Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Joseph von Hammer-Purgstall)


Aus: Der Buchstabe Dal

CXXIII. (123)

Der Fromme, trinket er mit Maaß,
So soll es ihm gedeihlich seyn.
Wenn aber nicht, so soll der Rausch
Auch stets vergessen seyn.

Der Edle, dessen Hand ein Glas
Von Hefewein mir reichen will,
Soll stets mit seinen Händen nah
Dem Arm' des Liebchens seyn.

Der Alte sprach: des Künstlers Schrift 1
Ist ganz von allen Fehlern frey.
Sein Blick voll Nachsicht soll dafür
Von mir gepriesen seyn.

Der Schah der Türken hat das Wort 2
Von den Verläumdern angehört,
Es wird um Sejawuschens Blut
Ein ew'ger Schade seyn.

Der Spiegelhalter vor dem Flaum,
Und vor dem Maale ist mein Aug',
Ich will am Nacken, an der Brust
Der Küßerauber seyn.

Obwohl aus Hochmuth der Derwisch
Zu mir kein Wörtchen sprach,
So soll dem Schweigenden jedoch
Mein Geist ein Opfer seyn.

Wenn dieser trunkene Narziß,
Der aller Männer Herzen hat,
Aus Gläsern Blut der Herzen trinkt,
Soll's ihm gedeihlich seyn.

Es ist durch deinen Dienst, Hafis,
Berühmt geworden in der Welt,
Es soll der Ring von deinem Haar
In seinem Ohre seyn.

1 Um den Lesern, die Revitzky's Probe nicht bei der Hand haben, einen vollständigen Begriff zu geben von der Sorgfalt, mit der Sudi den Dichter kommentirt, und um europäische Gelehrte, welche den Text beßer als persische und türkische Ausleger zu verstehen vermeinen, von der Ueberflüssigkeit ihrer Bemühungen einigermaßen zu überzeugen, wollen wir einmal hier einen Theil des zu dieser und der folgenden Strophe gehörigen Kommentars ganz übersetzen, und Sudi selbst sprechen lassen.
Als ich in Syrien meine Studien vollendete, fragte ich meinen Lehrer, den Molla Halimi aus Schirwan, den berühmten Kaßidesänger, den Molla Mohammed, einen Neffen des großen Dichters Dschami und den ebenfalls als Dichter bekannten Molla Subusi aus Bedachsan um die eigentliche Bedeutung dieses Verses, und sie versicherten mich einstimmig, daß er auf die Geschichte des Abderrisak aus Jamen Bezug habe. Molla Achmed aus Koswin hingegen, dem Se. Maj. Sultan Suleiman (der Gesetzgeber) eine tägliche Pension von hundert Aspern angewiesen hatten, der Schaih Chowaresmi der Scheih, Molla, und Dichter war; und in der Stadt Amed Molla Sulheddin aus Laristan sowohl Molla als Dichter, denen ich dieselbe Frage stellte, antwortete mir, dieser Vers beziehe sich auf die bekannte Sage vom Streite zwischen Moses und Chiser, deßen in der Sure Kahef (die Höhle der Siebenschläfer) Erwähnung geschieht. Ich fragte desgleichen den Molla Efsaleddin, einen in der Rechtsgelehrsamkeit, in der Dichtkunst und anderen Wissenschaften gleich bewanderten Mann, den Verfasser folgenden vier Verse:
Wenn du mich rufst, werd' ich sagen: Ich steh' zu Befehle.
Was du befiehlst, ich sag': Alsogleich soll es geschehn.
Wenn du aus Gnaden und Huld mir sagst: Wir haben verziehen.
Will ich sagen sogleich: Herr, ich hab' Unrecht gethan.
Diesen fragte ich in Bagdad, wo er sich mit der Wallfahrt zum Grabe Alis beschäftigte. Er sagte mir, er selbst habe den wahren Sinn dieses Verses nicht ergründet, aber Dschemal Dewani habe denselben kraft seiner Wissenschaft, als Molla, auf eine Weise ausgelegt, die eben nicht die anziehendste wäre. Ich theilte ihm hierauf die obigen Antworten mit, über welche er eine Weile nachdachte, dann den Kopf aufhob und sagte, daß sich beide Auslegungen sehr wohl hören ließen. Er sagte mir zugleich sehr viel verbindliches, was ich nicht anders, als mit den bestenWünschen erwiedern konnte, und so lang ich mich auf der Wallfahrt beim Grabe Alis befand, genoß ich fleißig seines Umgangs. Nach der Auslegung, welche den Vers auf Moses und Chiser deutet, ist der Alte der Prophet Chiser, und Hafis versetzt sich in die Stelle Moses.
Der Alte sprach: des Künstlers Schrift
Ist ganz von allen Fehlern frey
. Das ist:
Alles mein Thun und Lassen ist vorherbestimmt, und von Ewigkeit her in die Tafel des Schicksals aufgezeichnet; ich hab' es nicht aus freyer Willkühr gethan, sondern auf Befehl Gottes, und alles, was auf Gottes Befehl geschieht, ist recht und gut.
Nach der andern Auslegungsweise wird unter dem Alten der Scheih von Sanaan verstanden, auf welchen Hafis gleichsam als einen seiner Jünger die obigen Worte anwendet. Als der Scheih nämlich einmal nach Cäsarea reiste, verliebte er sich in einen jungen Christenknaben, mit dem er Wein trank. Seinen Jüngern, die ihn darüber sprachen, antwortet er: Alles das sey schon so im Buche des Schicksals geschrieben, und was dort geschrieben, sey Gottes Befehl. Die Schrift des Künstlers, das ist, des Schreibers des Looses, sey von allen Fehlers frey, wofür er auch gepriesen sey.

