Gottesliebe

Worte der Liebe
aus der christlichen Welt
 

Christus - 7. Jh., Koptisches Museum, Alt-Kairo




Symeon der Neue Theologe
(949-1022)



Erste Hymne (1)

Komm, wahres Licht,
Komm ewiges Leben.
Komm, verborgenes Mysterium.
Komm, namenlose Köstlichkeit.
Komm, Unaussprechlichkeit.
Komm, Wesen, fliehend Menscheneinsicht.
Komm, immerwährende Erhebung.
Komm, abendloses Leuchten.
Komm, ersehnt von allen, die nach Erlösung dürsten.
Komm, der Toten Auferstehung.
Komm, Mächtiger.
Mit bloßem Wink erschaffst du immerwährend alles,
Verwandelst es und wechselst es.
Komm, gänzlich unschaubar, unberührbar, unantastbar.
Komm, immer bleibend unbeweglich,
Doch ganz hinübergehend in die Stunden.
Du kommst zu uns, die wir im Elend liegen,
Und doch steht über allen Himmeln dein Gezelt.
Komm, Name, hochersehnt und hochgefeiert:
Es auszusprechen, was du bist, und wie du bist,
Das zu erkennen, und wie dein Dasein ist,
Uns ewiglich versagt bleibt.
Komm, Freude ohne Ende.
Komm, Kranz der Unverwelklichkeit.
Komm, unsres großen Gottes, unsres Königs Purpur.
Komm, Gürtel, wie Kristall erglänzend,
Im bunten Spiel der Perlen schimmernd.
Komm, Zuflucht, unerreichbar.
Komm, Königspurpur, Rechte der erlauchten Majestät.
Komm, den meine arme Seele ersehnt hat und ersehnt.
Komm, Einsamer, zum Einsamen;
Denn einsam bin ich, wie du siehst.
Komm, der du mich alleingestellt,
Zum Einsamen gemacht hast auf der Erde.
Komm: zur Sehnsucht bist du mir geworden,
Du hast das Sehnen mir nach dir gegeben,
Der jedem Seufzer unerreichbar ist.
Komm, mein Odem und mein Leben.
Komm, meiner armen Seele Tröstung.
Komm, Freude, Glorie, meine ewige Wonne.
Dank sag ich dir, daß du zu einem Geist mit mir geworden,
Unvermischt und ohne Änderung und Wandel.
Alles überragend, da du Gott,
Bist dennoch du in allem alles mir geworden.
O Speise du der Unaussprechlichkeit,
Der Unverzehrbarkeit.
Nie versiegend, schüttest du dich über meiner Seele Lippen aus,
Meines Herzens Quelle mit deiner Fülle überströmend.
Blitze sprühendes Gewand, versengend die Dämonen.
Sühnend Opfer: durch heilger Tränen anhaltendes Strömen,
Das deine Gegenwart den von dir Heimgesuchten gibt,
Wäscht du mich rein.
Dank sag ich dir: Tag ohne Abend bist du mir geworden,
Sonne sonder Untergang,
Der du nicht hast, wo du dich bergen könntest:
Mit deiner Herrlichkeit erfüllest du das All.
Niemals hast du vor jemand dich verborgen.
Aber wir, immer suchen wir uns zu verstecken vor dir,
Solange wir nicht vor dir treten wollen.
Ja, wo solltest du dich auch verbergen?
Nirgends gibt’s für dich ein Ruheplätzchen.
Oder, warum solltest du dich auch verbergen?
Da du niemanden aus aller Welt verschmähst,
Niemanden zu fürchten brauchst.
Wohlan denn, Heiliger Herr:
Dein Zelt schlag in mir auf
Und deine Wohnungen nimm in mir,
Und bis zu meinem Aufbruch darfst du mich nicht verlassen,
Geh nicht hinweg von deinem Knecht,
Damit auch ich in meinem Scheiden
Und nach dem Scheiden mich in dir finde,
Und mit dir herrsche,
Der du, Gott, herrschest über allem.
Verweile, Herr, und laß mich nicht allein.
Dann werden meine Feinde, wenn sie nahen
Und immer wieder meine Seele töten wollen,
Sehen, wie du in mir bleibst, und dann weit, weit sich flüchten,
Und nichts mehr über mich vermögen,
Wenn sie dich, den Allgewaltigen, drinnen,
Im Hause der verzagten Seele mein, hoch auf dem Throne sitzend sehen.
Wie du, o Herr, da ich noch Weltkind war,
An mich gedacht,
Und, ohne daß ich es nur ahnen konnte,
Mich erwähltest, mich der Welt entrissest
Und vor das Auge deiner Herrlichkeit mich stelltest:
So mach auch jetzt mich innerlich gefestigt,
Daß ich nimmer wanke,
Bewahre mich, indem du in mir wohnen bleibst,
Daß Tag für Tag in deiner Schau ich Toter lebe,
Und, dich besitzend, ich Armer immer reich sei.
So werde ich stärker sein als alle Könige,
Und, dich essend und dich trinkend,
Dann von Stund zu Stunde unsagbarer Wonnen Seligkeit,
In dich mich hüllend, kosten.
Denn du bist das Gute ganz,
Du bist die ganze Schönheit,
Du die ganze Seligkeit.
Und dir gebühret Ruhm,
Der Heiligen Dreieinigkeit, der wesenseinen,
Die im Vater und im Sohne
Und im Heiligen Geiste gefeiert und erkannt,
Und angebetet und verehrt wird
Von der Gläubigen Gemeinschaft:
Nun und immer und durch der Ewigkeiten
Unbegrenztheit.
(S. 7-10)
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Zweite Hymne (2)

