Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Be

2.

Der Morgen graut; die Wolke
Hüllt sich in Schleier ein:

Den Morgenwein, ihr Freunde!
Auf, bringt den Morgenwein!

Seht, wie auf Tulpenwangen
Der Thau hell niedersinkt:

D'rum bringt mir Wein, o Freunde,
Wein, den man immer trinkt!

Die Luft des Paradieses
Weht von der Wiese Rain:

D'rum trinket unablässig
Vom allerreinsten Wein!

Ein Thron ist's aus Smaragden,
Auf dem die Rose sitzt:

D'rum bringe Wein, der feurig
Gleich dem Rubine blitzt!

 Man schloss das Thor der Schenke
Zum zweiten Male zu:

O öffne du es wieder,
Der Pforten Öffner du!1

Wohl ist es zu verwundern,
Dass in so froher Zeit

Das Weinhaus man verschlossen
Mit solcher Schnelligkeit.

Dein Mund, roth wie Rubine,
Ist sich des Rechts bewusst,

Das wohl das Salz nur hätte
Auf eine wunde Brust.2

Hafis, sei unbekümmert!
Es schlägt das Liebchen »Glück«

Am Ende doch den Schleier
Vom Angesicht zurück.
 

1 Eine Anspielung auf den bekannten Spruch: Ja mufettihul - ewab iftatih lana chairal - bah, d.i. O Öffner der Pforten, öffne uns die beste Pforte! - welcher häufig über den Thoren öffentlicher Gebäude steht.

2 Des Rechtes zu heilen nämlich; denn auch dein Mund hat sales et lepores. Wörtlich heisst es: Deine Rubinenlippe hat Salzrechte auf die wunden, zu Braten gewordenen Busen. Der Vergleich einer gemarteten, schmerzdurchglühten Brust mit einem Braten, den orientalische Dichter so häufig gebrauchen, klingt in ihrer Sprache nicht so unedel und prosaisch, wie er in der unsrigen klingen würde.

 

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