2 Der Schah der Türken ist Efrasias. Die Prätendenten, von denen im Texte die Rede ist, sind die Neider und Feinde und Verläumder. Sejawusch ist der Sohn von Keikawus, des Herren von Turan, das ist des jenseits des Oxus gelegenen Landes, so wie alles diesseits gelegene Iran hieß. Dieser Kaikawus war ein sehr wollüstiger Fürst, der 360 Weiber hatte, mit deren jeder er einmal im Jahre der Liebe genoß. Eine derselben verliebte sich in seinen Sohn Sejawusch, einen Jüngling von ausgezeichneter Schönheit. Sie foderte ihn auf, mit ihr der Liebe zu genießen, dessen er sich aber standhaft weigerte, wie Jusuf einst bei Suleiha. Das Weib schwor ihm tödtliche Rache, und klagte ihn bald bei seinem Vater an, daß er sie mit Gewalt entehret habe. Der Jüngling läugnete und sagte das Gegentheil von seiner Stiefmutter aus. Da die Religion des Landes der Feuerdienst war, legte ihm sein Vater zum Beweise seiner Unschuld die Feuerprobe auf, die er auch glücklich bestand. Keikawus, von der Unschuld seines Sohnes überzeugt, hegte dennoch heimlichen Groll, welchem zu entfliehen er sich nach Iran begab, wo dessen Herrscher ihn mit ausgezeichneten Ehren empfieng, und ihm seine Tochter zur Frau gab. Diesen Schritt und die Geburt eines Sohnes stellten die Feinde des Prinzen dem Vater von der gehäßigsten Seite vor, so daß er ohne weitere Ueberlegung, seinen Sohn ermorden ließ. Die Frucht dieser Ehe, Keichosrew, als herangewachsen, fiel in Turan ein, und rächte am Großvater den Tod seines Vaters. Diese Geschichte spielt hier auf den Prinzen Eßed, den Sohn Sultans Mansur, aus der Familie Ilchan, an, den sein Vater auf das Wort einiger Wesire schnell hatte hinrichten lassen. Hafis war einer der vorzüglichen Freunde des Prinzen. Schah Mansur heißt mit so mehr Rechte der Schah der Türken, weil er von Hulagu abstammte. Er sollte sich schämen der unschuldigen Hinrichtung seines Sohnes.


zurück