrübt,
Daß ich so spät geliebt.

4
Ich lief verirrt und war verblendet,
Ich suchte dich und fand dich nicht,
Ich hatte mich von dir gewendet
Und liebte das geschaffne Licht.
Nun aber ists durch dich geschehn,
Daß ich dich hab ersehn.

5
Ich danke dir, du wahre Sonne,
Daß mir dein Glanz hat Licht gebracht,
Ich danke dir, du Himmelswonne,
Daß du mich froh und frei gemacht.
Ich danke dir, du güldner Mund,
Daß du mich machst gesund.

6
Erhalte mich auf deinen Stegen
Und laß mich nicht mehr irre gehn,
Laß meinen Fuß in deinen Wegen
Nicht straucheln oder stille stehn.
Erleucht mir Leib und Seele ganz,
Du starker Himmelsglanz.

7
Gib meinen Augen süße Tränen,
Gib meinem Herzen keusche Brunst,
Laß meine Seele sich gewöhnen,
Zu üben in der Liebe Kunst.
Laß meinen Sinn, Geist und Verstand
Stets sein zu dir gewandt.

8
Ich will dich lieben, meine Krone,
Ich will dich lieben, meinen Gott,
Ich will dich lieben ohne Lohne
Auch in der allergrößten Not.
Ich will dich lieben, schönstes Licht,
Bis mir das Herze bricht.
_____
 


XI.
Sie verlangt ihn bei Aufgang der Sonnen

1
Die Sonne kommt heran
In unsern Himmelsplan!
Ich seh schon ihre Strahlen
Auf allen Höhen prahlen.
Wo bleibt denn meine Sonne,
Mein allerliebstes Licht?
Mein Jesus, meine Wonne,
Daß ich ihn sehe nicht.

2
Was hilft mich Sonn und Tag,
Wenn ich nicht sehen mag
In meines Leibes Höhle
Die Sonne meiner Seele?
Mein Himmel bleibt doch trübe,
Wenn das wahrhafte Licht
Der Sonnen, die ich liebe,
In ihm nicht auch anbricht.

3
Wie fröhlich würd ich sein,
Wenn der geliebte Schein
Nach so viel dunkler Nächte
Mir meinen Tag herbrächte!
Nun aber muß ich leben
Wie einer, dem sein Licht,
Das ihm soll Freude geben,
Noch fehlet und gebricht.

4
Ei, brich doch auch herein,
Mein liebster Sonnenschein!
Vertreibe meinem Herzen
Die Finsternis und Schmerzen.
Laß deine güldnen Strahlen
Mich deine ganze Welt
Erfreun und schöne malen:
Komm, komm, du Himmelsheld.
_____
 

XII.
Sie fragt bei den Kreaturen nach ihrem Allerliebsten
 

1
Wo ist der Schönste, den ich liebe?
Wo ist mein Seelenbräutigam?
Wo ist mein Hirt und auch mein Lamm,
Um den ich mich so sehr betrübe?
Sagt an, ihr Wiesen und ihr Matten,
Ob ich bei euch ihn finden soll,
Daß ich mich unter seinem Schatten
Kann laben und erfrischen wohl.

2
Sagt an, ihr Lilien und Narzissen,
Wo ist das zarte Lilienkind?
Ihr Rosen, saget mir geschwind,
Ob ich ihn kann bei euch genießen?
Ihr Hyazinthen und Violen,
Ihr Blumen alle mannigfalt,
Sagt, ob ich ihn bei euch soll holen,
Damit er mich erquicke bald?

3
Wo ist mein Brunn, ihr kühlen Brünne?
Ihr Bäche, wo ist meine Bach?
Mein Ursprung, dem ich gehe nach?
Mein Quell, auf den ich immer sinne?
Wo ist mein Lustwald, o ihr Wälder?
Ihr Ebenen, wo ist mein Plan?
Wo ist mein grünes Feld, ihr Felder?
Ach, zeigt mir doch zu ihm die Bahn!

4
Wo ist mein Täublein, ihr Gefieder?
Wo ist mein treuer Pelikan,
Der mich lebendig machen kann?
Ach, daß ich ihn doch finde wieder!
Ihr Berge, wo ist meine Höhe?
Ihr Täler, sagt, wo ist mein Tal?
Schaut, wie ich hin und wieder gehe
Und ihn gesucht hab überall!

5
Wo ist mein Leitstern, meine Sonne,
Mein Mond und ganzes Firmament?
Wo ist mein Anfang und mein End?
Wo ist mein Jubel, meine Wonne?
Wo ist mein Tod und auch mein Leben?
Mein Himmel und mein Paradeis?
Mein Herz, dem ich mich so ergeben,
Daß ich von keinem andern weiß?

6
Ach Gott, wo soll ich weiter fragen?
Er ist bei keiner Kreatur.
Wer führt mich über die Natur?
Wer schafft ein Ende meinem Klagen?
Ich muß mich über alles schwingen,
Muß mich erheben über mich:
Dann hoff ich, wird mirs wohl gelingen,
Daß ich, o Jesu, finde dich.
_____
 


XIII.
Sie sehnt sich nach der geistlichen Geburt Jesu Christi
und bittet, daß solche in ihrem Herzen geschehen möge
 

1
Geh auf, meins Herzens Morgenstern,
Und werde mir zur Sonne;
Geh auf und sei nunmehr nicht fern,
Du wahre Seelenwonne.
Erleuchte mich
Ganz inniglich,
Daß ich in deinem Lichte
Noch diesen Tag
Beschauen mag
Dein liebstes Angesichte.

2
Ich wünsche nichts als dich zu sehn,
Hab auch sonst kein Verlangen;
Ach, ach, wann wird es doch geschehn,
Daß ich dich werd umfangen!
Du bist das Licht,
Das mein Gesicht
Alleine kann berücken.
Du bist der Strahl,
Der allzumal
Mein Herze kann erquicken.

3
Du bist der Glanz der Herrlichkeit,
Du gibst der Welt das Leben
Dein Anblick macht noch in der Zeit
Mich in den Himmel schweben.
Dein Freudenschein
Macht meine Pein
Mir über Zucker süße.
Deins Geistes Gruß,
Deins Mundes Kuß
Macht, daß ich ganz zerfließe.

4
Wo bist du, schönster Bräutigam,
O auserkorner Knabe?
Wo bist du, süßes Gottes Lamm,
Daß ich mit dir mich labe?
Komm doch geschwind,
Du Jungfraun Kind,
Komm, komm, eh ich vergehe.
Mein Geist und Sinn,
Der fällt schon hin,
Schau, wie so schlecht ich stehe!

5
Der Leib wird matt, die Seel ist schwach,
Die Augen stehn voll Tränen;
Der Mund verblaßt, ruft ach und ach,
Das Herz ist voller Sehnen.
O Jesu mein,
Der du allein
Mich herzlichst kannst erquicken,
Verzeuch doch nicht,
Mit deinem Licht
Mich gnädig anzublicken.
_____
 

 

XXXIV.
Sie hat gefunden, den ihre Seele liebt
 

1
Nun freut euch, ihr Hirten, mit mir,
Ich habe den Bräutigam hier.
O glückliche Stunden!
Nun hab ich gefunden,
Den ich gesucht mit steter Begier.

2
O Jesu, wie süße bist du!
Was bringst du für selige Ruh!
O Jesu, mein Leben,
Was soll ich dir geben?
Süßer als Honigseim bist du mir nu.

3
Du riechest so kräftig und gut,
Erquickest Leib, Leben und Blut.
Du klingest so schöne
Wie Engelgetöne,
Setzest in Jauchzen den traurigen Mut.


 

Wie herrlich beweisest du dich!
Wie innig erfreuest du mich!
O himmlische Sonne,
O ewige Wonne,
Alle mein Leben ergibet dir sich.

5
O bleibe doch immer bei mir,
Mein Himmel und göttliche Zier!
Ich will dich stets preisen
Mit herrlichen Weisen,
Singen und klingen und tönen von dir.

6
Nimm alles und jedes, was mein,
Zu deiner Belustigung ein,
Mein Herze soll werden
Dein Himmel auf Erden,
Jesu, wie kannst du dann anderst wo sein!
_____
 


XXXV.
Sie lobt die Vortrefflichkeit des Namens Jesu
 

1
Jesus ist der schönste Nam
Aller, die vom Himmel kamen,
Huldreich, prächtig, tugendsam,
Über aller Götter Namen,
Seiner großen Lieblichkeit
Gleicht kein Name weit und breit.

2
Jesus ist das Heil der Welt
Und ein Arznei für die Sünden,
Jesus ist ein starker Held,
Unsern Feind zu überwinden.
Wo nur Jesus wird gehört,
Ist der Teufel schon gestört.

3
Jesus ist der Weisen Stein,
Der Gesundheit gibt und Leben.
Jesus hilft von aller Pein,
Die den Menschen kann umgeben.
Lege Jesum nur aufs Herz,
So verliert sich aller Schmerz.

4
Jesus ist der süße Bronn,
Der die Seelen all erquicket.
Jesus ist die ewge Sonn,
Derer Strahl uns ganz verzücket.
Willst du froh und freudig sein,
Laß nur ihn zu dir hinein.


5
Jesus ist ein ewger Schatz
Und ein Abgrund alles Guten.
Jesus ist ein Freudenplatz
Voller süßer Himmelsfluten.
Jesus ist ein kühler Tau,
Der erfrischet Feld und Au.

6
Jesus ist der liebste Ton,
Den mir alle Welt kann singen.
Ja, ich bin im Himmel schon,
Wenn ich Jesum hör erklingen.
Jesus ist meins Herzens Freud
Und mein ewge Seligkeit.

7
Jesus ist mein Himmelbrot,
Das mir schmeckt, wie ich begehre.
Er erhält mich vor dem Tod,
Stärkt mich, daß ich ewig währe.
Zucker ist er mir im Mund,
Balsam, wenn ich bin verwundt.

8
Jesus ist der Lebensbaum,
Voller edlen Tugendfrüchte.
Wenn er findt im Herzen Raum,
Wird das Unkraut ganz zu nichte.
Alles Gift und Unheil weicht,
Was sein Schatten nur erreicht.