(…) Du bist das Reich der Himmel, Christus,
Du der Lammesmilden Heimat.
Grünender Himmelsgarten du.
Du göttlicher und unsagbarer Wonnen Brautgemach.
Du allen gemeinsame Tafel.
Du Brot des Lebens.
Du kühlendster Trank.
Du Becher des Wassers.
Du Wasser des Lebens.
Du aller Heiligen unauslöschliche Leuchte.
Du das Kleid und der Kranz und der Spender der Kränze.
Du die Freude und die Ruhe.
Du die Glorie und Wonne.
Du der Gegenstand des Jauchzens.
Du der Seelen Labsal.
Und deines Heiligen Geistes Gnade wird,
Mein Gott, der Sonne gleich in allen deinen Heiligen leuchten.
Und leuchten wirst in ihrer Mitte du
Als unzugängliche Sonne,
Und nach dem Grade ihres Glaubens und ihrer Glaubenswerke,
Der Hoffnung und der Liebe,
Der Reinheit und Erleuchtung,
Wird alle deines Heiligen Geistes Licht durchfluten.
Du bist langmütig allein, o Gott. (…)
(S. 17-18)
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Siebente Hymne (7)

Du bist ein flutend Feuer,
Ein erquickend Wasser,
Verzehrst und fließest doch von Wonne über
Und befreiest von Verderbnis.
Menschen machst zu Göttern du,
Die Finsternis zu Licht,
Führst aus der Unterwelt zurück,
Beschenkst die Toten mit Unvergänglichkeit.
Führst aus Finsternissen hin zum Licht.
Schließest die Tür der Nacht mit deiner Hand.
Umgibst das Herz mit Lichtesschimmer.
Wandelst mich gänzlich um.
Verbindest mit Menschen dich, machst sie zu Göttern;
Entflammest sie mit deiner Liebe, deiner Kindschaft,
Deiner Gnade, durch deinen Geist.
Vereinst als Gott auf wunderbare Weise
Das von dir Getrennte.
(S. 36)
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Fünfzehnte Hymne (15)

