Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

10.

Der Rebe Tochter that, o Freunde,
Auf die Verborgenheit Verzicht;

Sie selber war beim Vogt gewesen,
That also Unerlaubtes nicht.

Sie trat hervor aus ihrer Hülle,
- Wisch't ihr die Tropfen Schweisses ab! -

Damit sie den Genossen künde,
Warum sie sich denn weg begab.

Der Augenblick ist nun gekommen,
An sich zu fesseln ganz und gar

Ein Mädchen, das sich so berauschet
Und einst so keusch gewesen war.1

Und wieder liess der Liebe Sänger
- Verkünd' es, Herz, mit Freudigkeit! -

Die Weise, die berauscht, erklingen
Und heilte so die Trunkenheit.

Was Wunder, wenn Sein sanfter Odem
Des Herzens Rose mir erschliesst?

Sur's Rosenblatte2 dankt der Sprosser
Die hohe Lust, die er geniesst.

Nicht siebenfaches Wasser3 tilget,
Nicht hundertfachen Feuers Macht

Die Flecken, die das Nass der Traube
In eines Ssofi Kleid gebracht.

Lass nie die Demuth aus den Händen,
Hafis, denn deiner Neider Schaar

Verlor im eitlen Hochmuthsdünkel
Geld, Ehre, Herz und Glauben gar.
 

1 Dieses Ghasel dichtete Hafis bei Gelegenheit des vom Könige Schedscha dem Ilchaniden aufgehobenen Weinverbotes, das früher unter der Regentschaft der Fürstin Dilschad Khatun so strenge gehandhabt wurde, dass die Übertreter desselben der Todesstrafe verfielen.

2 Die Rose Sur's, aus welcher das Rosenöl bereitet wird, ist eine dunkelrothe, vielblättrige und wohlduftende, im Orte Sur in Persien häufig gepflegte Rose. Der Name des Ortes ging auf die Farbe seiner Rosen über, so dass die dunkelrothe Rose überhaupt die Rose Sur's heisst.

3 Nach dem schafi'itischen Ritus muss ein auf die Erde gefallener beschmutzt gewordener Gegenstand siebenmal in reinem Wasser gewaschen werden.

 

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