9
Jesus ist das höchste Gut
In dem Himmel und auf Erden.
Jesus Name macht mir Mut,
Daß ich nicht kann traurig werden,
Jesus Name soll allein
Mir der liebste Name sein.
_____
 


XXXVI.
Sie preist den Namen Jesu
 

1
Name voller Güte,
Komm in mein Gemüte,
Ausgegoßnes Öle,
Fließ in meine Seele.
Arznei aller Schmerzen,
Gib dich meinem Herzen,
Denn du bist alleine,
Jesu, den ich meine.

2
Himmel der Verliebten,
Leitstern der Betrübten,
Ungeschaffne Sonne,
Unerhörte Wonne,
Gib, daß deine Strahlen
Mich erfreun und malen,
Denn du bist alleine,
Name, den ich meine.

3
Name, schöner Name,
Der vom Himmel kame,
Name, zuckersüße,
Lauter Nektarflüsse,
Dem kein Balsam weichet
Und kein Ambra gleichet,
Name, du alleine
Bleibest, den ich meine.

4
Name, schön wie Rosen,
Wert, stets lieb zu kosen,
Name, wie Narzissen,
Würdig, stets zu küssen.
Name, zart wie Lilgen,
Die das Weh vertilgen,
Jesu, du alleine
Bleibest, den ich meine.

5
Name, den ich höre
Vor der Engel Chöre,
Der mir jauchzen bringet
Und am schönsten klinget,
Der mich kann ergötzen
Und in Freude setzen,
Name, du alleine
Bleibest, den ich meine.

6
Name, den man preiset,
Dem man Dienst erweiset,
Dem die Welt sich beuget
Und der Himmel neiget.
Den, was drunten lebet,
Fürchtet und erhebet,
Jesu, du alleine
Bleibest, den ich meine.

7
Name, güldner Name,
Reicher Himmelssame,
Ewig wird mein Herze,
Schönste Königskerze,
Dich in sich behalten
Und mit dir veralten:
Denn du bist alleine,
Jesu, den ich meine.
_____
 

 

XXXVII.
Sie lobt seine Schönheit
 

1
Schönester, vor dem sich neiget
Alles, was die Schönheit ehrt,
Dem sich dienstbarlich erzeiget,
Was dem Himmel zugehört!
Deine Liebe reizet mich,
Abermal zu loben dich,
Daß ich muß die Saiten zwingen
Und von deiner Schönheit singen.

2
Du bist schöner als die Sonne,
Auserlesner als der Mon,
Freudenreicher als die Wonne
Um des Salomonis Thron.
Deines Angesichtes Glanz
Ist, der uns verzücket ganz,
Drum will ich die Saiten zwingen
Und von deiner Schönheit singen.

3
Nun dein Augen zu erheben,
Sag ich, daß sie Himmel sein,
Die mir Kraft und Einfluß geben
Zu der süßen Liebespein.
Sind Kristalle, die den Brand
Deiner Lieb in mich gewandt.
Sind zwei Meere, sind zwei Bronnen,
Sind zwei Spiegel und zwei Sonnen.

4
Mehr sinds Bücher, draus wir lernen
Lauter Zucht und Ehrbarkeit,
Sind meins Herzens Wirbelsterne,
Die ihm zeigen Ort und Zeit.
Sind zwei Feuerkügelein,
Die mir falln ins Herz hinein.
Anmut und die Charitinnen
Haben ihren Sitz darinnen.

5
Deine tausendschönen Wangen
Sind zwei edle Hügelein,
Da mans Morgenrot sieht prangen
Bei dem frühen Tagesschein.
Sind zwei Felder, deren Zier
Unverwelkt bleibt für und für,
Sind zwei Berge, da die Flammen
Und der Schnee bestehn beisammen.

6
Weiter sind sie wie ein Garten
Zu der besten Maienzeit,
Dessen Lilien schönster Arten
Mit viel Purpursaft bespreit.
Sind zwei Rosenhäufelein,
Die mit Milch begossen sein.
Sind zwei Polster, die vor allen
Meiner Seelen wohlgefallen.

7
Soll ich deine Haar abmalen,
Sag ich, daß dieselben sein
Güldne Faden, güldne Strahlen
Und ein güldnes Lustwäldlein.
Äste, voll von Honigseim
Und bewährtem güldnen Leim.
Netze, die mein Herze fangen,
Bande, die ich tu verlangen.

8
Deine Lippen sind Korallen,
Sind zwei Pfosten von Rubin,
Die den Göttern wohlgefallen.
Sind ein Tuch von Kermesin,
Sind zwei Sammetröselein,
Die mein bestes Labsal sein.
Sind zwei Kissen, drauf ich wollte,
Daß mein Mund stets liegen sollte.

9
Nektar fließt auf deiner Zungen
Und ein angenehme Luft
Kommt durch deinen Mund geklungen,
Wenn mir deine Stimme ruft.
Deine Zähne, die so schön
In der besten Ordnung stehn,
Sind den Perlen überlegen,
Die wir fein zu nennen pflegen.

10
Deine Stirne, der ich diene,
Ist ein Thron von Helfenbein,
Ist der Schönheit offne Bühne,
Da sie will geschauet sein.
Ist der Liebe Hofestadt,
Da sie ihr Gepränge hat.
Ist ein Schild voll güldner Strahlen,
Die kein Maler nach kann malen.

11
Alabaster wird geringe,
Wenn er deinem Halse naht,
Der so schön ist aller Dinge,
Daß er nicht seins Gleichen hat.
Marmelstein verliert den Preis
Und was sonst ist zart und weiß
Gegen deinen schönsten Händen,
Die ich lob an allen Enden.

12
Nun ein solcher, ihr Jungfrauen,
Ist, den meine Seele liebt,
Ohne was kein Mensch kann schauen
Und sein Kuß zu schmecken gibt.
Seines Geistes Süßigkeit,
Die er nach dem Lauf der Zeit
Seiner Psyche ein will gießen,
Kann kein Herz auf Erden wissen.

13
Und darum will ich mein Leben,
Meine Seel und was ich bin,
Ihm von Herzen übergeben.
Ihm soll stets mein Geist und Sinn
Unverrückt sein zugetan,
Soll ihn lieben, was er kann,
Bis ich seinen Mund, den süßen,
Unaufhörlich werde küssen.
_____
 

XXXVIII.
Sie verwundert sich über seiner Liebe
 

1
Liebster Jesu, was für Müh
Hast du nicht auf mich gewandt,
Eh ich dich je hatt erkannt!
Bist gelaufen spät und früh,
Zu erretten aus der Pein
Mich, dein armes Schäfelein.

2
Alle deine Herrlichkeit,
Deine Hochheit, deine Pracht,
Hast du schlecht ohn mich geacht.
Wolltest arm sein in der Zeit,
Gabst dich selbst in Hohn und Spott,
Mir zu helfen aus dem Kot.

3
Du verließest deinen Thron
Und das ewge Königreich,
Wurdest einem Schäfer gleich,
Daß du möchtest deinen Lohn,
Meine Seele, nehmen hin,
Dir zu einer Königin.

4
Über dieses ist bekannt,
Wie du durch den bittren Tod
Willigst übergabest Gott
Deine Seel zum Unterpfand,
Daß dir mein' als eine Braut
Würd in Ewigkeit vertraut.

5
Weil denn alles dies geschehen,
Süßer Jesu, und du mich
Mehr geliebet hast als dich,
Ei, so laß mich doch auch sehen
Diesen hochgewünschten Tag,
Da ich es genießen mag.

6
Laß mich in dein Reich hinein,
Laß mich hören deinen Gruß,
Laß mich schmecken deinen Kuß,
Laß mich, Liebster, ewig sein
Deine nächste Dienerin,
Deine Braut und Königin.
_____
 


XXXIX.
Sie begehrt verwundet zu sein von ihrem Geliebten
 

1
Jesu, du mächtiger Liebesgott,
Nah dich zu mir,
Denn ich verschmachte fast bis in Tod
Vor Liebesbegier,
Ergreif die Waffen und in Eil
Durchstich mein Herz mit deinem Pfeil,
Verwunde mich.

2
Komm meine Sonne, mein Lebenslicht,
Mein Aufenthalt,
Komm und erwärme mich, daß ich nicht
Bleib ewig kalt.
Wirf deine Flammen in den Schrein
Meins halbgefrornen Herzens ein,
Entzünde mich.

3
O allersüßeste Seelenbrunst,
Durchglüh mich ganz
Und überform mich aus Gnad und Gunst
In deinen Glanz.
Blas an das Feuer ohn Verdruß,
Daß dir mein Herz mit schnellem Fluß
Vereinigt sei.

4
Dann will ich sagen, daß du mich hast
Erlöst vom Tod
Und als ein lieblicher Seelengast
Besucht in Not.
Dann will ich rühmen, daß du bist
Mein Bräutigam, der mich liebt und küßt
Und nicht verläßt.
_____
 


XL.
Sie jagt von sich den Cupido
und entblößt ihr Herze dem Jesulein
 

1
Cupido, blindes Kind,
Pack dich hinweg geschwind
Mit deinen Narrenpfeilen!
Du sollst mein Herz
Mit deinem Scherz
Nunmehr nicht übereilen.

2
Ich bin von Jesu wund
Und fühle noch zur Stund
Sein Feuer in mir brennen.
Drum geh nur fort
An deinen Ort,
Du wirst mich nicht errennen.

3
Ich hab dich längst verjagt
Und ernstlich abgesagt,
Ich sag dir nochmal abe,
Denn dich verdringt,
Der mich bezwingt,
Der Bethlemiter Knabe.

4
Ich hab inbrünstig schon
Gehuldigt seinem Thron
Und seine Pfeil geküsset.
Ich häng ihm an,
So viel ich kann,
Ob es dich zwar verdrießet.

5
Dein Pfeil macht ewgen Schmerz,
Zerstöret Sinn und Herz,
Stürzt Leib und Seel zur Höllen,
Sein Pfeil bringt Freud
In Ewigkeit,
Macht uns zu Gotts Gesellen.

6
Du bist verblendt und toll
Und böser Lüste voll,
Ein Herr der Herzensdiebe.
Mein Knab ist rein,
Keusch, sehend, fein,
Ein Gott der wahren Liebe.

