Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Joseph von Hammer-Purgstall)


Aus: Der Buchstabe Dal

LXIV. (64)

Einstens ist in dir mehr Sinn
Für die Liebenden gewesen,
Deine Liebe gegen uns
Ist gar weit berühmt gewesen.

Eingedenk bin ich der Nacht,
Wo mit Schönen süßer Lippen
Süße Liebeszauberei'n
In dem Zauberkreis gewesen.

Raubte ihre Schönheit gleich
Mit dem Herzen mir den Glauben,
Bin ich denn doch mehr verliebt
In der Sitte Reiz gewesen.

Wenn des Liebchens Schatte fällt
Auf den Liebenden, was ist es?
Er ist dessen dürftig, Sie
Sehnsuchtsvoll darnach gewesen.

Vor des Himmels grünem Dom
Vor dem blauen Luftgewölbe
Sind schon ihre Augenbrau'n
Meines Blickes Gewölb gewesen.

Von dem ersten Morgen an,
Bis zur letzten Nacht der Nächte,
Ist die Liebe immer gleich,
Und die Treue gleich gewesen.

That ich in der heil'gen Nacht 1
Einen Trunk, so sage nichts,
Denn in meines Freundes Hand
Ist ein volles Glas gewesen.

Brach des Rosenkranzes Schnur
Mir entzwei, halt' mich entschuldigt,
Meine Hand ist bei dem Arm
Silberschenklichter gewesen.

An des Freundes Thüre hat
Mir ein Bettler angesagt:
Wo ich immer saß am Tisch,
Ist mein Nährer Gott gewesen.

Deine Lieder, o Hafis,
Sind einst in dem Paradiese,
Auf den Blättern des Jasmins
Und des Rosenstrauchs gewesen. 2

1 Die Nacht Kadr, eine der heiligsten Nächte des Ramasans oder Fastenmonds, in welcher der Koran auf die Erde gesandt worden seyn soll.

2 Dieses Selbstlob gränzt an Koranlästerung. Auch meine Lieder, sagt Hafis, sind von Ewigkeit her auf den Blättern der Jasminen und Rosen geschrieben gewesen; und dann erst durch mich auf Erden verbreitet worden. Eine leichtfertige Anspielung auf das islamitische Dogma vom Koran, der von Ewigkeit her im Buche des Schicksals aufgezeichnet, und in der obererwähnten heiligen Nacht Kadr durch Gabriel, dem Propheten zugesendet worden ist. Hafis wagt es also gleichsam, seine Wohlredenheit der unübertroffenen und für unerreichbar gehaltenen göttliches des Korans an die Seite zu setzen.




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