(…) Mit lauten Liedern lob ich deine Güte
Und preise den, der unsere Natur verklärt.
Preis, o göttlich Wort,
Preis deinem Kommen, das nicht zu messen ist!
Preis sei deiner Güte!
Preis sei deiner Macht!
Preis dir, dem Wandellosen,
Der du beharrst und dich nicht änderst!
Ganz bist du unbeweglich und du bewegst dich stets.
Ganz bist du außerhalb der Schöpfung,
Ganz in ihrer Mitte;
Gänzlich füllst du alles aus
Und bist doch gänzlich außer allem.
Über allem bist du, Herr,
Über allem Anbeginn und über allem Wesen,
Über allem Wesen der Natur bist du
Und über allen Menschenaltern,
Über jedem Licht bist du
Und über aller Himmelsgeister Einsicht.
Denn auch diese sind dein Werk,
Besser sag ich, deiner Einsicht Werk.
Denn du bist nichts von allem,
Du stehst über allem.
Urgrund bist du aller Dinge, die da sind,
Aller Dinge Bildner,
Darum bist du auch getrennt von ihnen,
Unterscheidest dich von allem;
Ragend über alle Dinge, die da sind,
Wirst du erkannt.
Du fliehst den Blick der Augen,
Man kann dich nicht erreichen, nicht erfassen,
Nicht berühren, nicht erkennen.
Du bist unwandelbar, ganz einfach bist du
Und doch ganz mannigfach.
Und deines Glanzes Mannigfaltigkeit
Und deiner Schönheit Zier,
Nie kann mein Geist sie ganz ergründen.
Wie denn ist der,
Der nichts von allem ist, doch über allem?
Der du außer allen Dingen bist
Und aller Dinge Gott,
Und Anblick, Nähe, Geist, Berührung fliehst,
Du bist ein Sterblicher geworden,
Kamst in die Welt hinein
Und nahmst den Körper eines Menschen an,
Bist zugänglich erschienen allen Menschen.
Und ließest dich sogar von deinen Gläubigen
Im Glanze deiner Göttlichkeit erkennen,
Von ihnen dich erfassen,
Der du doch ganz unfaßbar bist,
Und gänzlich dich von ihnen schauen,
Der du doch sonst unschaubar allen bist,
Sie durften schauen
Deiner Göttlichkeit hochheilige Majestät. (…)
(S. 68-70)
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Sechzehnte Hymne (16)

Wie aller Kreatur verehrungswert ist dieses!
Was ists doch um das Licht,
Das der Verstand erfassen kann, das allen schaubar ist!
Und welcher Art sind diese Reichtümer, wie groß!
Noch keiner von den Sterblichen hat je sie finden,
Sie besitzen können.
Denn sie sind allen unbegreiflich,
Von aller Welt nicht zu erfassen.
Sind über alle Welt begehrenswert.
Sind eben in dem Maße wünschenswert,
Wie auch der Bildner über jenen Dingen steht,
Die sichtbar sind.
Und darum auch bereitet mir
Zu ihm die Liebe Wunden.
Soweit ich ihn nicht fasse,
Reibt sich mein Geist in Kümmernissen auf,
Und heiß entringt dem Herzen sich mein Seufzen.
Von einem Ort zum andern irrend wandernd,
Suche ich, im Innern brennend,
Ihn und finde dennoch nirgendwo,
Den meine Seele liebt.
Ich schau und schau rings um mich her,
Ob ich erschauen kann,
Nach dem mein Sehnen geht.
Doch er entzieht sich gleichsam meinen Blicken,
Will ganz und gar nicht mir sich zeigen.
Doch wenn zu weinen ich beginne,
Wie ein Verzweifelter,
Dann bietet er sich meinen Augen dar:
Er schaut mich an, der alle Dinge schaut.
Staunen und Verwunderung erfaßt mich
Über diese Schönheit ohnegleichen.
Und wie der Schöpfer aus offnem Himmel
Auf mich niederschaut,
Mir neuen, unnennbaren Glanz zu schauen gibt.
Und während solches ich bei mir erwäge,
Frag ich mich: Wer wird denn jemals jenem näher kommen?
Oder wie wird er zu solcher grenzenlosen Höhe sich erheben?
Er wohnt in mir und ist wie eine Leuchte mir
In meinem armen Herzen,
Bekleidet mich von allen Seiten
Mit unsterblichem Glanze,
Durchleuchtet alle meine Glieder,
Ganz mich umarmend und mich küssend,
Gibt er sich gänzlich mir ohn mein Verdienst zu eigen.
Gesättigt werde ich von seiner Liebe,
Seiner Schönheit,
Und von der Wonne seiner Göttlichkeit erfüllt
Und ihrer Süße.
Teilhaft des Lichtes werde ich Genosse
Seiner Herrlichkeit.
Mein Antlitz leuchtet wie das Antlitz dessen,
Der meine Sehnsucht ist.
Und alle meine Glieder werden licht.
Dann werde schöner ich
Als alle Schönheit,
Reicher als die Reichen,
Mächtiger als alle Mächtigen
Und größer als die Könige,
Weit herrlicher als alle Sichtbarkeit,
Nicht nur als diese Erde, ihre Schätze, nein,
Schöner als der Himmel und die Himmelskörper gar,
Da ich ja aller Dinge Bildner in mir trage,
Dem Ruhm gebührt und Ehre,
Nun und in Ewigkeit.
(S. 75-76)
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Siebzehnte Hymne (17)