7
Wie blind ist doch die Welt,
Die dir zu Fuße fällt
Und deine Waffen achtet!
Ach, daß sie doch
Nicht nach dem Joch
Des kleinen Jesu trachtet!

8
Gib her dein Giftgeschoß,
Mit dem du pochst so groß,
Die Pfeil und auch den Bogen.
Du bist schon hin
Aus Herz und Sinn,
Wann Jesus eingezogen.

9
Ich bleib nun gänzlich dein,
Huldseligs Jesulein,
Du hochgeliebter Knabe.
Ich liebe dich
Ganz inniglich
Beständig bis zum Grabe.

10
Komm in mein Herz und ruh,
Ich tu dirs auf und zu
Nach deinem liebsten Willen.
Du hasts verwundt,
Machs auch gesund,
Daß sich die Schmerzen stillen.

11
Laß aber deine Pein
Nie gänzlich von mir sein,
Laß deine Pfeile schneiden,
Auf daß mein Herz
Durch diesen Schmerz
Bleib von der Welt gescheiden.
_____
 


LII.
Die Psyche begehrt ein Bienelein
auf den Wunden Jesu zu sein
 

1
Du grüner Zweig, du edles Reis,
Du honigreiche Blüte,
Du aufgetanes Paradeis,
Gezweig mir eine Bitte.
Laß meine Seel ein Bienelein
Auf deinen Rosenwunden sein.

2
Ich sehne mich nach ihrem Saft,
Ich suche sie mit Schmerzen,
Weil sie erteilen Stärk und Kraft
Den abgematt'ten Herzen.
Drum laß mich doch ein Bienelein
Auf deinen Rosenwunden sein.

3
Ihr übertrefflicher Geruch
Ist ein Geruch zum Leben,
Vertreibt die Gift, verjagt den Fluch
Und macht den Geist erheben.
Drum laß mich wie ein Bienelein
Auf diesen Rosenwunden sein.

4
Ich nahe mich mit Herz und Mund,
Sie tausendmal zu küssen,
Laß mich zu jeder Zeit und Stund
Den Honigsaft genießen.
Laß meine Seel ein Bienelein
Auf diesen Rosenwunden sein.

5
Ach, ach, wie süß ist dieser Tau,
Wie lieblich meiner Seele!
Wie gut ists sein auf solcher Au
Und solcher Blumenhöhle!
Laß mich doch stets ein Bienelein
Auf diesen Rosenwunden sein.

6
Nimm mein Gemüte, Geist und Sinn,
Leib, Seel und was ich habe,
Nimm alles gänzlich von mir hin,
Gib mir nur diese Gabe:
Daß ich mag stets ein Bienelein,
Herr Christ, auf deinen Wunden sein.
_____

 

LV.
Die Psyche dürstet nach dem Wasser des Herzens Jesu
 

1
Wie ein Hirsch zur dürren Zeit
Nach dem frischen Wasser schreit,
Also schreiet auch mit Schmerzen
Nach dem Wasser deines Herzen,
Jesu, meine matte Seel
In der dürren Leibeshöhl.

2
Ach, wer gibet mir zur Stund,
Daß ich meiner Seelen Mund
An dein offne Brust ansetze
Und mich da erquick und letze!
Ach, wer führet mich zu dir,
Oder aber dich zu mir!

3
Ach, wie süß ist dein Geschmack,
Wohl dem, der ihn kosten mag!
Ach wie lauter, rein und helle
Ist dein Ausfluß, deine Quelle!
Ach wie voller Trost und Lust
Spritzet deine milde Brust.

4
Dein Geruch ist über Wein,
Macht die Engel trunken sein.
Er erfreuet die Betrübten,
Er vergnüget die Verliebten,
Ja, du gleichst dich einem Strom,
Wäschst die Herzen rein und fromm.

5
Ei, so fließ doch schleuniglich
In mein Herz und tränke mich!
Fließ herein, auf daß ich trinke
Und mit dir in Gott versinke,
Da ich bis in Ewigkeit
Schmecke deine Süßigkeit.
_____
 


LXVIII.
Sie ladet ihn in ihr Herze ein
 

1
Ach, was stehst du auf der Au
Und wirst naß und kalt vom Tau?
Tritt herein in meine Hütte,
Denn dir rufet das Gemüte.
Nimm in meinem Herzen Ruh,
Du verliebter Schäfer, du.

2
Schau, ich tu dir auf die Tür,
Komm doch, komm herein zu mir;
Komm doch, weil ich mit Verlangen
Oft gewünscht, dich zu empfangen,
Komm, o süßer Seelengast,
Hier ist deine Ruh und Rast.

3
Ei, was willst du weiter gehn
Oder länger draußen stehn?
Komm in meines Herzens Höhle,
Liebste Seele meiner Seele.
Komm, ich räume dir es ein,
Ewig solls dein eigen sein.

4
Komm, es soll in jedem Nun
Deinen liebsten Willen tun,
Bis es endlich von der Erden
Wird durch dich erhaben werden;
Da es dir zu Lob und Preis
Sei ein ewig Paradeis.
_____



LXIX.
Sie bittet, er wolle bei ihr bleiben, weils Abend worden
 

1
Wo willst du hin, weils Abend ist,
Verliebter Pilgram Jesu Christ?
Ei, bleib doch hier und rast in mir,
Ich laß dich nicht, du ewges Licht,
Ich schrei dir nach mit tausend Ach:
Ach bleib doch hier, mein Leben,
Ich will dir Herberg geben.

2
Die Sonne hat sich schon gesenkt,
Die Nacht ist da, die mich bedrängt.
Komm doch herein, mein Freudenschein,
Zünd an mein Herz wie eine Kerz,
Erleucht es ganz mit deinem Glanz,
Daß ich dich mög erkennen
Und durch und durch entbrennen.

3
Wenn du bei mir bleibst, werter Gast,
So werd ich ledig meiner Last,
Du brichst mir Brot in Hungersnot,
Du treibest weit die Eitelkeit,
Du zeigst mir an die rechte Bahn,
Du machst, daß meine Sinnen
Die Wahrheit finden können.

4
Ich lasse dich nicht, liebster Freund,
Bis daß die Sonne wieder scheint.
Hab nur Geduld und sei mir huld,
Du kannst nicht fort aus diesem Ort,
Mein Herze wacht, hat deiner Acht,
Ich will dich fest umfassen
Und nicht entweichen lassen.
_____
 


LXXII.
Sie begehrt, daß er sie soll nach sich ziehen
 

1
Zeuch mich nach dir,
So laufen wir
Mit herzlichem Belieben
In den Geruch,
Der uns den Fluch
Verjagt hat und vertrieben.

2
Zeuch mich nach dir,
So laufen wir
In deine süßen Wunden,
Wo insgeheim
Der Honigseim
Der Liebe wird gefunden.

3
Zeuch mich nach dir,
So laufen wir,
Dein liebstes Herz zu küssen
Und seinen Saft
Mit aller Kraft
Aufs beste zu genießen.

4
Zeuch mich in dich
Und speise mich,
Du ausgegossnes Öle.
Gieß dich in Schrein
Meins Herzens ein
Und labe meine Seele.

5
O Jesu Christ,
Der du mir bist
Der Liebst auf dieser Erden,
Gib, daß ich ganz
In deinen Glanz
Mög aufgezogen werden.
_____
 


LXXIII.
Sie kehrt sich nach ihm als zu ihrem Nordstern
und begehrt ganz in ihn gezogen zu werden
 

1
Nordstern der verliebten Herzen,
Schön vor allen Himmelskerzen,
Trauter Jesu, für und für
Kehrt mein Herze sich zu dir.
Ach, wann wird es von der Erden
Ganz in dich gezogen werden!

2
Ich begehre nicht zu leben,
Wenn ich außer dir soll schweben.
Aufgelöst wünsch ich zu sein
Und in deinem Glanz und Schein,
Mein Herr Jesu, mich zu laben;
Willst du mich denn noch nicht haben?

3
Schwebt doch vor schon mein Gemüte
Außer mir und dieser Hütte.
Bin ich doch schon mehr bei dir
Als in meinem Leibe hier.
Denn die Seele, die dich liebet,
Ist nicht, wo sie Leben gibet.

4
Ach, was hab ich von der Erden,
Daß ich ihr nicht los kann werden!
Was für Freude gibt die Welt,
Die mir ohne dich gefällt?
O du Nordstern frommer Herzen
Mach ein Ende meinen Schmerzen.

5
Mach ein Ende dem Verlangen,
Das ich hab, dich zu empfangen.
Zeuch mich, liebster Jesu, hin,
Wo ich um und bei dir bin.
Daß ich lebe, wo ich liebe,
Und nicht länger mich betrübe.
_____
 


LXXIV.
Sie beklagt sich, daß er sich vor ihr verborgen
 

1
Wo ist der Liebste hingegangen,
Der meine Seele hält gefangen,
Der mir mein Herz genommen hat?
Wo ist die Sonne der Betrübten,
Wo ist der Leitstern der Verliebten,
Der mich getröstet früh und spat?

2
Ich geh vom Abend bis zum Morgen
In großem Kummer, großen Sorgen
Daß ich nicht seh sein Angesicht.
Ich ängste mich in meinem Herzen,
Ich leide Pein und große Schmerzen,
Daß mir mein liebster Schatz gebricht.

3
Wer gibt mir, daß ich ihn geschwinde,
Wie ich begehr, erblick und finde
Und unzertrennlich bei ihm sei?
Wer will mir, um mich zu erheben,
Der Morgenröte Flügel geben,
Daß ich ihn suche frisch und frei?

4
Ist er im Haus der Ewigkeiten,
Mir eine Wohnung zu bereiten,
So mach ers bald und säum sich nicht.
Ich werde sonst vor Leid verderben
Und gleich wie ein Verliebter sterben,
Wo es in kurzem nicht geschicht.
_____
 


LXXV.
Sie läßt ihm entbieten,
daß sie vor seiner Liebe krank lieget
 

1
Ihr Engel, die das höchste Gut
Verordnet hat zu unsrer Hut,
Geht, bringets meinem Bräutgam hin,
Daß ich vor Lieb erkranket bin.

2
Die Liebe hat mirs Herz verwundt,
Daß michs noch schmerzet diese Stund.
Die Liebe hat mein Mark verzehrt
Und alles Blut mir ausgeleert.

