Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

16.

Der Holde ging, indess Verliebten
Er nichts davon zu wissen that,

Und nicht des Weggefährten dachte,
Noch auch des Freundes in der Stadt.

Entweder hat der Freundschaft Pfade
Mein missliches Geschick verfehlt,

Wie? oder war Er es gewesen,
Der nicht den wahren Pfad gewählt?

Indess ich dastand wie die Kerze,
Und Ihm die Seele weihte hier,

Kam einem Morgenlüftchen ähnlich
Er nimmermehr vorbei an mir.

Ich sprach: »Das Herz stimm' ich zur Liebe
Durch meine Thränen Ihm vielleicht.«

Doch nie noch hat ein Tropfen Regens
Den harten Kieselstein erweicht.

Zwar sind des armen Herzensflügel
Gebrochen durch des Grames Kraft:

Doch aus dem Haupte trieb dies nimmer
Der Liebe rohe1 Leidenschaft.

Wer in das Antlitz dir geblicket.
Der küsste auf das Auge mich:2

Denn es benahm nicht ohne Einsicht
Bei jeder That mein Auge sich.3

Es machte mit beschnitt'ner Zunge
Hafisens zartes Schreiberohr

Nicht früher ruchbar dein Geheimniss,
Als bis es selbst sein Haupt verlor.4
 

1 D.h.: Heftige.

2 D.h.: Zollte mir Beifall.

3 Diese Stelle kann auch heissen: Das was mein Auge that, hätte kein Einsichtsloser gethan.

4 D.h.: Sowie das Schreibrohr erst dann Geheimnisse kund gibt, d.i. zum Schreiben tauglich wird, wenn es sein Haupt verlor, d.i. geschnitten wurde, eben so macht Hafis das Geheimniss seiner Liebe zu dir nicht früher ruchbar, als bis er stirbt.

 

zurück