(…) In meiner Zelle sitze ich, bei Nacht, bei Tag.
Die Liebe ist zugegen,
Auch wenn sie sich nicht zeigt,
Und man sie nicht erkennt.
Und wenn sie außer allen Kreaturen ist
Und wenn sie wiederum in allen ist,
Sie ist ein Feuer, ist ein Glanz,
Wird Lichtesnebel, wird zur Sonne gar.
Als Feuer spendet sie der Seele Wärme,
Zündet an mein Herz,
Facht es zur Sehnsucht und zur Liebe seines Bildners an.
Und ich bin hinlänglich entflammt,
Daß meine Seele brennt,
Umgibt sie gänzlich mich mit Lichtesstrahl,
Senkt Strahlenbündel mir in die Seele ein,
Und da sie meinen Geist erleuchtet
Und ihm Klarheit gibt,
Macht sie ihn fähig, Tiefen zu betrachten. (…)
Nun aber ist fürwahr die Liebe aller Tugend erste,
Königin und Herrin.
Sie ist das Haupt und sie das Kleid,
Sie aller Tugend Herrlichkeit.
Doch ohne Haupt ist tot der Leib und ohne Geist.
Ist ohne Kleid nicht nackt der Leib?
Die Tugenden sind ohne Liebe morsch und ohne Sinn.
Wen keine Liebe schmückt,
Der ist entblößt der Gottesherrlichkeit;
Selbst wenn er alle andern Tugenden besitzt:
Nackt steht er da. (…)
Der Schöpfer kam in diese Welt,
Nahm Leib und Seele an,
Gab uns den Gottesgeist,
Der Liebe heißt. (…)
(S. 85-89)
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Sechsundzwanzigste Hymne (26)

Über alles Ahnen herrlich ist, Herr Jesus, deine Schönheit,
Ohnegleichen deine Pracht, unsagbar deine Zier
Und über jedes Wort und alle Vorstellung erhaben.
Deine Denkart, deine Güte, deine Sanftmut
Übersteigen aller Sterblichen Gedanken.
Und darum ist nach dir das Sehnen und zu dir die Liebe
In vieler Hinsicht über alle Menschenliebe,
Alle Menschensehnsucht.
Denn in dem gleichen Maß,
In dem du über alle Sichtbarkeit erhaben,
Im selben Grad auch ist zu dir die Liebe größer.
Sie verdunkelt alle Liebe unter Menschen,
Alle Liebesfäden körperlicher Wonnen reißt sie ab,
Die bösen Leidenschaften allesamt weist sie alsbald zurück.
Denn in Wahrheit sind die Leidenschaften Dunkelheiten,
Und abgrundtiefe Nacht der Sünden schmachvolle Vollendung.
Die Liebe aber, die selbstlos reine Liebe
Gegen dich ist Licht.
Wenn sie in Seelen, die Gott lieben, aufsteigt,
Verscheucht sie alsogleich der Leidenschaften
Und der Sinneswonnen Finsternisse,
Verbreitet einen Tag um sich, der sonder Leidenschaft.
O Wunder! Unvermutbar Werk des höchsten Gottes!
O der Geheimnisse, die in der Stille sich vollziehen, Macht! (…)
(S. 161)
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Siebenundzwanzigste Hymne (27)