3
Ich habe schon so lang und oft
Nach ihm geschrieen und geruft,
Zu ihm gesagt mit tausend Ach:
Um dich, mein Jesu, bin ich schwach.

4
Nun sterb ich hin, wo er nicht kömmt
Und mich in seine Arme nimmt.
Ach, ach, was ists für große Pein,
Ihn lieben und nicht bei ihm sein.

5
Mein Herz ist aus sich selber hin,
Verlassen hat mich aller Sinn.
Die Seel ist auch schon auf der Bahn,
Weil sie ohn ihn nicht leben kann.

6
Drum geht, ihr Engel, bringts ihm bei,
Daß ich schon halb gestorben sei.
Wo er mich liebt, so komm er doch,
Weil ich den Atem schöpfe noch.

7
Liebkost mich jetzt nicht seine Huld,
So ist er meines Todes Schuld,
Dieweil er selbst oft früh und spat
Zur Liebe mich gereizet hat.
_____
 


LXXVI.
Sie beklagt sich, daß sie so lange
von ihm muß abwesend sein
 

1
Helfer meiner armen Seele,
Tröster in der Trauerhöhle,
Ach, wie ists so große Pein,
Lang und fern von dir zu sein.

2
Schau, ich zähle Tag und Stunden,
Bis ich selig werd entbunden.
Ach, wann endt sich meine Pein,
Daß ich sonder dich muß sein.

3
Schneid den Lebensfaden abe,
Bring mich heute noch zu Grabe,
Denn es macht mir doch nur Pein,
Wenn ich nicht bei dir soll sein.

4
Laß mich alle Lust genießen,
Laß mich alle Künste wissen.
Wenn ich nicht bei dir soll sein,
So gebiert mir es nur Pein.

5
Laß mich alle Welt verehren,
Musiziern mit tausend Chören.
Alles, alles wird mir Pein
Ohne dich, mein Jesu, sein.

6
Laß hergegen mich zerreißen
Und vom Basilisk erbeißen,
Wenn ich nur bei dir soll sein,
So bedünkt michs keine Pein.

7
Ach, wer hilft mir doch erwerben,
Daß ich schleunig möge sterben!
Daß sich ende meine Pein,
Die ich hab, bei Gott zu sein.

8
Helfer meiner armen Seele,
Tröster in der Trauerhöhle,
Jesu, Jesu, du allein,
Mußt nur meine Hilfe sein.
_____
 


LXXVIII.
Sie erinnert ihn seiner Zusage
 

1
Liebster Bräutgam, denkst du nicht
An die teure Liebespflicht,
Da du dich mit tausend Wunden
Meiner Seelen hast verbunden?

2
Denkst du nicht an deinen Spott,
An das Kreuz und an die Not
Und an deiner Seelen Leiden,
Da sie sollte von dir scheiden?

3
Weißt du wohl, daß deine Pein
Mein Erlösung sollte sein?
Und wie muß ich dann auf Erden
Noch so lang gequälet werden?

4
Bin ich dir als eine Braut
Schon verlobet und vertraut,
Warum läßt du meine Seele
In des Leibes Trauerhöhle?

5
Bin ich dein und bist du mein,
Warum läßt du mich allein?
Warum willst du mich, mein Leben,
Nicht alsbald zu dir erheben?

6
Ich verschmachte vor Begier,
Die mein Herze hat nach dir.
Ich vergehe vor Verlangen,
Dich zu sehn und zu umfangen.

7
Denke doch, o Gottes Lamm,
Daß du bist mein Bräutigam,
Denke, daß dirs will gebühren,
Deine Braut zur Ruh zu führen.

8
Nimm mich, Liebster, in dein Reich,
Mach mich den Erlösten gleich,
Nimm mich aus der Trauerhöhle,
Jesu, Bräutgam meiner Seele.
_____
 


LXXIX.
Sie begehrt sein Angesicht zu sehen
 

1
Zeige mir dein Angesicht,
Schönster Nazarener,
Weil mir deiner Augen Licht
Lieber ist und schöner
Als der klarste Maienschein
Und der Himmel selbst mag sein.

2
Laß mich sehen deinen Glanz,
Ungeschaffne Sonne,
Daß ich dich betrachte ganz,
Ewge Seelenwonne,
Laß mich sehen die Gestalt,
Die kein Alter machet alt.

3
Ach, wie selig ist die Braut,
Die du angeblicket,
Die dein Antlitz hat geschaut,
Die du so erquicket!
Denn was sollt ihr lieber sein
Als des Bräutgams Augenschein?

4
Was für Freude muß die Schar
Deiner Heilgen haben,
Die sich nun schon ganz und gar
Mit dem Anschaun laben!
Denen keinmal mehr gebricht
Dein verklärtes Angesicht.

5
O du Strahl der Herrlichkeit,
Unbefleckter Spiegel,
Bildnis der Dreifaltigkeit,
Ewger Schönheit Siegel,
Wanne werd ich würdig sein,
Zu beschauen deinen Schein?

6
Wanne wird mich dieser Strahl
Von der Erd erheben,
Daß ich in des Himmels Saal
Mög ersättigt leben?
Daß ich schau, was ich so oft
Hab gesucht und angeruft.

7
Zeige mir dein Angesicht,
Allerliebste Seele,
Weil mir doch kein ander Licht
Gnügt in dieser Höhle.
Denn dein Antlitz ist allein,
Was mir ewig gnug kann sein.
_____
 


LXXXI.
Sie heißt ihren Lieben von ihr fliehen
 

1
Fleuch, mein Geliebter, auf die Höhe,
Fleuch immer hin und warte nicht,
Fleuch gleichsam wie ein junges Rehe,
Das von der Ebne sich entbricht.
Je mehr du fleuchst und läufst von mir,
Je stärker zeuchst du mich nach dir.

2
Mein Herz ist an dein Herz gebunden
Mit deiner ewgen Liebe Band.
Drum wird von ihme bald empfunden,
Wo sich das deine hingewandt.
Fleuch immer, fleuch, es ist dein Fliehn
Nichts anders, als mich nach dir ziehn.

3
Fleuch über alle Berg und Hügel,
Fleuch in die Wüste weit und breit.
Entlehne dir des Adlers Flügel,
Fleuch mit des Winds Geschwindigkeit.
Fleuch außer aller Kreatur,
Ich fehle schon nicht deiner Spur.

4
Ich hoff, es wird mir noch gelingen,
Daß du mich über Ort und Zeit
Mit deinem Ziehn zur Ruh wirst bringen
Und in die Schoß der Ewigkeit,
Drum fleuch nur fort, ich folge dir,
So stark du fleuchst und laufst von mir.
_____
 


LXXXIV.
Sie sehnt sich, seinen Mund zu küssen
 

1
Du Allerschönster, den ich weiß,
Du meiner Augen Paradeis,
Du Süßer, dem ich mit Verlangen
Von Jugend auf bin nachgegangen,
Vergönne mir, daß ich dich küsse
Und deines Munds einmal genieße.

2
Es ist zwar viel, daß ich zu dir
Mich nahen darf mit der Begier,
Du aber hast mir selbst, mein Leben,
Zu dieser Kühnheit Ursach geben,
Weil du in meiner Menschheit Orden
Mein nächster Freund und Bruder worden.

3
Ich danke dir wohl, daß du mich
Hast angeblickt genädiglich
Und nach der Huld bei deinen Füßen
Die heilgen Hände lassen küssen.
Wirst du mich aber nicht erheben
Zum Mund, so hast du nichts gegeben.

4
Dein Mund, o Jesu, soll allein
Das Ende meiner Liebe sein,
Und ob sich zwar die Seraphinen,
Ihn zu berühren, nicht erkühnen,
Schätz ich doch mich dazu geboren,
Weil du mich hast zur Braut erkoren.

5
So laß mich denn nach diesem Bund
Erreichen deinen Rosenmund.
Erhebe mich, daß ich ihn küsse
Und seines Honigseims genieße,
Damit sich ende mein Verlangen,
Das mich von Jugend hat gefangen.
_____
 

 

LXXXV.
Sie schreit nach dem Kusse seines Mundes
 

1
Er küsse mich mit seines Mundes Kuß
Und tränke mich mit seiner Brüste Fluß,
Denn sie schmecken über Wein,
Und sein Mund
Macht zur Stund
Eine Seel voll Freuden sein.

2
Ach, ach, die Lieb ist strenge wie der Tod!
Er küsse mich, der süße Liebesgott.
Denn mein Herze flammt und brennt,
Dürst und lechzt,
Seufzt und ächzt
Und das Leben naht zum End.

3
Wo ist sein Geist, der himmelsüße Tau?
Er laß ihn doch erkühln meins Herzens Au!
Oder nehme vollends hin
Meinen Geist,
Der schon meist
Sich verloren hat in ihn.

4
O Jesu, ists, daß ich dir bin vertraut,
So komm doch her und küsse deine Braut!
Denn dein Kuß, der ists allein,
Den mein Herz
Sucht mit Schmerz
Über Gold und Edelstein.
_____
 

 

LXXXVI.
Sie singt von der Süßigkeit seiner Liebe
 

1
Jesu, wie süß ist deine Liebe,
Wie honigfließend ist dein Kuß!
Der hätte gnug und Überfluß,
Wer nur in deiner Liebe bliebe,
Wie süß ist es, bei dir zu sein
Und kosten deiner Brüste Wein!

2
Wie süß ist es, in deinen Armen
Empfinden deines Geistes Gunst
Und von der heißen Liebesbrunst
Bei dir, du heilge Glut, erwarmen!
Wie süß ist es, bei dir allein,
Du süßer Bräutgam, Jesu, sein!

3
Wie süß ist es, mit deinen Flammen
Entzündet werden und durchglüht
Und ganz und gar in ewgen Fried
Mit dir geflossen sein zusammen!
Wie süß ists, in ein einges Ein
Mit dir, mein Schatz, geschmolzen sein!

4
Wohl denen, die schon ganz versunken
Im Meere deiner Süßigkeit!
Sie jauchzen dir in Ewigkeit
Und sind von deiner Liebe trunken,
Wie süße mußt du ihnen sein,
Du himmelsüßer Liebeswein!

