Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

50.

Wem immerdar vor Augen
Der Flaum des Freundes schwebt,

Des Blitzes höchste Zwecke
Hat sicher1 er erstrebt;

Auf seines Machtbrief's Züge
Legt' fromm den Kopf ich hin

Dem Rohre gleich: er nehme
Nun mit dem Schwerte ihn.2

Zu lieben dich ist Jenem,
Der Kerze gleich, erlaubt,

Dem unter deinem Schwerte
Stets wächst ein neues Haupt.3

Zum Kusse deines Fusses
Gelangt nur dessen Hand,4

Der an dies Thor den Scheitel
Gelegt als Schwellenrand.

 Des Neiders Pfeile hatten
Nach meiner Brust gezielt:

Doch gegen deine Pfeile
Fehlt jeder Brust der Schild.

Mir graut vor trock'ner Tugend!
D'rum bringe reinen Wein:

Denn mein Gehirn befeuchtet
Stets Weingeruch allein.

Mag auch kein Wein dir frommen:
Ist's nicht genug vielleicht,

Dass er den Wahn der Einsicht
Ein Weilchen dir verscheucht?

Wer nie zum Andachtsthore
Den Fuss hinausgesetzt,

Die Schenke zu besuchen
Fühlt er geneigt sich jetzt.

Hafis, gebroch'nen Herzens,
Theilt einer Tulpe Loos

 Und trägt das Maal des Busens
Einst in der Erde Schooss.
 

1 Sicher, gewiss, Muhakkak, heisst auch der Theil im Gesichte, auf welchem der Flaum wächst; ein Wort das in den Wörterbüchern fehlt.

2 Wie man dem Schreibrohre den Kopf mit dem Federmesser abschneidet.

3 Wörtlich: Nur derjenige fand (erhielt) einen (mit Goldschrift geschriebenen, glänzend ausgestatteten) Freibrief, Erlaubnisschein (Perwane) sich mit dir vereinigen zu dürfen, dem, wie der gleichfalls golden strahlenden Kerze unter der Lichtscheere stets ein neues Haupt wächst - Da Schem, Kerze und Perwane nicht nur Freibrief, sondern auch Nachtfalter bedeutet, so wird hier durch die doppelte Bedeutung des letzteren Wortes auf die bekannte Mythe der Liebe der Kerze und des Nachtfalters angespielt.

4 D.h.: Gelingt nur Jenem. Der persische Ausdruck des Gelangens der Hand zu irgend etwas ist gleichbedeutend mit: etwas erreichen und wird hier vorsätzlich als Gegensatz zum Fusse gebraucht.

 

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