Wieder leuchtet mir das Licht.
Wieder schau ich klar das Licht.
Wieder schließt es mir den Himmel auf
Und die Nacht verscheucht es mir.
Wieder deckts mir alles auf
Und bringt mir alles an den Tag.
Wieder schaue ich das Licht allein.
Wieder hebts mich über alle Sichtbarkeit empor,
Und oh, desgleichen trennt es mich von allen Sinnendingen.
Wieder weilt, der über allen Himmeln ist,
Den keiner von den Menschen je gesehn, in mir.
Nicht entriegelt er die Himmelstür,
Nicht bricht er Bahn sich durch die Nacht,
Nicht scheidet er das Luftgebild
Und er versehrt das Dach des Hauses nicht,
Nein, ohne auch nur etwas zu durchdringen,
Weilt er bei mir, dem Armen, mitten in der Zelle mein
Und inmitten meines Geistes,
Und mitten in mein Herz hinein [oh, ein verehrenswert Mysterium!]
Fällt das Licht mir, und es verharret alles, wie es ist,
Und dieses Licht erhebt mich über alles.
Und ich, der ich inmitten aller Dinge bin,
Bin allen Dingen nun entrückt,
Ja, glaube gar, dem Körper selbst entrückt.
Hier bin ich gänzlich nun in Wahrheit ich,
Wo nur noch Licht um mich,
Ja, nur noch Licht.
Da ich es schaue, werde ich von selber einfach,
Ohne Falten.
Das sind, o Christus, deiner Wunder
Staunenswerte Taten,
Das Werke deiner Macht und Güte,
Die du in uns vollführst,
Und die wir nicht verdienen.
Und darum zittre ich, von Furcht erfüllt,
Und ständig peinigt mich die Sorge,
Und gar hart ist meine Qual,
Wenn ich mich frage, wie für so ungezählte Gaben,
Die deine ach so große Huld an mir verschwendet,
Wie für sie ich danken,
Was für sie ich bieten soll.
Nichts kann ich in mir finden,
Da nichts im Leben mein ist,
Alles dir gehört und alles deiner Hände Werk ist.
Es mehrt sich mir die Scham und sie bedrückt mich,
Groß ist meine Qual:
Ich muß es wissen, was ich tun soll,
Dich zu ehren, tun, damit ich dir gefalle,
Damit ich so vor deinem Richterstuhl
Am Tag des Urteils der Verdammnis nicht verfalle. (…)
(S. 165-166)
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Vierunddreißigste Hymne (34)

Gepriesen bist du, Herr, gepriesen bist du allein.
Gepriesen bist du, o Erbarmer.
Über allen Preisgesang bist du gepriesen.
Du senktest in mein Herz mir deiner Satzung Licht.
Den Baum des Lebens pflanztest du mir ein.
Du schufst mich um zu einem Himmelsgarten
Inmitten jener Wesen, die man schauen kann.
In diese Sinnenwelt hast du als einsichtsvolles Wesen
Mich gestellt und ließest dennoch mich
Als Sinnenwesen in der einsichtsvollen Wesen Welt.
Du gabst dazu mir einen andern Geist:
Den Heiligen Geist hast du der Seele mein vermählt,
Gabst eine Wohnstatt ihm in meinem Innern.
Der ist fürwahr ein einziger Baum des Lebens.
Dieser Baum, in welches Erdreich einer Menschenseele
Man ihn setzt, schafft sie,
Wenn er im Herzen Wurzeln schlägt,
In einen Himmelsgarten um.
Ganz herrlich schmückt er sie mit auserlesenen Gewächsen,
Bäumen, aller Art von Früchten und mit Blumen,
Bunt und mannigfalt, mit Lilien,
Die Wohlgerüche hauchen:
Mit Demut, Frieden, Freude, Sanftmut,
Mitleid, Traurigkeit, mit Tränenströmen,
In denen unerhörte Wonne quillt,
Mit deiner Gnade Glanz, die alles licht macht,
Was in diesem Garten sich befindet.
Du bist ein Abgrund: Ströme gießest du in mich
Des Lebens aus,
Worte göttlicher Gedanken reichst du mir
In reicher Fülle hin.
Wenn dus nicht wolltest, anders wirktest,
Ein Tor wär ich und töricht wie ein Stein.
Wie die Trompete,
Wenn man sie nicht bläst, nicht schmettern kann,
So bin auch ich, wenn du nicht da bist,
Gleichsam ohne Seele. (…)
(S. 222-223)
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Sechsunddreißigste Hymne (36)

