Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dschim

Alle Schönen zu besteuern
Kömmt mit vollem Recht dir zu,

Denn auf ihren Häuptern allen
Strahlest, eine Krone, du!

Turkistan geräth in Flammen
Durch dein trunk'nes Augenpaar:

Steuern zollen Hind1 und China
Deinem krausen Lockenhaar.

Heller als des Tages Wange
Glänzt dein weisses Angesicht,

Und so schwarz wie deine Locke
Ist der Nächte längste nicht.

Kann in Wahrheit je gesunden
Ich von dieser Krankheit Schmerz.

Wenn nicht du mir Arzeneien
Freundlich reichest für mein Herz?

Deinem engen Munde danket
Chiser's Quelle den Bestand,

Und Ägyptens harter Zucker2
Weichet deiner Lippe Rand.

Wesshalb brichst du, theure Seele,
Mit dem Herzen, felsenhart,

Dieses Herz, das gleich dem Glase
Leicht gebrechlich ist und zart?

Wie doch schlangest du ein Härchen
Um die Lende, zart und fein,3

Und enthülltest deine Glieder,4
Glänzend weiss wie Elfenbein?

Deines Mundes Flaum ist Chiser,5
Und sein Quell dein Lippenpaar,

Und dein Wuchs gleicht der Zipresse,
Und die Lende einem Haar.

Einen König, der dir gleiche
Wünscht Hafis sich für und für;

 Läg' er doch, als niederer Sclave,
Stets im Staube deiner Thür!
 

1 D.i. Indien.

2 Nebat, das Wort des Textes, ist der Name einer Art sehr harten Kandelzuckers, der aus Ägypten kommt und in Flaschen aufbewahrt wird, die erst zerschlagen werden müssen, wenn man ihn geniessen will.

3 D.h.: Wie ist doch deine Lende so zart und fein wie ein Härchen!

4 Der Text fügt noch hinzu: Et nates instar fornicis eburneae.

5 Mit Chiser, dem Hüter des Lebensquelles, einem blühenden Jüngling in die grüne Farbe der Wiederverjüngung der Natur gehüllt, wird hier der grünende Flaum des Geliebten verglichen.

 

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