5
Wie süße, Jesu, o wie süße
Wirst du mir sein, wenn ich in dir
Genießen werde für und für
Der ewgen Gottheit ewge Küsse!
Wenn ich mit Gott ein einges Ein
In dir, mein Schatz, werd ewig sein.
_____
 

 

LXXXVII.
Der Geruch Jesu Christi erweckt
in der Psyche ewige Liebesbegier
 

1
Ich lauf dir nach
Mit stetem Ach,
Mit Seufzen und mit Sehnen.
Ich suche dich ganz inniglich,
Mein liebster Schatz, mit Tränen;
Denn dein Geruch erweckt in mir,
Herr Jesu, ewge Liebsbegier.

2
Die Welt ist hin
Aus meinem Sinn
Mit allem ihrem Prangen.
Wie sollt ich doch
Nur etwas noch,
Was zeitlich ist, verlangen!
Denn dein Geruch erweckt in mir,
Herr Jesu, ewge Liebsbegier.

3
Des Fleisches Lust
Dünkt mich nur Wust
Und kann mich nicht ergötzen.
Mir stinkt die Erd
Und ist unwert
Mit allen ihren Schätzen;
Denn dein Geruch erweckt in mir,
Herr Jesu, ewge Liebsbegier.

4
Allein nach dir
Steht mein Begier,
Nach dir brennt Leib und Seele.
Dir soll allein
Stets offen sein
Meins armen Herzens Höhle;
Denn dein Geruch erweckt in mir,
Herr Jesu, ewge Liebsbegier.
_____



LXXXVIII.
Sie bittet ihn um seine Liebe
 

1
Spiegel aller Tugend,
Führer meiner Jugend,
Meister meiner Sinnen,
Jesu, der vor allen
Mir vorlängst gefallen,
Laß dich liebgewinnen.

2
Laß mich in den Armen
Deiner Huld erwarmen,
Laß mich dich genießen
Und in deinem Lichte,
Schönstes Angesichte,
Deine Lippen küssen.

3
Trage deine Flammen
In mein Herz zusammen,
Daß es sich entzünde
Und in heißer Liebe
Durch deins Geistes Triebe
Sich mit dir verbinde.


4
Zähle meine Tränen
Und mein kläglich Sehnen.
Wäge meine Schmerzen,
Die ich um dich leide,
Jesu, meine Freude,
Innerlich im Herzen.

5
Komm, erzeig dich milde
Deinem Ebenbilde;
Denn ich kann nicht leben
In des Leibes Höhle,
Wo du meiner Seele
Dich nicht willst ergeben.

6
Drum, so laß mich werden
Deine Braut auf Erden,
Daß ich kann mit Freuden
Meine Zeit vollenden
Und in deinen Händen
Aus der Welt verscheiden.
_____
 

 

LXXXIX.
Sie will sonst nichts als ihren Jesum lieben
 

1
Ach, sagt mir nicht von Gold und Schätzen,
Von Pracht und Schönheit dieser Welt!
Es kann mich ja kein Ding ergötzen,
Was mir die Welt vor Augen stellt,
Ein jeder liebe, was er will,
Ich liebe Jesum, der mein Ziel.

2
Er ist alleine meine Freude,
Mein Gold, mein Schatz, mein schönstes Bild,
In dem ich meine Augen weide
Und finde, was mein Herze stillt.
Ein jeder liebe, was er will,
Ich liebe Jesum, der mein Ziel.

3
Die Welt vergeht mit ihren Lüsten,
Des Fleisches Schönheit dauert nicht.
Die Zeit kann alles das verwüsten,
Was Menschenhände zugericht,
Ein jeder liebe, was er will,
Ich liebe Jesum, der mein Ziel.

4
Sein Schloß kann keine Macht zerstören,
Sein Reich vergeht nicht mit der Zeit,
Sein Thron bleibt stets in gleichen Ehren
Von nun an bis in Ewigkeit,
Ein jeder liebe, was er will,
Ich liebe Jesum, der mein Ziel.

5
Sein' Reichtum kann man nicht ergründen,
Sein allerschönstes Angesicht
Und was von Schmuck um ihn zu finden,
Verbleichet und veraltet nicht.
Ein jeder liebe, was er will,
Ich liebe Jesum, der mein Ziel.

6
Er kann mich über alls erheben
Und seiner Klarheit machen gleich.
Er kann mir so viel Schätze geben,
Daß ich werd unerschöpflich reich.
Ein jeder liebe, was er will,
Ich liebe Jesum, der mein Ziel.

7
Und ob ichs zwar noch muß entbehren,
So lang ich wander in der Zeit,
So wird er mirs doch wohl gewähren
Im Reiche seiner Herrlichkeit.
Drum tu ich billig, was ich will,
Und liebe Jesum, der mein Ziel.
_____
 

 

XC.
Sie liebt ihn als ihre Blume
 


1
Ich liebe dich von Herzensgrund,
Ich liebe dich, du Schöner,
Ich sehne mich nach deinem Mund,
Du süßer Nazarener.
Ich wünsche mir den Honigseim,
Der von dir fleußt, zu tragen heim.

2
O Bräutigam, wie ist dein Kuß
So süße meiner Seele!
Wie lieblich ist der Nektarfluß,
Dein ausgegoßnes Öle!
Wie ist das Herz so voller Trost,
Das du, o Jesu, liebgekost.

3
Komm her zu mir, mein Ehrenpreis,
Mein Röslein und Narzisse,
Mein Augentrost und Wegeweis,
Mein Giftheil zuckersüße.
Ich gebe dir, schöns Blümelein,
Mein Herz zu einem Blumkrug ein.

4
Ich hab dich lieber als mein Licht
Und lieber als mein Leben,
Ohn dich mein Herze mir gebricht
Und will den Geist aufgeben.
Drum seh ich dich, mein Tausendschön,
Am liebsten in demselben stehn.

5
Ach wurzele doch tief hinein
Und bringe deine Früchte,
Laß deiner Blüte Glanz und Schein
Schön zieren mein Gesichte.
Sei meines Herzens Ehrenpreis
Und machs zu Gottes Paradeis.
_____
 

 

XCIII.
Sie wünscht Jesum selbst in ihrem Herzen zu haben
 

1
Jesu, ewge Sonne,
Aller Engel Wonne,
Was für Freude muß es sein,
Wenn du kommst ins Herz hinein.

2
Du erleuchtst die Blinden,
Machst die Nacht verschwinden,
Bringest dem Gewissen Ruh,
Gibst ihm wahren Trost dazu.

3
Die betrübte Seele
Jauchzt in ihrer Höhle,
Denn du tränkst sie wie ein Strom,
Machst sie heilig, satt und fromm.

4
Alle Kräft und Sinnen
Werden deiner innen,
Auch die Glieder springen schier
Aus Frohlocken über dir.

5
Deine Liebesküsse
Sind vor Zucker süße,
Dein Geruch ist gänzlich gleich
Gott und seinem Himmelreich.

6
Sei doch nicht mehr lange,
Denn mir ist schon bange
Und mein Herze wart auf Dich,
Dir zu ruhen ewiglich.

7
Alle deine Gaben
Können mich zwar laben,
Aber keine, Jesu Christ,
Schmeckt mir, wie du selber bist.
_____
 

 

XCIV.
Sie ruft ihn in ihren Garten
 

1
Komm, Liebster, komm in deinen Garten,
Auf daß die Früchte besser arten.
Komm in meines Herzens Schrein,
Komm, o Jesu, komm herein.

2
Komm, bring zurechte, was zerstreuet,
Und setz es ein, damits gedeihet.
Komm, du edler Gärtner, du,
Richts nach deinem Willen zu.

3
Wenn du hereinkommst, wahre Sonne,
So steht der Garten voller Wonne.
Alle Blumen tun sich auf,
Wenn sie spüren deinen Lauf.

4
Was vor verstockt war und erfrorn,
Das lebt dann und ist neugeborn,
Was verdorret war im Fluch,
Gibet himmlischen Geruch.

5
Komm, laß deins Herzens Wasser springen
Und durch des meinen Erde dringen.
Deiner offnen Wunden Saft
Gebe mir zum Grünen Kraft.

6
Dein Haupt von Dornen ganz zerrissen,
Laß alles Blut herunter fließen.
Deines Angesichtes Schweiß
Mache mich zum Paradeis.

7
So werd ich schön und herrlich grünen
Und dir zur Lust und Freude dienen,
Und mein Herze wird so fein
Dein gewünschter Garten sein.
_____
 


C.
Sie begehrt ihn mit tausend Herzen zu lieben
 

1
Dein eigne Liebe zwinget mich,
Mein Jesu, hoch zu lieben dich.
Ich flamm und brenn allein nach dir
Mit unaussprechlicher Begier.
O du herzgeliebter Gott,
Wenn mir tausend Herzen blieben,
Wollt ich dich mit allen lieben!

2
Ich weiß von keinem andern Schatz
Auf Himmels und der Erden Platz.
Ich habe dich allein erkorn,
Dich, der du mir bist Mensch geborn.
O du herzgeliebter Gott,
Wenn mir tausend Herzen blieben,
Wollt ich dich mit allen lieben!

3
Du hast aus Liebe Knechtsgestalt
An dich genommen mannigfalt.
Aus Liebe hast du in der Zeit
Dich in ein Lämmelein verkleidt,
O du herzgeliebter Gott,
Wenn mir tausend Herzen blieben,
Wollt ich dich mit allen lieben!

4
Du hast gelitten alle Pein,
Die über mich sollt ewig sein,
Du hast getragen all mein Joch,
Und was noch mehr, du trägst es noch.
O du herzgeliebter Gott,
Wenn mir tausend Herzen blieben,
Wollt ich dich mit allen lieben!

5
Du gibest dich für mich in Tod,
Du opferst dich dem zorngen Gott.
Du speisest mich, o höchstes Gut,
Mit deinem Leib und deinem Blut.
O du herzgeliebter Gott,
Wenn mir tausend Herzen blieben,
Wollt ich dich mit allen lieben!

