Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

38.

Was Wunder, wenn die Lust1, die im Begehren
Ein Blitzstrahl ist, die Garbe2 muss verbrennen?

Kein Freudenblatt grünt auf des Lebens Zweige
Dem Vogel, der nur Kummer lernte kennen.

Dort in der Werkstatt, wo die Liebe schaffet,
Ist auch das Ketzerthum nicht zu entbehren:

Denn wäre hier kein Buleheb3 zu finden,
Wen hätte dann die Flamme zu verzehren?

Bei Jenen, die der Seele Gut verkaufen,4
Ward Wissenschaft und Anstand nicht zur Sitte:

Hier5 kann der Adel keinen Spielraum finden,
Und dort6 berechnet man nicht erst die Schritte.

In einem Kreise, wo der Ball der Sonne
Nicht höher wird als ein Atom geachtet,

Läuft es der Pflicht der Schicklichkeit zuwider,
Wenn man sich thöricht selbst als gross betrachtet.

Geniesse Wein! Denn wenn das ew'ge Leben
Zu finden wäre irgendwo hienieden,

So wär' die Möglichkeit es zu gewähren
Nur einem Weine aus Bihischt7 beschieden.

Hafis, dich Armen lohnt erst dann die Liebe,
Wenn einst ein Morgen ohne Abend bliebe.
 

1 Lust, Leidenschaft - hawa - heisst, wie schon erwähnt ist, auch Luft.

2 Die Garbe des Lebens nämlich.

3 Siehe die 2. Anmerkung zum 35. Ghasel aus dem Buchstaben Te.

[2 Balaheb, abgekürzt aus Ebuleheb, welches der Vater der Flamme heisst, ist der im Koran (Sur. 111. V. 1.) erwähnte Name eines der gefährlichsten Feinde des Propheten (der auch Mustafa, d.i. der Auserwählte heisst und der jenen zum höllischen Feuer verdammte).]

4 D.i.: Denjenigen, die ihre Seele um Liebe oder Wein hingeben.

5 D.i.: In Bezug auf den Anstand.

6 D.i.: In Bezug auf die Wissenschaft.

7 Bihischt, das Paradies, ist zugleich der Name eines Ortes, wo der beste Wein Persiens wächst.

 

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