Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

19.

Versteh'st du, was die Harfe
Und was die Laute spricht?

»Trinkt Wein, doch im Verborg'nen,
Sonst spart man Strafen nicht;

Der Lieb' und den Verliebten
Raubt dann man Ehr' und Preis,

Wälzt Schande auf den Jüngling
Und Vorwurf auf den Greis.«

Sie sagen: »Sprecht und höret
Nichts von der Liebe Macht.«

Gar schwierig ist die Sache,
Die sie da vorgebracht.1

Bethört von hundert Listen
Verweil' ich vor dem Thor;

Allein was schlägt für Dinge
Man hinter'm Vorhang vor?

Dem greisen Wirth verkümmern
Die Zeit sie wieder nun;

Sieh nur, was diese Wand'rer2
Da mit dem Greise thun!

Wohl hundertfache Ehre
Kauft oft ein halber Blick:

Vor solchem Handel treten
Die Schönen nur zurück.

Der Eine plagt und mühet
Sich um des Freund's Genuss;

Es überlässt der And're
Sich des Geschickes Schluss.

Kurz, du vertraue nimmer
Auf den Bestand der Welt:

Denn eine Werkstatt ist sie,
Wo Wechsel nur gefällt.

Nur eine falsche Münze,3
Sonst gar nichts bietet sie,

 Indess die Thoren meinen,
Sie trieben Alchymie.

Trink' Wein! Denn Scheïch und Mufti,
Und Stadtvogt und Hafis,

Bei'm Licht beseh'n, verstellen
Sich sämmtlich ganz gewiss.
 

1 Diese Ghasel ward unter der Regentschaft der Fürstin Dilschad verfasst, die jede Übertretung des Weinverbots strengstens bestrafte.

2 Unter den Wanderern sind hier, nach Sudi, die ausschweifenden Trunkenbolde verstanden.

3 Der Ausdruck: falsche Münze kann auch ein finsteres, schwarzes Herz bedeuten.

 

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