6
Du machst mein Herz voll Süßigkeit,
Voll ewigs Leben, voller Freud.
Ach, daß ich nicht ganz feurig bin
Und dich mehr lieb als Seraphin!
Denn, o herzgeliebter Gott,
Wenn mir tausend Herzen blieben,
Wollt ich dich mit allen lieben!
_____
 

 

CII.
Sie schenkt sich ihrem Bräutigam
 

1
Nun nimm mein Herz und alles, was ich bin,
Von mir zu dir, mein liebster Jesu, hin.
Ich will nun dein
Mit Leib und Seele sein,
Mein Reden, Tun und Dichten
Nach deinem Willen richten.

2
Du tränkest mich mit lauter Milch und Wein,
Du schenkest mir den Brunn des Lebens ein.
O edles Bild,
Du bist so süß und mild,
Daß ich stets drauf gedenke,
Wie ich mich dir ganz schenke.

3
Drum schau, ich will in Zeit und Ewigkeit
Dein Wohlgefalln zu lieben sein bereit.
Willst du mich tot,
So sterb ich gern, mein Gott;
Willst du, daß ich soll leben,
Will ich mich drein ergeben.

4
Du aber sollst auch wieder meine sein
Und ganz und gar komm'n in mein Herz hinein.
Sollst sein mein Gott
Und Trost in aller Not,
Sollst mich dir einverleiben
Und ewger Bräutgam bleiben.
_____
 

 

CIII.
Jesus ist ihr alles
 

1
Nun will ich mich scheiden von allen Dingen
Und mich zu meinem Bräutgam schwingen,
Denn ihn allein hab ich erkiest.
Nichts kann im Himmel und auf Erden
Gefunden und genennet werden,
Daß er mir selbst nicht alles ist.

2
Ein anderer mag sich mit eitlen Schätzen,
So viel er immer kann, ergötzen,
Ich habe keinen Schatz als ihn.
Mein Dichten, Trachten und mein Sinnen
Und alles, was ich kann beginnen,
Geht nur nach meinem Jesu hin.

3
O Tausendgeliebter, du bist alleine,
Den ich von Grund des Herzens meine,
Du bist mir, was ich nur begehr,
Du bist mein Labsal, mein Getränke,
Mein Wunsch und was ich nur gedenke,
Mein Lebensbrunn und süßes Meer.

4
Du bist mein gnädiger Abendregen,
Mein hochgewünschter Morgensegen,
Du bist mein süßer Himmelstau.
Durch deinen Saft blüht meine Seele
In ihrer dürren Leibeshöhle
Wie eine Blum auf grüner Au.

5
Du bist mein erfreuliche Morgenröte,
Mein Abendstern, durch den ich töte
Die Traurigkeit der finstern Nacht,
Du bist mein Mond und meine Sonne,
Mein Augentrost und alle Wonne,
Die der gestirnte Himmel macht.

6
Du gibst mir alleine dieselben Schätze,
Durch die ich mich zufrieden setze,
Du bist mein Silber und mein Gold.
Ich achte höher dich alleine
Als Perlen und all Edelsteine
Und was von Fernen wird geholt.

7
Du bist mir ein blühender Rosengarten,
Ein Feld voll Blumen schönster Arten,
Ein Acker voller grüner Saat.
Du bist mein Lustwald, meine Weide,
Bist mein Gebirge, meine Heide,
Mein Land, das Milch und Honig hat.

8
O ewiglich blühender Nazarener,
Ich finde nichts dir gleich und schöner,
Du bist mein schönster Lilienzweig.
Du kannst viel besser mich erfreuen
Als tausend Tulpen in dem Maien
Und aller Gärten Schmuck und Zeug.

9
Du bist mir viel Wiesen und grüne Matten,
Mein Apfelbaum und lieber Schatten,
Den ich ganz inniglich begehr.
Auf dir, mein Bett und samtnes Kissen,
Kann ich der besten Ruh genießen,
Drum komm doch eilends zu mir her.

10
Du bist mir das lieblichste Musizieren,
Mein Jubel und mein Triumphieren,
Mein Zymbelton und Lustgesang,
Dich hör ich lieber als Trompeten,
Als Orgeln, Zinken und als Flöten,
Als Saitenspiel und Lautenklang.

11
Du speisest mein Herze mit Süßigkeiten,
Die keine Welt kann zubereiten,
An dir eß ich mich nimmer satt.
Du bist das Lusthaus meiner Sinnen,
Ein starker Turm und Schloß, darinnen
Mein Seelchen seine Wohnung hat.

12
Ich frage nun wenig mehr nach dem Himmel,
Nach Edens Lust und Weltgetümmel,
Du bist mir eine ganze Welt,
Du bist der Himmel, den ich meine,
Das Paradeis, das mir alleine
Vor allen andern wohlgefällt.

13
Es wird mir erwecken viel tausend Freuden,
Wenn ich von hinnen werde scheiden
Und kommen soll vor deinen Thron.
Dann wirst du mich in dich erheben
Und ewiglich zu schmecken geben,
Wie du bist all mein Gut und Lohn.
_____
 

 

CIV.
Sie wünscht alles zu sein ihrem Jesu
 

1
Ach, wer gibt mir noch auf Erden
Engelssitten und Geberden?
Daß ich meinem Bräutigam,
Der von königlichem Stamm,
Wohl geschmücket in die Höh,
Wenn er kommt, entgegen geh.

2
Meine Seele wünscht, vor allen
Ihrem Jesu zu gefallen,
Und darum begehrt sie ihr
Aller Dinge Pracht und Zier,
Daß sie ihme möcht allein
Aller Schönheit Ausbund sein.

3
Wenn sie schauet in den Maien,
Daß die Wiesen sich verneuen
Und so fein und wunderschön
Die beblümten Felder stehn,
So verlangt sie ihm zu sein
Eine Welt voll Blümelein.

4
Ach, ach, spricht sie, möcht ich werden
Wie die bunte Frühlingserden!
Möchte doch mein Herz allein
Hunderttausend Rosen sein
Und die Brust wie Lilien weiß,
Das vor allem hat den Preis.

5
Oder wär ich wie Narcissen
Bei den stillen Wasserflüssen!
Oder wie ein Hyazinth,
Den man himmelfarben findt!
Und wie niedrige Violn,
Die man muß im Grase holn.

6
Oder wär ich wie ein Garten
Voll Gewürze bester Arten!
Daß mein Jesus für und für
Sich ergötzen könnt in mir
Und mit Lust stets bei mir sein,
Wie in einem ewgen Mai'n.

7
Ofte wünsch ich aller Dingen
Wie ein edler Brunn zu springen.
Ofte wünsch ich, daß ich wär
Eine See und ganzes Meer,
Voller Gottes Süßigkeit,
Ihme zur Ergötzlichkeit.

8
Ach, wer wird mein Herz bereiten,
Daß es sei zu allen Zeiten
Wie die Sänfte Salomons
Und die Wonne seines Throns,
Wie sein Bett, um dessen Pracht
Sechzig Starke halten Wacht.

9
Oder daß ich ihn erfreue
Wie Jerusalem, das neue.
Oder wie ein Paradeis,
Das von keiner Unruh weiß.
Oder wie ein schöner Saal,
Den man lobet überall.

10
Oder wie ein Flammenwagen,
Den die Seraphine tragen.
Oder wie ein güldner Schrein,
Oder wie Karfunkelstein.
Oder wie die Perlen sind,
Welche man im Aufgang findt.

11
Endlich wünsch ich mir, zu haben
Solche Heiligkeit und Gaben
Wie die Jungfrau und die Braut,
Die dem Joseph war vertraut,
Daß das ewge Wort in mir
Jesus würde, wie in ihr.

12
O du Geist der großen Güte,
Überschatte mein Gemüte,
Denn auch ich bin deine Magd,
Die von Herzen zu dir sagt:
Mir gescheh nach deinem Wort
Immer und in jedem Ort.

13
Komm doch, Jesu, mein Verlangen,
Laß mich meine Seel umfangen,
Daß sie dich gebär in ihr
Und frohlockend über dir
Sich erfreue nach der Zeit
In der süßen Ewigkeit.
_____
 

 

CV.
Sie hält ihn für ihren besten Freund
 

1
Jesus ist der beste Freund,
Der uns ewig treu verbleibet,
Der es recht von Herzen meint,
Den kein Ungelück vertreibet.
Kommt gleich Trübsal, Angst und Not,
Hunger, Kummer, Schmach und Spott,
Er bleibet bis in Tod.

2
Er steht vornen an im Streit,
Wenn die Feind uns wolln bekriegen,
Gibt uns Mut und Tapferkeit,
Daß wir sie durch ihn besiegen.
Er ist unser Schirm und Schild,
Unsre Hoffnung, die uns stillt,
Wenn Leviathan brüllt.

3
Er vergießt sein eigen Blut,
Läßt sich selber für uns töten,
Spricht für unsre Schulden gut,
Uns zu helfen aus den Nöten.
Er verträgt uns mit Geduld,
Zahlt für uns mit barem Gold
Und ist uns immer hold.

4
Nimmer läßt er von uns ab,
Wo wir ihn beständig lieben,
Folgt uns nach bis in das Grab,
Wo nur wir ihm treu geblieben.
Seine große Gütigkeit,
Seine Treu und Freundlichkeit
Vermindert keine Zeit.

5
Drum will ich mein Herz und Sinn
Ihm alleine ganz vertrauen,
Mein Gemüte soll forthin
Nur auf ihn alleine bauen.
Jesus soll in aller Not,
Hier im Leben und im Tod,
Mein Freund sein und mein Gott.
_____
 

 

CVI.
Sie jubiliert über ihn mit den Hirten
 

1
Die Psyche
Ich bin voller Trost und Freuden
Und vergeh vor Fröhlichkeit,
Süße wird mir alles Leiden,
Kurz das Elend dieser Zeit.
Mein Geblüte kocht in mir
Und das Herz zerspringet schier.

2
Die Hirten
Was bedeut dein Jubilieren,
Du verliebte Schäferin?
Wessentwegen läßt du spüren
Solche Freud in deinem Sinn?
Hast du deinen Schatz gesehn
Oder was ist sonst geschehn?

3
Die Psyche
Ach, wie soll ich mich nicht freuen!
Weil mich der zur Braut erkiest,
Der die Erde wird verneuen
Und des Himmels Erbherr ist.
Der mir so viel Guts getan
Und mich nimmer hassen kann.