Dein Licht, das mich umstrahlt, o Christus,
Erweckt zum Leben mich.
Denn dich sehen heißt zurück ins Leben gehen,
Heißt von den Toten auferstehen.
Was dein Bild bewirkt, nicht kann ichs sagen.
Doch das weiß ich wirklich und erkenne es:
Ob mich nun Krankheit, ob mich Schmerz,
Ob Trauer, ob mich Bande, Hunger und Gefängnis fesseln,
Noch schwerere Beschwerden mich beschweren,
Erstrahlt dein Licht, wird alles mir
Wie Finsternis vertrieben und verscheucht,
Und in Ruhe und in Licht
Und in des Lichts Genießen
Sehe ich plötzlich mich gestellt
Durch deinen Gottesgeist.
Ich weiß, daß Rauch die Schmerzen sind,
Böse Gedanken Finsternisse,
Speere die Prüfungen,
Bekümmernisse Nebel,
Leidenschaften wilde Tiere heißen.
Von ihnen hast du einstens mich befreit,
Von ihnen mich errettet,
Und mählich mir mit deinem Lichte tagend,
Bewahrst du mich auch jetzt,
Wenn ich darinnen wandle, ohne Wunden,
Indem du mich mit deinem Lichte schirmst. (…)
Wie eine Sonne schaut man dich.
Denn da die Finsternisse fliehen, sich verziehen,
So mein ich, daß du kommst,
Der du doch allerorten gegenwärtig bist.
Sobald du ganz mich wie vorhin umgeben,
Sobald du ganz umschlungen mich mit deinen Armen,
Mich bedeckt, werd ich befreit von Übeln, Finsternissen,
Prüfungen und Regungen, die wider die Vernunft,
Und allem bösen Denken werde ich entrissen,
Mit Gutsein werde ich erfüllt, mit Jubel,
Freude, unglaublicher Geisteswonne,
Indem die furchtbaren Mysterien ich schaue
Und gewissermaßen neue Wunder schaue.
Schaue, was kein Menschenauge schaut,
Noch schauen kann, und was in keines Menschen Herz je kam.
Darob erstaune ich gar sehr und meine Kraft verliere ich,
Gänzlich werd ich allen Erdendingen fremd,
Beständig geht mein Lob zu dir.
Und eine neue Wandlung in mir merkend,
Das Maß der Hilfe von allmächtiger Hand,
Wie du beim Strahl und beim Erscheinen
Deines Lichts mir alle Traurigkeit genommen
Und mich der Welt entrissen
Und um geheimnisvollen Preis mit dir vereint
Und in den Himmel bald mich wieder stelltest,
In dem kein Kummer wohnt, kein Seufzen,
Keine Zähren wohnen,
Wo keine Schlange in die Ferse beißt,
Und wie du mir gezeigt,
Daß keineswegs voll Müh und Fährnis sei der Weg,
Der sonst doch allen Sterblichen verderblich ist
Und eng und schwer, nein,
Daß ichs wahrer sage, unbeschreitbar wär. (…)
(S. 234-236)
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Aus: Symeon der Theologe Licht vom Licht Hymnen
Deutsch von Kilian Kirchhoff [1892-1944]
Hegner Verlag 1930


 

 


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