Aus: Der Buchstabe Mim
XXXIV. (34)
Ich habe einen Liebesgötzen,
Im stillen Gemache,
Die Locken und die Wangen haben
Mich zwischen zwey Feuern. 1
Ich bin verliebt, ich bin betrunken,
Und singe zum Wein,
Und diese Tugenden verdank' ich
Den Hurisgestalten.
Wenn du der Meinung bist, ich werde
Verlieren die Sinnen,
So will ich mit den Morgenseufzern
Verwirren die Locken.
Und willst du dich bis zu dem Fenster
Der Trunkenen wagen,
So hab' ich Wein geklärt von Hefen,
Und liebliche Lieder.
Und wenn des Freundes Grünspanflaumen
So lieblich sich zeigen,
So will ich gerne meine Wangen
Mit Blute besprengen.
O bringet mir den Pfeil der Brauen,
Den Panzer der Locken,
Denn mit dem wunden Herzen hab' ich
Viel Kriege zu führen.
Hafis! da auf der Welt die Leiden
Und Freuden vergehen,
So ist es besser, daß du immer
Von frohem Gemüth seyst.
1 Der zweite Vers heißt von Wort
zu Wort: Weil ich wegen der Wangen und Locken Hufeisen
in's Feuer halte. Um dies zu verstehen, wisse man
zuerst, daß es eine der orientalischen Zauberkünste
ist, durch glühende Hufeisen Jemanden Liebe
einzuflössen. Man schreibt nämlich den Namen der mit
Liebe zu bezaubernden Person, und wirft es ins Feuer. Wie
es zu glühen anfängt, schmilzt das kalte Herz in Liebe.
Sudi meint, daß die schwarzen Locken das Hufeisen, und
die brennenden Wangen das Feuer vorstellen; Sie stehen
aber beide hier unter derselben Beziehung, als der
Zauber, wovon Hafisens Herz zerschmilzt.
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