4
Die Hirten
Billig bist du hoch erfreuet,
Weil dich der so innig liebt,
Der den Himmel benedeiet
Und der Welt das Leben gibt.
O du königliche Braut,
Die Gott selbsten ist vertraut.

5
Die Psyche
Auf die Erden ist er kommen
Als ein armes Knäbelein,
Hat den Fluch auf sich genommen
Und gelitten meine Pein.
O der großen Wundertat!
Schaut, wie er geliebet hat.

6
Die Hirten
Selig müssen wir dich preisen,
Weil sich Gott zu dir geneigt
Und mit unerhörten Weisen
Solche große Lieb erzeigt,
Selig bist du, Schäferin,
Selig ist dein Herz und Sinn.

7
Die Psyche
Selig bin ich alle Stunden,
Voller Trosts und herzlich froh,
Weil ich habe den gefunden,
Der das Alpha ist und O,
Der den Schlüssel Davids hat
Und mir zeigt den Himmelspfad.

8
Die Hirten
Du hast funden deine Sonne,
Die dir Licht und Leben gibt,
Deine Freude, deine Wonne,
O wie wohl hast du geliebt!
Deiner Liebe Lohn und Kron
Ist des höchsten Gottes Sohn.

9
Psyche
O wie wohl hab ichs getroffen,
Wie gefällt mir doch dies Spiel!
Seine Wunden stehn mir offen,
Ich kann eingehn, wenn ich will.
Seine Hände zeigen mir
Des verliebten Herzens Tür.

10
Die Hirten
Geh in diesen Ort der Freuden,
Werte Psyche, trink den Wein,
Den dir Jesus hat bescheiden,
Bis du ganz wirst trunken sein.
Geh in seine süße Brust
Und genieß des Himmels Lust.

11
Die Psyche
Was für Freude, was für Wonne
Hat ein Herz, das Jesum liebt!
Kommt und trinkt aus diesem Bronne,
Der euch alls umsonste gibt,
Seiner Liebe Süßigkeit
Übertrifft den Honig weit.

12
Die Hirten
Kommt, wir wollen alle trinken,
Bis wir werden trunken sein,
Bis wir ganz und gar versinken
In dem Quell und in dem Wein.
Bis uns Red und Wort gebricht
Und sich keiner kennet nicht.

13
Die Psyche
Ach, wie gerne wollt ich wissen,
Wo denn nun mein Jesus ist?
Den ich ewig soll genießen,
Der mich hat zur Braut erkiest,
Der mir solche Süßigkeit,
Als kein andrer, hat bereit.

14
Der süße Jesus
Siehst du mich nicht, meine Freude,
Meine Braut, mein Täubelein?
Siehst du nicht, wie treu ich weide
Deine blöden Schäfelein?
Nimmermehr weich ich von dir,
Wo nur du verbleibst bei mir.

15
Die Psyche
Ach, das ist des Bräutgams Stimme!
Ach mein Jesus, das bist du,
Der dem Wolf und seinem Grimme
Widersteht bis heute zu.
Ach mein Lieb, umfahe mich,
Weil ich einzig liebe dich.

16
Jesus
Bleib beständig und getreue,
Hochgeliebte Schäferin,
Bis ich völlig dich erfreue
Und dich grüße, Königin.
Dann wird meiner Gottheit Schein
In und um dich ewig sein.

17
Die Psyche
Ja, ich will beständig bleiben,
Allerliebster, und mich dir
Ewig treu zu sein verschreiben,
Will dir dienen für und für.
Meine Seele soll allein
Nur in dich verliebet sein.

18
Die Hirten mit der Psyche
Ei, so laßt uns alle singen
Und ein süßes Hirtenlied
Unsrem lieben Jesu bringen,
Der so herzlich sich bemüht,
Daß ein arme Schäferin
Sei sein Schatz und Königin.

19
Ihm sei Lob von allen Zungen
Und vom Gräslein auf der Au.
Seine Güte sei besungen
Von den Töpflein in dem Tau.
Ihm sei Preis und Herrlichkeit
Jetzo und in Ewigkeit.
_____
 

 

CVII.
Sie ergibt sich der ewigen Liebe
 

1
Liebe, die du mich zum Bilde
Deiner Gottheit hast gemacht,
Liebe, die du mich so milde
Nach dem Fall hast wieder bracht.
Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich.

2
Liebe, die du mich erkoren,
Eh als ich geschaffen war,
Liebe, die du Mensch geboren
Und mir gleich wardst ganz und gar.
Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich.

3
Liebe, die für mich gelitten
Und gestorben in der Zeit,
Liebe, die mir hat erstritten
Ewge Lust und Seligkeit.
Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich.


4
Liebe, die mich hat gebunden
An ihr Joch mit Leib und Sinn,
Liebe, die mich überwunden
Und mein Herze hat dahin,
Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich.

5
Liebe, die mich ewig liebet,
Die für meine Seele bitt,
Liebe, die das Lösgeld gibet
Und mich kräftiglich vertritt.
Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich.

6
Liebe, die mich wird erwecken
Aus dem Grab der Sterblichkeit,
Liebe, die mich wird umstecken
Mit dem Laub der Herrlichkeit,
Liebe, dir ergeb ich mich,
Dein zu bleiben ewiglich.
_____
 

 

CVIII.
Jesus ist ihr der Allersüßeste
 

1
Jesus, der süße Lebenswein,
Nimmt meinen Geist so mächtig ein,
Daß er sonst nichts mag trinken.
Er ruft und schreit mit voller Brust,
Ach möcht ich doch in diesem Most
Nur ganz und gar versinken.

2
Nunmehr begehr ich keine Tracht,
Die auf der Götter Tisch wird bracht,
Will auch nicht ihr Getränke.
Denn Jesus, der mich speist, ist ja
Viel süßer als Ambrosia
Und was ich je gedenke.

3
Weg mit den Blumen auf der Au,
Mit Honig und mit Maientau,
Mit Manna und was süße.
Mein Jesus ist mein Tau allein,
Mein Honig, Manna, Blümelein,
Den ich für alls genieße.

4
Ach, daß ich doch nur möchte sein
Gleich wie ein kluges Bienelein,
So wollt ich mich erheben.
Ich hinge mich an seine Brust
Und bliebe da nach Wunsch und Lust,
Bis ich zerfließe, kleben.

5
Jesu, so hilf mir doch dazu,
Daß ich schon jetzt darinnen ruh
Auf himmelische Weise.
Du bleibest doch in Ewigkeit
Meins Herzens Trost und Süßigkeit,
Mein bester Trank und Speise.
_____
 

 

CXIV.
Sie befiehlt sich ihm bei angehender Nacht
 

1
Dieweil nunmehr die finstre Nacht
Der Sternen Heer führt auf die Wacht,
Und Phöbus seinen Glanz
Vor uns verbirget ganz,
So will ich mich zu dir,
Mein Leitstern Jesu, wenden
Und diesen Tag vollenden
Mit himmlischer Begier.

2
Ich sage dir von Herzen Dank
Mit aller Heilgen Lobgesang
Für alls, was deine Gnad
Mir heut erzeiget hat.
Und so ich was vor dir,
Das sündlich ist, gehandelt
Und ärgerlich gewandelt,
Bitt ich, vergib es mir.

3
Ich lege mich mit heilger Lust
Auf deiner Menschheit offne Brust,
Damit du mir den Wein
Deins Herzens flößest ein.
Laß mich, o süßes Bild,
In deinen keuschen Armen
Entschlafen und erwarmen
Und ruhn, so lang du willt.

4
Laß meinen Sinnen für und für
Nichts anders träumen als von dir.
Bei dir, mein Schatz, allein
Laß mein Gemüte sein.
Laß deiner Engel Schar
Mein Leib und Seel bewachen,
Daß mir vom höllschen Drachen
Kein Unglück widerfahr.

5
Und so du etwan meine Seel
Willst nehmen aus des Leibes Höhl,
O allerliebstes Licht,
So denk an deine Pflicht.
Laß mich im selben Nun
Auf einem Engelswagen
Ins Paradeis hin tragen,
Daß ich mög ewig ruhn.
_____
 

 

CXXXII.
Jesus der treue Hirte sucht die Psyche
und verlobt sich mit ihr
 

1
Hört Wunder, hört, des Königs Sohn,
Der sprang herab von seinem Thron
Und ließ sich Schäfer grüßen.
Damit er nur die Hirtenmagd,
Die Psyche, die der Feind verjagt,
Liebkosen möcht und küssen.

2
Er suchte sie durch Feld und Wald,
Er schrie und ruft' ihr mannigfalt
Mit herzlichem Verlangen,
Er lief durch Berg und auch durch Tal
Inbrünstig und schrie überall:
O Psyche, komm gegangen.

3
Bis endlich fand er sie allein,
Verirrt in einer Wüsten sein,
Im Schlaf dazu versunken.
Da trat er liebreich zu ihr hin,
Berührend ihren Geist und Sinn
Mit seinen Liebesfunken.

4
Ach, ach, sprach er, du armes Kind,
Wie schmerzts mich, daß ich dich so blind
Und voller Schlaf hier finde.
Steh auf, steh auf, ich komm zu dir,
Daß ich dich in mein Reich einführ
Und dich mit mir verbinde.

5
Ich suche dich und bin verliebt,
Verliebt bin ich und sehr betrübt
Um dich, mein ander Leben.
Gib mir dein Herz, sei meine Braut
Und bleibe mir allein vertraut,
So will ich dich erheben.

6
Da sprach die Psyche: Jesu Christ,
Der du in mich verliebet bist,
Sei tausendmal willkommen!
Ich kenne dich schon, weil dein Brand
Im Schlaf dich mir gemacht bekannt
Und mir mein Herz genommen.

7
Ich liebe dich und danke dir,
Du meines Lebens ewge Zier,
Daß du mich hast erwecket,
Ich würde sonst gleich wie ein Schaf
In meinem Irrtum, meinem Schlaf,
Noch immer sein gestecket.

8
Ich liebe dich, du liebster Freund,
Ich such zu sein mit dir vereint
Und mich dir einzuleiben.
Hier ist mein Herz, hier ist die Braut,
Nimm mich, ich bin dir schon vertraut
Und wills auch ewig bleiben.
_____



CXXXVI.
Sie hält ihn, daß er soll bei ihr bleiben
 

1
Bleib hier, bleib hier, du Trost der Schäferinnen,
Ich lasse dich, mein Schatz, ja nicht von hinnen.
Bleib hier, mein Bräutigam, mein Liebster, weiß und rot,
Ach, bleib doch hier, mein Licht, mein Engel und mein Gott.

