Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Dal

64.

Einst warst du mehr als jetzt besorgt
Um der Verliebten Schaar,

Und deiner Liebe Spiel mit uns
War weltbekannt sogar.

Erinn're jener Nächte dich,
Wo mancher süsse Mund

Von stillverborg'ner Liebe sprach
Und der Verliebten Bund.

Der Mondgesichter Schönheit stahl
Mir Glauben zwar und Herz;

Allein der Huld und Tugend nur
Galt meiner Liebe Schmerz.

Des Lieblings Schatten fiel mit Recht
Auf den Geliebten hier;

Denn ich bedurfte sein, und er,
Er sehnte sich nach mir.

Noch eh' dies grüne Dach sich hob,
- Ein Bogen von Azur -

Blickt' auf die Bogenbrauen ich
Des Seelenfreundes nur.

Vom allerersten Morgenroth
Bis zu der letzten Nacht

Nahm meine Lieb' und Freundschaft stets
Bund und Vertrag in Acht.

Vergib, wenn in der heil'gen Nacht1
Vom Morgenwein ich trank:

Denn trunken kam der Freund, auch stand
Ein Becher in dem Schrank.

Riss mir der Rosenkranz entzwei,
O so entschuld'ge mich!

Des silberfüss'gen Schenken Arm
Hielt ja in Händen ich.

Ein Bettler lehrt' am Königsthor
Ein Sprüchlein mich gar fein:

 »An jedem Tisch, an dem ich sass,
Ernährt' mich Gott allein.«

Hafisens Lied zu Adam's Zeit
In Chuld's2 Gefilden hat

Das Rosen- und Jasminenbuch
Geschmückt als Titelblatt.3
 

1 Wörtlich: In der Nacht der Kraft. So heisst nämlich jene heilige Nacht des Fastenmondes Ramasan, in welcher der Koran durch den Engel Gabriel vom Himmel zur Erde gebracht wurde.

2 Chuld wörtlich: Ewigkeit, ist der Name eines der acht mohammedanischen Paradiese.

3 D.h.: Ich war schon von aller Ewigkeit zum Sänger der Natur bestimmt, und als solcher verherrlichte ich bereits im Paradiese durch meine Lieder das aus Blumenblättern bestehende Buch der Natur.

 

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