Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Elif

1.


Auf, o Schenke, lass den Becher kreisen
Und dann reiche mir ihn freundlich dar1,

Weil die Lieb', die anfangs leicht geschienen,
Schwierigkeiten ohne Zahl gebar.

Hoffnung, dass der Ostwind endlich löse,
Was an Duft in jenen Locken ruht,

Machte, dass ob ihren krausen Ringen
Jedes Herz beträufelt ward mit Blut2.

Färbe dir den Teppich bunt mit Weine,
Wenn der Wirth, der alte3, es dich heisst,

Denn die Wege und den Lauf der Posten
Kennt der Wand'rer, der so viel gereist4.

Geb' ich in des Seelenfreundes Hause
Jemals wohl mich dem Genusse hin,

Wenn die Glocke alle Augenblicke
Klagend mahnet: »Lasst uns weiter zieh'n!«5

Finster ist die Nacht und bange Schrecken
Birgt der Welle und des Wirbels Schoos:

Die da leichtgeschürzt am Ufer weilen,
Wie begriffen sie mein hartes Loos?

Nur der Eigenwille gab am Ende
All' mein Handeln üblem Rufe Preis:

Bleibt wohl ein Geheimniss noch verborgen,
Das zum Mährchen wird in jedem Kreis?

Wenn, Hafis, du dich nach Ruhe sehnest,
So vergiss nicht, was die Lehre spricht:

»Hast du einmal wen du liebst gefunden,
Leiste auf die ganze Welt Verzicht!«
 

1 Diese Stelle ist einem Gedichte des Jesid Ben Moawia, zweiten Chalifen der Ommajaden, entnommen. Dieser grausame und gotteslästerliche Fürst wird von den Persern auch schon deshalb verwünscht und verflucht, weil er Ursache am Tode Hussein's, des Sohnes ihres geliebten Chalifen Ali' gewesen ist. Der Dichter Ehli aus Schiras warf daher Hafisen diese Entlehnung einer Stelle aus einem Gedichte jenes Fürsten in folgenden Zeilen vor:

Hafisen sah ich einst des Nachts im Traume
Und sprach zu ihm: "Du grundgelehrter Mann,
Was knüpfest Du, so reich begabt mit Wissen,
Den Vers Jesid's an deinen eig'nen an?"
Er sprach: "Du scheinst mir nicht den Spruch zu kennen:
"Man nimmt das Gut des Ketzers, wo man kann."

Der Dichter Katibi aus Nischabur sang bei diesem Anlasse:

"Mich setzt Hafis so mächtig in Erstaunen,
Das  drüber mir das Denken fast vergeht:
Schien ihm der Vers Jesid's denn gar so weise,
Dass er am Anfang seines Diwan's steht?
Denn, ist das Gut dem Ketzer abzunehmen
Dem Musulman gesetzlich auch erlaubt,
Macht es doch stets dem Löwen grosse Schande,
Wenn einen Bissen er dem Hunde raubt."

2 D.h. Jedermann lässt ob der krausen Ringe deiner Locken blutige Thränen auf sein Herz träufeln in der so lange unerfüllten Hoffnung, dass der Ostwind endlich jene Locken löse und den darin enthaltenen Moschusduft verbreite. - Durch das Blut (der Thränen) spielt Hafis auf den im Nabel des Moschushirsches befindlichen Moschuses an, der den Orientalen nichts anderes als geronnenes Blut ist, das von jenem in Tibet, Chata und Choten heimischen Thiere nur mit vielen Schmerzen abzusondern ist. - Wie also der Moschus nur durch schmerzhaften Blutverlust gewonnen wird, eben so schmerzhaft müssen auch die Augen bluten, die so lang vergeblich auf den Moschusduft des Haares des Geliebten hoffen.

3 Der alte Wirth, eine Benennung, worunter die Perser immer einen weisen Greis verstehen. So hiessen ursprünglich die Priester der Feueranbeter oder Gebern; doch als die Muhammedaner Persien eroberten, bedienten sie sich dieses Ausdruckes als eines Zeichens der Verachtung. Später wurde die Benennung alter Wirth, als ehrenvoll auf die wirklichen Wirthe, Besitzer von Karawanserai's und Inhaber von Bädern übertragen, die sich durch den häufigen Verkehr mit Reisenden und Gästen einen höhern Grad von Bildung und Wissen erworben hatten.

4 Unter dem Wanderer, Salik, wird immer der Mystiker verstanden: hier ist damit der alte Wirth gemeint.

5 D.h. Kann ich, alter Mann, mich den Freuden der Liebe überlassen, wenn mir die Glocke des Todes tönt, wie die Glocke am Halse der Kamele, die den Reisenden zum Aufbruch mahnt?

 

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