2
Was Trosts hab ich auf dieser dürren Erden,
Wenn du, mein Lieb, auch solltest mir entwerden?
Bleib hier, ich lasse dich aus meinen Armen nicht,
Bis daß der große Tag der Ewigkeit anbricht.

3
Bist du mein Trost, so tröst auch meine Seele.
Bist du mein Schatz, so bleib in meiner Höhle.
Bist du mein Bräutigam, so liebkos auch die Braut,
Die du durch deine Lieb dir einmal hast vertraut.

4
Denk doch, was ist die Welt ohn eine Sonne,
Die Höhl ohn Schatz, das Leben ohne Wonne!
Der Himmel ohne Gott, die Braut ohn Bräutigam!
Drum bleib doch hier, mein Lieb, mein Täublein und mein Lamm.

5
Jedoch willst du, daß ich soll einsam leben,
So will ich mich aus Liebe drein ergeben,
Vergiß nur meiner nicht, kehr wieder bald zu mir,
Du Leben meines Geists und meiner Seelen Zier.
_____




CL.
Die Psyche begehrt ganz und gar zu Gott
 

1
Du tausendliebster Gott, mein innigstes Verlangen,
Mein ewges Freudenlicht, das mir mein Herz gefangen,
Nimm mich doch ganz zu dir,
Mein einzige Begier,
Nimm mich doch ganz zu dir.

2
Du Abgrund meines Geists, du Räuber meiner Sinnen,
Du zuckersüßer Tod, der mich nun führt von hinnen,
Nimm mich doch ganz zu dir,
Mein einzige Begier,
Nimm mich doch ganz zu dir.

3
Du höchst gesuchter Schatz, du liebelichstes Leben,
Du ganz begierlichs Gut, dem ich mich muß ergeben,
Nimm mich doch ganz zu dir,
Mein einzige Begier,
Nimm mich doch ganz zu dir.

4
Du hohes Freudenmeer, du Brunnquell aller Lüste,
Du aller Geister Ruh, du angenehme Wüste,
Nimm mich doch ganz zu dir,
Mein einzige Begier,
Nimm mich doch ganz zu dir.

5
Du innigs Paradeis, du unvergleichlichs Wesen,
Du einger Lebensbrunn, in dem ich muß genesen,
Nimm mich doch ganz zu dir,
Mein einzige Begier,
Nimm mich doch ganz zu dir.
_____




CLIII.
Sie sehnt sich nach der ewigen Herrlichkeit
 

1
Wie schön bist du, mein Leben und mein Licht,
Wie lieblich ist dein holdes Angesicht!
Wie hoch begierlich ist die große Freud und Wonne,
Die man in dir genießt, du ungeschaffne Sonne.

2
Mein Herze seufzt und sehnet sich nach dir,
Den Geist verlangt mit schmerzlicher Begier,
Wer wird mir endlich doch, daß ich dich schaue, geben
Und meine Blödigkeit in deinen Glanz erheben.

3
Wie herrlich ist dein göttliches Palast,
Das du in dir zu deiner Wohnung hast!
Wann werd ich dermaleinst in deinen Tempel gehen
Und deiner Majestät allda zu Diensten stehen.

4
Wann werd ich dir mit englischem Gesang
Für deine Treu erzeugen Lob und Dank?
O meines Herzens Gott, wann werd ich dich dort oben
Mit deinen Heiligen in ewgem Jubel loben!

5
Ach, daß ich doch mich noch nicht soll erfreun
Und dir daselbst das Halleluja schrein!
Wann werd ich denn vor dich mein arme Seele bringen
Und deiner Würdigkeit das ewge Sanktus singen?

6
O wahrer Trost, wann wird es denn geschehn,
Daß ich dich werd ohn alles Mittel sehn?
Wann werd ich, wie du bist, dich schauen und empfinden
Und in dich, süße Flut, zerfließen und verschwinden.

7
Wer ist dir gleich, wer ist so groß als du?
Wer sitzt so stolz in ewger Freud und Ruh?
Wer weiß den Überfluß der Reichtümer zu schätzen,
Mit welchen du mich wirst in Ewigkeit ergätzen.

8
Du bist allein mein ewges Freudenmeer,
Bist all mein Gut und was ich nur begehr.
Ich werde mich an dir nicht satt genugsam sehen,
Wenn deiner Herrlichkeit Eröffnung wird geschehen.

9
Wird auch mein Geist in ihm sein zu der Zeit,
Wenn ich, o Gott, werd eingehn in die Freud?
Werd ich auch von mir selbst vor großer Wollust wissen,
Wann deiner Gottheit Strom in mich sich wird ergießen?

10
Ach, es vergeht mir jetzt schon Kraft und Sinn
Und mein Gemüt ist aus mir nach dir hin.
O wonnigliches Gut, zeuch doch mein ganzes Wesen
In deinen Abgrund ein, so bin ich wohl genesen.
_____



CLXV.
Die Psyche sehnt sich mit
verlangendem Seufzen nach Christo
 

1
O Jesu, meine Lieb,
Wie sehn ich mich nach dir!
O wesentliche Sonne,
Mein einge Freud und Wonne,
Wann, wann erscheinst du mir?

2
O angenehmster Gast,
Wie wart mein Herz auf dich!
O tausendliebste Seele,
Wann kommst in meine Höhle,
Wann, wann besuchst du mich?

3
O zuckersüßer Trost,
Den ich alleine mein!
O auserwähltes Leben,
Das meinem Kraft muß geben,
Wann seelst du dich mir ein?

4
O liebelichster Kuß,
Herzlabender Geschmack?
O innigliche Quelle,
Erquickendes Gefälle!
Wann ist dein Ankunftstag?

5
O ewg' Ersättigung,
Ruh aller Liebsbegier,
Fried über allen Sinnen,
Mein einziges Beginnen!
Wann kommst du, Gott, zu mir?
_____



CLXVIII.
Jesus ist ihr ganz schön
 

1
Du bist ganz schön, mein edle Zier,
Du bist ganz schön, mein Leben,
Kein Makel wird gespürt an dir,
Kein Tadel dir gegeben.
Du bist ganz schön, mein einges Licht,
Nichts ist, was dir gebricht.

2
Dein Haupt ist wie das feinste Gold,
Dein Augen wie der Tauben,
Dein Antlitz voller Gunst und Hold,
Voll Kraft das Herz zu rauben,
Wer dich nicht liebt, der muß ein Stein
An Leib und Seele sein.

3
Dein Rosenmund, wenn er sich regt,
Verzückt mir Kraft und Sinnen,
Dein Atem, wenn er mich anschlägt,
Zeucht meinen Geist von hinnen,
Was an der Kehle mich erfreut,
Ist ewge Süßigkeit.

4
Dein Leib ist weiß wie Heifenbein,
Grad und voll Majestäten,
Er schimmert wie viel edle Stein
In goldnen Panzerketten.
Den Marmelsäuln, von Ziergold reich,
Sind deine Beine gleich.

5
Kurz, du bist gleich wie die Gestalt
Der Zitronatenwälder,
Ausbündig, blühend, mannigfalt
Wie die gestickten Felder.
Wer dich nicht liebt, du schöner Gott,
Der ist lebendig tot.
_____
 

 

CLXXXIV.
Ihr Geliebter ist ihr und sie ihm
 

1
Mein Lieb ist mir und ich bin ihm
Ein unverwendter Cherubim,
Wir schaun einander immer an,
So viel er mag, soviel ich kann.

2
Er hebt mich innig über sich,
Ich lieb ihn wieder über mich.
Er neiget sich zu mir mit Gunst
Und ich zu ihm mit keuscher Brunst.

3
Er sucht in meinem Herzen Ruh
Und ich schrei seinem immer zu.
Er wünscht zu sein in meiner Höhl
Und ich in seiner süßen Seel.

4
Er stillet meines Geists Begier,
Ich seine, die er hat zu mir.
Er kommt zu mir mit seinem Kuß
Und ich zu ihm mit stetem Gruß.

5
Er hat an mir sein eigne Lust
Und ich an seiner milden Brust.
Er ist mein angenehmster Klang
Und ich sein liebster Lobgesang.

6
Er ist mir Bräutgam, ich ihm Braut,
Er hat sich mir, ich ihm vertraut.
Er bleibet unzertrennlich mein
Und ich bleib unabläßlich sein.

7
So ist mein Lieb mir zugetan!
So bin ich ihme, was ich kann!
So mußt du sein, willst du zu ihm,
Wie Cherubim und Seraphim.
_____
 

 

Die Psyche liebt Jesum mehr als sich selbst
und alles, was sie ist

1
Mehr als mein Augen lieb ich dich,
Du mehr als Tausendschöner!
Mehr als mir selbst ergeb ich mich,
Du würdiger Nazarener.
Mehr als den Atem und was sonst
Schätz ich mir deine Gnad und Gunst.

2
Du bist mir lieber als mein Herz,
Mehr teur als mein Geblüte,
Mehr angenehm ohn allen Scherz,
Als selbst mir mein Gemüte.
Du bist mir edler als die Seel,
In meines eignen Leibes Höhl.

3
Mein Wesen ist mir nicht so wert,
Nicht hunderttausend Leben,
Die ich, wenn sie mir wärn beschert,
Für dich nicht wollte geben.
Mit einem Wort, ich liebe dich
Viel tausendmal mehr als selbst mich.

4
Ach, daß dich doch, du höchstes Gut,
Die ganze Welt so liebte
Und aller Menschen Sinn und Mut
In dieser Lieb sich übte!
Ach, huldenreichster Glanz und Schein,
Strahl diese Lieb doch allen ein!
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Aus: Angelus Silesius Sämtliche Poetische Werke in drei Bänden.
Hrsg. und eingeleitet von Hans Ludwig Held.
Band 2: Jugend- und Gelegenheitsgedichte.
Heilige Seelenlust oder Geistliche Hirten-Lieder.
Carl Hanser Verlag München 1949

 

 

 


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